|
Die Akademie-Räume am Balkon Europas, der Brühlschen Terrasse, sind zwar eine begehrte Adresse. Aber Griebel, in Loschwitz nur als Matz bekannt, hat längst den Körnergarten für sich entdeckt. Jenes direkt am rechtsseitigen Brückenkopf des Blauen Wunder gelegene Lokal wird zunehmend zum stadtbekannten Boheme-Treffpunkt. Auch Schauspieler, Musiker und Ballettänzerinnen zieht es hierher. Im Sommer füllen mitunter mehrere hundert Besucher den neben der eigentlichen Kneipe befindlichen Elbgarten. Uneingeschränkter Hausherr ist jedoch ein fester Kreis, der sich um den hochgewachsenen Maler-Sohn schart und anfangs in einem Séparée logiert. Regelmäßig dabei sind unter anderem die Filmemacher Ernst Hirsch und Heinz Wittig sowie der heutige Galerist Gunter Ziller, später stoßen auch junge Künstler wie der Maler und Grafiker Helge Leiberg dazu. Wilde Feten wechseln mit ernsthaften Vorträgen, der Alkoholpegel ist meistens enorm. Aber auch künstlerische Projekte werden verfolgt. Das Spektrum reicht von der sächsischen Premiere des Happenings über ambitionierte Multimediaversuche im Kleinen Haus des Staatstheaters bis zu Land-Art-Projekten. Bei seiner Aktion Einrahmung der Landschaft stellt Heinz Wittig eine Vielzahl selbstgefertigter, überdimensionierter Rahmen in die reizvolle Landschaft bei Graupa, dem ehemaligen königlichen Jagdgebiet. Der kollektive Blick durch die Rahmen in den unterschiedlichsten Größen eröffnet neue Perspektiven. Aus den in die Bäume gehängten Boxen erklingt dazu Stockhausens Stimmung, den nötigen Strom für die Tonanlage liefern 12-Volt-Akkus. Dies alles kommt freilich nicht mit dem Pathos des konzeptionellen Wurfs daher. Die sinnliche Seite, der dem Staat abgetrotzte Spaß dominiert. So werden Kostümfeste zu symbolischen Manifestationen eines anderen Lebens, das in Loschwitz noch unverkrampft möglich scheint. Oder einfach nur Foto-Sessions, in denen Griebel im Gründerzeitanzug und mit seinem musealen Hochrad vor den Stadtinsignien des sozialistischen Aufbaus posiert. Bei soviel Öffentlichkeitswirksamkeit wird die Gruppe frühzeitig von der Staatssicherheit observiert. Mehr als 50 Spitzel sind allein mit dem volksnahen und charismatischen Antreiber beschäftigt, der in zwei Operativen Vorgängen erfolglos feindbearbeitet wird. Griebel hatte einen in sich autarken Kreis, erinnert sich der Maler Peter Herrmann an die Halbdistanz früher Jahre, da saßen weniger die Maler, mehr die Freidenker und Originale. Es war eine in sich geschlossene Gesellschaft der Andersdenkenden.(4) Die Außenwirkung deckt sich nicht immer mit der Selbstbestimmung. Ein Kommunikationsproblem, das nicht nur die mitunter aneinander vorbei agierenden Boheme-Gruppen in Dresden haben. Unsere Welt fand hinter geschlossenen Türen statt, relativiert Griebel die angebliche Hermetik seines Kreises, die aber für die Gleichgesinnten offen standen. In den öffentlichen Raum zu gehen, war gefährlich, da hätte man auch gleich vom Rathausturm springen können. In der Tat stehen seine Türen längst nicht nur für die Stammtischkünstler offen. Ab 1980 führt er seinen Keller-Freitag ein eine Loschwitzer Institution, die fast fünfzehn Jahre lang besteht. Im Griebel-Keller, an dessen Wänden der Bruder Georg Griebel programmatisch Szenen aus dem Räuberleben farbkräftig ins Bild gesetzt hat, wird nicht nur getrunken und folgenlos debattiert. Hier hält der Hausherr auch lokalgeschichtliche Vorträge. Oder man unterhält sich mit dem Verlesen von offiziellen Verlautbarungen, die im angstfreien Raum zur puren Realsatire geraten. Außerdem leitet Griebel, als eine Art väterliches Selbsthilfesminar, jeden Donnerstag einen Jugendkreis, zu dem regelmäßig 20 bis 25 junge Leute kommen. Beim Teetrinken werden vor dem Hintergrund der Ausreisewelle in den 80er Jahren manchmal gleich die entsprechenden Anträge formuliert. Als sein bisheriger Arbeitgeber, der tolerante Eisenwarenhändler, stirbt, wechselt Griebel schließlich ganz in den heimatlichen Körnergarten, wo er wiederum zehn Jahre lang einige Tage in der Woche am Zapfhahn oder in der Werkstatt verbringt, bis er zu seinem 20jährigen Hilfsarbeiterjubiläum zum einflußreichen Honoratioren und Museumsdirektor avanciert. Der Körnergarten war einfach ein Kommunikationspunkt, blickt Matthias Griebel zurück. Wichtig für die Herausbildung einer Subkultur erscheint mir, daß Menschen längere Zeit an einem Platz leben. Ich halte das für wesentlich. Sie braucht den Nährboden des langen Miteinanderlebens. Derjenige, der Leute mitbrachte, der mußte selbst Verantwortung dafür tragen, daß die stubensauber waren. Da gab es keinen Kontrollmechanismus. In einem Land, das von einer Mauer umgeben ist, kann man innen nicht auch noch Mauern errichten. Das war eigentlich oberster Grundsatz bei uns.(5) Die Boheme-Welt des Körnergartens ist jedoch nur eine Facette der staatsabgewandten Seite der Loschwitzer Realität. Vor allem das Leonhardi-Museum in der Grundstraße 26, nur ein paar Steinwürfe vom Griebel-Lokal entfernt, sorgt mit einer von spektakulären Aktionen gekrönten Ausstellungskontinuität für den Lebenserhalt einer künstlerischen Alternative. Das ehemalige Atelier des spätromantischen Malers und Richter-Schülers Eduard Leonhardi, der testamentarisch eine Nutzung des Fachwerk-Gebäudes durch junge Künstler bestimmt hatte, wird bereits in den 60er Jahren zum wirksamen Kunstort. Als wesentlich erweist sich dabei der Umstand, daß das inhaltliche Profil von einem Arbeitskreis verantwortet wird, in dem weder paragraphentreuen Funktionäre noch biedere Gremienkünstler die Übermacht haben. In der ersten Dekade wird das der Moderne verpflichtete Galerieprogramm von Künstlern wie Claus Weidensdorfer und Max Uhlig gestaltet. Auch der freiberufliche Kunsthistoriker Diether Schmidt, 1984 nach einer Haftstrafe in den Westen abgeschoben, prägt wesentlich die Ausstellungsdramaturgie. Man ging in das Leonhardi-Museum wie in eine Kathedrale, erzählt Peter Herrmann, später selbst aktiver Mitgestalter des unabhängigen Programms, an die 60er Jahre, um Diether Schmidt zu hören.(6)
|
|||||||||||||||||||