Christine von Oertzen |
Männerwelt Volkswagenwerk.
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Arbeit im Kleinpreßwerk, 1954. Kriegerwitwen, Flüchtlingsfrauen und Frauen, deren Männer noch in Gefangenschaft waren, stellten nach Kriegsende einen großen Teil der Belegschaft Mit der Rückkehr der Männer sank der Anteil der Frauen im Werk rapide. |
"Mindestens seit Wiederanlaufen
des Betriebes 1945" sei es üblich gewesen, in den VW-Werken keine
verheirateten Frauen einzustellen, meinte der Betriebsratsvorsitzende
Hugo Bork 1965.(1)
Wenn auch seine Erinnerung nicht ganz präzise war: Die VW-Werke
konnten - aufgrund ihrer Monopolstellung - mit einer Betriebsvereinbarung
von 1949 der Region Wolfsburg eine Geschlechterordnung 'verschreiben',
die das Leben der Stadt grundlegend strukturierte. Der Mikrokosmos Wolfsburg
war eine 'Männerarbeitsgesellschaft', von Werkleitung und Betriebsrat
gemeinsam geschaffen. Frauen hatten hier nur ein Recht auf eigenen Verdienst,
wenn sie ledig, verwitwet oder geschieden waren oder als alleinige Ernährerinnen
ihrer Familien einspringen mußten. Die Werkleitung stand also
- entgegen der Erinnerung des Betriebsratsvorsitzenden - der Beschäftigung
von Frauen mit 'häuslichen Bindungen' zunächst aufgeschlossen gegenüber.
Selbst verheiratete Frauen, die schon vor der Währungsreform im Werk gearbeitet
hatten, wurden gegen die auch in Wolfsburg einsetzende Doppelverdienerkampagne
in Schutz genommen. Die Personalverwaltung war nicht gewillt, Frauen,
deren Männer ebenfalls im Werk arbeiteten, zugunsten der zuwandernden
Kriegswitwen, die allein den Familienunterhalt bestreiten mußten, zu entlassen.
Die "familienweise Beschäftigung", so hieß es, sei im Werk wegen
der "Bildung eines zuverlässigen Arbeitnehmerstammes" durchaus
erwünscht.(4)
Mit einer Ausnahme: War der 'Ernährer' durch Krankheit oder Unfall außerstand gesetzt, seine Familie zu unterhalten, griff das paternalistische Versorgungskonzept des Konzerns. Im Fall von Hildegard Hass etwa, die 1945 mit ihrem Mann von Pommern nach Wolfsburg kam. Ihr Mann fand nach der Ankunft sofort Arbeit im Werk, er wurde zum "Schuttaufräumen" eingesetzt. Frau Hass wollte auch zu VW, "aber es klappte nicht. Erst als mein Mann schwer lungenkrank wurde, hat diePersonalverwaltung auf mein Gesuch zurückgegriffen und mich an seiner Stelle beschäftigt. Mein Mann hat dann die Hausarbeit gemacht, und ich hab gearbeitet."(11) |
Datenverarbeitung
anno 1954. Büroangestellte ziehen Lochkarten für die Hollerithmaschine.
Frauensache: Nach der Endmontage wird der Wagen auf Hochglanz gebracht, 1955. Eine von vielen Hilfsarbeiten im Werk
Mit Hochfrisur am Montageband, 1966. Bis 1964 stellte das Volkswagenwerk nur unverheiratete Frauen ein.Arbeitskräftemangel zwang zur Aufgabe dieser Vereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat. Nun waren "Doppelverdiener"geduldet. Familien mit zwei Einkommen konnten sich den hohen Lebensstandard in Wolfsburg besonders gut leisten. |
Mit dem steigenden Wohlstand und dem Wachstum der Stadt hatten aber immer mehr Ehefrauen, die nicht oder nicht mehr im Werk beschäftigt waren und deren Männer ein gutdurchschnittliches Wolfsburger Einkommen erzielten, ein lebhaftes Interesse daran zu arbeiten, sei es aus 'Lust' oder aus wirtschaftlichen Gründen. Die Lebenshaltungskosten in Wolfsburg waren hoch. Zwar bemaßen sich die Mieten in den Neubauten nach Maßstäben des sozialen Wohnungsbaus, sie lagen aber dennoch erheblich über den Mietpreisen der Altbausubstanz anderer Städte. Fast die Hälfte der bei VW beschäftigten Männer zahlte immerhin ein Viertel ihres Gehalts für Miete; hinzu kam, daß offenbar, wie eine Umfrage von 1960 ergab, "die in Wolfsburg durchweg gut ausgestatteten Neubauwohnungen, die Qualität der neuen Häuser, die Stadtviertel, Straßen und öffentlichen Gebäude den eigenen Lebensstil, die Qualität der Wohnungseinrichtung, der Kleidung etc. maßgeblich beeinflussen"(12). Der "Käfer" war bald ein 'Muß' - der Motorisierungsgrad war einer der höchsten der bundesrepublikanischen Gemeinden. Es war zwar überall in Westdeutschlund verbreitet, 'auf Pump' zu kaufen. Gerade VW-Mitarbeitern wurde aber in den Geschäften der Stadt besonders bereitwillig Kredit gewährt. Allerdings: Die Preise in Wolfsburg waren hoch, und sie reagierten seismographisch auf Veränderungen im Werk. Kleider etwa kauften viele Wolfsburger daher in Braunschweig.(13) Den 1960 geführten Interviews
zufolge herrschten in der "Käferstadt" zudem ein außerordentlicher
Sozialneid und Anpassungsdruck. Man kannte die Einkommensverhältnisse
der Kollegen, die ja gleichzeitig Nachbarn waren. Immer müsse "jeder
gleich das haben, was der Nachbar auch hat"(14).
Unter diesen Umständen reichte oftmals selbst ein VW-Einkommen für den
'angemessenen' Lebensstandard einer Familie nicht aus. Viele Haushalte
waren hoch verschuldet. Wenn "alle Schuldscheine in Wolfsburg an
die Häuser geklebt würden", wollten besonders gehässige Stimmen wissen,
"sähe man nicht, wie diese angestrichen sind"(15).
Die hoffnungslose Verschuldung vieler Beschäftigter bei VW nahm 1959 solche
Ausmaße an, daß Lohnpfändungen zur Alltagserscheinung gehörten. Nordhoff
selbst forderte die Belegschaft in einer Betriebsversammlung zum Maßhalten
auf. Dem Wolfsburger Arbeitsamt
und der Stadt selbst gelang es nicht, die durch das Werk vorgegebene Arbeitsmarktstruktur
auszugleichen. Versuche, Betriebe mit ausgewiesener und attraktiver Frauenarbeit
zur Ansiedlung zu bewegen, blieben so gut wie erfolglos, selbst als viele
Großbetriebe der Textil-, Nahrungsmittel-, Elektro- und Konsumgüterindustrie
dem immer empfindlicher werdenden Arbeitskräftemangel an Frauen dadurch
begegneten, daß sie Zweigwerke gerade in strukturschwachen Gegenden oder
Industrieregionen ansiedelten, wo bislang hauptsächlich Männer Arbeit
fanden. Sogar in den unmittelbaren Nachbarbezirken des Wolfsburger Arbeitsamtes
schlug sich diese Entwicklung nieder. Aus vornehmlich ländlich strukturierten
Gemeinden in Niedersachsen entstanden ab 1959 innerhalb weniger Jahre
Industriestandorte, die vielerlei Arbeitsmöglichkeiten für verheiratete
Frauen boten. Das Arbeitsamt Helmstedt berichtete schon im Juli 1962,
daß die »immer spürbarer werdende Verknappung der Arbeitskräfte [...]
die Arbeitgeber [veranlaßt], ihre Arbeitsbedingungen, insbesondere die
Arbeitszeit, [...] den Wünschen der Frauen anzupassen(16).
In dieser Konstellation entwickelte sich eine gegenläufige Mobilität der Geschlechter zwischen Stadt und Umland. Während 40 Prozent der bei VW beschäftigten Männer aus der Umgebung nach Wolfsburg pendelten,(18) mußten sich viele verheiratete Frauen aus der Stadt für eine Erwerbsarbeit bis an die Peripherie der Wolfsburger Region begeben: etwa in die 1962 gegründete Wittinger Kartoffelfabrik Maizena, ein Zweigwerk der Heidelberger Firma Knorr, oder in die Zigarrenfabrik André in Königslutter.(19) Aufgrund des überall akuten Mangels an männlichen Arbeitskräften wurden in manchen Zulieferbetrieben des VW-Werkes der Wolfsburger Umgebung auch Frauen mit 'Männerarbeiten' wie Schweißen beschäftigt. Nicht wenige Betriebe richteten sogar einen Werkbus-Verkehr ein, um die Frauen aus Wolfsburg in ihre Fabriken zu holen. In Wolfsburg selbst verlegten sich das Arbeitsamt und die Stadtverwaltung auf die Ansiedlung von Textilindustrie, einer traditionellen Frauenbranche zwar, aber mit harten Arbeits- und vergleichsweise schlechten Lohnbedingungen, die mit dem Automobilkonzern nicht konkurrieren konnten. "Im Schatten des großen Volkswagenwerks" war die Arbeit dort auch "nicht sonderlich beliebt"; die Frauen blieben ausschließlich deshalb, weil es sonst kaum Betriebe gab, die sie in Dauerstellung beschäftigten. Gerade wegen des hohen Lohnniveaus bei VW waren viele Frauen auch nicht bereit, harte und schlecht bezahlte Arbeit zu leisten. Sie legten, wie das Arbeitsamt feststellte, im Grunde nur Wert auf die Unterbringung im benachbarten VW-Werk. Ihre Chancen, dort auch wirklich beschäftigt zu werden, wurden 1964 erstmals real. Angesichts des anhaltenden Arbeitskräftebedarfs mußte sich die Werkleitung schrittweise von ihren geschlechterpolitischen Maximen trennen. Noch im Frühjahr hatte das Arbeitsamt Helmstedt gemeldet, Bewerbungen von Frauen beim VW-Werk hätten nur "bei ledigen Kräften, bzw. Frauen mit rechtskräftigem Scheidungsurteil und Witwen mit Rentenbescheid" Aussicht auf Erfolg.(20) In Wolfsburg selbst gab es allerdings schon keine Frauen mehr, die diesen Anforderungen entsprachen. Die neu Eingestellten pendelten alle aus dem Gifhorner und Helmstedter Raum. Im Herbst 1964 war es für das Arbeitsamt bereits abzusehen, daß "das VWW in Kürze von seinen Einstellungsforderungen in einigen [...] Punkten wird abgehen müssen", um genügend Arbeitskräfte zu erhalten. "Dieses Mal", meinte der Berichterstatter, "dürfte es die verheirateten Frauen treffen, die bislang noch nicht zum Zuge gekommen sind"(21). Es dauerte allerdings noch ein Jahr, bis das Werk die Entscheidung bekanntgab, künftig von der bisher verfolgten Personalpolitik gegenüber verheirateten Frauen abzugehen. Die Befürchtung vieler Firmen, selbst ihre verheirateten Arbeitskräfte bei der erstbesten Gelegenheit an den übermächtigen Konzern zu verlieren, trat sofort ein. Etliche, auch auf Kosten der Stadt gegründete Textilunternehmen klagten über die Abwanderung gerade angelernter Frauen -umliegende Betriebe stellten ihre Werkbuslinien ein. Mit der Aufhebung des Einstellungsverbots von verheirateten Frauen trennten sich Betriebsrat und Werkleitung auch von einem grundlegenden, geschlechterpolitischen Konzept. Bei Bewerbungen von Frauen, so führte Hugo Bork in seiner bereits erwähnten Rede vor den Gewerkschaftern aus, sei künftig "nur die Eignung für die vorgesehene Arbeit" zu berücksichtigen. Die "sozialen Gründe" interessierten in diesem Zusammenhang "überhaupt" nicht mehr.(22) In Wolfsburg ging damit eine Epoche zu Ende, die sich auch in die Zeit gesellschaftspolitischer Veränderungen der Bundesrepublik einfügt. Bereits seit dem Beginn der sechziger Jahre entwickelte sich ein wachsender öffentlicher Konsens darüber, daß Ehefrauen ein 'Recht' auf Erwerbsarbeit auch unabhängig von der wirtschaftlichen Situation ihrer Familien hätten. Solange die Frauen ihren 'Familienpflichten' nachkamen, unterlag ihre Mitarbeit keiner Ächtung mehr. Der Abschied von den alten Vorstellungen wurde bei VW allerdings schon bald durch einen generellen Einstellungsstopp gegenüber Frauen gegenstandslos, und auch in Zukunft schien die Beschäftigung von Ehefrauen in Krisenzeiten am ehesten verzichtbar. Verheiratete Frauen blieben - zusammen mit den "Gastarbeitern" - die Verschiebemasse, mit der die männliche deutsche Stammbelegschaft bei VW abgesichert wurde. Die grundsätzliche Möglichkeit für verheiratete Frauen, Beschäftigung im Werk zu finden, lähmte eine Ausdifferenzierung des Wolfsburger Arbeitsmarktes vielleicht sogar noch mehr als zuvor. So hat auch die geschlechterordnende Macht des VW-Werkes Wolfsburg auf lange Sicht zu einer 'atypischen' westdeutschen Stadt gemacht. |