HEINZ SCHILLING
"Ruhe im Sturm"
Der historische Hintergrund der Augsburger Jahreszeiten-Bilder
Anmerkung
Nicht viele Städte waren zu Beginn der Neuzeit in
der Lage, Gemälde nach Art des Augsburger Jahreszeiten-Zyklus hervorzubringen.
Denn das verlangte qualitative und quantitative Urbanität, politische
Macht, sozioökonomische Differenziertheit und last not least einen
leistungsfähigen "Kunstbetrieb", wie ihn in Europa zu Beginn der Neuzeit
nur eine Spitzengruppe von drei, vier Dutzend Städten ausgebildet
hatte. Dazu gehörten - sieht man einmal von Süditalien und Spanien
als mediterraner Sonderzone ab - vor allem die mittel- und oberitalienischen
und die südniederländischen Städte, angeführt von Florenz,
Venedig, Mailand, Bologna und Rom bzw. Antwerpen, Gent, Brüssel und
Brügge, des weiteren vier, fünf französische Städte,
insbesondere Paris, Lyon und Rouen, sowie schließlich noch - als
einzige so weit im Norden - London, dessen wirtschaftliche und kulturelle
Kräfte allerdings noch weit weniger entfaltet waren als das die Einwohnerzahl
von etwa 50.000 erwarten ließe. Im Reich galt das Umgekehrte:
Dort gab es ein gutes Dutzend von Städten, die einen
sehr hohen Urbanitätsgrad entwickelt hatten, obgleich sie im Vergleich
zu Städten wie Venedig, Mailand oder Paris mit jeweils über 100.000
Bewohnern nur bescheidene Einwohnerzahlen aufwiesen, nämlich zwischen
20.000 und 30.000, nur ausnahmsweise auch 40.000. Zu dieser Spitzengruppe
gehörten neben Augsburg vor allem die Reichsstädte Nürnberg,
Straßburg, Köln und Lübeck- mit Einschränkungen Ulm,
Regensburg und Frankfurt am Main -, dann auf einer anderen verfassungsrechtlichen
Grundlage Prag, Magdeburg, Braunschweig, Hamburg, Erfurt und Danzig, die
größte deutsche Stadt in dem königlich-polnischen Teil
Preußens. Städte wie München, Wien, Dresden, Stuttgart
oder Berlin, die ein Jahrhundert später als Residenz- und Hauptstädte
an den traditionellen Handelsstädten des Mittelalters, und damit auch
an Augsburg, vorbeizogen, spielten im 16. Jahrhundert noch keine nennenswerte
Rolle.
In Augsburg traf im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts
all das zusammen, was für die Entstehung repräsentativer Bilder
nach Art des Jahreszeiten-Zyklus unerläßlich war: Die Wirtschafts-
und Sozialordnung hatte eine bürgerliche Elite hervorgebracht, die
Reichtum, Geschmack und Selbstbewußtsein besaß und darauf aufbauend
den Willen zur repräsentativen Selbstdarstellung. Es gab ein leistungsfähiges
und differenziertes Malgewerbe mit Meistern, die einerseits der spezifischen
Nachfrage der Auftraggeber gewachsen waren, andererseits aber in Form-
und Farbgebung den Stil des Zeitalters zum Ausdruck brachten, und mit Werkstätten,
die handwerklich, technisch und ökonomisch in der Lage waren, Großaufträge
dieses Umfanges auszuführen. Eine repräsentative, stadtbürgerliche
Öffentlichkeit hatte sich herausgebildet, die mit alteuropäischen,
vormodernen Strukturen und Spielregeln zwar, aber dennoch verbindlich für
alle Beteiligten die sozialen Lebensformen der einzelnen Bürger- und
Einwohnerschichten sowie deren Darstellung zur Kenntnis nahm, beurteilte,
in das soziale, kulturelle und mentale Gefüge der jeweiligen Stadt
einfügte und dadurch die Identität ihrer Bewohner mitprägte.
Diese Öffentlichkeit war historisch real, nämlich in Geschlechtertänzen
und Trinkstuben, in Prozessionen und Turnieren, in kirchlichen und weltlichen
Zeremonien sowie in einer Vielzahl weiterer Auftritte und Veranstaltungen,
wie sie über das Jahr hin verteilt auf den Augsburger Bildern zu sehen
sind. Sie war aber auch symbolisch und ideologisch, nämlich überall
dort, wo sie in künstlerischer Bearbeitung erscheint, festgehalten
für die Zeitgenossen und die Nachwelt in der Art und Weise, wie der
oder die Auftraggeber sie dargestellt sehen wollten. Zusammen mit den allgemein
wohl bekannteren Abbildungen von Trinkstuben und Geschlechtertänzen,
durch die das städtische Patriziat seit dem ausgehenden Mittelalter
gesellschaftliche Exklusivität und politischen Anspruch dokumentierte,
gehört der Augsburger Jahreszeiten-Zyklus in diesen Zusammenhang,
indem er nämlich die zahlreichen kleinen und großen Lustbarkeiten
und öffentlichen Auftritte darstellt, mit denen sich die städtische
Elite über die Monate hin präsentierte, und zwar keineswegs nur
innerhalb der Stadtmauern selbst, sondern auch und gerade im angrenzenden
ländlichen Raum, der dadurch gleichsam in die großbürgerlich
urbane Welt aufgenommen wird .
Der Jahreszeiten-Zyklus setzt den ersten Bürgerstand
einer Stadt von europäischem Rang in Szene. Das ist weder Alltag noch
Norm des städtischen Lebens zu Beginn der Neuzeit, so häufig
auch insbesondere das Winterbild
dazu herangezogen wird, eben dieses zu illustrieren. Es geht vielmehr genau
um das Gegenteil - um die Darstellung des Besonderen, einer herausgebobenen
Lebensform. Das Ziel ist die Abgrenzung vom Gewöhnlichen, und zwar
sowohl von den niedrigeren Ständen, die als Staffage oder Zuschauer
erscheinen, als auch von den alltäglichen Geschäften, denen die
Mitglieder der abgebildeten Führungsschicht in Kontor und Ratsstube
nachzugehen hatten, und von der Aktualität des Zeitgeschehens, dessen
Auf und Ab in jenen Jahren nur zu häufig der patrizischen Kurzweil
in der Realität Maß und Ziel setzte. Die Augsburger Monatsbilder
sind gleichsam die stadtbürgerliche Variante der "Très Riches
Heures du Duc de Berry", jenes prächtigen und häufig reproduzierten
Stundenbuches, das die höfische Welt Frankreichs in Szene setzt, indem
es scheinbar den ländlichen Alltag zeigt. Dieser Vergleich, der historisch
und nicht kunsthistorisch im Sinne von gleichem künstlerischem Rang
gemeint ist, läßt noch ein weiteres zutage treten, was in der
vorrangig an der Wirtschaft oder der politischen Ordnung interessierten
Stadtgeschichtsforschung in der Regel unerwähnt bleibt: Auf der Ebene
der Lebensformen und der symbolisch-künstlerischen Selbstdarstellung
des Großbürgertums sind die Grenzen zwischen Bürger- und
Adelswelt fließend. Das belegt das bekannte "höfische" Versepos
von Tristan und Isolde, dessen Dichter nicht von ungefähr Gottfried
von Straßburg heißt, ebenso wie das städtisch-bürgerliche
Wappen- und Turnierwesen, dem unsere Bilder einen so breiten Raum gewähren.
Dasselbe gilt für das Streben zahlreicher spätmittelalterlicher
Städte, dem Adel gleich ihren Ursprung bis in die römische oder
besser noch griechische Antike und Mythologie zurückzuführen.
All dies war nicht aufgesetzte Kopie oder gar "Selbstbetrug" des alteuropäischen
Bürgertums, sondern gehörte direkt zum spätmittelalterlichen
und frühneuzeitlichen Bürgerleben. Allerdings setzte eine solche,
dem Höfischen vergleichbare Bürgerkultur jene eingangs beschriebene
urbane Spitzenstellung voraus und war daher auf wenige Städte beschränkt.
Hier liegt ein wichtiger Unterschied zur politischen Kultur des alteuropäischen
Bürgertums, die im Prinzip von allen Städten gleich welcher Größenordnung
geteilt werden konnte.
Es entspricht also der inneren Logik der Bilder und ist
geradezu Ausdruck des herausgebobenen Selbstverständnisses der Augsburger
Führungsschicht in der Reformationsepoche, daß die Bilder so
gut wie gar nichts direkt von den großen staatlichen und kirchlichen
Ereignissen zeigen, die Augsburg in jenen Jahrzehnten in seinen Mauern
erlebte, und auch nichts von seinem politischen Einfluß in der Region
und im Reich oder von der Länder und Kontinente umspannenden Kraft
seines früh- bzw. handelskapitalistischen Wirtschaftssystems. Es ist
gerade die scheinbar unangefochtene Selbstverständlichkeit und Unwandelbarkeit
großbürgerlicher Lebens- und Repräsentationsformen, die
den Eindruck einer selbstsicheren Stadtgesellschaft auf soliden ökonomischen
und politischen Grundlagen erzeugt. Nichts ist zu sehen von der gesellschaftlichen,
politischen und religiös-kulturellen Wandlungsdynamik, die das Reich
allgemein und den oberdeutschen Raum mit Augsburg im Zentrum während
der 1520er Jahre erfaßt hatte. Nichts ist zu sehen von Luther und
der von ihm zu bitterernstem Existenzringen herausgeforderten Papstkirche;
nichts von der reformatorischen Bewegung in Stadt und Land, von Bauernkrieg
und Ritterrevolte; nichts von der Aufbruchsstimmung des jungen Habsburger-Kaisers
Karl V., der doch in so mannigfaltiger Verbindung zu Augsburg stand; nichts
von dem Ausgreifen Europas nach Übersee; nichts von Fürstengewalt
und frühmoderner Bürokratisierung, obgleich gerade das Augsburger
Großbürgertum, das sich hier in Szene setzt, mit jedem dieser
Umbruchsprozesse als Unternehmer oder Finanzier aufs engste verbunden war.
Nicht einmal der Früh- und Handelskapitalismus, dessen tragender Pfeiler
in Deutschland die Augsburger Handelshäuser waren, ist so dargestellt,
wie man es erwarten würde und wie es auch durchaus möglich gewesen
wäre, denkt man etwa an die häufig abgebildete Miniatur aus dem
Schwarzschen Trachtenbuch, die Jakob Fugger den Reichen und seinen Chefbuchhalter
Matthäus Schwarz vor der Augsburger Zentralregistratur des Fuggerschen
Weltunternehmens zeigt.
So sehr sich der von Krisenzeiten und Wandlungsdynamik
faszinierte Historiker auch dagegen sträuben mag, er muß konstatieren,
daß auf diesen Bildern das Signum eines ganzen Zeitalters, ja des
Epochenumbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit gleichsam zu einem Gekräusel
an der Oberfläche eines in der Tiefe unbewegten Meeres wird. Der Maler
stellt, hierin sicherlich dem Willen seiner Auftraggeber folgend, eine
geschützte, festgefügte städtisch-bürgerliche Welt
dar, die sich durch den sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen
Wandel, an dem sie führend Anteil hat, in ihren Lustbarkeiten und
ihrem Selbstbewußtsein nicht erschüttern läßt. Es
ist "die Ruhe im Sturm", die diese Bilder für den Historiker zu faszinierenden,
in ihrer ganzen historischen Aussagekraft noch nicht hinreichend gewürdigten
Dokumenten werden läßt.
Den Augsburger Jahreszeiten-Zyklus in den historischen
Zusammenhang zu stellen heißt, die Spannung herauszuarbeiten zwischen
dem, was dem Betrachter gezeigt wird, und dem, was ihm verborgen bleibt.
Zu sehen ist die "Ruhe" einer scheinbar unangefochtenen gesellschaftlichen
Stabilität, die im endlosen Reigen der Monate und Jahreszeiten den
Mitgliedern des obersten Bürgerstandes Vergnügungen und Kurzweil
ohne Unterlaß ermöglicht. Nicht bürgerliche Frugalität,
Rationalität oder Arbeitsamkeit und der daraus gespeiste Wille zur
Beherrschung und Veränderung der Welt prägen die Bilder, sondern
Muße und demonstrativer Lebensgenuß, wie ihn die Sozialhistoriker
eigentlich nur dem alteuropäischen Adel zubilligen. Diese gleichsam
natürliche, nur dem kreisenden Wechsel der Jahre unterworfene Unangefochtenheit
ihrer Lebenswelt, das ist offensichtlich der Kern der Botschaft, die die
dargestellten Akteure, also die Augsburger Patrizierfamilien, nach dem
Wunsch des ihrem Kreis zuzuordnenden Auftraggebers sich selbst, den anderen
Ständen und der Nachwelt vermitteln wollten. Absichtsvoll verborgen
bleiben der "Sturm" und die dynamischen Kräfte, die in Deutschland
und Europa selten stärker und radikaler für Wandel und Veränderungen
sorgten, als im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, das die Historiker
als Aufbruch in die Neuzeit charakterisieren. Diese Dynamik gilt es in
der gebotenen Kürze zu skizzieren, und zwar konkret an der Situation
Augsburgs selbst und der Rolle, die es damals in Deutschland und Europa
gespielt hat.
Auf den Bildern gibt die Stadt am Lech zusammen mit ihrer
ländlichen Umgebung gleichsam die "bukolische" Kulisse ab, vor der
sich das Patriziat in seiner Ideologie der Ruhe und Stabilität in
Szene setzt. In der Realität dagegen war Augsburg wie kaum ein zweiter
Ort in Deutschland und Europa eine Stätte der Veränderung und
des Wandels. Das Augsburger Bürgertum, und zwar gerade die auf den
Bildern in Spiel und Lustbarkeit versunkene Elite, war in den Jahrzehnten
um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit darangegangen, in weitausgreifenden
Aktivitäten nicht nur seine eigene und die umgebende oberschwäbische
Region umzugestalten, sondern darüber hinaus auch Europa und die Neue
Welt in seine neuartigen wagenden Unternehmungen einzubeziehen.
Demographie und Konjunkturwellen
Bereits die Bevölkerungsentwicklung belegt
die Dynamik des Zeitalters, und das läßt sich durchaus
noch an den Bildern ablesen, vermitteln sie doch durch die große
Zahl von Menschen den Eindruck von Gedränge und Überbevölkerung.
Die Zeitgenossen selbst, wie etwa der für die Umbrüche seiner
Zeit sensible Spiritualist Sebastian Franck, sprechen davon, daß
die Welt "voller Leute" steckt, und die modernen Demographen rechnen aus,
daß sie recht hatten: Die Bevölkerung Deutschlands wuchs im
16. Jahrhundert von zwölf über vierzehn auf sechzehn Millionen,
wobei die Wachstumsraten gerade in jenen Jahrzehnten, in denen die Bilder
entstanden sind, besonders hoch waren. Wie die Städte allgemein nahm
Augsburg an dieser Entwicklung überproportional teil - von rund 20.000
im späten 15. Jahrhundert stieg die Bevölkerung im ersten Drittel
des 16. Jahrhunderts auf über 30.000 an und erreichte ein knappes
Jahrhundert später mit 40.000 einen Höchststand, bevor die Verluste
des Dreißigjährigen Krieges den Trend umkehrten. Indem immer
mehr Menschen ernährt und mit Gewerbegütern versorgt werden mußten,
war der säkulare Bevölkerungsanstieg zugleich ein Hauptmotor
des Konjunkturaufschwunges, der insbesondere der städtischen Wirtschaft
zugute kam. Hinzu trat die sogenannte kommerzielle Revolution, die seit
Anfang des Jahrhunderts zunächst den Überlandverkehr, dann vor
allem den Seehandel in der Ostsee und auf dem Atlantik sprunghaft ansteigen
ließ. Schließlich war das Zeitalter durch einen Preisanstieg
charakterisiert, der sich beschleunigte, als im zweiten Jahrhundertdrittel
das südamerikanische Silber nach Europa einströmte.
Sozialstruktur
All das zusammengenommen hatte weitreichende soziale Konsequenzen.
Vor allem in den Städten entwickelte sich so etwas wie eine zweigeteilte
Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer
und zahlreicher wurden. Bereits im späten Mittelalter waren in einer
Stadt wie Augsburg Besitzverteilung und Sozialstruktur unausgewogen gewesen,
so daß einer knapp hundert Familien umfassenden Oberschicht von Patriziern
und Großkaufleuten eine nur etwas breitere obere Mittelschicht von
rund zweihundert wirtschaftlich und politisch hervorgehobenen Zunftfamilien
sowie eine sehr ausgeprägte, über 4.000 Familien umfassende Basisschicht
von Kleinbürgern und nicht steuerfähigen, d. h. nahezu besitzlosen
Unterschichten gegenüberstanden. Anfang des 16. Jahrhunderts kam es
zu einer deutlichen zahlen- und vermögensmäßigen Stärkung
des mittleren Bürgertums. Daraus ergab sich aber keine längerfristige
Verbesserung der Sozialstruktur. Denn seit dem zweiten Jahrhundertdrittel
wuchsen die Unterschichten der Steuerbefreiten und Besitzlosen rasch an,
was um so dramatischer war, als sich zur selben Zeit wegen der voranschreitenden
Teuerung und der schrumpfenden Arbeitschancen deren Subsistenzbedingungen
radikal verschlechterten, so daß immer mehr Familien immer häufiger
auf Unterstützung durch Kirche und Stadt angewiesen waren. Auf dem
April-Bild ist das verschämt durch einen um Nahrung bittenden Bettler
angedeutet. Gegen Ende des Jahrhunderts gerieten dann auch immer wieder
Familien der Mittelschicht in den Strudel.
Markt
Der unausgeglichenen Sozialstruktur entsprach ein zweigeteilter
Markt: Die reiche Oberschicht leistete sich auserlesene Speisen und seltenen
Luxus an Kunst und Kunstgewerbe.
Da neben den oberen Bürgerschichten auch der Adel zu dieser potenten
Käuferschicht gehörte gab es eine enorme Nachfrage nach Fleisch,
Wein, Spezereien, Zucker und anderen Kolonialwaren sowie Gemälden,
Tapisserien und Luxusmöbeln und den Produkten von Gold- und Silberschmieden,
Harnischfegern und Waffenschmieden. Davon profitierten wiederum die bürgerlichen
Oberschichten von Fernkaufleuten, Unternehmern und hochqualifizierten Handwerksmeistern,
deren Mal-, Schreiner- oder Schmiedewerkstätten zu kleinen bis mittleren
Unternehmen wurden. Dem Luxusmarkt entsprach ein für die Anbieter
nicht weniger lukrativer Markt für billige Massengüter, auf dem
sich das Gros der Bevölkerung in Stadt und Land versorgen mußte,
da ein immer größerer Anteil ihres Einkommens für die sich
verteuernden Lebensmittel einzusetzen war. Auch dies kam der bürgerlichen
Oberschicht zugute, die als Verleger und Fernkaufleute Produktion Verteilung
von billigen Mischgeweben und Haushaltswaren organisierte.
Politische Ordnung
Natürlich resultierten aus diesen schroffen Gegensätzen
soziale Spannungen und Konflikte, die sich immer wieder in Aufläufen
und Unruhen Luft machten, konzentriert in den Jahrzehnten der Reformation
sowie an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Zu einer Sozialrevolution
im echten Sinne kam es aber nicht. Denn die soziale Not wurde durch soziale
Stiftungen, deren berühmteste die Augsburger Fuggerei ist, sowie durch
eine ausgeprägte städtische Preis- und Versorgungspolitik abgefedert.
Zudem war die politische Kultur in der frühneuzeitlichen Stadt so
angelegt, daß es zwar immer wieder zu gemeindlich-genossenschaftlichen
oder stadtrepublikanischen Protestbewegungen gegen Willkürherrschaft
und soziale Ungerechtigkeit kam, daß diese aber nicht auf Sprengung
des Systems, sondern auf dessen Justierung ausgerichtet waren. Dem entsprachen
auch die Grundprinzipien der politischen Partizipation in den Städten.
Der Idee nach war es die Gemeinde (lat. communitas), bei der die politische
Gewalt lag. Das war der Verband aller formell durch Kauf oder Erbe ins
Bürgerrecht eingetretenen Bewohner und damit stets nur ein mehr oder
weniger großer bzw. kleiner Teil der Einwohnerschaft. Nach den stadtrepublikanischen
Normen des alteuropäischen Bürgertums war dieser Schwurverband,
dem jeder Bürger durch Eidesleistung beigetreten war, zur Mitsprache
und zur Kontrolle des Stadtrates berechtigt. Real wurde das aber nur im
Moment der Vertrauenskrise zwischen Rat und Bürgerschaft. In normalen
Zeiten regierte und verwaltete der Stadtrat unangefochten. Seine Rekrutierung
war von Stadt zu Stadt unterschiedlich geregelt. Allgemein galt aber, daß
die "besten" und erfolgreichsten Familien ratsfähig sein sollten.
Soziales Ansehen, Reichtum und Familientradition qualifizierten zum Rat.
Darüber hinaus kam der "Abkömmlichkeit" eine wichtige Selektionsfunktion
zu. Dieser von Max Weber geprägte Begriff meint die schlichte Tatsache,
daß es einem einfachen Handwerksmeister, der täglich in der
Werkstatt präsent sein mußte, um den Lebensunterhalt seiner
Familie zu erwirtschaften, gar nicht möglich war, direkt am Ratsregiment
teilzunehmen. Denn das setzte nicht nur Zeit für regelmäßige
Sitzungen voraus, sondern auch für die Übernahme tage-, wochen-,
ja monatelanger auswärtiger Missionen an Fürstenhöfen oder
zu Städte- und Reichstagen.
All dies zusammengenommen führte dazu, daß
auch in Städten wie Augsburg mit sogenannten "Zunfträten", d.
h. einer formellen Rekrutierung des Ratsregimentes ganz oder überwiegend
durch die Kaufmanns- und Handwerksgenossenschaften, die Regierung faktisch
in der Hand eines kleinen, zwar nicht abgeschlossenen, wohl aber eng umgrenzten
Kreises von Ratsfamilien lag. In Augsburg waren das die "Großmeister"
bestimmter "Abkömmlichkeit" ermöglichender Gewerbe; das Honoratiorentum
der reichen Großkaufleute und Unternehmer, denen nach Abschluß
des Patriziats im späten Mittelalter der Eintritt in den Stadtadel
formell verwehrt blieb; schließlich weiterhin die Geschlechter, die
als "beste und witzigste" Bürger immerhin 15 der 44 Ratssitze einnahmen
und darüber hinaus einen der beiden Bürgermeister und je die
Hälfte der anderen Amtsträger stellten. Wesentlich breiter verwurzelt
war der über zweihundert Mann starke Große Rat, der ein Mitspracherecht
in bestimmten, die gesamte Stadtbevölkerung berührenden Fragen
besaß. Das bezog sich auch und vor allem auf das städtische
Kirchen- und Religionswesen, so daß in der Reformationszeit sich
die reale politische Partizipation der breiten Handwerkerschichten enorm
ausweitete. Hinzu kam, daß die Augsburger Verfassung auch Vollversammlungen
sämtlicher Bürger ermöglichte und sich gerade in den 1520er
und 1530er Jahren immer wieder von unten her Bürgerbewegungen formierten,
die die Ratspolitik massiv beeinflußten. All dies stärkte natürlich
das Selbstbewußtsein der vom engeren Ratsregiment ausgeschlossenen
Mittelschichten beträchtlich.
Werfen wir aus dieser sozial- und verfassungsgeschichtlichen
Perspektive einen Blick auf die Jahreszeiten-Bilder, so tritt die bereits
markierte Ambivalenz noch deutlicher zutage: Einerseits erscheint die dort
dargestellte gesellschaftliche Harmonie ganz und gar nicht mehr als fiktiv
und irreal. Denn die politische Kultur der alteuropäischen Stadt,
der deutschen zumal, war ja geradezu auf Frieden und Ausgleich zwischen
den Sozialschichten angelegt. Und unter dem Schutz dieser Norm etablierte
sich in normalen Zeiten eine Oberschicht, die - wie auf den Bildern zu
sehen - von hoher Statuskonsistenz war, also zugleich reich, politisch
mächtig, sozial angesehen und geistig-kulturell prägend. Andererseits
wird aber verschwiegen, daß das aktuelle Zeitgeschehen ganz anders
aussah, indem nämlich die Reformation Stadt und Reich vor grundsätzliche
Entscheidungen stellte, die nur unter Beteiligung der Gesamtbürgerschaft
- und damit auf Kosten des Herrschaftsmonopols der Oberschicht - getroffen
werden konnten, und daß dies vor dem konjunkturellen Hintergrund
wachsender Verteilungsprobleme und sich verschärfender sozialer Gegensätze
geschah.
Die Bilder weisen den Betrachter schließlich noch
auf einen weiteren Aspekt des gesellschaftlichen Lebens an der Wende vom
Mittelalter zur Neuzeit hin - auf die außerordentlich starke Präsenz
der Frauen in der Öffentlichkeit. Die Feststellung, daß auf
den städtischen wie den ländlichen Szenen nicht entscheidend
weniger Frauen als Männer beteiligt sind, erscheint zunächst
banal. Dieser Banalität haben sich Historiker aber über Generationen
hin verschlossen. Erst in jüngerer Zeit kümmert sich die Sozialgeschichte
intensiver um Geschlechterkonfigurationen und deren Wandel in der Geschichte.
Dabei hat sich ergeben, daß Frauen im späten Mittelalter und
im frühen 16. Jahrhundert in der städtischen und der ländlichen
Arbeitswelt weit stärker vertreten waren als in späteren Epochen.
Die Jahreszeiten-Bilder bestätigen das eindrucksvoll, in den ländlichen
Ernteszenen
ebenso wie in den städtischen
Interieurs oder Marktszenen.
Auch in den Familien spielten die Frauen eine selbständige Rolle,
und zwar nicht nur, wie später dann in der bürgerlichen Kleinfamilie
des 19. Jahrhunderts, als Hüter privater Innerlichkeit, sondern als
"Mitregentin" im "ganzen Haus", sei es des Handwerksbetriebes, sei es der
weltumspannenden Familienfirma des handelskapitalistischen Großbürgertums.
Von den "Frauen des Hauses Fugger" wissen wir, daß sie als Witwen
Vorsteher der Handelsfirma werden konnten und dann durchaus in der Lage
waren, die Geschäfte erfolgreich zu führen und den Besitz zu
mehren. So gelang es zum Beispiel Barbara Fugger-Bäsinger (1419-1497),
Ehefrau Jakobs I Fugger und Mutter von elf Kindern, nach dem Tod ihres
Mannes im Jahre 1469 die Firma durch Errichtung einer im Augsburger Stadtrecht
verankerten Erbengemeinschaft mit ihren Kindern zu sichern und in den folgenden
Jahren das Vermögen von 15.000 auf 23.293 Gulden zu vermehren . Hierin
spiegelt sich die gefestigte Rechtsstellung der Frauen in den spätmittelalterlichen
Städten, wo Kauf- und Handelsfrauen ebenso wie Vorsteherinnen von
Handwerksbetrieben voll rechts- und handelsfähig waren, und zwar nicht
erst als Witwen, sondern auch in Vertretung ihrer Männer: Eine Frau,
die auf dem Markt stand "oder im Kontor ..., die hat alle Rechte, die ihr
Wirt hat in bezug auf Erbschaft und Besitz". Aber natürlich wäre
es verfehlt, die Geschlechterkonstellation des frühen 16. Jahrhunderts
zu sehr an Verhältnisse der Gegenwart heranzurücken. Denn die
erste und vornehmste Aufgabe der Frau, mochte sie in die Geschäfte
einbezogen sein oder nicht, war die Geburt von Kindern und Firmenerben.
Blieb eine Ehe kinderlos, wurde sie in der Regel "schwierig". So im Falle
der Ehe zwischen Jakob Fugger dem Reichen (1449-1525) und Sibylla Fugger-Artzt
(1480-1546), die schon die Zeitgenossen über unkonventionelle Versuche
der Erbensicherung spekulieren ließ und Jakob ab 1512 veranlaßte,
in den Handelsverträgen den Erbgang seiner Neffen ins Auge zu fassen.
Stadt und Umland; Zentralität; Städtenetz
Weiß man die Bilder recht zu lesen, so belegen sie
noch eine weitere Grundkonstante des frühneuzeitlichen Städtewesens
- nämlich seine enge Verschränkung mit dem Umland und die damit
verbundene Zentralitätsfunktion der Städte nicht nur in ökonomischer,
sondern auch in politisch-administrativer sowie in kultureller Hinsicht.
Das war im Falle Augsburgs und des oberschwäbischen Raumes besonders
ausgeprägt. Grundlage war vor allem das ländliche Textilgewerbe,
das von der Stadt her in Form des Verlages organisiert wurde. Hinzu kam
ein nicht unbeträchtlicher Besitz der Bürger an Grund und Boden.
Die bereits im späten Mittelalter einsetzende Neigung, in Ländereien
zu investieren, war ökonomisch vernünftig, weil sie das außerordentlich
hohe Risiko des Fernhandels und der frühkapitalistischen Unternehmungen
absicherte, und sie hob das gesellschaftliche Ansehen, wie sich unschwer
auf den Frühjahrs- und Sommerbildern des Augsburger Jahreszeiten-Zyklus
ablesen läßt. Schließlich war sie auch die Basis für
das Konnubium zwischen reichsstädtischem Patriziat und niederem wie
höherem Adel sowie für den vollständigen Übertritt
in den Adel, wofür die 1530 von Karl V. vollzogene Erhebung der Fugger
zu Reichsgrafen nur das glänzendste Beispiel ist. Komplementär
zur regionalen Zentralitätsfunktion hatten die alteuropäischen
Städte ein Netzwerk entwickelt, über das sie in den überregionalen
Austausch eintraten. Auch dieses war im Falle Augsburgs besonders ausgeprägt.
Die verkehrsgünstig gelegene Lechstadt bildete einen Hauptknotenpunkt
des süddeutsch-oberitalienischen Städtenetzes, das nicht nur
dem Austausch materieller Güter, sondern auch der geistigkulturellen
Kommunikation diente. An die nord- und nordwest- bzw. an die südost-
und osteuropäischen Städtenetze besaß Augsburg Anschluß
über Frankfurt, Köln und Antwerpen bzw. über Nürnberg,
Posen, Danzig oder Krakau bzw. über Regensburg und Wien in die Karpaten.
Und schließlich sorgten die Finanzgeschäfte mit dem Hause Habsburg
und Kaiser Karl V. für die Anbindung an die südwesteuropäische
Wirtschaftswelt einschließich ihrer Ausleger in den südamerikanischen
Kolonien.
Wirtschaft
Innerhalb dieser Kommunikationszonen unterschiedlicher
Dichte entfaltete sich der Früh- und Handelskapitalismus, jenes erste
neuzeitlich rationale Wirtschaftssystem, zu dessen Säulen Augsburg
und die Augsburger Handelshäuser der Fugger, Welser, Rehlinger, Imhof,
Meutling, Höchstetter etc. zählten. Die Mutterbranche dieses
Systems war die ländliche Textilproduktion Oberschwabens, die
durch städtische Verleger organisiert wurde. Vor allem das Barchent,
ein Mischgewebe aus Baumwolle und Flachsgarn, hatte viele Bürger oberschwäbischer
Städte reich gemacht, darunter die Augsburger Fugger, die innerhalb
zweier Generationen von Handwerkern zu Großunternehmern aufstiegen.
Zum Großgewerbe trat der Fernhandel, der sich bald auf alle
möglichen gewinnbringenden Waren ausdehnte. Die Hauptverkehrsachse
verlief über den Brenner nach Venedig, von wo die begehrten Schätze
der Levante und Asiens nach Augsburg und von dort in den Westen, Norden
und Osten gelangten - Seide, Baumwolle, Brokat, Kattun und Musselin, Damaszenerklingen,
Elfenbein und alle Arten von Gewürzen, Duftstoffen und Drogen. Die
Gewinne wurden im Montangewerbe und in Bankgeschäften größten
Stils reinvestiert und damit in Wirtschaftszweigen, die durch die "technische
Revolution des späten Mittelalters" und durch den rasch wachsenden
Finanzbedarf der frühmodernen Staaten zu Leitsektoren der deutschen
und europäischen Wirtschaft geworden waren. Die innere, rationale
Verknüpfung von Verlag, Montanunternehmungen, Fernhandel einschließlich
der Transportunternehmungen und Bankgeschäfte charakterisiert den
Frühkapitalismus der Augsburger Familienfirmen als erstes Wirtschaftssystem
der Neuzeit, das in wohlkalkulierter, sachlicher Abstimmung ein Zahnrad
ins andere greifen ließ, so daß Unternehmungen bislang unbekannten
Zuschnitts mit ungeheuren Gewinnspannen möglich wurden.
Politische Zentralität
Eng verzahnt mit den wirtschaftlichen waren die politischen
Leistungen des frühbürgerlichen Kommunikationsnetzes
mit Augsburg als Knotenpunkt: Augsburg war Vorort
der oberschwäbischen Region; im Reich gehörte es zu einer
kleinen Zahl herausgehobener Reichsstädte.
Das politische Netz der Reichsstädte war zwar im
Prinzip egalitär, in der Realität hatte
sich aber im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts eine Gruppe von
knapp zehn Vororten, darunter Augsburg, herausgebildet, die die Politik
des Städtekorpus auf und zwischen den Reichstagen in die Hand nahmen.
Ähnlich sah es mit der Ausrichtung der Reichstage selbst aus, die
in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Regel in Worms, Speyer,
Nürnberg oder Augsburg stattfanden. Innerhalb dieser Gruppe politisch
führender Reichsstädte nahm Augsburg um 1530 eine hervorgehobene
Stellung ein. Denn zusätzlich zu seiner Rolle im Städtekorpus
und als Reichstagsstadt erfreute es sich der besonderen
Wertschätzung Kaiser Karls V., und an den Höfen mächtiger
Reichsfürsten galt das Wort von Mitgliedern seiner Elite viel - sei
es als politisch-juristische Berater, sei es als Kreditgeber und Finanzfachleute.
Herkunft und Verausgabung des Reichtums
- die Fugger als Beispiel
Es war im wesentlichen der Qualität Augsburgs als
politischer und ökonomischer Knotenpunkt eines länderüberspannenden
urbanen Kommunikations- und Verteilungsnetzes zu danken, daß dem
dortigen Großbürgertum ein Reichtum zufloß, der es erlaubte,
zusätzlich zu den Unsummen an Reinvestitionen und Krediten an die
Fürsten viel Geld für Aufträge nach Art der Jahreszeiten-Bilder
und für den Ankauf anderer erlesener Kunst und Kulturprodukte auszugeben.
Nehmen wir die Fugger als Beispiel, die zwar als Auftraggeber der Bilder
ausscheiden dürften, sich aber mit ihnen identifizierten, insofern
sie nämlich Kopien davon anfertigen und in ihrem Baugarten aufhängen
ließen: Die Hauptquelle ihres Reichtums waren um 1530 längst
nicht mehr der Textilverlag und der Fernhandel, wenngleich die Firma das
Netz der Barchentproduktion noch ausbaute, vor allem im Weißenhorner
Raum bei Ulm, und auch ihren Fernhandel, der in einem Europa überspannenden
Faktoreisystem organisiert war, durch ein vorsichtiges Engagement im Kolonialhandel
ausweitete. Ihr von den Faktoreien in Lissabon und Antwerpen getragener
Pfefferhandel blieb weit bescheidener als das Engagement, das andere Augsburger
Häuser, voran die Welser, am neuen Gewürzhandel und an Molukkenfahrten
zeigten. Am Kolonialgeschäft nahmen die Fugger vorrangig als Kreditgeber
der spanischen Krone teil, was ihnen Mitte der 1530er Jahre einen Anspruch
im Wert von 100.000 Dukaten auf das durch ein spanisches Staatsmonopol
ausgebeutete südamerikanische Silber einbrachte.
Die Schwerpunkte der Firma Fugger lagen eindeutig im Montangewerbe
und bei den Kredit- bzw. Bankgeschäften. Beides war eng aufeinander
abgestimmt, insofern sich die Fugger wie ihre Konkurrenten auch die finanztechnisch
nicht gedeckten Kredite durch Nutzungs- und Schürfrechte absichern
ließen - beginnend in den 1490er Jahren mit Krediten an den Herzog
von Tirol, die das Monopol über den sehr ertragreichen Schwazer Silberbergbau
brachten, über entsprechende Geschäfte mit Kaiser Maximilian
I., durch die ein zeitweiliges Monopol auf den europäischen Kupfermarkt
errichtet werden konnte, bis hin zur Ausbeute von spanischen Quecksilber-
und Zinnobervorkommen infolge des Kaiserwahl-Kredits, den sie Karl V. gewährt
hatten. Vornehmlich durch Pacht und Kauf gelangte das gesamte ungarische
Montanrevier mit Zentrum in Neusohl unter Kontrolle des Augsburger Handelshauses.
Neben den Kreditgeschäften mit den weltlichen Machthabern, von denen
das mit dem Deutschen König Ferdinand mit einer Schuld von 651.000
Gulden im Jahre 1527 sogar noch den spektakulären Wahlkredit von 543.585
Gulden an den Kaiser übertraf, betätigten sich die Fugger als
Finanziers der Kurie und geistlicher Fürsten. Vor allem die Abwicklung
kirchlicher Finanzgeschäfte brachte ihnen hohe Gewinne so etwa die
finanztechnische Übermittlung der in Deutschland eingenommenen Ablaßgelder
und der Peterspfennig-Steuer nach Rom. Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts
bewährte sich diese Geschäftspolitik aufs beste - zwischen 1511
und 1527 erreichte die Firma eine Gewinnsteigerung von 927%, das sind durchschnittlich
54,5% im Jahr. Bei Passiva von rund 870.000 Gulden weist die Inventur von
1527 rund 3 Millionen Gulden an Aktiva aus, die sich folgendermaßen
verteilten:
Bergwerke und Bergwerksanteile |
70.000 Gulden |
Sonstige Immobilien |
150.000 Gulden |
Waren (v. a. Kupfer) |
380.000 Gulden |
Bargeld |
50.000 Gulden |
Ausstände |
1650.000 Gulden |
Privatkonten der Gesellschafter |
430.000 Gulden |
Schwebende Geschäfte |
70.000 Gulden |
Bedenkt man, daß ein mittlerer Bauernhof,
wie man ihn auf den Sommerbildern sehen kann, etwa 150 Gulden wert war,
ein hoher Staatsbeamter mit 700 bis 800 Gulden Jahresgehalt zufrieden sein
mußte und in Augsburg die untere Oberschicht bereits bei einem Vermögen
von 450 Gulden angesetzt wurde, während jeder Bürger mit weniger
als 50 Gulden Gesamtbesitz bereits als steuerbefreiter "Habenichts" galt,
so wird der ungeheure Reichtum des Augsburger Großbürgertums
deutlich, selbst wenn die meisten seiner Mitglieder allenfalls die Hälfte
des Fuggervermögens erreichten. Davor ließ sich jede Art von
Luxus und Kurzweil finanzieren. Jakob Fugger der Reiche (1459-1525) selbst
lebte eher bescheiden, achtete aber auf die repräsentative Darstellung
seiner Familie in der Öffentlichkeit, um die nichtpatrizische Herkunft
zu überspielen: Die Ausgaben für die Fugger-Kapelle (erbaut 1511-1518)
und der Erwerb mehrerer Häuser am Weinmarkt zur Errichtung eines angemessenen
Firmensitzes an angemessener Stelle sowie mehrerer Graf- und Herrschaften
- Kirchberg und Biberach, später ergänzt um Babenhausen (1538/39);
Wullenstetten, Pfaffenhofen, Illerzell und Weißenhorn, um nur die
bekanntesten zu nennen - gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie
der außergewöhnliche Aufwand bei Hochzeiten, die häufig
das Zehnfache des beim ansässigen Adel oder den städtischen Patriziern
Üblichen kosteten. So wichtig die sozialen und religiösen Motive
auch waren, so spielte darüber hinaus auch bei den zahlreichen Fuggerstiftungen
das soziale Prestige eine Rolle, vielleicht auch der Gedanke, damit die
unerhörten und in kirchlicher Sicht keineswegs unproblematischen Gewinne
zu kompensieren. Das gilt für die Kirchenstiftungen an St. Ulrich
und St. Anna mit ansehnlichen Dotierungen von 30.000 Gulden oder mehr ebenso
wie für die neuartige Sozialstiftung der Fuggerei mit einem Grundkapital
von 10.000 Gulden und weiteren jährlichen Aufwendungen von durchschnittlich
300 Gulden. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Augsburger Oberschicht,
wie etwa Konrad Peutinger, der u.a. eine große Sammlung antiker Münzen
anlegte, beschränkte sich der Kunstsinn der Fugger zunächst im
wesentlichen auf die repräsentative und moderne Architektur ihrer
Kapelle in St. Anna sowie ihres Geschäftssitzes am Weinmarkt. Größere
Summen für die Förderung der Wissenschaften und den Ankauf von
Gemälden, Plastiken, Bibliotheken und Kleinodien jeder Art gab erst
die nächste Generation aus, beginnend mit Raymund Fugger (1489-1535),
dem Neffen Jakobs des Reichen. Und noch eine Generation weiter entnahmen
die Fugger für solche unproduktiven Investitionen "häufig ...
dem Geschäft mehr Kapital als ihm zuträglich war, oder sie setzten
ihr eigenes Vermögen aufs Spiel".
Zentrum von Kunst und Geistesleben
Augsburg war bereits vor diesem außergewöhnlichen
Engagement der Fugger-Familie auch kulturell und kirchlich ein Zentrum
allererster Kategorie gewesen und daher Ort von Entscheidungen, die Europa
und die Christenheit im Kern umgestalteten. Kultur- und Geistesströmungen
folgten in der Regel den Handelswegen. Augsburg wurde daher nahezu zwangsläufig
zum nordalpinen Einfallstor italienischer Kunst und Wissenschaft. Die Fugger-Kapelle,
mit der in die "altdeutsche" Gotik von St. Anna die lichte Leichtigkeit
der aufziehenden Neuzeit kam, war überhaupt das früheste Renaissancebauwerk
dieser Größenordnung in Deutschland. Die folgenden Generationen
setzten diesen Weg fort und machten Augsburg zur Stadt der Renaissance,
in deren Zentrum sich der mächtige Palazzo-Block des 1615-1620 durch
Elias Holl, den Meister der Spätrenaissance, errichteten Rathauses
erhebt. Ähnlich verhielt es sich mit den übrigen Künsten,
der Wissenschaft und dem Geistesleben allgemein: Der Stadtschreiber Conrad
Peutinger (1465-1547) zählte zu den führenden Humanisten im Reich
am Augsburger Hof von Bischof Christoph von Stadion (1518-1543) traf sich
ein Kreis von Gelehrten, der sich die Erneuerung von Literatur und schönen
Künsten zur Aufgabe gemacht hatte; Patrizier und Großbürgertum
lebten dem Ideal universaler Bildung, wetteiferten als Sammler antiker
und moderner Kunst, hielten sich prächtige Bibliotheken mit seltenen
Handschriften und Codices, dilettierten in der wissenschaftlichen Numismatik,
der Mathematik und der Astronomie, waren Liebhaber der neuen Musik und
Poetik. In das Februar-Bild
ist diese Kunst- und Bildungsatmosphäre eingegangen - mit Lautenspieler,
deklamierendem Poeten, Tanz, Muße des Gespräches und der Lektüre
sowie den Äffchen
als Versinnbildlichung von Weisheit und Weltoffenheit. Schritt für
Schritt wurde das Schul- und Bildungswesen im Sinne der Neuerer umgebaut,
ohne allerdings eine hohe Schule oder eine Akademie nach Art der italienischen
Städte hervorzubringen, was womöglich mit dem Einbruch der Reformation
zusammenhing. Und natürlich hatte auch der frühe deutsche Buchdruck
in Augsburg ein Zentrum.
Reformation
Nicht auf dem italienischen Königsweg der Erneuerung
kam die Reformation. Im Gegenteil, sie wurde im geistig kargen "Kolonialland"
geboren und breitete sich von Nordosten her aus, von wo man bislang gewohnt
war, Wachs, Pelzwerk, Bernstein, wilden Honig, Schiffsholz und dergleichen
zu beziehen. Und dennoch wurde Augsburg sogleich auch ein führendes
Zentrum der theologischen und kirchenpolitischen Diskussion, wie überhaupt
die Reformation rasch zu einem "städtischen Ereignis" wurde, auch
und vor allem in den süd- und westdeutschen Reichsstädten und
in den großen Kommunen der benachbarten Schweiz. Bereits der "erste
Wendepunkt auf dem Weg zur Reformation" wurde in Augsburg überschritten,
als nämlich im Oktober 1518, ein Jahr nach Veröffentlichung der
Thesen und wenige Monate nach Eröffnung des Ketzerprozesses, auf Vorladung
Roms und durch Vermittlung des sächsischen Kurfürsten im dortigen
Karmeliterkloster neben der St. Anna-Kirche der Wittenberger Mönch
und der Kurienkardinal Cajetan, einer der bedeutendsten Theologen Roms,
drei Gespräche führten mit dem Ergebnis, daß beide Seiten
bewußt den Weg in die Konfrontation einschlugen: Der Kardinal verabschiedete
Luther mit den Worten "geh, widerrufe entweder, oder komme mir nicht mehr
unter die Augen"; bei dem Reformator bestärkte sich daraufhin nach
seinem eigenen Zeugnis "der Beschluß, nicht zu widerrufen; ich ging
ohne Hoffnung auf Rückkehr".
Die nächsten Hauptetappen waren bekanntlich der Wormser
Reichstag von 1521, der Luther in die Acht nahm; der erste Speyerer Reichstag
von 1526, der diese wieder lockerte, indem er die Reformation zur Gewissenssache
der Reichsstände machte; der zweite Speyerer Reichstag von 1529, der
zum "Protestantismus"-Reichstag wurde, weil eine Handvoll Fürsten
und 14 Reichsstädte, darunter Nürnberg, Straßburg und Ulm,
nicht aber Augsburg, die Rücknahme des Beschlusses von 1526 nicht
akzeptierten; schließlich der Augsburger Konfessions-Reichstag, auf
dem Philipp Melanchthon in Vertretung des wegen der Acht nur bis zur sächsischen
Festung Coburg sicheren Reformators die Confessio Augustana ausarbeitete,
die vom kursächsischen Kanzler feierlich verlesen wurde und die bis
heute die gültige Bekenntnisschrift der Lutheraner geblieben ist.
Auch die späteren Wendeund Wegemarken der kirchlichen Erneuerung sind
mit dem Namen der Stadt am Lech verbunden: 1547/48 feierte hier Kaiser
Karl V. nach dem Sieg über den protestantischen Schmalkaldener Oppositionsbund
einen wahrhaft imperialen Reichstag und diktierte in der Religionsfrage
das sogenannte Augsburger Interim, das abgesehen von nebensächlichen
Zugeständnissen das zu neun Zehnteln evangelische Reich rekatholisieren
sollte. Nachdem sich das politische und militärische Glück gegen
den Kaiser gewandt hatte, kam es 1555 zum Augsburger Friedensreichstag,
der zusammen mit einer Reform des Reiches einen Kompromiß zwischen
Altgläubigen und Lutheranern festschrieb, der zwar Generationen später
nochmals in Frage gestellt wurde, nach dem Feuersturm des Dreißigjährigen
Krieges aber im Prinzip Bestätigung fand. Schließlich wurden
in Augsburg auch wichtige Weichen für die Festigung der reformierten,
auf die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin zurückgehende Variante
des Protestantismus gestellt, die 1555 noch verboten blieb, dann aber 1648
im Westfälischen Frieden rechtliche Anerkennung fand: Auf dem Reichstag
von 1530 legten die vier oberdeutschen Reichsstädte Straßburg,
Memmingen, Konstanz und Lindau die reformiert ausgerichtete Confessio Tetrapolitana
vor, die sich vor allem in dem zwischen den Evangelischen strittigen Abendmahlsartikel
von der lutherischen Confessio Augustana unterschied. Und der Augsburger
Reichstag von 1566 war insofern für die Reformierten ein Erfolg,
als es den orthodoxen Lutheranern nicht gelang, den spätestens seit
der Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus im Jahre
1563 notorisch calvinistischen Kurfürsten von der Pfalz aus dem Religionsfrieden
herauszudrängen, wodurch die Augsburger Ereignisse "für die reformierten
Kirchen nicht nur der Pfalz, sondern des gesamten Europa von geradezu lebenswichtiger
Bedeutung geworden sind".
Daß von all dem auf den Jahreszeiten-Bildern nichts
zu sehen ist, läßt sich nur als bewußte Entscheidung
des Auftraggebers und des Künstlers verstehen. Denn zwischen
dem aufsehenerregenden Konfessionsreichstag von 1530 und der im
Februarbild angebrachten Jahreszahl
liegen nur wenige Monate, und am 25. Oktober 1530 war es vor dem
Großen Rat zu einer heftigen Debatte über den Reichstagsabschluß
gekommen, und zwar unter Leitung des Bürgermeisters Ulrich Rehlinger,
dessen Familienwappen an besonders prominenter Stelle auf dem Schlitten
der Winterdarstellung zu sehen ist. Nachdem das Augsburger Ratsregiment
nicht zuletzt aus Rücksicht auf den Kaiser mit formellen Beschlüssen
zugunsten der Reformation zurückgehalten hatte und noch 1529 auf dem
Speyerer Reichstag nicht den protestierenden Ständen beigetreten war,
kann der mit 175 von 220 Stimmen getroffene Beschluß, den protestantenfeindlichen
Reichstagsabschied (Wiederbelebung des Wormser Edikts) für die Stadt
Augsburg nicht anzuerkennen, als erster offizieller Schritt auf dem Weg
zur Protestantisierung der Reichsstadt gelten. Die Erneuerung wurde dann
sieben Jahre später beendet, als der Große Rat - diesmal unter
dem Vorsitz des Patrizierbürgermeisters Hans Welser und des zweiten
Bürgermeisters Mang Seitz - am 17. Januar die Abschaffung der "papistischen
Abgötterei" beschloß und wenige Monate späterAnfang
Juli 1537 eine evangelische Kirchenordnung eingeführt wurde die
das kirchliche Leben der gesamten Stadt neu regeln sollte. Damit war eine
Entwicklung zu ihrem vorläufigen Ende gekommen, die unmittelbar
nach Luthers Thesenversendung im Jahre 1517 eingesetzt hatte: In Augsburg
hatte die reformatorische Botschaft sogleich offene Ohren gefunden, und
zwar zuerst vor allem in Humanistenkreisen - beim Stadtschreiber Dr. Konrad
Peutinger ebenso wie am Hof Bischof Christoph von Stadions - , in den Klöstern
der Bettelorden und unter den Druckern. Überall dort, wo ein bestallter
Kleriker neue Lehre annahm verkündete, bildeten sich Gemeinden
- so im Karmeliterkloster St. Ulrich, dessen Prior Johannes Frosch mit
Luther befreundet war, bei den Franziskanern unter Einfluß des Mönchs
Johannes Schilling, am Chorherren-Stift St. Moritz, in den Pfarrbezirken
St. Ulrich, Heilig Kreuz und St. Georg. In den ersten Jahren wurde sogar
auf der Domkanzel evangelisch gepredigt, bis die Prediger Oekolampad und
Urbanus Rhegins 1520/21 beginnenden altkirchlichen Formierung weichen mußten
.
Auch unter den Laien breitete sich die neue Lehre rasch
aus, allerdings sozial deutlich abgestuft. Angeführt von den Webern,
traten die breiten Handwerkerschichten nahezu geschlossen zum Protestantismus
über und drängten den Stadtrat zur raschen Durchführung
der Kirchenreform. Im Unterschied dazu blieb die politische Elite zunächst
abwartend und versuchte, einen vom Ratsschreiber Peutinger empfohlenen
"mitler weg" zu steuern. Schließlich drang die neue Lehre aber auch
ins Großbürgertum und Patriziat vor, mit dem Ergebnis, daß
es zu einer konfessionellen Spaltung der Elite kam, die teilweise quer
durch die Familien lief. Von den vier Sippennetzen, die nach Auskunft einer
neueren sozialgeschichtlichen Untersuchung zu jener Zeit das Augsburger
Ratsregiment in Händen hielten, können drei als Förderer
der Reformation gelten, auch wenn einzelne Mitglieder altgläubig blieben:
das Welser-Netz, dem frühkapitalistische Unternehmer ersten Ranges
und humanistisch interessierte Großbürger angehörten; das
Herbrot-Netz, das sich mehrheitlich aus der Kaufleutestube rekrutierte;
schließlich das Seitz-Netz, das die Führer der Handwerkerschaft
bildeten. Im Gegensatz dazu blieb das Fugger-Netz mit den bedeutenden Familienverbänden
Fugger, Artzt, Baumgartner, Ilsung, Rehlinger und Schellenberg mehrheitlich
altgläubig und entwickelte sich seit den späten 1530er Jahren
zum Garanten katholischer Resistenz und katholischen Erneuerungswillens
in einer protestantischen Stadt. Ganz unberührt von der Reformation
blieb aber auch dieser Elitenverband nicht. Selbst einzelne Mitglieder
der Familie Fugger wurden evangelisch, und unter den Rehlingern taten sich
Ulrich und Wolfgang sogar im Stadtrat als Führer der protestantischen
Fraktion hervor.
Zu der Spaltung innerhalb der Augsburger Elite trat, und
das erscheint mir für das Verständnis der Jahreszeiten-Bilder
besonders wichtig, eine religiös-theologische Spaltung der reformatorischen
Bewegung selbst. Neben den Lutheranern gab es viele Täufer und - vor
allem auch im Großbürgertum - Zwinglianer, also Vertreter jener
auf Zürich zurückgehenden Spielart des Protestantismus, die auf
dem Reichstag von 1530 die Tetrapolitana als Gegenbekenntnis zur Augustana
der Lutheraner vorgelegt hatten. Abgesehen von der spektakulären Abendmahlsfrage
und bestimmten Punkten der Kirchenordnung, unterschieden sich die Zwinglianer
von den Lutheranern durch einen entschiedeneren Erneuerungswillen auch
bei den Gottesdienstformen und beim Ritus sowie - im vorliegenden Zusammenhang
das Entscheidende - in der Bilderfrage. In Augsburg kam es daher im Frühjahr
1537 im Umkreis des erwähnten Ratsbeschlusses gegen die "papistischeAbgötterei"
zu einem Bildersturm, der typisch für die reformiert-zwinglische,
nicht aber für die lutherische Kirchenerneuerung ist.
Was ergibt sich aus diesen kirchen- und konfessionsgeschichtlichen
Beobachtungen für die Jahreszeiten-Bilder, speziell für das aus
zeitgeschichtlicher Perspektive erstaunliche Verschweigen der Reformation?
Man wird einerseits zugestehen müssen, daß ein Fehlen des aktuellen
Zeithintergrundes ikonographisch in der Konsequenz der Bildtradition von
Monatsbildern liegt. Andererseits ist aber davon auszugehen, daß
einem feurig protestantischen Auftraggeber und Maler schon etwas
eingefallen wäre, um eine entsprechende Botschaft einzubauen.
Sind die Bilder also den Gegnern der Reformation im Großbürgertum
zuzuordnen? Auch das erscheint eher unwahrscheinlich, ließe sich
für einen solchen Fall doch erwarten, daß die Symbole und Gebräuche
der alten Kirche irgendwie in Erscheinung träten. Eine stimmige Interpretation
ergäbe sich dagegen, wenn man die Bilder mit den erwähnten stark
reformiert-zwinglischen Strömungen der Augsburger Reformation in Verbindung
brächte. Das erscheint auch insofern berechtigt, als gerade die Familie
Rehlinger, die mit plausiblen Argumenten als Auftraggeber in Frage kommt,
zu den Führern der zwinglischen Richtung zählte, so namentlich
der Bürgermeister Ulrich Rehlinger und sein Sohn Ulrich, der 1531
in der St. Ottmars-Kapelle ein Kruzifix und Heiligenbilder zertrümmerte
und daraufhin von dem noch an seinem Mittelweg festhaltenden Rat mit Turmstrafe
belegt wurde. Daß "Kurzweil ohn' Maß und Ziel", die Geisteshaltung
der Jahreszeiten-Bilder, ja selbst eine weit darüber hinausschießende
unkontrollierte Sinneslust sich um 1530 in Augsburg mit zwinglischer Parteigängerschaft
und bilderstürmerischem Aktivismus verbinden konnte, zeigt besonders
eindrucksvoll Sigmund Welser, der sich als Mitglied der berühmten
Welser-Sippe und Anführer einer großbürgerlichen Jeunesse
dorée 1529 an der Zerstörung eines Kruzifixes und zweier von
seiner Familie gestifteten Altarretabeln in der Barfüßerkirche
beteiligt hatte und wenig später der "Sodomie" überführt
wurde. Unter diesem in der Regel mit dem Tod bestraften Verbrechen faßten
die Zeitgenossen alle ihnen widernatürlich erscheinenden Formen exzessiv-libertärer
Sexualität und Sinneslust zusammen. Dem katholischen Chronisten von
St. Ulrich und Afra gab das Gelegenheit zu einem bissigen Kommentar: "Aus
der lutherischen und Zwinglischen Sekt ist in Augsburg die sodomitische
Gesellschaft entsprungen".
Solange Auftraggeber und Besitzer der Bilder unbekannt
sind, verbietet es sich, eine direkte Verbindung zu bestimmten sozialen
Gruppen bzw. politischen, konfessionellen oder sonstigen Ereignissen herzustellen.
Immerhin läßt sich soviel festhalten, daß es dem Auftraggeber,
welcher Partei er auch letztlich angehören mochte, darauf ankam, die
religiöse und politische Zerrissenheit des Großbürgertums
und die akute Gefährdung seiner Führungsposition zu verbergen
hinter einem optimistischen Reigen von bunten gesellschaftlichen Auftritten
und lebenslustigen Vergnügungen. Darüber hinaus läßt
sich eine Hypothese für den merkwürdigen Verzicht auf religiös-kirchliche
Motive formulieren, von dem ungeachtet der Tatsache zu sprechen ist, daß
im Februar-Bild ein Trauerzug
und auf dem Dezember-Bild in der Hand eines Ratsherrn ein Rosenkranz
zu sehen sind, weil ersteres zum Turnierspiel gehören mag und letzteres
um 1530 noch nicht konfessionell besetzt war. Vor dem skizzierten konfessionssoziologischen
und gesellschaftlichen Hintergrund läßt sich das Fehlen kirchlicher
und religiöser Motive als Ausdruck reformiert-zwinglischer Bilderfeindlichkeit
deuten, die sich allerdings noch ganz auf das Sakralbild beschränkt.
Denn es steht eine ganze Welt zwischen den Augsburger Bildern und der puristisch-puritanischen
Mentalität, die sich in späteren Generationen im reformierten
Europa festsetzte, in Zürich und in Genf nicht anders als in England,
und die zugleich mit jeglicher Form von Sinnlichkeit die bunte Lebensfülle
von Kunst, Musik und Literatur stigmatisierte. In dem Jahreszeiten-Zyklus
spiegelt sich noch ganz die weltbejahende Aufbruchstimmung von Renaissance
und Humanismus Dies ist mit der frühzwinglischen Stimmung durchaus
vereinbar, war doch die rationale Lehre des humanistisch erzogenen
Züricher Leutpriesters in vielem der Spiritualität und Denkart
der Humanisten, der oberdeutschen zumal, gemäßer als die radikale
Religiosität des Wittenberger Mönchs.
Die historische Zugehörigkeit der Bilder zur Aufbruchphase
der Frühneuzeit ist ganz unabhängig von solchen kirchen- und
konfessionsgeschichtlichen Erwägungen eindeutig, auch wenn bestimmte
Partien formal-stilistisch erst der Zeit um 1600 zuzuschreiben sind und
sich dadurch als spätere Übermalungen zu erkennen geben. Denn
die Hauptszenen gehören zweifellos in die Zeit vor dem großen
Umschlag, der sich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts anbahnte und
der das Zusammenleben in Europa rasch veränderte. Besonders markant
war der Wandel in Augsburg, weil die Stadt nach dem Wiedererstarken des
Katholizismus infolge des kaiserlichen Sieges von 1547/48 über den
protestantischen Oppositionsbund von Schmalkalden gleichsam auf der politischen
und "ideologischen" Bruchlinie lag. Der Aufbruch der Reformation wurde
abgelöst durch die Konfessionalisierung, die auf Neuformierung, Abgrenzung
und Konfrontation aus war und einen Fundamentalprozeß in Gang setzte,
der Gesellschaft, Staat und Kultur tief umpflügte. Daraus resultierte
nicht zuletzt eine rigide sittlich-moralische Disziplinierung des Handelns
und eine orthodoxe Normierung des Denkens der Menschen in Stadt
und Land. Selbst die Stellung der Frauen in Familie und Öffentlichkeit
blieb davon nicht unberührt, so daß sich ihr Auftreten
und Verhalten gegenüber dem frühen 16. Jahrhundert nicht unwesentlich
veränderte. Das Zeitalter des oberdeutschen Handelskapitalismus fand
ein Ende, und eine neue nordatlantisch-baltische Weltwirtschaft mit Zentrum
in den Niederlanden bildete sich heraus, zu der Oberdeutschland noch zwei,
drei Generationen sekundären Zugang über die Landverbindung Frankfurt
am Main, Köln, Aachen, Antwerpen bzw. Amsterdam hatte, bevor es im
Zuge des Dreißigjährigen Krieges wirtschaftlich und kulturell
in die Zweit- und Drittrangigkeit absank. Der Optimismus und die Lebenslust
der Renaissance-Zeit schlug um in den Pessimismus und die Lebensangst einer
sozialpsychologisch tiefverwurzelten allgemeinen Krise des 17. Jahrhunderts.
All dies steht im Gegensatz zur Grundstimmung des Jahreszeiten-Zyklus.
Das ist nicht die neugefügte konfessionelle Welt der abgezirkelten
Parität und des bürgerlich frugalen, disziplinierten Lebensideals.
Hier dokumentieren sich der Optimismus, die Buntheit und die Lebensfülle
der Renaissance, die als vorreformatorisch zu charakterisieren ist, auch
wenn sie - was die Entstehungszeit anbelangt - chronologisch mitten in
den Kampf um die Kirchenerneuerung fällt. Nichts macht das deutlicher
als die üppige Badeszene auf dem Mai-Bild,
die für das Lebensgefühl der Renaissance nur zu natürlich
ist, sich mit dem moralischen Rigorismus und der disziplinierenden Sittenstrenge
des Konfessionalismus zum Ende des 16. Jahrhunderts aber ganz und gar nicht
verträgt. Und auch die gesellschaftliche Harmonie, die in den Bildern
auf der Basis der erwähnten stadtbürgerlichen Friedensnorm zum
Ausdruck kommt, entspricht nicht der weltanschaulichen Konfrontation in
einer Stadt, in der Katholiken und Protestanten seit 1555 durch formelle
Parität in Zwangstoleranz zusammenlebten und in der sich jene "unsichtbare
Grenze" herausbildete, die über zwei Jahrhunderte lang Trennung, Argwohn
und Feindschaft zementierte.
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