Neue Erkenntnisse über die Sammlung Sachs im Jahr 1938
Hans Sachs – Der Plakatfreund Ein außergewöhnliches Leben 1881-1974
Kindheit und Jugend des am 11. August 1881 in Breslau geborenen Hans Josef Sachs liegen weithin im Dunkeln. Die Familie war durch die bahnbrechenden Leistungen von Großvater und vor allem von Vater Sachs auf dem Gebiete zahnärztlicher Heilkunde bekannt.(24) Spätere Hinweise von Hans Sachs auf das gute Verhältnis zu seinem Vater mögen als Indiz für eine sorglose Kindheit und Jugendzeit gelten. Die Bekanntschaft mit dem Medium Plakat fiel in seine Gymnasialzeit. Sachs erinnert sich: »Zu Ostern 1897 (andere Äußerungen von Sachs nennen das Jahr 1896, d. A.) wurde ich in die Unterprima des König Wilhelm–Gymnasiums in Breslau versetzt und drückte dort mit einem Freunde die Schulbank, der berufen war, durch drei Eigentümlichkeiten seinen Mitschülern einen großen Respekt einzuflößen: er hatte ein körperliches Gebrechen, hatte eigene Gedanken in Schulaufsätzen (er wurde später Germanist) und erzählte von Zeit zu Zeit, daß er Reklameplakate sammelte. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen; aber als er mich eines Tages aufforderte, seine geheimnisvolle Sammlung anzusehen, begab ich mich in seine Wohnung und war überrascht davon, welche Leuchtkraft von den Wänden seines kleinen Stübchens ausging, das über und über mit bunten Bildern behängt war, die bestimmten Zwecken dienten. Otto Fischers »Alte Stadt« [Kat.: 144], Robert Engels' »Literarische Vereinigung Düsseldorf« [Kat.: 113], des gleichen Künstlers »Patria Fahrräder« und einige andere machten auf mich einen so mächtigen Eindruck, daß ich im Geheimen wünschte, auch meine Stube gleichermaßen auszustatten,...«.(25) Man stelle sich diesen Zufall vor: Sachs sieht bewußt als eines der ersten Plakate jenes Blatt, das oftmals an den Beginn einer modernen Plakatentwicklung in Deutschland gestellt wird: Otto Fischers »Die Alte Stadt«. Ein Anfang, der der Fortsetzung würdig war. Sachs entdeckte für sich ein neues Medium, das ganz am Anfang seiner Entwicklung stand. Dabei dürfte der gestalterische Unterschied zu den zeittypischen, vom Historismus geprägten Arbeiten sein Interesse besonders geweckt haben. Ein weiteres Erlebnis trieb sein Interesse am Plakat voran: Er erhielt einige Blätter aus Frankreich, wo sich das künftige Profil des Mediums Plakat bereits deutlicher abzuzeichnen begann. In diesen Blättern mag er deren Entwicklungsmöglichkeit erahnt haben: »Aus Paris erhielt mein Vater von einem Freunde drei lebensgroße, vielfarbige, auf Leinen montierte Portraits der großen Sarah Bernhardt in ihren Rollen »Gismonda«, »Lorencaccio« und »Kameliendame«, signiert von Alphonse Mucha, einem, wie ich später hörte, in Paris lebenden tschechischen Künstler. Diese Blätter, so schrieb der Freund, prangten zu jener Zeit an den Wänden jedes eleganten Pariser Salons. Vielleicht um meinen Schulfreund auszustechen, bewog ich meinen Vater, mir diese plakatartigen Blätter für meine noch embryohafte Sammlung zu überlassen und seinen Pariser Freund um weitere Blätter dieser Art zu bitten, wenn es dort solche etwa in größerer Zahl gab.... Wie konnte ich ahnen, daß ein Jules Cheret schon seit dem Ende der Fünfziger Jahre künstlerische Blätter für Theater, Circusse, Vaudevilles entwarf, daß es schon einen Toulouse–Lautrec, einen Steinlen, einen Leandre, einen Mettivet, einen Grasset, einen Valloton, einen De Feure gab?«(26) Es gab sie, wie er bald erfahren würde. Die Orientierung auf das französische Plakat ließ Sachs nie wieder los, zumindest unternahm er große Anstrengungen, seine Sammlung durch möglichst viele Plakate bedeutender französischer Plakatgestalter. zu bereichern. Als die Familie 1899 nach Berlin zog, Vater Sachs versprach sich hier bessere berufliche Wirkungsmöglichkeiten, erschlossen sich für Hans Sachs (seit 1900 in Berlin) völlig neue Dimensionen. Das »Berliner Plakat« schickte sich an, auf dem Gebiet der Plakatkunst ein neues, eigenes Profil zu gewinnen. Es erschienen Plakate von Edmund Edel und anderen. Kurzum, Sachs kam zu einer Zeit nach Berlin, als die »Plakat– Szene« gerade den Kinderschuhen entstieg und die ersten selbständigen Schritte auf ihrem bis 1914 sehr erfolgreichen Weg zurücklegte. Er bekam in Berlin ja nicht nur den Aufbruch der Plakatkunst geboten, darüber hinaus ließen wirtschaftliche Potenz und eine sich entwickelnde kulturelle Vielfalt die Reichshauptstadt um die Jahrhundertwende zu einem Ort stürmischer Entwicklung in Deutschland werden. In den Jahren nach der Jahrhundertwende wurde Berlin neben München das Plakatzentrum in Deutschland. Die wenigen hier genannten Namen wie der des schon erwähnten Edmund Edel, von Hans–Rudi Erdt, Julius Klinger, Hans Lindenstaedt, Joe Loewenstein, Ernst Deutsch, Paul Scheurich, Fritz Hellmuth Ehmke, Peter Behrens, Julius Gipkens, Jo Steiner, Emil Orlik u.v.a. mögen genügen, um an ein Potential zu erinnern, wie es in dieser Breite und Qualität nur in Berlin existierte bzw. sich gerade zu entwickeln begann.(27) Allen voran sei Lucian Bernhard genannt, der Schöpfer des Sachplakates und von Beginn an künstlerischer Leiter im Verein der Plakatfreunde. Aber nicht nur die Künstler trieben diese Entwicklung voran, sondern auch die bis heute in ihrer Bedeutung kaum gewürdigten Druckereien und Kunstanstalten. Für Berlin waren dies vor allem die von Ernst Growald geleitete Druckerei »Hollerbaum & Schmidt« und die »Kunstanstalt Dinse & Eckert«. Hier entwickelte man ein zeitgemäßes, ganz auf die Vermittlung zwischen Auftraggeber und Künstler orientiertes Werbemanagement. In München schätzte man Plakate von Nicolaus Gysis, Franz von Stuck, Otto Obermeier, Julius Diez, Valenty Zietara, Ferdinand Freiherr von Reznicek, Thomas Theodor Heine, Emil Pirchan, Josef Rudolf Witzel, Emil Preetorius, Emil Rudolph Weiss, und des alle überragenden Ludwig Hohlwein.(27) Für München waren es vor allem die Vereinigten Druckereien und Kunstanstalten (vormals G. Schuh & Cie.) und die Druckerei Kunst im Druck (KiD), die sich um eine hohe Druckqualität verdient gemacht haben. Auch Dresden galt für kurze Zeit als ein Zentrum der Plakatentwicklung. Hier arbeiteten Otto Fischer, Hans Unger und Johann Vincenz Cissarz als bedeutende Vertreter der sich herausbildenden modernen Plakatkunst. Alle bis zum heutigen Tag klangvolle Namen der Plakatwelt, Pioniere und Klassiker der deutschen Gebrauchsgraphik, die mit ihren besten Arbeiten in der Sammlung Sachs vertreten waren. In Berlin angekommen, begann er 1900 seine weitere Ausbildung mit Studien am Zweiten Chemischen Institut. Später wechselte er an die Technische Hochschule Berlin und promovierte 1904 an der Albert-Ludwigs–Universität in Freiburg/Breisgau über ein Thema zur Farbchemie.(29) Nach der Rückkehr trat er für kurze Zeit eine Stelle in den Teer– und Erdölwerken Erkner (einem südlichen Vorort von Berlin) an. Bereits ein Jahr danach entschloß sich Sachs jedoch, der Familientradition zu folgen und mit der Ausbildung als Zahnarzt zu beginnen. Neben der beruflichen Ausbildung und der weiteren Sammeltätigkeit trat im Jahr 1905 ein weiteres Betätigungsfeld, vielleicht sogar das wichtigste, hinzu: Die Gründung des »Vereins der Plakatfreunde«. Der Anfang schien unspektakulär: Hans Meyer, neben Sachs der Mitbegründer des Vereins, erinnerte sich: »Am 22. November 1905 war es, als auf gemeinsamem Heimwege von einer Gesellschaft der cand. chem. Hans Sachs dem cand. arch. Hans Meyer erklärte, dass »der Verein« nunmehr gegründet werden könne. Beide hatte die Liebe zur Plakatkunst zusammengeführt,...« Einen Monat später wurde es dann offiziell: »Diese sechs Mannen (Hans Sachs, Hans Meyer, Emil Schulze–Malkowski, Ernst–Moritz Lesser, Carol Hilartus und Karl Jahnke, d. A.) waren es, die sich am 22. Dezember 1905 in dem engen, mit Plakaten fast tapezierten Stübchen von Sachs zusammenfanden und die Rollen verteilten. Schulze Malkowski, der »Mann mit dem großen Namen«, erhielt natürlich den ersten Vorsitz, Sachs den zweiten, Meyer, der in Examensarbeiten stak, wählte das Amt des Kassenführers, weil das offensichtlich fürs Erste die geringsten Anforderungen stellte, Lesser übernahm den Schriftführerposten, Hilarius versprach, den ersten Programmvortrag zu halten,(30) Bernhard übernahm es, ein Zeichen für den Verein zu entwerfen und seine sämtlichen künftigen Drucksachen zu überwachen,(31) wofür er die Bezeichnung »künstlerischer Beirat« und –heute darf man es ja verraten,–hundert Mark erhielt, die die beiden Väter von Sachs und Meyer herleihen mussten, später aber zu ihrer Verwunderung tatsächlich wieder bekommen haben!«(32) Der Anfang war gemacht, der Verein als »Sammlerverein« gegründet. Schnell einigte man sich über die pragmatischen Dinge, hielt Vorträge, traf sich zu geselligen Abenden, tauschte Informationen aus, bemühte sich um einen regen Tausch–Handel mit Plakaten. Die Erfolge des ersten Jahres schienen dieser Vereinskonzeption recht zu geben, die Mitgliederzahl stieg schnell an. Bereits ein Jahr später jedoch zeichnete sich ab, daß sich auf diese Art der Verein nicht halten ließ. Die Anfangserfolge fanden keine Fortsetzung, auch die Mitgliederzahl ging zurück.(33) Der Verein begann, vor sich hin zu dümpeln, ja es stand seine weitere Existenz in Frage. Diese erste Phase der Vereinsgeschichte brachte sowohl wertvolle Erfahrungen als auch Rückschläge, bezogen auf Aufbau, Führung und Unterhaltung eines solchen Zusammenschlusses. Aus den frühen Berichten der Vereinszusammenkünfte lassen sich Tendenzen, die den Weg von einem Verein der Liebhaber zu einer um professionelles Agieren und Reagieren bemühten Organisation ablesen. Die entscheidende Idee aber, eine neue Basis zu finden, kam von Sachs. Er schlug in der Zusammenkunft des Vorstandes vom 14. Dezember 1909 vor, eine Zeitschrift für den Verein ins Leben zu rufen.(34) Dieser Vorschlag fand in der Vorstandssitzung vom 15. Januar 1910 einhellige Zustimmung. Sachs selbst übernahm die notwendigen Vorarbeiten, obwohl seine Studien dies kaum zuließen. Er schloß zu dieser Zeit mit einem halbjährigen USA–Aufenthalt seine zahnärztliche Ausbildung ab und begann wieder in der Praxis seines Vaters zu arbeiten, in der er seit seiner Approbation im Jahre 1908 tätig gewesen war. An sein Unbehagen auf dem Weg zur Vereinszeitschrift erinnerte sich Sachs: »Nur wenige Menschen haben gewußt, mit welchen Gewissensbissen ich die mir anvertraute Schriftleitung und Herausgabe über nahm. Hatte ich doch vom gesamten Druckwesen, von Buchbinderei und Zeitschriftenvertrieb keinen blauen Dunst. Worte wie »Satzspiegel«, »Petit« und »Nonpareille«, »Raster« und »Offset«, »Kunstdruck«– und »gestrichenes Papier« waren mir böhmische Dörfer. Heimlich musste ich in der weit im Berliner Osten gelegenen »Druckerei der Bibliophilen«, die eine kleine, aber typographisch fortgeschrittene Anstalt und daher ausersehen war, das erste Heft der neuen Zeitschrift zu drucken (200 Exemplare), Unterricht nehmen, um eine Verständigungsbasis mit den Fachleuten zu bekommen. Ich muß damals »über meinen eigenen Schatten gesprungen« sein, als ich trotz dieses Bewußtseins, dieses völligen Mangels an Sachkenntnis, lediglich aus meinem unverbesserlichen Optimismus heraus, der Vereinsversammlung, die in die Beratung über die Gründung einer Zeitschrift eintreten wollte, bereits Vertragsentwürfe mit Drucker und Buchbinder vorlegte, die meine Ahnungslosigkeit schnell genug erkannt hatten.«(35) Diese Aussage ist um so verwunderlicher, als man der Zeitschrift von Anbeginn an keinerlei Dilettantismus anmerken kann, im Gegenteil, sie ist in Ausstattung, Gestaltung und Inhalt eine bedeutende Kunstzeitschrift. Sie trug zu dem geradezu kometenhaften Aufstieg des Vereins bei, indem sie ihm nationale wie internationale Bekanntheit verschaffte. Das Anwachsen des Vereins ging so rasch vonstatten, daß er auf die bisherige Art nicht mehr zu leiten war. Es entstanden die Ortsgruppen.(36) Dank der Anzeigen und der beiliegenden Tauschlisten in der Zeitschrift »Das Plakat« (Auflage 1914: 2400) konnte auch der Handel mit Plakaten florieren. Analog zur Steigerung der Mitgliedszahlen und der Erhöhung der Auflagenzahl der Vereinszeitschrift wuchs auch die private Plakatsammlung von Sachs enorm an, der die Vorteile derartig weitläufiger Kontakte zu nutzen verstand.(37) Der Verein widmete sich neu hinzukommenden Aufgaben: So wurde eine Auskunftsstelle für Mitglieder und alle, die sie nutzen wollten, unterhalten; hier konnte man sich in Rechtsfragen beraten lassen, um die Vermittlung von Druckereien und Künstlern nachsuchen. Wettbewerbe wurden veranstaltet, zumeist im Auftrag von Firmen, die sich auf das Organisationsvermögen des Vereins, die Verbreitung von dessen Zeitschrift und durch ihn vermittelten Juroren zu verlassen schienen; Ausstellungen wurden organisiert und Vorträge gehalten. Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges entwickelte sich der Verein zu einer anerkannten Einrichtung für die Belange von Plakat und Gebrauchsgraphik.(38) Die Jahre von 1910–1914 sind als die kreativste und erfolgreichste Zeit des Vereins zu werten: in diesen Jahren der stürmischsten Entwicklung der Plakatkunst gelang es ihm, nachhaltig Einfluß auf diese zu nehmen und mit wachsendem Erfolg eigene Vorstellungen von moderner Plakat– und Werbekunst zu propagieren. Für Sachs selbst brachten diese Jahre ebenfalls entscheidende Veränderungen. Er heiratete 1910 und wurde zum ersten Mal Vater. 1913 zog er nach Berlin-Nikolassee in die Burgunder Straße 10. 1914 bereitete Sachs eine Plakatschau innerhalb der »Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (BUGRA)« vor, die mit rund 700 Obiekten aus seiner Sammlung eine der größten Expositionen internationaler Plakatkunst war. Nicht feststellbar ist, ob Sachs als Privatsammler oder im Namen des Vereins tätig war. Die Stadt Leipzig verlieh ihm (oder dem Verein der Plakatfreunde?) die Goldene Medaille der Stadt Leipzig. Hier wurde erstmals deutlich, daß es immer schwieriger wurde, zwischen Sachs und dem Verein der Plakatfreunde zu unterscheiden. Die Identifikation seiner Person mit dem Verein und umgekehrt trat immer klarer hervor und darf für die weitere Entwicklung als charakteristisch gelten. Im Jahre 1914 wurde seine zweite Tochter geboren. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges mußte Sachs im August 1914 zum Militär einrücken. Hans Meyer und Rudi Bleistein übernahmen die Führung des Vereins, bis Sachs, im Dezember 1914 wieder aus dem Heeresdienst entlassen, heimkehrte. Nachdem Bleistein und Meyer Anfang 1915 eingezogen wurden, ruhte die gesamte Vereinsleitung samt der Herausgabe der Zeitschrift »Das Plakat« in den Händen von Sachs. Er avancierte über weite Strecken zum alleinigen Autor der Textbeiträge in der Zeitschrift. Damit dies nicht auffiel, legte er sich mindestens drei Pseudonyme zu, unter denen er mit Texten aufwartete.(39) Es ist vor allem Sachs zu danken, daß der Verein und dessen Zeitschrift die Kriegszeit überstanden. Der Verein war involviert in die Kriegspropaganda des Deutschen Kaiserreiches. Unter maßgeblicher Beteiligung des Vereins wurden zahlreiche Wettbewerbe (z. B. für die Kriegsanleihen) veranstaltet, Ausstellungen organisiert, z. B. mit Plakaten aller kriegführenden Länder. Sachs schien durch die Umstände geradezu beflügelt zu sein. So gab er gemeinsam mit Albert Schramm (dem damaligen Direktor der Deutschen Bücherei in Leipzig) die »Mitteilungen des Verbandes deutscher Kriegssammlungen e.V.« heraus.(40) 1918 hatte der Verein 3757 Mitglieder, obwohl alle Ortsgruppen, bis auf die in Hannover, schon nicht mehr existierten. Die Zeitschrift des Vereins konnte in einer Auflage um 3.000 Exemplare weiter vertrieben werden, allerdings bei begrenzter Heftzahl in den Jahren 1917 (5 Hefte) und 1918 (4 Hefte). Auch die neue Republik hatte Verwendung für den Verein: eine neue Briefmarke mußte her, der Verein richtete den Wettbewerb aus und war maßgeblich in der Jury vertreten. Ebenfalls in »höherem Auftrag« (der Reichsregierung) wurde eine Publikation herausgebracht, die sich zusammenfassend mit dem für Deutschland neuen Genre der Plakatkunst, dem "politischen Plakat" befasste.(41) Sachs war ohne Zweifel zur konkurrenzlos profilbestimmenden Persönlichkeit des Vereins geworden. Auch hierin darf man einen Grund sehen, der zur Häufung von Konflikten innerhalb des Vereins führte; es entstanden zunehmend Spannungen zwischen den wieder– und neuentstehenden Ortsgruppen und der Zentrale in Berlin.(42) Der Verein erreichte eine Größenordnung, für die keine entsprechende Struktur vorhanden war und auch nicht geschaffen wurde.(43) Wenn man die Versuche des Vereinsvorstandes, die strukturelle Krise zu überwinden, verfolgt, so ging es vor allem auch immer darum, die Bedeutung der Berliner Zentrale zu erhalten, so daß aus heutiger Sicht spätestens seit Anfang 1920 ein Ende des Vereins vorgezeichnet schien. Der Verein boomte sich zu Tode, und die Geschwindigkeit, mit der dies geschah, ließ unter den gegebenen Umständen keine entsprechende Reaktion und Reformierung zu. Dieses unkontrollierbare Wachstum führte letztlich zur Unbeherrschbarkeit der Vorgänge, so daß es nur noch eines geringen Anlasses bedurfte, den Verein von innen heraus zu destabilisieren und letztlich sogar aufzulösen. Die Zeitschrift »Das Plakat« ließ ganz im Gegensatz zu dieser Tendenz innerhalb des Vereins »von der ersten bis zur letzten Ausgabe ein Niveau erkennen, das sich von dem des ästhetischen Bildungsbürgertums jener Jahre in herzerfrischender und unkonventioneller Weise abhebt.... Hans Sachs wirkte durch seine Aktivitäten stilbildend.«(44) So nahm man sich in zahlreichen Sonderheften speziellen Themen, nicht nur der Plakatkunst, an. Neue Inhalte beherrschten die Auseinandersetzungen innerhalb der Zeitschrift: Es begann ein immerwährender Streit um »Plakat und Plagiat«, ein Thema, das gesonderter Behandlung bedürfte. Nicht zuletzt die Entwicklung der Auflagenhöhe der Zeitschrift belegt die Aktualität der geführten Debatten.(45) Ähnlich expansiv entwickelte sich auch die Sammlung von Sachs.(46) Allerdings hatte sich ihre Struktur erheblich verändert. Am Anfang seiner Sammeltätigkeit nahm Sachs vor allem Plakate auf, die sich von den vom Historismus geprägten Arbeiten abhoben. Ohne Zweifel entwickelte er im Laufe der Zeit ein gutes Gefühl für die Beurteilung künstlerischer Originalität der Plakate, zumal er seine Sammelaktivitäten auch international auszudehnen vermochte. So gehörten bis ca. 1910 die wichtigsten Blätter der internationalen Plakatgeschichte und –entwicklung zu seiner Sammlung. Vertreten waren Arbeiten aus Frankreich, England, den USA, Holland, Ungarn und in einzelnen Exemplaren auch aus anderen Staaten der Erde. Das zeitgeschichtlich–dokumentarische Moment wurde mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges von Sachs stärker berücksichtigt. In den Jahren 1914–1918 gelang es ihm noch einmal, eine bedeutende internationale Plakatauswahl in seine Sammlung aufzunehmen. Nachfolgend wurde sie fast ausschließlich durch deutsche Plakate ergänzt. Einen entscheidenden Einschnitt in die Beschäftigung mit dem Medium Plakat, ja für sein Leben überhaupt, brachte dann die Auflösung des Vereins der Plakatfreunde. Die Vorgänge, die zu seiner Auflösung führten, sind schwer durchschaubar. Die Auseinandersetzungen lassen etwa folgenden Verlauf vermuten: Herbe Kritik am Vorstand und dessen Vereinspolitik kam zuerst und weiterhin hartnäckig aus der Ortsgruppe in Hannover. Die Vorwürfe waren zum einen die als unausgewogen empfundene inhaltliche Profillierung der Zeitschrift Das Plakat«. Zum anderen wurden Vorwürfe gegen Vorstandsmitglieder erhoben, wirtschaftliche und Vereinsinteressen von privaten nicht zu trennen.(47) Letztlich dürften sich die Anschuldigungen auf einige grundsätzliche Fragen zurückführen lassen: Wer ist der Verein? Wem gehört der Verein? Wem gehört die Zeitschrift? Ausgetragen wurde dieser Kampf jedoch über beleidigende Beschuldigungen. Es mußte ein unabhängiger Untersuchungsausschuß beauftragt werden, um die innere Verwaltung des Vereins zu überprüfen und einen schriftlichen Bericht über diese Untersuchung vorzulegen. Der Abschlußbericht des Ausschusses kam zu folgendem Schluß: »Die Kommission glaubt, am Ende ihrer Tätigkeit feststellen zu müssen, daß der Vorstand die Interessen des Vereins nach innen und außen in jeder Beziehung gewahrt hat und daß gegen ihn aus seiner Geschäftsführung nach keiner Richtung irgendwelche Vorwürfe erhoben werden können.«(48) Trotz dieser Ehrenerklärung hörten die Vorwürfe nicht auf, so daß der Vorstand (Hans Sachs, Hans Meyer und Rudolf Bleistein) am 3. November 1921 seine Ämter niederlegte. Ein neuer Vorstand fand sich nicht; Austritte aus dem Verein begannen und weiteten sich aus.(49) Am 19. Dezember 1921 stellte die Ortsgruppe Schlesien den Antrag auf Auflösung des Vereins. Bei der Abstimmung fehlte dann eine Stimme, ihn aufzulösen. Durch das zuständige Amtsgericht (Amtsgericht–Mitte) mußte ein Vorstand eingesetzt werden. Es zeigte sich, daß der Verein ohne den alten Vorstand nicht zu erhalten war. Die Opposition schlug keinen Kandidaten vor, obwohl durch das Abstimmungsverhalten deutlich wurde, daß sie den Verein für sich weiter erhalten wollte. Zur endgültigen Auflösung des Vereins kam es dann erst am 21. April 1922.(50) Bei allen Verdiensten, die sich der Verein und besonders Hans Sachs um die Förderung der Plakatkunst erwarben, geriet die Entwicklung um 1920 an einen Punkt, an dem neben den organisatorischen Problemen grundlegende Konflikte aufbrachen. Als Sammlerverein konnte er den platzgreifenden Interessen ganzer am Plakatgeschehen beteiligter Berufsgruppen nicht mehr gerecht werden. Zu gegensätzlich entwickelten sich nun Erwartungen und Interesse zwischen einem Sammler– und Liebhaberverein und der Forderung, vor allem der Gebrauchsgraphiker, ihn in eine berufsständische Vertretung umzuwandeln. Dieser Widerspruch war nicht lösbar. Unabhängig von diesen Erwägungen sei noch auf einen anderen Aspekt bei der Auflösung des Vereins hingewiesen: »Aber schon 1922 begeiferte die Niedertracht des Nationalsozialismus die drei Männer (des Vorstandes des Vereins der Plakatfreunde, d. A.) derart, dass sie trotz einer enthusiastischen Ehrenerklärung eines Untersuchungsausschusses, zurücktraten.«(51) Mit der Einstellung des Erscheinens der Zeitschrift »Das Plakat« entstand eine große Lücke in der Publizierung speziell gebrauchsgraphisch orientierter Themen. Mit ihrem Ende wurde sie zu einer Hinterlassenschaft, ebenso wie andere, nicht fortgeführte Publikationen des Vereins der Plakatfreunde.(52) Ohne diese wäre es sehr viel schwerer, etwas über die Entwicklung der Plakatkunst in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts – zumindest in Deutschland – aussagen zu können. Zu großen Teilen geht das Wissen, über das wir heute verfügen, auf dieses »Archiv der Zeit« zurück. Sachs war tief betroffen von den Vorgängen um die Auflösung des Vereins. Er verstaute seine Sammlung auf dem Boden seines Hauses in Berlin–Nikolassee und sah sie drei lange Jahre nicht mehr an. 1925-1926 war er als Beisitzer der Filmprüfstelle tätig, einer Behörde, die für Zulassung, Zensierung oder Verbot von Filmen zuständig war. In den Jahren nach der Auflösung des Vereins widmete sich Sachs offensichtlich stärker seinem Berufe als Zahnarzt.(53) Publizistisch wurde es nun recht still um Hans Sachs. Erst Ende 1924 erschien wieder ein Artikel von ihm.(54) Die Redaktion der 1924 erstmalig erscheinenden Zeitschrift »Gebrauchsgraphik« fand in der Einführung zum ersten Heft ehrende Worte für ihn und seine Leistungen.(55) 1925 brannte in Sachs' Haus durch eine Unachtsamkeit jener Boden, auf dem die Plakate ruhten. Die Gefahr, die gesamte Sammlung im Feuer zu verlieren, war groß. Doch die bis nahezu auf den letzten Millimeter heruntergekohlten Plakatschränke (mit immerhin 7,5 cm Wanddicke) hielten stand. Dennoch lassen sich an Plakaten der Sammlung verschiedentlich Feuer– und (Lösch–) Wasserspuren finden. Sachs nahm diesen Vorfall zum Anlaß erneuter Beschäftigung mit seiner Sammlung. Er versuchte, den nahmhaften Architekten Oskar Kaufmann für die Aufgabe zu gewinnen,(56) seine Sammlung in einer neuen und würdigen Form unterzubringen, was nach längerem Anlauf auch gelang. Sachs sprach selber von dem Versuch, damit ein »Museum der Gebrauchsgraphik« installieren zu wollen. Die Beschäftigung mit den Plakaten trat in eine neue Phase: Nicht mehr das Sammeln, sondern die Präsentation der Bestände sollte nunmehr im Mittelpunkt seiner Bestrebungen stehen. Und wieder ein unangenehmer Zwischenfall: Der halbfertige Anbau geriet während der Trocknungsarbeiten in Brand. Die Arbeit begann erneut und wurde Mitte 1926 glücklich abgeschlossen. Die gesamte Sammlung war nun beispielhaft untergebracht; Aluminium–Gestänge, an denen jeweils schwenkbare Glasrahmen befestigt waren, nahmen die Plakate auf. Diese Art der Unterbringung dürfte bis auf den heutigen Tag für eine andere Sammlung dieser Größenordnung nicht mehr geschaffen worden sein. Erschlossen wurde sie durch eine Kartei, die nach Künstlern und zusätzlich noch nach verschiedenen Sachthemen (z. B. zensierte Plakate, Plakat und Plagiat etc.) geordnet war. Dazu gehörte noch eine umfangreichere, seit 1898 aufgebaute Bibliothek mit allen wichtigen Büchern und Katalogen zum Thema Gebrauchsgraphik. Weitere 18.000 kleinformatige gebrauchsgraphische Arbeiten (alle auf grauem Karton montiert und beschriftet) runden das Bild des geplanten »Museums der Gebrauchsgraphik« ab. »Bei Sachs war es nicht nur die Sammlertätigkeit, es war auch die Technik und die Kultur des Sammelns, über die man in diesem Zusammenhang reden muß. Es ist nicht so, daß man als Sammler nur etwas zusammen trägt, sondern es muß geordnet werden und man muß sich Gedanken über die Objekte machen, wie und in welche Richtung man sie auswertet, usw. Es ist nicht nur das Horten. Zwischen Sammeln und Horten besteht ein Riesenunterschied. Sachs hat eben gesammelt und mit diesen Dingen etwas anzufangen gewußt. Artikel, Ausstellungen und Vorträge belegen dies. ...Eine größere Sammlungskultur (als die speziellen Einbauten von Oskar Kaufmann für die Plakatsammlung von Sachs, d. A.) kann ich mir kaum vorstellen. Natürlich ist es auch immer eine finanzielle Frage, ob man eine solche Sammlungskultur entwickeln kann.«(57) Das Kaufmann–Zimmer wurde seit Mitte 1926 in die neue Wohnung von Sachs eingebaut.(58) Zum Zeitpunkt dieses Umzugs gab Sachs den Umfang seiner Plakatsammlung mit 12.300 an. Bis 1938 war sie lediglich um 200 Neuzugänge gewachsen. Dies erklärt, warum man mit der Sammlung die Plakat–Entwicklung der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre nicht mehr belegen kann. Das schließt leider auch das Bauhaus–Plakat ein. Genau genommen muß man die wirklich aktive Sammelzeit von Sachs mit dem Jahr 1922 für beendet halten. Dennoch fanden in dem neuen Domizil zahlreiche »Abende« statt, an denen bis zu 300 Personen teilnahmen und sich über die Vergangenheit, die große Zeit des Plakates informieren und unterhalten ließen. Das Leben mit den Plakaten und mit ihrer ohne Zweifel einmaligen Präsentation sollte nur wenige Jahre dauern. Mit dem Sieg des Nationalsozialismus begann auch für Sachs eine leidensvolle Zeit. Bis 1935 stand er im Deutschen Zahnärztebuch, praktizierte also noch, das erste »schlimme Jahr« für ihn war wohl das Jahr 1936.(59) Bis zu diesem Jahr gab Sachs auch die aktive Beschäftigung mit dem Plakat an. 1937 stattete er die letzte »öffentliche« Ausstellung von Plakaten seiner Sammlung aus. Diese wurde im März 1937 im Jüdischen Museum in Berlin veranstaltet.(60) Sachs sah sich nie als Glaubensjude,(61) hatte auch nie ernsthafte Bindungen zur jüdischen Gemeinde und fand sich doch, Tausender anderer jüdischer Menschen gleich, in der Situation, im eigenen Land Verstoßener und Verfolgter zu sein. Ende 1937 wurde er für 24 Stunden bei der Gestapo am Alexanderplatz festgehalten, eine Hausdurchsuchung folgte. Die allgemeinen Umstände und sein persönliches Schicksal veranlaßten ihn nun, Deutschland verlassen zu wollen. Daß er seine Sammlung nicht mitnehmen konnte, war ihm klar. So unternahm er Anstrengungen, sie so zu veräußern, damit sie wenigstens zusammenbleiben würde. Doch es sollte anders kommen. »... Schließlich wurde mir mit ebenso grosser Hoeflichkeit (»no kidding«) und Wahrung der aeusseren Form, wie absoluter Bestimmtheit erklaert, dass nach einem neuen Gesetz (mir unbekannt) der Besitz von politischen Drucksachen in Sammlungen strengstens verboten sei,... dass aber die gesamten Sammlungen, also auch die kleinen Drucksachen, Kartei, Bibliographie hiermit konfisziert seien; in zwei Tagen würden mehrere Lastwagen kommen, um alles abzuholen, ich solle Sorge tragen, dass ein reibungsloser Verlauf des Einpackens und des Abtransportes stattfindet. Meine neugierige Frage, wohin denn die Sammlungen gebracht würden, wurde dahingehend beantwortet, dass Herr Dr. Goebbels selbst den Wunsch ausgesprochen habe, dem Kunstgewerbemuseum in der Prinz–Albrecht–Strasse einen neuen Flügel anzugliedern, der der »Kunst des Kaufmanns« gewidmet werden sollte. Die bisher gesehenen Sammlungen waren ein guter Grundstock für ein solches Museum; bis der neue Flügel gebaut wäre, würden sie in den Kellern des Museums lagern.«(62) Sachs sah seine Sammlung nie wieder. Er wurde in der Progromnacht vom 9. November 1938 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Folgende Schilderungen eines Zeitzeugen beschreiben diese Vorgänge: »... Und dann kamen Tag für Tag die Kolonnen jüdischer Häftlinge, total eingeschüchtert, geschunden und in großer Verwirrung. Insgesamt waren es fast 6.000 Menschen.... Die Menge der meist elegant Gekleideten, Beleibten oder Brillenträger reizte die SS–Leute noch mehr auf.... Nach wenigen Wochen und Monaten war der größte Teil der nach dem Progrom Inhaftierten wieder entlassen. Aus eleganten, wohlgenährten Persönlichkeiten waren verängstigte Elendsgestalten geworden, mit Verbänden am ganzen Körper.«(63) Sachs hatte »Glück«: Er wurde am 28. November 1938 wieder entlassen.(64) Im Dezember 1958 verließ er mit seiner Familie, d. h. mit seiner zweiten Frau und dem gerade ein Jahr alten Sohn Deutschland. Sein Weg führte wahrscheinlich über Hoek van Holland – Harwich mit dem »Boat Train« nach London und noch im Jahr 1938 weiter nach New York. Auch wenn nun keine unmittelbare Lebensgefahr mehr bestand, so war doch das Leben als Emigrant ein hartes Schicksal. Auf Grund der geltenden Bestimmungen war es ihm nicht erlaubt, ohne einen entsprechenden Abschluß einer US–amerikanischen Universität als Zahnarzt zu praktizieren. Von 1939–1941 unterzog sich Sachs – er war bereits im 60. Lebensjahr – den notwendigen Examina in Boston und New York. Wie schwer diese Zeit war, spricht aus folgenden Zeilen: »Die mitgebrachten Barmittel beliefen sich gemäß Auswanderungsbestimmungen für meine dreiköpfige Familie auf ganze zwanzig Mark. Das reicht nicht lange für drei Personen, und den mitgebrachten kleinen Hausrat oder meine zahnärztlichen Instrumente konnten wir nicht essen.«(65) Auch wenn Freunde, u. a. Lucian Bernhard, der seit 1925 in New York lebte, Sachs halfen, wo immer dies möglich war, reichte es nicht, so daß er sich schweren Herzens entschloß, sich von seinen 31 Toulouse–Lautrec–Plakaten zu trennen.(66) Letztlich mußte er sie für ganze 500 Dollar hergeben. 1939 hatten Lautrec–Plakate in den USA offenbar keinen besonderen Marktwert. Sachs mußte darüber hinaus mit ansehen, wie seine Blätter sofort nach dem Verkauf einzeln weiterveräußert wurden: nun aber zu Preisen, die ein Vielfaches dessen überschritten, was er bekommen hatte: Verbitterung war die Folge. 1962 gab Sachs seine Zahnarzt–Praxis endgültig auf. Wie aus verschiedenen Briefen hervorgeht, blieb er der Entwicklung des Plakates verbunden und versuchte,(67) mit einigen Publikationen seine Erfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.(68) Von besonderem Wert dabei war sein »Gästebuch«.(69) Sachs vermutete, daß seine Sammlungen in den Kriegs– und Nachkriegswirren vernichtet wurden. So stellte er einen Wiedergutmachungsantrag für ihren endgültigen Verlust. Dr. Eberhard Hölscher (damals Herausgeber der »Gebrauchsgraphik«) schrieb ein Gutachten, so daß er 1963 eine Entschädigung erhielt. Wie groß jedoch war sein Erstaunen als er erfuhr, daß Teile seiner Sammlung doch noch existierten: Hölscher schrieb ihm: »Ihre Plakatsammlung ist erhalten geblieben. Sie befindet sich in Berlin im Zeughaus Unter den Linden, das zu einem Museum ausgebaut worden ist (Gemeint ist das Museum für Deutsche Geschichte, 9.A.). Ob die gesamte Sammlung erhalten geblieben ist, konnte ich allerdings nicht feststellen. Sie ist aber katalogisiert und wird von einem gesondert hierfür angestellten Kunsthistoriker sorgfältig betreut.«(70) Dazu schreibt Hans Sachs: »Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Ich werde mit diesem Kunsthistoriker in Verbindung treten. Vielleicht kann ich ihm mit meiner Sachkenntnis behilflich sein und ihm helfen, meine herrliche Sammlung zu erhalten.«(71) Diesen Brief schrieb er dann am 16. Mai 1966 an Hellmut Rademacher, wissenschaftlicher Mitarbeiter und damals verantwortlich für die Plakatsammlung des Museums für Deutsche Geschichte.(72) Wie aber kamen die Plakate dorthin? Diese Frage läßt sich bisher nicht beantworten. Der Weg, den die Sammlung nahm, kann in großen Teilen nur spekulativ nachgezeichnet werden. Festzustehen scheint aber: Sie wurde nach der Beschlagnahme für wenigstens kurze Zeit in das Kunstgewerbemuseum in der Prinz–Albrecht–Straße gebracht. Wie lange sie hier lag, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, möglicherweise wurde sie in das Reichskriegspropagandaarchiv (Berlin–Charlottenburg, Wilmersdorfer Str. 151) eingearbeitet. Das dürfte zumindest für die politischen Plakate der Sammlung gelten. Man darf annehmen, daß die Bestände des Archivs ausgelagert wurden, wohin ist weiterhin unbekannt. Vielleicht gehören die Sammlungen dieses Archivs auch zu jenen, die kurz vor Kriegsende im Raum Thüringen in verschiedene stillgelegte Salzbergwerksstollen ausgelagert wurden, wie z. B. auch die Sammlungen des Reichs–Rundfunkarchivs? Der Teil der Sammlung jedoch, der überlebt hat, nahm einen anderen Weg. Offensichtlich waren die ca. 8.000 Plakate der Sammlung Sachs, die sich heute im Deutschen Historischen Museum befinden, damals nicht von so großem politischen Interesse, obwohl sie, wie wir heute sehen, die plakatgeschichtlich und kunsthistorisch wertvolleren Teile der Sammlung darstellten. So wurden sie offenbar für eine »sichere« Auslagerung nicht vorgesehen, blieben in Berlin und wurden zum Glück nicht zerstört. 1953 wurde das Museum für Deutsche Geschichte gegründet und zunächst vor seinem Umzug in das für diesen Zweck wieder aufgebaute Zeughaus in einem Gebäude in der Clara–Zetkin–Straße untergebracht. Bei Erweiterungsarbeiten für die Bibliothek stieß man dort in einem entlegenen Keller auf in graues Papier gerollte Plakate: »Kollege Bloch, Abt. Werbung, erkannte in vorliegendem Material die früher weithin bekannten Plakatbestände aus der Sammlung des jüdischen Zahnarztes Hans Sachs, Berlin–Nikolassee. ... Daß es sich aber wirklich um Bestände der genannten Sammlung handelt, geht eindeutig aus der Tatsache hervor, daß sämtliche Plakate Inventarnummern und den Besitzerstempel »Dr. Hans Sachs, Berlin–Nikolassee« tragen.«(73) Die Sammlung wurde geordnet und den damaligen Bedingungen entsprechend untergebracht. So tauchte die Sammlung wieder auf. Wiedergesehen jedoch hat Sachs sie nicht mehr. Durch die deutsche Teilung und die Umstände, die der »Kalte Krieg« mit sich brachte, war folgende Situation entstanden: Die Bundesrepublik entschädigte Sachs für den Verlust der Sammlung, die jedoch in ihren wertvollsten Teilen in der DDR, im Zeughaus in Berlin lag. Das führte dazu, daß keinerlei Information über den Verbleib der Sammlung aus dem Zeughaus an die Öffentlichkeit gelangen sollte.(74) In Fachkreisen war dieser Umstand natürlich weitestgehend bekannt.(75) Das beharrliche Schweigen aber leistete zum einen der Mythenbildung,(76) zum anderen dem Vergessen Vorschub. Der Faden in die Vergangenheit drohte abzureißen. In der Bundesrepublik fehlte vermutlich über lange Jahre ein Grund, einen Anschluß wiederherzustellen, dessen wichtigster Anknüpfungspunkt in der DDR lag. Von hier jedoch konnte damals keine entsprechende Antwort erwartet werden. Eine Würdigung der Leistungen von Sachs und der des Vereins der Plakatfreunde blieben bis zum Zeitpunkt der politischen Wandlungen an der Stelle, die sein Hauptvermächtnis verwaltete – dem Museum für Deutsche Geschichte – aus. Angesichts der Tatsache, daß Sachs am 21. 3.1974, ohne eine umfassende Würdigung erfahren zu haben, in New York verstarb, ist in diesem Zusammenhang von besonderer Tragik. Um so wertvoller sind die wenigen Hinweise auf Sachs zu bewerten, hielten sie doch das Wissen um seine Verdienste und die des Vereins der Plakatfreunde in den Bibliotheken für eine interessierte Öffentlichkeit wach.(77) Die Sammlung aber mußte noch einmal einen herben Verlust hinnehmen. 1981 wurden ein in Wert und Umfang nicht unbedeutender Teil, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus den Depots des Museums für Deutsche Geschichte entwendet wurde, in München versteigert.(78) Dies war, so ist zu hoffen, der letzte gewalttätige Eingriff in die Geschichte der Sammlung Sachs. Auch wenn es nicht geringer Mittel bedarf, die Sammlung wieder in einen guten konservatorischen Zustand zu versetzen und sie nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse zu erschließen, so darf doch die wiedergewonnene Öffentlichkeit als nicht unbedeutende materielle wie ideelle Bereicherung von Plakat–, Kultur–, und Kunstgeschichte im wiedervereinten Deutschland gelten. Ein neuer Anfang ist mit der erstmaligen umfangreichen Präsentation von Teilen der Sammlung als Bestandteil der Plakatsammlung des Deutschen Historischen Museums gemacht. Sachs formulierte 1931 rückschauend und zusammenfassend den Sinn seiner Beschäftigung mit Plakaten. Möge man diese Intention in der Ausstellung bestätigt finden. »Es breitet sich vor uns ein zeit–, kultur– und kunstgenössisches Dokument aus, das tiefe Einblicke in Volk und Nation gewährt. Wer Plakate sammelt, treibt Kunst– Kultur– und Sittengeschichte.«(79) René Grohnert
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