DHM
HEINZ SCHILLING

"Ruhe im Sturm"
Der historische Hintergrund der Augsburger Jahreszeiten-Bilder

Anmerkung

Nicht viele Städte waren zu Beginn der Neuzeit in der Lage, Gemälde nach Art des Augsburger Jahreszeiten-Zyklus hervorzubringen. Denn das verlangte qualitative und quantitative Urbanität, politische Macht, sozioökonomische Differenziertheit und last not least einen leistungsfähigen "Kunstbetrieb", wie ihn in Europa zu Beginn der Neuzeit nur eine Spitzengruppe von drei, vier Dutzend Städten ausgebildet hatte. Dazu gehörten - sieht man einmal von Süditalien und Spanien als mediterraner Sonderzone ab - vor allem die mittel- und oberitalienischen und die südniederländischen Städte, angeführt von Florenz, Venedig, Mailand, Bologna und Rom bzw. Antwerpen, Gent, Brüssel und Brügge, des weiteren vier, fünf französische Städte, insbesondere Paris, Lyon und Rouen, sowie schließlich noch - als einzige so weit im Norden - London, dessen wirtschaftliche und kulturelle Kräfte allerdings noch weit weniger entfaltet waren als das die Einwohnerzahl von etwa 50.000 erwarten ließe. Im Reich galt das Umgekehrte:

Dort gab es ein gutes Dutzend von Städten, die einen sehr hohen Urbanitätsgrad entwickelt hatten, obgleich sie im Vergleich zu Städten wie Venedig, Mailand oder Paris mit jeweils über 100.000 Bewohnern nur bescheidene Einwohnerzahlen aufwiesen, nämlich zwischen 20.000 und 30.000, nur ausnahmsweise auch 40.000. Zu dieser Spitzengruppe gehörten neben Augsburg vor allem die Reichsstädte Nürnberg, Straßburg, Köln und Lübeck- mit Einschränkungen Ulm, Regensburg und Frankfurt am Main -, dann auf einer anderen verfassungsrechtlichen Grundlage Prag, Magdeburg, Braunschweig, Hamburg, Erfurt und Danzig, die größte deutsche Stadt in dem königlich-polnischen Teil Preußens. Städte wie München, Wien, Dresden, Stuttgart oder Berlin, die ein Jahrhundert später als Residenz- und Hauptstädte an den traditionellen Handelsstädten des Mittelalters, und damit auch an Augsburg, vorbeizogen, spielten im 16. Jahrhundert noch keine nennenswerte Rolle.

In Augsburg traf im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts all das zusammen, was für die Entstehung repräsentativer Bilder nach Art des Jahreszeiten-Zyklus unerläßlich war: Die Wirtschafts- und Sozialordnung hatte eine bürgerliche Elite hervorgebracht, die Reichtum, Geschmack und Selbstbewußtsein besaß und darauf aufbauend den Willen zur repräsentativen Selbstdarstellung. Es gab ein leistungsfähiges und differenziertes Malgewerbe mit Meistern, die einerseits der spezifischen Nachfrage der Auftraggeber gewachsen waren, andererseits aber in Form- und Farbgebung den Stil des Zeitalters zum Ausdruck brachten, und mit Werkstätten, die handwerklich, technisch und ökonomisch in der Lage waren, Großaufträge dieses Umfanges auszuführen. Eine repräsentative, stadtbürgerliche Öffentlichkeit hatte sich herausgebildet, die mit alteuropäischen, vormodernen Strukturen und Spielregeln zwar, aber dennoch verbindlich für alle Beteiligten die sozialen Lebensformen der einzelnen Bürger- und Einwohnerschichten sowie deren Darstellung zur Kenntnis nahm, beurteilte, in das soziale, kulturelle und mentale Gefüge der jeweiligen Stadt einfügte und dadurch die Identität ihrer Bewohner mitprägte. Diese Öffentlichkeit war historisch real, nämlich in Geschlechtertänzen und Trinkstuben, in Prozessionen und Turnieren, in kirchlichen und weltlichen Zeremonien sowie in einer Vielzahl weiterer Auftritte und Veranstaltungen, wie sie über das Jahr hin verteilt auf den Augsburger Bildern zu sehen sind. Sie war aber auch symbolisch und ideologisch, nämlich überall dort, wo sie in künstlerischer Bearbeitung erscheint, festgehalten für die Zeitgenossen und die Nachwelt in der Art und Weise, wie der oder die Auftraggeber sie dargestellt sehen wollten. Zusammen mit den allgemein wohl bekannteren Abbildungen von Trinkstuben und Geschlechtertänzen, durch die das städtische Patriziat seit dem ausgehenden Mittelalter gesellschaftliche Exklusivität und politischen Anspruch dokumentierte, gehört der Augsburger Jahreszeiten-Zyklus in diesen Zusammenhang, indem er nämlich die zahlreichen kleinen und großen Lustbarkeiten und öffentlichen Auftritte darstellt, mit denen sich die städtische Elite über die Monate hin präsentierte, und zwar keineswegs nur innerhalb der Stadtmauern selbst, sondern auch und gerade im angrenzenden ländlichen Raum, der dadurch gleichsam in die großbürgerlich urbane Welt aufgenommen wird .

Der Jahreszeiten-Zyklus setzt den ersten Bürgerstand einer Stadt von europäischem Rang in Szene. Das ist weder Alltag noch Norm des städtischen Lebens zu Beginn der Neuzeit, so häufig auch insbesondere das Winterbild dazu herangezogen wird, eben dieses zu illustrieren. Es geht vielmehr genau um das Gegenteil - um die Darstellung des Besonderen, einer herausgebobenen Lebensform. Das Ziel ist die Abgrenzung vom Gewöhnlichen, und zwar sowohl von den niedrigeren Ständen, die als Staffage oder Zuschauer erscheinen, als auch von den alltäglichen Geschäften, denen die Mitglieder der abgebildeten Führungsschicht in Kontor und Ratsstube nachzugehen hatten, und von der Aktualität des Zeitgeschehens, dessen Auf und Ab in jenen Jahren nur zu häufig der patrizischen Kurzweil in der Realität Maß und Ziel setzte. Die Augsburger Monatsbilder sind gleichsam die stadtbürgerliche Variante der "Très Riches Heures du Duc de Berry", jenes prächtigen und häufig reproduzierten Stundenbuches, das die höfische Welt Frankreichs in Szene setzt, indem es scheinbar den ländlichen Alltag zeigt. Dieser Vergleich, der historisch und nicht kunsthistorisch im Sinne von gleichem künstlerischem Rang gemeint ist, läßt noch ein weiteres zutage treten, was in der vorrangig an der Wirtschaft oder der politischen Ordnung interessierten Stadtgeschichtsforschung in der Regel unerwähnt bleibt: Auf der Ebene der Lebensformen und der symbolisch-künstlerischen Selbstdarstellung des Großbürgertums sind die Grenzen zwischen Bürger- und Adelswelt fließend. Das belegt das bekannte "höfische" Versepos von Tristan und Isolde, dessen Dichter nicht von ungefähr Gottfried von Straßburg heißt, ebenso wie das städtisch-bürgerliche Wappen- und Turnierwesen, dem unsere Bilder einen so breiten Raum gewähren. Dasselbe gilt für das Streben zahlreicher spätmittelalterlicher Städte, dem Adel gleich ihren Ursprung bis in die römische oder besser noch griechische Antike und Mythologie zurückzuführen. All dies war nicht aufgesetzte Kopie oder gar "Selbstbetrug" des alteuropäischen Bürgertums, sondern gehörte direkt zum spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bürgerleben. Allerdings setzte eine solche, dem Höfischen vergleichbare Bürgerkultur jene eingangs beschriebene urbane Spitzenstellung voraus und war daher auf wenige Städte beschränkt. Hier liegt ein wichtiger Unterschied zur politischen Kultur des alteuropäischen Bürgertums, die im Prinzip von allen Städten gleich welcher Größenordnung geteilt werden konnte.

Es entspricht also der inneren Logik der Bilder und ist geradezu Ausdruck des herausgebobenen Selbstverständnisses der Augsburger Führungsschicht in der Reformationsepoche, daß die Bilder so gut wie gar nichts direkt von den großen staatlichen und kirchlichen Ereignissen zeigen, die Augsburg in jenen Jahrzehnten in seinen Mauern erlebte, und auch nichts von seinem politischen Einfluß in der Region und im Reich oder von der Länder und Kontinente umspannenden Kraft seines früh- bzw. handelskapitalistischen Wirtschaftssystems. Es ist gerade die scheinbar unangefochtene Selbstverständlichkeit und Unwandelbarkeit großbürgerlicher Lebens- und Repräsentationsformen, die den Eindruck einer selbstsicheren Stadtgesellschaft auf soliden ökonomischen und politischen Grundlagen erzeugt. Nichts ist zu sehen von der gesellschaftlichen, politischen und religiös-kulturellen Wandlungsdynamik, die das Reich allgemein und den oberdeutschen Raum mit Augsburg im Zentrum während der 1520er Jahre erfaßt hatte. Nichts ist zu sehen von Luther und der von ihm zu bitterernstem Existenzringen herausgeforderten Papstkirche; nichts von der reformatorischen Bewegung in Stadt und Land, von Bauernkrieg und Ritterrevolte; nichts von der Aufbruchsstimmung des jungen Habsburger-Kaisers Karl V., der doch in so mannigfaltiger Verbindung zu Augsburg stand; nichts von dem Ausgreifen Europas nach Übersee; nichts von Fürstengewalt und frühmoderner Bürokratisierung, obgleich gerade das Augsburger Großbürgertum, das sich hier in Szene setzt, mit jedem dieser Umbruchsprozesse als Unternehmer oder Finanzier aufs engste verbunden war. Nicht einmal der Früh- und Handelskapitalismus, dessen tragender Pfeiler in Deutschland die Augsburger Handelshäuser waren, ist so dargestellt, wie man es erwarten würde und wie es auch durchaus möglich gewesen wäre, denkt man etwa an die häufig abgebildete Miniatur aus dem Schwarzschen Trachtenbuch, die Jakob Fugger den Reichen und seinen Chefbuchhalter Matthäus Schwarz vor der Augsburger Zentralregistratur des Fuggerschen Weltunternehmens zeigt.

So sehr sich der von Krisenzeiten und Wandlungsdynamik faszinierte Historiker auch dagegen sträuben mag, er muß konstatieren, daß auf diesen Bildern das Signum eines ganzen Zeitalters, ja des Epochenumbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit gleichsam zu einem Gekräusel an der Oberfläche eines in der Tiefe unbewegten Meeres wird. Der Maler stellt, hierin sicherlich dem Willen seiner Auftraggeber folgend, eine geschützte, festgefügte städtisch-bürgerliche Welt dar, die sich durch den sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Wandel, an dem sie führend Anteil hat, in ihren Lustbarkeiten und ihrem Selbstbewußtsein nicht erschüttern läßt. Es ist "die Ruhe im Sturm", die diese Bilder für den Historiker zu faszinierenden, in ihrer ganzen historischen Aussagekraft noch nicht hinreichend gewürdigten Dokumenten werden läßt.

Den Augsburger Jahreszeiten-Zyklus in den historischen Zusammenhang zu stellen heißt, die Spannung herauszuarbeiten zwischen dem, was dem Betrachter gezeigt wird, und dem, was ihm verborgen bleibt. Zu sehen ist die "Ruhe" einer scheinbar unangefochtenen gesellschaftlichen Stabilität, die im endlosen Reigen der Monate und Jahreszeiten den Mitgliedern des obersten Bürgerstandes Vergnügungen und Kurzweil ohne Unterlaß ermöglicht. Nicht bürgerliche Frugalität, Rationalität oder Arbeitsamkeit und der daraus gespeiste Wille zur Beherrschung und Veränderung der Welt prägen die Bilder, sondern Muße und demonstrativer Lebensgenuß, wie ihn die Sozialhistoriker eigentlich nur dem alteuropäischen Adel zubilligen. Diese gleichsam natürliche, nur dem kreisenden Wechsel der Jahre unterworfene Unangefochtenheit ihrer Lebenswelt, das ist offensichtlich der Kern der Botschaft, die die dargestellten Akteure, also die Augsburger Patrizierfamilien, nach dem Wunsch des ihrem Kreis zuzuordnenden Auftraggebers sich selbst, den anderen Ständen und der Nachwelt vermitteln wollten. Absichtsvoll verborgen bleiben der "Sturm" und die dynamischen Kräfte, die in Deutschland und Europa selten stärker und radikaler für Wandel und Veränderungen sorgten, als im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, das die Historiker als Aufbruch in die Neuzeit charakterisieren. Diese Dynamik gilt es in der gebotenen Kürze zu skizzieren, und zwar konkret an der Situation Augsburgs selbst und der Rolle, die es damals in Deutschland und Europa gespielt hat.

Auf den Bildern gibt die Stadt am Lech zusammen mit ihrer ländlichen Umgebung gleichsam die "bukolische" Kulisse ab, vor der sich das Patriziat in seiner Ideologie der Ruhe und Stabilität in Szene setzt. In der Realität dagegen war Augsburg wie kaum ein zweiter Ort in Deutschland und Europa eine Stätte der Veränderung und des Wandels. Das Augsburger Bürgertum, und zwar gerade die auf den Bildern in Spiel und Lustbarkeit versunkene Elite, war in den Jahrzehnten um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit darangegangen, in weitausgreifenden Aktivitäten nicht nur seine eigene und die umgebende oberschwäbische Region umzugestalten, sondern darüber hinaus auch Europa und die Neue Welt in seine neuartigen wagenden Unternehmungen einzubeziehen.

Demographie und Konjunkturwellen

Bereits die Bevölkerungsentwicklung belegt die Dynamik des Zeitalters, und das läßt sich durchaus noch an den Bildern ablesen, vermitteln sie doch durch die große Zahl von Menschen den Eindruck von Gedränge und Überbevölkerung. Die Zeitgenossen selbst, wie etwa der für die Umbrüche seiner Zeit sensible Spiritualist Sebastian Franck, sprechen davon, daß die Welt "voller Leute" steckt, und die modernen Demographen rechnen aus, daß sie recht hatten: Die Bevölkerung Deutschlands wuchs im 16. Jahrhundert von zwölf über vierzehn auf sechzehn Millionen, wobei die Wachstumsraten gerade in jenen Jahrzehnten, in denen die Bilder entstanden sind, besonders hoch waren. Wie die Städte allgemein nahm Augsburg an dieser Entwicklung überproportional teil - von rund 20.000 im späten 15. Jahrhundert stieg die Bevölkerung im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts auf über 30.000 an und erreichte ein knappes Jahrhundert später mit 40.000 einen Höchststand, bevor die Verluste des Dreißigjährigen Krieges den Trend umkehrten. Indem immer mehr Menschen ernährt und mit Gewerbegütern versorgt werden mußten, war der säkulare Bevölkerungsanstieg zugleich ein Hauptmotor des Konjunkturaufschwunges, der insbesondere der städtischen Wirtschaft zugute kam. Hinzu trat die sogenannte kommerzielle Revolution, die seit Anfang des Jahrhunderts zunächst den Überlandverkehr, dann vor allem den Seehandel in der Ostsee und auf dem Atlantik sprunghaft ansteigen ließ. Schließlich war das Zeitalter durch einen Preisanstieg charakterisiert, der sich beschleunigte, als im zweiten Jahrhundertdrittel das südamerikanische Silber nach Europa einströmte.

Sozialstruktur

All das zusammengenommen hatte weitreichende soziale Konsequenzen. Vor allem in den Städten entwickelte sich so etwas wie eine zweigeteilte Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer und zahlreicher wurden. Bereits im späten Mittelalter waren in einer Stadt wie Augsburg Besitzverteilung und Sozialstruktur unausgewogen gewesen, so daß einer knapp hundert Familien umfassenden Oberschicht von Patriziern und Großkaufleuten eine nur etwas breitere obere Mittelschicht von rund zweihundert wirtschaftlich und politisch hervorgehobenen Zunftfamilien sowie eine sehr ausgeprägte, über 4.000 Familien umfassende Basisschicht von Kleinbürgern und nicht steuerfähigen, d. h. nahezu besitzlosen Unterschichten gegenüberstanden. Anfang des 16. Jahrhunderts kam es zu einer deutlichen zahlen- und vermögensmäßigen Stärkung des mittleren Bürgertums. Daraus ergab sich aber keine längerfristige Verbesserung der Sozialstruktur. Denn seit dem zweiten Jahrhundertdrittel wuchsen die Unterschichten der Steuerbefreiten und Besitzlosen rasch an, was um so dramatischer war, als sich zur selben Zeit wegen der voranschreitenden Teuerung und der schrumpfenden Arbeitschancen deren Subsistenzbedingungen radikal verschlechterten, so daß immer mehr Familien immer häufiger auf Unterstützung durch Kirche und Stadt angewiesen waren. Auf dem April-Bild ist das verschämt durch einen um Nahrung bittenden Bettler angedeutet. Gegen Ende des Jahrhunderts gerieten dann auch immer wieder Familien der Mittelschicht in den Strudel.

Markt

Der unausgeglichenen Sozialstruktur entsprach ein zweigeteilter Markt: Die reiche Oberschicht leistete sich auserlesene Speisen und seltenen Luxus an Kunst und Kunstgewerbe. Da neben den oberen Bürgerschichten auch der Adel zu dieser potenten Käuferschicht gehörte gab es eine enorme Nachfrage nach Fleisch, Wein, Spezereien, Zucker und anderen Kolonialwaren sowie Gemälden, Tapisserien und Luxusmöbeln und den Produkten von Gold- und Silberschmieden, Harnischfegern und Waffenschmieden. Davon profitierten wiederum die bürgerlichen Oberschichten von Fernkaufleuten, Unternehmern und hochqualifizierten Handwerksmeistern, deren Mal-, Schreiner- oder Schmiedewerkstätten zu kleinen bis mittleren Unternehmen wurden. Dem Luxusmarkt entsprach ein für die Anbieter nicht weniger lukrativer Markt für billige Massengüter, auf dem sich das Gros der Bevölkerung in Stadt und Land versorgen mußte, da ein immer größerer Anteil ihres Einkommens für die sich verteuernden Lebensmittel einzusetzen war. Auch dies kam der bürgerlichen Oberschicht zugute, die als Verleger und Fernkaufleute Produktion Verteilung von billigen Mischgeweben und Haushaltswaren organisierte.

Politische Ordnung

Natürlich resultierten aus diesen schroffen Gegensätzen soziale Spannungen und Konflikte, die sich immer wieder in Aufläufen und Unruhen Luft machten, konzentriert in den Jahrzehnten der Reformation sowie an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Zu einer Sozialrevolution im echten Sinne kam es aber nicht. Denn die soziale Not wurde durch soziale Stiftungen, deren berühmteste die Augsburger Fuggerei ist, sowie durch eine ausgeprägte städtische Preis- und Versorgungspolitik abgefedert. Zudem war die politische Kultur in der frühneuzeitlichen Stadt so angelegt, daß es zwar immer wieder zu gemeindlich-genossenschaftlichen oder stadtrepublikanischen Protestbewegungen gegen Willkürherrschaft und soziale Ungerechtigkeit kam, daß diese aber nicht auf Sprengung des Systems, sondern auf dessen Justierung ausgerichtet waren. Dem entsprachen auch die Grundprinzipien der politischen Partizipation in den Städten. Der Idee nach war es die Gemeinde (lat. communitas), bei der die politische Gewalt lag. Das war der Verband aller formell durch Kauf oder Erbe ins Bürgerrecht eingetretenen Bewohner und damit stets nur ein mehr oder weniger großer bzw. kleiner Teil der Einwohnerschaft. Nach den stadtrepublikanischen Normen des alteuropäischen Bürgertums war dieser Schwurverband, dem jeder Bürger durch Eidesleistung beigetreten war, zur Mitsprache und zur Kontrolle des Stadtrates berechtigt. Real wurde das aber nur im Moment der Vertrauenskrise zwischen Rat und Bürgerschaft. In normalen Zeiten regierte und verwaltete der Stadtrat unangefochten. Seine Rekrutierung war von Stadt zu Stadt unterschiedlich geregelt. Allgemein galt aber, daß die "besten" und erfolgreichsten Familien ratsfähig sein sollten. Soziales Ansehen, Reichtum und Familientradition qualifizierten zum Rat. Darüber hinaus kam der "Abkömmlichkeit" eine wichtige Selektionsfunktion zu. Dieser von Max Weber geprägte Begriff meint die schlichte Tatsache, daß es einem einfachen Handwerksmeister, der täglich in der Werkstatt präsent sein mußte, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu erwirtschaften, gar nicht möglich war, direkt am Ratsregiment teilzunehmen. Denn das setzte nicht nur Zeit für regelmäßige Sitzungen voraus, sondern auch für die Übernahme tage-, wochen-, ja monatelanger auswärtiger Missionen an Fürstenhöfen oder zu Städte- und Reichstagen.

All dies zusammengenommen führte dazu, daß auch in Städten wie Augsburg mit sogenannten "Zunfträten", d. h. einer formellen Rekrutierung des Ratsregimentes ganz oder überwiegend durch die Kaufmanns- und Handwerksgenossenschaften, die Regierung faktisch in der Hand eines kleinen, zwar nicht abgeschlossenen, wohl aber eng umgrenzten Kreises von Ratsfamilien lag. In Augsburg waren das die "Großmeister" bestimmter "Abkömmlichkeit" ermöglichender Gewerbe; das Honoratiorentum der reichen Großkaufleute und Unternehmer, denen nach Abschluß des Patriziats im späten Mittelalter der Eintritt in den Stadtadel formell verwehrt blieb; schließlich weiterhin die Geschlechter, die als "beste und witzigste" Bürger immerhin 15 der 44 Ratssitze einnahmen und darüber hinaus einen der beiden Bürgermeister und je die Hälfte der anderen Amtsträger stellten. Wesentlich breiter verwurzelt war der über zweihundert Mann starke Große Rat, der ein Mitspracherecht in bestimmten, die gesamte Stadtbevölkerung berührenden Fragen besaß. Das bezog sich auch und vor allem auf das städtische Kirchen- und Religionswesen, so daß in der Reformationszeit sich die reale politische Partizipation der breiten Handwerkerschichten enorm ausweitete. Hinzu kam, daß die Augsburger Verfassung auch Vollversammlungen sämtlicher Bürger ermöglichte und sich gerade in den 1520er und 1530er Jahren immer wieder von unten her Bürgerbewegungen formierten, die die Ratspolitik massiv beeinflußten. All dies stärkte natürlich das Selbstbewußtsein der vom engeren Ratsregiment ausgeschlossenen Mittelschichten beträchtlich.

Werfen wir aus dieser sozial- und verfassungsgeschichtlichen Perspektive einen Blick auf die Jahreszeiten-Bilder, so tritt die bereits markierte Ambivalenz noch deutlicher zutage: Einerseits erscheint die dort dargestellte gesellschaftliche Harmonie ganz und gar nicht mehr als fiktiv und irreal. Denn die politische Kultur der alteuropäischen Stadt, der deutschen zumal, war ja geradezu auf Frieden und Ausgleich zwischen den Sozialschichten angelegt. Und unter dem Schutz dieser Norm etablierte sich in normalen Zeiten eine Oberschicht, die - wie auf den Bildern zu sehen - von hoher Statuskonsistenz war, also zugleich reich, politisch mächtig, sozial angesehen und geistig-kulturell prägend. Andererseits wird aber verschwiegen, daß das aktuelle Zeitgeschehen ganz anders aussah, indem nämlich die Reformation Stadt und Reich vor grundsätzliche Entscheidungen stellte, die nur unter Beteiligung der Gesamtbürgerschaft - und damit auf Kosten des Herrschaftsmonopols der Oberschicht - getroffen werden konnten, und daß dies vor dem konjunkturellen Hintergrund wachsender Verteilungsprobleme und sich verschärfender sozialer Gegensätze geschah.

Die Bilder weisen den Betrachter schließlich noch auf einen weiteren Aspekt des gesellschaftlichen Lebens an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit hin - auf die außerordentlich starke Präsenz der Frauen in der Öffentlichkeit. Die Feststellung, daß auf den städtischen wie den ländlichen Szenen nicht entscheidend weniger Frauen als Männer beteiligt sind, erscheint zunächst banal. Dieser Banalität haben sich Historiker aber über Generationen hin verschlossen. Erst in jüngerer Zeit kümmert sich die Sozialgeschichte intensiver um Geschlechterkonfigurationen und deren Wandel in der Geschichte. Dabei hat sich ergeben, daß Frauen im späten Mittelalter und im frühen 16. Jahrhundert in der städtischen und der ländlichen Arbeitswelt weit stärker vertreten waren als in späteren Epochen. Die Jahreszeiten-Bilder bestätigen das eindrucksvoll, in den ländlichen Ernteszenen ebenso wie in den städtischen Interieurs oder Marktszenen. Auch in den Familien spielten die Frauen eine selbständige Rolle, und zwar nicht nur, wie später dann in der bürgerlichen Kleinfamilie des 19. Jahrhunderts, als Hüter privater Innerlichkeit, sondern als "Mitregentin" im "ganzen Haus", sei es des Handwerksbetriebes, sei es der weltumspannenden Familienfirma des handelskapitalistischen Großbürgertums. Von den "Frauen des Hauses Fugger" wissen wir, daß sie als Witwen Vorsteher der Handelsfirma werden konnten und dann durchaus in der Lage waren, die Geschäfte erfolgreich zu führen und den Besitz zu mehren. So gelang es zum Beispiel Barbara Fugger-Bäsinger (1419-1497), Ehefrau Jakobs I Fugger und Mutter von elf Kindern, nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1469 die Firma durch Errichtung einer im Augsburger Stadtrecht verankerten Erbengemeinschaft mit ihren Kindern zu sichern und in den folgenden Jahren das Vermögen von 15.000 auf 23.293 Gulden zu vermehren . Hierin spiegelt sich die gefestigte Rechtsstellung der Frauen in den spätmittelalterlichen Städten, wo Kauf- und Handelsfrauen ebenso wie Vorsteherinnen von Handwerksbetrieben voll rechts- und handelsfähig waren, und zwar nicht erst als Witwen, sondern auch in Vertretung ihrer Männer: Eine Frau, die auf dem Markt stand "oder im Kontor ..., die hat alle Rechte, die ihr Wirt hat in bezug auf Erbschaft und Besitz". Aber natürlich wäre es verfehlt, die Geschlechterkonstellation des frühen 16. Jahrhunderts zu sehr an Verhältnisse der Gegenwart heranzurücken. Denn die erste und vornehmste Aufgabe der Frau, mochte sie in die Geschäfte einbezogen sein oder nicht, war die Geburt von Kindern und Firmenerben. Blieb eine Ehe kinderlos, wurde sie in der Regel "schwierig". So im Falle der Ehe zwischen Jakob Fugger dem Reichen (1449-1525) und Sibylla Fugger-Artzt (1480-1546), die schon die Zeitgenossen über unkonventionelle Versuche der Erbensicherung spekulieren ließ und Jakob ab 1512 veranlaßte, in den Handelsverträgen den Erbgang seiner Neffen ins Auge zu fassen.

Stadt und Umland; Zentralität; Städtenetz

Weiß man die Bilder recht zu lesen, so belegen sie noch eine weitere Grundkonstante des frühneuzeitlichen Städtewesens - nämlich seine enge Verschränkung mit dem Umland und die damit verbundene Zentralitätsfunktion der Städte nicht nur in ökonomischer, sondern auch in politisch-administrativer sowie in kultureller Hinsicht. Das war im Falle Augsburgs und des oberschwäbischen Raumes besonders ausgeprägt. Grundlage war vor allem das ländliche Textilgewerbe, das von der Stadt her in Form des Verlages organisiert wurde. Hinzu kam ein nicht unbeträchtlicher Besitz der Bürger an Grund und Boden. Die bereits im späten Mittelalter einsetzende Neigung, in Ländereien zu investieren, war ökonomisch vernünftig, weil sie das außerordentlich hohe Risiko des Fernhandels und der frühkapitalistischen Unternehmungen absicherte, und sie hob das gesellschaftliche Ansehen, wie sich unschwer auf den Frühjahrs- und Sommerbildern des Augsburger Jahreszeiten-Zyklus ablesen läßt. Schließlich war sie auch die Basis für das Konnubium zwischen reichsstädtischem Patriziat und niederem wie höherem Adel sowie für den vollständigen Übertritt in den Adel, wofür die 1530 von Karl V. vollzogene Erhebung der Fugger zu Reichsgrafen nur das glänzendste Beispiel ist. Komplementär zur regionalen Zentralitätsfunktion hatten die alteuropäischen Städte ein Netzwerk entwickelt, über das sie in den überregionalen Austausch eintraten. Auch dieses war im Falle Augsburgs besonders ausgeprägt. Die verkehrsgünstig gelegene Lechstadt bildete einen Hauptknotenpunkt des süddeutsch-oberitalienischen Städtenetzes, das nicht nur dem Austausch materieller Güter, sondern auch der geistigkulturellen Kommunikation diente. An die nord- und nordwest- bzw. an die südost- und osteuropäischen Städtenetze besaß Augsburg Anschluß über Frankfurt, Köln und Antwerpen bzw. über Nürnberg, Posen, Danzig oder Krakau bzw. über Regensburg und Wien in die Karpaten. Und schließlich sorgten die Finanzgeschäfte mit dem Hause Habsburg und Kaiser Karl V. für die Anbindung an die südwesteuropäische Wirtschaftswelt einschließich ihrer Ausleger in den südamerikanischen Kolonien.

Wirtschaft

Innerhalb dieser Kommunikationszonen unterschiedlicher Dichte entfaltete sich der Früh- und Handelskapitalismus, jenes erste neuzeitlich rationale Wirtschaftssystem, zu dessen Säulen Augsburg und die Augsburger Handelshäuser der Fugger, Welser, Rehlinger, Imhof, Meutling, Höchstetter etc. zählten. Die Mutterbranche dieses Systems war die ländliche Textilproduktion Oberschwabens, die durch städtische Verleger organisiert wurde. Vor allem das Barchent, ein Mischgewebe aus Baumwolle und Flachsgarn, hatte viele Bürger oberschwäbischer Städte reich gemacht, darunter die Augsburger Fugger, die innerhalb zweier Generationen von Handwerkern zu Großunternehmern aufstiegen. Zum Großgewerbe trat der Fernhandel, der sich bald auf alle möglichen gewinnbringenden Waren ausdehnte. Die Hauptverkehrsachse verlief über den Brenner nach Venedig, von wo die begehrten Schätze der Levante und Asiens nach Augsburg und von dort in den Westen, Norden und Osten gelangten - Seide, Baumwolle, Brokat, Kattun und Musselin, Damaszenerklingen, Elfenbein und alle Arten von Gewürzen, Duftstoffen und Drogen. Die Gewinne wurden im Montangewerbe und in Bankgeschäften größten Stils reinvestiert und damit in Wirtschaftszweigen, die durch die "technische Revolution des späten Mittelalters" und durch den rasch wachsenden Finanzbedarf der frühmodernen Staaten zu Leitsektoren der deutschen und europäischen Wirtschaft geworden waren. Die innere, rationale Verknüpfung von Verlag, Montanunternehmungen, Fernhandel einschließlich der Transportunternehmungen und Bankgeschäfte charakterisiert den Frühkapitalismus der Augsburger Familienfirmen als erstes Wirtschaftssystem der Neuzeit, das in wohlkalkulierter, sachlicher Abstimmung ein Zahnrad ins andere greifen ließ, so daß Unternehmungen bislang unbekannten Zuschnitts mit ungeheuren Gewinnspannen möglich wurden.

Politische Zentralität

Eng verzahnt mit den wirtschaftlichen waren die politischen Leistungen des frühbürgerlichen Kommunikationsnetzes mit Augsburg als Knotenpunkt: Augsburg war Vorort der oberschwäbischen Region; im Reich gehörte es zu einer kleinen Zahl herausgehobener Reichsstädte.

Das politische Netz der Reichsstädte war zwar im Prinzip egalitär, in der Realität hatte sich aber im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts eine Gruppe von knapp zehn Vororten, darunter Augsburg, herausgebildet, die die Politik des Städtekorpus auf und zwischen den Reichstagen in die Hand nahmen. Ähnlich sah es mit der Ausrichtung der Reichstage selbst aus, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Regel in Worms, Speyer, Nürnberg oder Augsburg stattfanden. Innerhalb dieser Gruppe politisch führender Reichsstädte nahm Augsburg um 1530 eine hervorgehobene Stellung ein. Denn zusätzlich zu seiner Rolle im Städtekorpus und als Reichstagsstadt erfreute es sich der besonderen Wertschätzung Kaiser Karls V., und an den Höfen mächtiger Reichsfürsten galt das Wort von Mitgliedern seiner Elite viel - sei es als politisch-juristische Berater, sei es als Kreditgeber und Finanzfachleute.

Herkunft und Verausgabung des Reichtums
- die Fugger als Beispiel

Es war im wesentlichen der Qualität Augsburgs als politischer und ökonomischer Knotenpunkt eines länderüberspannenden urbanen Kommunikations- und Verteilungsnetzes zu danken, daß dem dortigen Großbürgertum ein Reichtum zufloß, der es erlaubte, zusätzlich zu den Unsummen an Reinvestitionen und Krediten an die Fürsten viel Geld für Aufträge nach Art der Jahreszeiten-Bilder und für den Ankauf anderer erlesener Kunst und Kulturprodukte auszugeben. Nehmen wir die Fugger als Beispiel, die zwar als Auftraggeber der Bilder ausscheiden dürften, sich aber mit ihnen identifizierten, insofern sie nämlich Kopien davon anfertigen und in ihrem Baugarten aufhängen ließen: Die Hauptquelle ihres Reichtums waren um 1530 längst nicht mehr der Textilverlag und der Fernhandel, wenngleich die Firma das Netz der Barchentproduktion noch ausbaute, vor allem im Weißenhorner Raum bei Ulm, und auch ihren Fernhandel, der in einem Europa überspannenden Faktoreisystem organisiert war, durch ein vorsichtiges Engagement im Kolonialhandel ausweitete. Ihr von den Faktoreien in Lissabon und Antwerpen getragener Pfefferhandel blieb weit bescheidener als das Engagement, das andere Augsburger Häuser, voran die Welser, am neuen Gewürzhandel und an Molukkenfahrten zeigten. Am Kolonialgeschäft nahmen die Fugger vorrangig als Kreditgeber der spanischen Krone teil, was ihnen Mitte der 1530er Jahre einen Anspruch im Wert von 100.000 Dukaten auf das durch ein spanisches Staatsmonopol ausgebeutete südamerikanische Silber einbrachte.

Die Schwerpunkte der Firma Fugger lagen eindeutig im Montangewerbe und bei den Kredit- bzw. Bankgeschäften. Beides war eng aufeinander abgestimmt, insofern sich die Fugger wie ihre Konkurrenten auch die finanztechnisch nicht gedeckten Kredite durch Nutzungs- und Schürfrechte absichern ließen - beginnend in den 1490er Jahren mit Krediten an den Herzog von Tirol, die das Monopol über den sehr ertragreichen Schwazer Silberbergbau brachten, über entsprechende Geschäfte mit Kaiser Maximilian I., durch die ein zeitweiliges Monopol auf den europäischen Kupfermarkt errichtet werden konnte, bis hin zur Ausbeute von spanischen Quecksilber- und Zinnobervorkommen infolge des Kaiserwahl-Kredits, den sie Karl V. gewährt hatten. Vornehmlich durch Pacht und Kauf gelangte das gesamte ungarische Montanrevier mit Zentrum in Neusohl unter Kontrolle des Augsburger Handelshauses. Neben den Kreditgeschäften mit den weltlichen Machthabern, von denen das mit dem Deutschen König Ferdinand mit einer Schuld von 651.000 Gulden im Jahre 1527 sogar noch den spektakulären Wahlkredit von 543.585 Gulden an den Kaiser übertraf, betätigten sich die Fugger als Finanziers der Kurie und geistlicher Fürsten. Vor allem die Abwicklung kirchlicher Finanzgeschäfte brachte ihnen hohe Gewinne so etwa die finanztechnische Übermittlung der in Deutschland eingenommenen Ablaßgelder und der Peterspfennig-Steuer nach Rom. Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts bewährte sich diese Geschäftspolitik aufs beste - zwischen 1511 und 1527 erreichte die Firma eine Gewinnsteigerung von 927%, das sind durchschnittlich 54,5% im Jahr. Bei Passiva von rund 870.000 Gulden weist die Inventur von 1527 rund 3 Millionen Gulden an Aktiva aus, die sich folgendermaßen verteilten: 
 

Bergwerke und Bergwerksanteile  70.000 Gulden 
Sonstige Immobilien 150.000 Gulden 
Waren (v. a. Kupfer)  380.000 Gulden 
Bargeld  50.000 Gulden 
Ausstände 1650.000 Gulden 
Privatkonten der Gesellschafter 430.000 Gulden 
Schwebende Geschäfte 70.000 Gulden 

Bedenkt man, daß ein mittlerer Bauernhof, wie man ihn auf den Sommerbildern sehen kann, etwa 150 Gulden wert war, ein hoher Staatsbeamter mit 700 bis 800 Gulden Jahresgehalt zufrieden sein mußte und in Augsburg die untere Oberschicht bereits bei einem Vermögen von 450 Gulden angesetzt wurde, während jeder Bürger mit weniger als 50 Gulden Gesamtbesitz bereits als steuerbefreiter "Habenichts" galt, so wird der ungeheure Reichtum des Augsburger Großbürgertums deutlich, selbst wenn die meisten seiner Mitglieder allenfalls die Hälfte des Fuggervermögens erreichten. Davor ließ sich jede Art von Luxus und Kurzweil finanzieren. Jakob Fugger der Reiche (1459-1525) selbst lebte eher bescheiden, achtete aber auf die repräsentative Darstellung seiner Familie in der Öffentlichkeit, um die nichtpatrizische Herkunft zu überspielen: Die Ausgaben für die Fugger-Kapelle (erbaut 1511-1518) und der Erwerb mehrerer Häuser am Weinmarkt zur Errichtung eines angemessenen Firmensitzes an angemessener Stelle sowie mehrerer Graf- und Herrschaften - Kirchberg und Biberach, später ergänzt um Babenhausen (1538/39); Wullenstetten, Pfaffenhofen, Illerzell und Weißenhorn, um nur die bekanntesten zu nennen - gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie der außergewöhnliche Aufwand bei Hochzeiten, die häufig das Zehnfache des beim ansässigen Adel oder den städtischen Patriziern Üblichen kosteten. So wichtig die sozialen und religiösen Motive auch waren, so spielte darüber hinaus auch bei den zahlreichen Fuggerstiftungen das soziale Prestige eine Rolle, vielleicht auch der Gedanke, damit die unerhörten und in kirchlicher Sicht keineswegs unproblematischen Gewinne zu kompensieren. Das gilt für die Kirchenstiftungen an St. Ulrich und St. Anna mit ansehnlichen Dotierungen von 30.000 Gulden oder mehr ebenso wie für die neuartige Sozialstiftung der Fuggerei mit einem Grundkapital von 10.000 Gulden und weiteren jährlichen Aufwendungen von durchschnittlich 300 Gulden. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Augsburger Oberschicht, wie etwa Konrad Peutinger, der u.a. eine große Sammlung antiker Münzen anlegte, beschränkte sich der Kunstsinn der Fugger zunächst im wesentlichen auf die repräsentative und moderne Architektur ihrer Kapelle in St. Anna sowie ihres Geschäftssitzes am Weinmarkt. Größere Summen für die Förderung der Wissenschaften und den Ankauf von Gemälden, Plastiken, Bibliotheken und Kleinodien jeder Art gab erst die nächste Generation aus, beginnend mit Raymund Fugger (1489-1535), dem Neffen Jakobs des Reichen. Und noch eine Generation weiter entnahmen die Fugger für solche unproduktiven Investitionen "häufig ... dem Geschäft mehr Kapital als ihm zuträglich war, oder sie setzten ihr eigenes Vermögen aufs Spiel".

Zentrum von Kunst und Geistesleben

Augsburg war bereits vor diesem außergewöhnlichen Engagement der Fugger-Familie auch kulturell und kirchlich ein Zentrum allererster Kategorie gewesen und daher Ort von Entscheidungen, die Europa und die Christenheit im Kern umgestalteten. Kultur- und Geistesströmungen folgten in der Regel den Handelswegen. Augsburg wurde daher nahezu zwangsläufig zum nordalpinen Einfallstor italienischer Kunst und Wissenschaft. Die Fugger-Kapelle, mit der in die "altdeutsche" Gotik von St. Anna die lichte Leichtigkeit der aufziehenden Neuzeit kam, war überhaupt das früheste Renaissancebauwerk dieser Größenordnung in Deutschland. Die folgenden Generationen setzten diesen Weg fort und machten Augsburg zur Stadt der Renaissance, in deren Zentrum sich der mächtige Palazzo-Block des 1615-1620 durch Elias Holl, den Meister der Spätrenaissance, errichteten Rathauses erhebt. Ähnlich verhielt es sich mit den übrigen Künsten, der Wissenschaft und dem Geistesleben allgemein: Der Stadtschreiber Conrad Peutinger (1465-1547) zählte zu den führenden Humanisten im Reich am Augsburger Hof von Bischof Christoph von Stadion (1518-1543) traf sich ein Kreis von Gelehrten, der sich die Erneuerung von Literatur und schönen Künsten zur Aufgabe gemacht hatte; Patrizier und Großbürgertum lebten dem Ideal universaler Bildung, wetteiferten als Sammler antiker und moderner Kunst, hielten sich prächtige Bibliotheken mit seltenen Handschriften und Codices, dilettierten in der wissenschaftlichen Numismatik, der Mathematik und der Astronomie, waren Liebhaber der neuen Musik und Poetik. In das Februar-Bild ist diese Kunst- und Bildungsatmosphäre eingegangen - mit Lautenspieler, deklamierendem Poeten, Tanz, Muße des Gespräches und der Lektüre sowie den Äffchen als Versinnbildlichung von Weisheit und Weltoffenheit. Schritt für Schritt wurde das Schul- und Bildungswesen im Sinne der Neuerer umgebaut, ohne allerdings eine hohe Schule oder eine Akademie nach Art der italienischen Städte hervorzubringen, was womöglich mit dem Einbruch der Reformation zusammenhing. Und natürlich hatte auch der frühe deutsche Buchdruck in Augsburg ein Zentrum.

Reformation

Nicht auf dem italienischen Königsweg der Erneuerung kam die Reformation. Im Gegenteil, sie wurde im geistig kargen "Kolonialland" geboren und breitete sich von Nordosten her aus, von wo man bislang gewohnt war, Wachs, Pelzwerk, Bernstein, wilden Honig, Schiffsholz und dergleichen zu beziehen. Und dennoch wurde Augsburg sogleich auch ein führendes Zentrum der theologischen und kirchenpolitischen Diskussion, wie überhaupt die Reformation rasch zu einem "städtischen Ereignis" wurde, auch und vor allem in den süd- und westdeutschen Reichsstädten und in den großen Kommunen der benachbarten Schweiz. Bereits der "erste Wendepunkt auf dem Weg zur Reformation" wurde in Augsburg überschritten, als nämlich im Oktober 1518, ein Jahr nach Veröffentlichung der Thesen und wenige Monate nach Eröffnung des Ketzerprozesses, auf Vorladung Roms und durch Vermittlung des sächsischen Kurfürsten im dortigen Karmeliterkloster neben der St. Anna-Kirche der Wittenberger Mönch und der Kurienkardinal Cajetan, einer der bedeutendsten Theologen Roms, drei Gespräche führten mit dem Ergebnis, daß beide Seiten bewußt den Weg in die Konfrontation einschlugen: Der Kardinal verabschiedete Luther mit den Worten "geh, widerrufe entweder, oder komme mir nicht mehr unter die Augen"; bei dem Reformator bestärkte sich daraufhin nach seinem eigenen Zeugnis "der Beschluß, nicht zu widerrufen; ich ging ohne Hoffnung auf Rückkehr".

Die nächsten Hauptetappen waren bekanntlich der Wormser Reichstag von 1521, der Luther in die Acht nahm; der erste Speyerer Reichstag von 1526, der diese wieder lockerte, indem er die Reformation zur Gewissenssache der Reichsstände machte; der zweite Speyerer Reichstag von 1529, der zum "Protestantismus"-Reichstag wurde, weil eine Handvoll Fürsten und 14 Reichsstädte, darunter Nürnberg, Straßburg und Ulm, nicht aber Augsburg, die Rücknahme des Beschlusses von 1526 nicht akzeptierten; schließlich der Augsburger Konfessions-Reichstag, auf dem Philipp Melanchthon in Vertretung des wegen der Acht nur bis zur sächsischen Festung Coburg sicheren Reformators die Confessio Augustana ausarbeitete, die vom kursächsischen Kanzler feierlich verlesen wurde und die bis heute die gültige Bekenntnisschrift der Lutheraner geblieben ist. Auch die späteren Wendeund Wegemarken der kirchlichen Erneuerung sind mit dem Namen der Stadt am Lech verbunden: 1547/48 feierte hier Kaiser Karl V. nach dem Sieg über den protestantischen Schmalkaldener Oppositionsbund einen wahrhaft imperialen Reichstag und diktierte in der Religionsfrage das sogenannte Augsburger Interim, das abgesehen von nebensächlichen Zugeständnissen das zu neun Zehnteln evangelische Reich rekatholisieren sollte. Nachdem sich das politische und militärische Glück gegen den Kaiser gewandt hatte, kam es 1555 zum Augsburger Friedensreichstag, der zusammen mit einer Reform des Reiches einen Kompromiß zwischen Altgläubigen und Lutheranern festschrieb, der zwar Generationen später nochmals in Frage gestellt wurde, nach dem Feuersturm des Dreißigjährigen Krieges aber im Prinzip Bestätigung fand. Schließlich wurden in Augsburg auch wichtige Weichen für die Festigung der reformierten, auf die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin zurückgehende Variante des Protestantismus gestellt, die 1555 noch verboten blieb, dann aber 1648 im Westfälischen Frieden rechtliche Anerkennung fand: Auf dem Reichstag von 1530 legten die vier oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, Memmingen, Konstanz und Lindau die reformiert ausgerichtete Confessio Tetrapolitana vor, die sich vor allem in dem zwischen den Evangelischen strittigen Abendmahlsartikel von der lutherischen Confessio Augustana unterschied. Und der Augsburger Reichstag von 1566 war insofern für die Reformierten ein Erfolg, als es den orthodoxen Lutheranern nicht gelang, den spätestens seit der Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus im Jahre 1563 notorisch calvinistischen Kurfürsten von der Pfalz aus dem Religionsfrieden herauszudrängen, wodurch die Augsburger Ereignisse "für die reformierten Kirchen nicht nur der Pfalz, sondern des gesamten Europa von geradezu lebenswichtiger Bedeutung geworden sind".

Daß von all dem auf den Jahreszeiten-Bildern nichts zu sehen ist, läßt sich nur als bewußte Entscheidung des Auftraggebers und des Künstlers verstehen. Denn zwischen dem aufsehenerregenden Konfessionsreichstag von 1530 und der im Februarbild angebrachten Jahreszahl liegen nur wenige Monate, und am 25. Oktober 1530 war es vor dem Großen Rat zu einer heftigen Debatte über den Reichstagsabschluß gekommen, und zwar unter Leitung des Bürgermeisters Ulrich Rehlinger, dessen Familienwappen an besonders prominenter Stelle auf dem Schlitten der Winterdarstellung zu sehen ist. Nachdem das Augsburger Ratsregiment nicht zuletzt aus Rücksicht auf den Kaiser mit formellen Beschlüssen zugunsten der Reformation zurückgehalten hatte und noch 1529 auf dem Speyerer Reichstag nicht den protestierenden Ständen beigetreten war, kann der mit 175 von 220 Stimmen getroffene Beschluß, den protestantenfeindlichen Reichstagsabschied (Wiederbelebung des Wormser Edikts) für die Stadt Augsburg nicht anzuerkennen, als erster offizieller Schritt auf dem Weg zur Protestantisierung der Reichsstadt gelten. Die Erneuerung wurde dann sieben Jahre später beendet, als der Große Rat - diesmal unter dem Vorsitz des Patrizierbürgermeisters Hans Welser und des zweiten Bürgermeisters Mang Seitz - am 17. Januar die Abschaffung der "papistischen Abg&oumltterei" beschloß und wenige Monate sp&aumlterAnfang Juli 1537 eine evangelische Kirchenordnung eingef&uumlhrt wurde die das kirchliche Leben der gesamten Stadt neu regeln sollte. Damit war eine Entwicklung zu ihrem vorl&aumlufigen Ende gekommen, die unmittelbar nach Luthers Thesenversendung im Jahre 1517 eingesetzt hatte: In Augsburg hatte die reformatorische Botschaft sogleich offene Ohren gefunden, und zwar zuerst vor allem in Humanistenkreisen - beim Stadtschreiber Dr. Konrad Peutinger ebenso wie am Hof Bischof Christoph von Stadions - , in den Kl&oumlstern der Bettelorden und unter den Druckern. &Uumlberall dort, wo ein bestallter Kleriker neue Lehre annahm verk&uumlndete, bildeten sich Gemeinden - so im Karmeliterkloster St. Ulrich, dessen Prior Johannes Frosch mit Luther befreundet war, bei den Franziskanern unter Einfluß des M&oumlnchs Johannes Schilling, am Chorherren-Stift St. Moritz, in den Pfarrbezirken St. Ulrich, Heilig Kreuz und St. Georg. In den ersten Jahren wurde sogar auf der Domkanzel evangelisch gepredigt, bis die Prediger Oekolampad und Urbanus Rhegins 1520/21 beginnenden altkirchlichen Formierung weichen mu&szligten .

Auch unter den Laien breitete sich die neue Lehre rasch aus, allerdings sozial deutlich abgestuft. Angeführt von den Webern, traten die breiten Handwerkerschichten nahezu geschlossen zum Protestantismus über und drängten den Stadtrat zur raschen Durchführung der Kirchenreform. Im Unterschied dazu blieb die politische Elite zunächst abwartend und versuchte, einen vom Ratsschreiber Peutinger empfohlenen "mitler weg" zu steuern. Schließlich drang die neue Lehre aber auch ins Großbürgertum und Patriziat vor, mit dem Ergebnis, daß es zu einer konfessionellen Spaltung der Elite kam, die teilweise quer durch die Familien lief. Von den vier Sippennetzen, die nach Auskunft einer neueren sozialgeschichtlichen Untersuchung zu jener Zeit das Augsburger Ratsregiment in Händen hielten, können drei als Förderer der Reformation gelten, auch wenn einzelne Mitglieder altgläubig blieben: das Welser-Netz, dem frühkapitalistische Unternehmer ersten Ranges und humanistisch interessierte Großbürger angehörten; das Herbrot-Netz, das sich mehrheitlich aus der Kaufleutestube rekrutierte; schließlich das Seitz-Netz, das die Führer der Handwerkerschaft bildeten. Im Gegensatz dazu blieb das Fugger-Netz mit den bedeutenden Familienverbänden Fugger, Artzt, Baumgartner, Ilsung, Rehlinger und Schellenberg mehrheitlich altgläubig und entwickelte sich seit den späten 1530er Jahren zum Garanten katholischer Resistenz und katholischen Erneuerungswillens in einer protestantischen Stadt. Ganz unberührt von der Reformation blieb aber auch dieser Elitenverband nicht. Selbst einzelne Mitglieder der Familie Fugger wurden evangelisch, und unter den Rehlingern taten sich Ulrich und Wolfgang sogar im Stadtrat als Führer der protestantischen Fraktion hervor.

Zu der Spaltung innerhalb der Augsburger Elite trat, und das erscheint mir für das Verständnis der Jahreszeiten-Bilder besonders wichtig, eine religiös-theologische Spaltung der reformatorischen Bewegung selbst. Neben den Lutheranern gab es viele Täufer und - vor allem auch im Großbürgertum - Zwinglianer, also Vertreter jener auf Zürich zurückgehenden Spielart des Protestantismus, die auf dem Reichstag von 1530 die Tetrapolitana als Gegenbekenntnis zur Augustana der Lutheraner vorgelegt hatten. Abgesehen von der spektakulären Abendmahlsfrage und bestimmten Punkten der Kirchenordnung, unterschieden sich die Zwinglianer von den Lutheranern durch einen entschiedeneren Erneuerungswillen auch bei den Gottesdienstformen und beim Ritus sowie - im vorliegenden Zusammenhang das Entscheidende - in der Bilderfrage. In Augsburg kam es daher im Frühjahr 1537 im Umkreis des erwähnten Ratsbeschlusses gegen die "papistischeAbgötterei" zu einem Bildersturm, der typisch für die reformiert-zwinglische, nicht aber für die lutherische Kirchenerneuerung ist.

Was ergibt sich aus diesen kirchen- und konfessionsgeschichtlichen Beobachtungen für die Jahreszeiten-Bilder, speziell für das aus zeitgeschichtlicher Perspektive erstaunliche Verschweigen der Reformation? Man wird einerseits zugestehen müssen, daß ein Fehlen des aktuellen Zeithintergrundes ikonographisch in der Konsequenz der Bildtradition von Monatsbildern liegt. Andererseits ist aber davon auszugehen, daß einem feurig protestantischen Auftraggeber und Maler schon etwas eingefallen wäre, um eine entsprechende Botschaft einzubauen. Sind die Bilder also den Gegnern der Reformation im Großbürgertum zuzuordnen? Auch das erscheint eher unwahrscheinlich, ließe sich für einen solchen Fall doch erwarten, daß die Symbole und Gebräuche der alten Kirche irgendwie in Erscheinung träten. Eine stimmige Interpretation ergäbe sich dagegen, wenn man die Bilder mit den erwähnten stark reformiert-zwinglischen Strömungen der Augsburger Reformation in Verbindung brächte. Das erscheint auch insofern berechtigt, als gerade die Familie Rehlinger, die mit plausiblen Argumenten als Auftraggeber in Frage kommt, zu den Führern der zwinglischen Richtung zählte, so namentlich der Bürgermeister Ulrich Rehlinger und sein Sohn Ulrich, der 1531 in der St. Ottmars-Kapelle ein Kruzifix und Heiligenbilder zertrümmerte und daraufhin von dem noch an seinem Mittelweg festhaltenden Rat mit Turmstrafe belegt wurde. Daß "Kurzweil ohn' Maß und Ziel", die Geisteshaltung der Jahreszeiten-Bilder, ja selbst eine weit darüber hinausschießende unkontrollierte Sinneslust sich um 1530 in Augsburg mit zwinglischer Parteigängerschaft und bilderstürmerischem Aktivismus verbinden konnte, zeigt besonders eindrucksvoll Sigmund Welser, der sich als Mitglied der berühmten Welser-Sippe und Anführer einer großbürgerlichen Jeunesse dorée 1529 an der Zerstörung eines Kruzifixes und zweier von seiner Familie gestifteten Altarretabeln in der Barfüßerkirche beteiligt hatte und wenig später der "Sodomie" überführt wurde. Unter diesem in der Regel mit dem Tod bestraften Verbrechen faßten die Zeitgenossen alle ihnen widernatürlich erscheinenden Formen exzessiv-libertärer Sexualität und Sinneslust zusammen. Dem katholischen Chronisten von St. Ulrich und Afra gab das Gelegenheit zu einem bissigen Kommentar: "Aus der lutherischen und Zwinglischen Sekt ist in Augsburg die sodomitische Gesellschaft entsprungen".

Solange Auftraggeber und Besitzer der Bilder unbekannt sind, verbietet es sich, eine direkte Verbindung zu bestimmten sozialen Gruppen bzw. politischen, konfessionellen oder sonstigen Ereignissen herzustellen. Immerhin läßt sich soviel festhalten, daß es dem Auftraggeber, welcher Partei er auch letztlich angehören mochte, darauf ankam, die religiöse und politische Zerrissenheit des Großbürgertums und die akute Gefährdung seiner Führungsposition zu verbergen hinter einem optimistischen Reigen von bunten gesellschaftlichen Auftritten und lebenslustigen Vergnügungen. Darüber hinaus läßt sich eine Hypothese für den merkwürdigen Verzicht auf religiös-kirchliche Motive formulieren, von dem ungeachtet der Tatsache zu sprechen ist, daß im Februar-Bild ein Trauerzug und auf dem Dezember-Bild in der Hand eines Ratsherrn ein Rosenkranz zu sehen sind, weil ersteres zum Turnierspiel gehören mag und letzteres um 1530 noch nicht konfessionell besetzt war. Vor dem skizzierten konfessionssoziologischen und gesellschaftlichen Hintergrund läßt sich das Fehlen kirchlicher und religiöser Motive als Ausdruck reformiert-zwinglischer Bilderfeindlichkeit deuten, die sich allerdings noch ganz auf das Sakralbild beschränkt. Denn es steht eine ganze Welt zwischen den Augsburger Bildern und der puristisch-puritanischen Mentalität, die sich in späteren Generationen im reformierten Europa festsetzte, in Zürich und in Genf nicht anders als in England, und die zugleich mit jeglicher Form von Sinnlichkeit die bunte Lebensfülle von Kunst, Musik und Literatur stigmatisierte. In dem Jahreszeiten-Zyklus spiegelt sich noch ganz die weltbejahende Aufbruchstimmung von Renaissance und Humanismus Dies ist mit der frühzwinglischen Stimmung durchaus vereinbar, war doch die rationale Lehre des humanistisch erzogenen Züricher Leutpriesters in vielem der Spiritualität und Denkart der Humanisten, der oberdeutschen zumal, gemäßer als die radikale Religiosität des Wittenberger Mönchs.

Die historische Zugehörigkeit der Bilder zur Aufbruchphase der Frühneuzeit ist ganz unabhängig von solchen kirchen- und konfessionsgeschichtlichen Erwägungen eindeutig, auch wenn bestimmte Partien formal-stilistisch erst der Zeit um 1600 zuzuschreiben sind und sich dadurch als spätere Übermalungen zu erkennen geben. Denn die Hauptszenen gehören zweifellos in die Zeit vor dem großen Umschlag, der sich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts anbahnte und der das Zusammenleben in Europa rasch veränderte. Besonders markant war der Wandel in Augsburg, weil die Stadt nach dem Wiedererstarken des Katholizismus infolge des kaiserlichen Sieges von 1547/48 über den protestantischen Oppositionsbund von Schmalkalden gleichsam auf der politischen und "ideologischen" Bruchlinie lag. Der Aufbruch der Reformation wurde abgelöst durch die Konfessionalisierung, die auf Neuformierung, Abgrenzung und Konfrontation aus war und einen Fundamentalprozeß in Gang setzte, der Gesellschaft, Staat und Kultur tief umpflügte. Daraus resultierte nicht zuletzt eine rigide sittlich-moralische Disziplinierung des Handelns und eine orthodoxe Normierung des Denkens der Menschen in Stadt und Land. Selbst die Stellung der Frauen in Familie und Öffentlichkeit blieb davon nicht unberührt, so daß sich ihr Auftreten und Verhalten gegenüber dem frühen 16. Jahrhundert nicht unwesentlich veränderte. Das Zeitalter des oberdeutschen Handelskapitalismus fand ein Ende, und eine neue nordatlantisch-baltische Weltwirtschaft mit Zentrum in den Niederlanden bildete sich heraus, zu der Oberdeutschland noch zwei, drei Generationen sekundären Zugang über die Landverbindung Frankfurt am Main, Köln, Aachen, Antwerpen bzw. Amsterdam hatte, bevor es im Zuge des Dreißigjährigen Krieges wirtschaftlich und kulturell in die Zweit- und Drittrangigkeit absank. Der Optimismus und die Lebenslust der Renaissance-Zeit schlug um in den Pessimismus und die Lebensangst einer sozialpsychologisch tiefverwurzelten allgemeinen Krise des 17. Jahrhunderts. All dies steht im Gegensatz zur Grundstimmung des Jahreszeiten-Zyklus. Das ist nicht die neugefügte konfessionelle Welt der abgezirkelten Parität und des bürgerlich frugalen, disziplinierten Lebensideals. Hier dokumentieren sich der Optimismus, die Buntheit und die Lebensfülle der Renaissance, die als vorreformatorisch zu charakterisieren ist, auch wenn sie - was die Entstehungszeit anbelangt - chronologisch mitten in den Kampf um die Kirchenerneuerung fällt. Nichts macht das deutlicher als die üppige Badeszene auf dem Mai-Bild, die für das Lebensgefühl der Renaissance nur zu natürlich ist, sich mit dem moralischen Rigorismus und der disziplinierenden Sittenstrenge des Konfessionalismus zum Ende des 16. Jahrhunderts aber ganz und gar nicht verträgt. Und auch die gesellschaftliche Harmonie, die in den Bildern auf der Basis der erwähnten stadtbürgerlichen Friedensnorm zum Ausdruck kommt, entspricht nicht der weltanschaulichen Konfrontation in einer Stadt, in der Katholiken und Protestanten seit 1555 durch formelle Parität in Zwangstoleranz zusammenlebten und in der sich jene "unsichtbare Grenze" herausbildete, die über zwei Jahrhunderte lang Trennung, Argwohn und Feindschaft zementierte. 

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