HEINRICH DORMEIER
Kurzweil und Selbstdarstellung
Die "Wirklichkeit"
der Augsburger Monatsbilder
Anmerkung
Wer kennt es nicht, jenes Gemälde aus dem 16. Jahrhundert
mit der Wiedergabe des Markttreibens
auf dem Perlachplatz und dem Auszug der Ratsherren aus dem Augsburger
Rathaus? Oft sind die lebensvollen Szenen in Schulbüchern abgebildet
und für praktische Übungen im Geschichts- und Kunstunterricht
herangezogen worden. In wissenschaftlichen und populären Darstellungen
der Kulturgeschichte gehört dieser Blick auf das winterliche Treiben
vor dem Augsburger Rathaus beinahe schon zum obligatorischen Bestand des
Abbildungsteils. Selbst philosophisch-naturwissenschaftliche Untersuchungen
verwenden dieses Gemälde als historische Folie für Überlegungen,
die um ganz andere Themen kreisen. In kulturhistorischen Ausstellungen
war es nur deswegen nicht häufiger zu bewundern, weil man die beiden
Versionen, die es von diesem Bild gibt, aus unterschiedlichen Gründen
schwer ausleihen konnte. Das ältere Gemälde befand sich lange
im Privatbesitz, eine Kopie ist im Augsburger Maximilianmuseum sozusagen
"fest installiert" und nicht transportfähig.
Die häufige Reproduktion und die Popularität
dieses großen Stimmungsbildes aus dem 16. Jahrhundert haben aber
nicht unbedingt zu einem besseren Verständnis der Darstellung beigetragen,
sondern dieses eher verhindert.
Das Augsburger Bild ist vielmehr das Musterbeispiel einer
scheinbar allgemein bekannten, im Grunde aber unbekannten und in mancher
Hinsicht rätselhaften kulturhistorischen Quelle. Obwohl die Schildchen
mit den Monatsbezeichnungen "October, November, December" überdeutlich
auf das Bildprogramm und die dazugehörigen drei weiteren Gemälde
verweisen, ist der Zyklus nur selten vollständig abgebildet worden.
Der Zusammenhang dieses isolierten Schlußbildes
wird in der Regel nicht einmal in den Bildunterschriften erläutert.
Der notwendige Kommentar müßte nicht nur die drei übrigen
Gemälde der Bildfolge, sondern auch die zwölf Scheibenrisse Jörg
Breus d. Ä. einbeziehen, die als direkte Vorlage gedient haben. Das
fälschlich so genannte "Winter"-Bild ist aber auch deswegen rätselhaft,
weil wir so gut wie nichts über Maler, Auftraggeber und den früheren
Standort der Bilderfolge wissen.
Auftraggeber und früherer Standort der Monatsbilder
Auftraggeber, Maler und ursprünglicher Standort der
Monatsbilder sind bislang weder aus archivalischen Quellen noch aus den
Bildern selbst einwandfrei zu ermitteln. Die Wappen und Monogramme, die
Architektur und die Landschaft der Monatsbilder geben darüber nur
bedingt Aufschluß. Soviel steht jedoch fest: Die Vorlagen der Monatsbilder,
das heißt die Monatsscheiben bzw. die Scheibenrisse Jörg Breus
d. Ä., hat der Augsburger Patrizier Georg II Höchstetter (1479-1534)
vor 1521 in Auftrag gegeben. Die großformatigen Monatsbilder gehen
sicher ebenfalls auf die Initiative eines Angehörigen der ratsfähigen
Geschlechter zurück, deren Vertreter
auf dem Dezember-Bild dargestellt sind. Manches spricht für die Familie
Rehlinger als Auftraggeber. Das Wappen dieser Familie ist auf dem Schlitten
im Zentrum des "Winter"-Bildes, also an exponierter Stelle, wiedergegeben.
Ulrich Rehlinger war zudem von 1525 bis 1535 in allen ungeraden Jahren,
also auch 1531, Bürgermeister der Reichsstadt. Im selben Jahr fanden
gleich vier Heiraten männlicher Familienmitglieder statt - die Gemälde
könnten durchaus zur Erinnerung an diese festlichen Ereignisse entstanden
sein. Welchen Rang die weitverzweigte Familie damals in Augsburg hatte,
zeigt auch eine kurze Notiz Clemens Jägers im Entwurf des Fuggerschen
Ehrenbuchs: Während er bei den Wappen ansonsten jeweils die Wappenfarben
angibt, begnügt er sich beim Rehlinger-Wappen mit der Feststellung
"Colores omnibus noti" (Die Farben sind allgemein bekannt). Allerdings
ist nicht auszuschließen, daß sich das Wappen konkret auf die
Frau im Schlitten bezieht. Dann kämen etwa auch Anna Rehlinger, die
Gemahlin Anton Fuggers, oder eine andere Dame aus dem Rehlinger-Geschlecht
in Betracht.
Der ursprüngliche Standort und das spätere Schicksal
der Bilder sind leider ebenfalls nicht sicher zu ermitteln. Das muß
nicht nur angesichts der Größe der Bilder überraschen.
Denn seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts haben gelehrte
Köpfe und Augsburger Künstler mit großem Sammeleifer Nachrichten
und Bilder der älteren und jüngeren Stadtgeschichte zusammengetragen
und der Nachwelt überliefert. Nachzeichnungen aus dem Turnierbuch
Marx Walthers im Confectbuch des Jeremias Schemel, die Reihe der Familienstammbücher,
die Chronik Marcus Welsers sowie in späterer Zeit die Radierungen
Wilhelm Peter Zimmermanns und die Geschichtswerke des Paul von Stetten
sind ein beredtes Zeugnis dafür.
Die Kopie des "Winter"-Bildes im Maximilianmuseum ist
eine Frucht dieser Bemühungen. Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts
befand sich dieses Bild im Sitzungszimmer des neuen Rathauses, bevor es
in das Maximilianmuseum gelangte. Und nur auf dieses Bild beziehen sich
die ersten Erwähnungen in der älteren Literatur. Wilhelm Peter
Zimmermann hat sich am Anfang des 17. Jahrhunderts an diesem Gemälde
orientiert, als er seine Radierung über den "Perlachplatz anno 1520"
anfertigte. Seine Datierung kann sich freilich nur auf die Vorlagen des
"Winter"-Bildes beziehen, stellt also einen bisher unbeachteten Hinweis
auf die Entstehung der Scheibenrisse dar. Hätte er die übrigen
drei Bilder gekannt, hätte er diese vermutlich in ähnlicher Weise
aufgegriffen.
Wo das Bild ursprünglich hing, erfahren wir einige
Jahrzehnte später von Paul von Stetten d. J., dem besten Kenner der
Augsburger Geschichte (1731-1808). Dieser schreibt in seiner Kunstgeschichte
der Reichsstadt Augsburg über den Maler Heinrich Vogtherr, der 1541
archivalisch in der Reichsstadt nachweisbar ist: "Mit Gewißheit wüßte
ich kein Gemälde von ihm anzugeben, doch möchte er wohl diejenigen
großen Stücke, die in dem izigen sogenannten großen Baugarten
stunden, als er noch den Fuggern gehörte, und wovon nur noch eines
daselbst zu sehen ist, gemalet haben .... Das "Winter"-Bild, das hier nur
gemeint sein kann, hing also im ehemaligen Fuggerschen Baugarten, bevor
es ins Rathaus gelangte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte Jacob Fugger
zwei Häuser nebst Garten gekauft und zu einem "Lusthaus mit Wasserwerk"
umbauen lassen. 1532 war das Grundstück im Besitz Anton Fuggers, Ende
des 16. Jahrhunderts Marx Fuggers, danach Philipp Eduard Fuggers, der es
1656 der Stadt überließ. Der "Baugarten" in der Jakober Vorstadt
zwischen Gänsbühl und Hasengasse ist auf mehreren Stadtansichten
des 16. bis 18. Jahrhunderts zu erkennen. Unsere Monatsbilder
könnten durchaus in solchen "Lusthäusern" inmitten von Gärten,
die einige reiche Familien um 1520 anlegen ließen, gehangen haben.
Mit größerer Wahrscheinlichkeit aber haben sie den Festsaal
eines der Landsitze und Schlösser der weiteren Umgebung geschmückt,
auf die sich die Augsburger Patrizier in jenen Jahrzehnten zurückzogen.
Die Fugger richteten sich in Weißenhorn, Babenhausen und anderen
Schlössern ein. Für die Ausstattung der Räume kamen sicher
auch Monatsdarstellungen in Frage. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts sind
zum Beispiel in Kirchberg und Bobingen gleich mehrere Monatsserien nachweisbar,
und zwar wie bei den Monatsbildern des Deutschen Historischen Museums jeweils
drei Monate auf einer Tafel. Mitglieder der RehlingerFamilie erwarben im
15. und 16. Jahrhundert sage und schreibe vierzehn Schlösser, darunter
etwa Hainhofen, Ottmarshausen und Untermeitingen. 1559 waren allerdings
nur noch fünf von ihnen in Familienbesitz (Schornack, Friedberg, Meringen,
Lichtenberg, Haldenberg). Neben den überlieferten Augsburger Geschlechtertänzen
könnten auch hier Monatsbilder zu bewundern gewesen sein.
Wie Zimmermann bezog sich auch Paul von Stetten lediglich
auf das "Winter"-Bild. Auch in seinen kulturhistorischen Erläuterungen
über das Turnierwesen in Augsburg erwähnt er etwa das Turnierbild
mit keinem Wort. Mitte des 17. Jahrhunderts war in Augsburg nur noch ein
Bild aus der Monatsbilder-Serie bekannt, nämlich das "Winter"-Bild,
das später ins Rathaus gelangte. Lediglich das letzte Monatsbild und
nicht etwa der gesamte Zyklus dürfte im 16. Jahrhundert in Augsburg
kopiert worden sein.
Die vollständige Monatsbilder-Folge ist vom 16. bis
zum 19. Jahrhundert nirgends im Druck erwähnt. Erstmals weist Robert
Stiassny in seinem Beitrag über Jörg Breu von 1893 auf die Gemälde
hin, die sich damals bereits in Wittelsbacher Besitz, auf Schloß
Leutstetten am Starnberger See, befanden. Allerdings kennt er die Gemälde
nur vom Hörensagen. Julius Baum dürfte der erste Kunsthistoriker
gewesen sein, der die Bilder ebendort zu Beginn dieses Jahrhunderts
inspiziert hati. Das Schloß Leutstetten erwarb Prinz Ludwig von Bayern,
der spätere König Ludwig III., erst 1875. Die Akten der Hof-
und Vermögensverwaltung des Prinzen Ludwig (III.) sind 1944 verbrannt.
Daher ist auch ein Leutstettener "Inventar aus dem Beginne des 19. Jahrhunderts"
vermutlich verloren, das Julius Baum 1923 noch zu Rate ziehen konnte. 1955
befanden sich die Gemälde auf Schloß Nymphenburg in München,
bevor sie schließlich auf Schloß Sünching bei Regensburg
gelangten und vor wenigen Jahren vom Deutschen Historischen Museum in London
ersteigert werden konnten.
Bildprogramm, Originalität und Realität
Auf den Monatsbildern überschneiden und vermischen
sich im wesentlichen drei Entwicklungsstufen des Bildprogramms: der traditionelle
Kanon der Monatsdarstellungen, die partielle Umgestaltung dieses Musters
in den Scheibenrissen Breus Anfang der 20er Jahres des 16. Jahrhunderts
und schließlich die ureigene Bildersprache der großformatigen
Gemälde mit ihren Neuerungen gegenüber dem traditionellen Schema
wie auch gegenüber der direkten Vorlage.
Das althergebrachte Bildprogramm ist auf dem Augsburger
Bilderzyklus in dreifacher Hinsicht wirksam geworden: in der formalen Gestaltung,
in der Auswahl der Einzelmotive und in der harmonisierenden Grundtendenz.
Die zwölf Monate sind auf jeweils drei Bildzonen der vier Gemälde
verteilt worden. Dieses konservative Grundprinzip wird noch durch die
Monatsbezeichnungen auf den weißen Schildchen betont. Daß die
Monatsnamen lateinisch wiedergegeben werden, unterstreicht die Bindung
des Bildprogramms an die Kalendarien der Stundenbücher. Thematisch
halten sich die Scheibenrisse noch etwas enger an die tradierte Motivauswahl
und deren Abfolge als die Gemälde.Gängige Themen der Monatsdarstellungen
sind das Festmahl
im Januar, die Kahnfahrt ausgelassener junger Leute im April, das Maienbad,
das Heumachen
im Juni, die Getreideernte
im Juli, die Herstellung und das Dichten der Fässer und die Weinkelter,
die Versorgung mit Brennholz und das Schweineschlachten
im November/Dezember. Nicht zufällig haben sowohl die Scheibenrisse
als auch die Monatsbilder vor allem in den Frühjahrs- und Sommermonaten
die üblichen Vorlagen nachgeahmt. Auch in den Zyklen der Stundenbücher
bilden die Maivergnügen, die Erntearbeiten im Sommer, die Weinlese
im Herbst und das Mahl im Winter sozusagen die Konstanten des Bildprogramms.
Einige dieser regelmäßig wiederkehrenden Szenen repräsentierten
zugleich die entsprechenden Jahreszeiten. Die April-
und Mai-Szenen mit den singenden, musizierenden und flirtenden Paaren
und Gruppen sowie den Badefreuden im Freien knüpfen zudem an verwandte
Themen wie die des Jungbrunnens oder des Liebesgartens an. Sie entsprechen
bis auf die linke Gruppe mit dem Narren den gängigen Vorstellungen,
wie sie auch in den Mai-Versen im Kalender Blaubirers von 1483 zum Ausdruck
kommen:
"Hie komme ich stoltzer may
Mit klugen blumen manigerlay
In disem monat man auch baden sol
Tantzen, singen, springen und leben wol".
Angesichts der Tradition des Bildprogramms überrascht
also nicht die Wahl des Motivs, aber vielleicht doch die Art und Weise,
wie das Maienbad dargestellt ist: die Badegäste tummeln sich in einem
großzügigen Wild- oder Mineralbad, das zentral und vielleicht
nicht von ungefähr in der Bildmitte plaziert ist. Vielleicht ist diese
Komposition ein schwacher Reflex des Zeitgeschmacks, des verstärkten
Besuchs von Wildbädern, dem auch die anschwellende Bäderliteratur
Rechnung trägt. Im übrigen sieht es so aus, als ob der Maler
bewußt alt und jung, Personen jeden Alters, in dieser Badeszene vereinigen
wollte. Für die Kleinen
war das Maienbad ein wohliges Vergnügen, für die jungen Erwachsenen
eine Art Liebesbrunnen und Ort der Ausgelassenheit, für die Alten
sollte es zum Jungbrunnen werden. Die Heumahd im Juni und die Kornernte
im Juli gehören zu den Standardszenen des Bildprogramms. Auch die
Weinlese und die Zubereitung der Weinfässer durch die Böttcher,
die die Faßreifen auf die Bütten treiben, waren konventionelle
Themen. Das bedeutet jedoch nicht, daß die realen Lebensumstände
auf diesen Bildern völlig ausgeblendet waren. Die Vorlagen für
die bemerkenswert früh angesetzten Arbeiten im Weinberg könnten
zum Beispiel aus ausgesprochenen Weingegenden stammen. Daß man auch
in Augsburg zu Beginn des 16. Jahrhunderts an dem Thema besonders interessiert
war, zeigt etwa die Augsburger Übersetzung eines Traktats von Arnoldus
de Nova Villa: "Ain loblicher Tractat von beraitung und brauchung der wein
zu gesunthayt der menschen". Andererseits wird der unverzeihliche Irrtum
des Malers, der die Arbeit der Faßbinder
und die Weinlese anders als auf den Scheibenrissen in verkehrter Reihenfolge
wiedergibt, noch schwerer verständlich, wenn jener die Abfolge dieser
Arbeiten sozusagen vor der Haustür hätte beobachten können.
Jagddarstellungen, insbesondere der Ausritt zur Falkenjagd im Frühjahr,
gehören zum festen Repertoire der Monatsbilder. Auf den Augsburger
Monatsbildern ist dieser aristokratische Zeitvertreib jedoch gleich mehrfach
hervorgehoben: Im April erscheinen zwei
Patrizier in prächtigen Jagdröcken vor einer jungen Dame
stolz mit ihrer Jagdbeute, einem Fuchs und einem Hasen; in einer kleinen
August-Nebenszene entfernt sich ein Falkner mit seiner Gesellschaft auf
einem Segelboot.
Im Juli erleben wir im Vordergrund die Wachteljagd,
im Hintergrund die Reiherbeize,
beides ein Freizeitsport der bürgerlichen Oberschicht und des Adels.
In den Wintermonaten treten dagegen Berufsjäger oder Bauern auf den
Plan. Im Mittelgrund der Weinlese im August sind wie schon auf dem entsprechenden
Scheibenriß Netze zum Vogelfang ausgestellt. Auf dem Oktober-Bild
verhandelt ein Jäger
oder Fallensteller mit dem wohlhabenden Ehepaar in der Wohnstube über
seine Beute, das heißt offenbar über Rebhühner und einen
Hasen, den er über der Schulter trägt. Derweil bietet ein anderer
Jäger draußen auf dem Markt ganze Schinkenteile von Wildbret
feil.
Es ist sicher kein Zufall, daß die Jagdszenen auf
den Monatsbildern nachdrücklicher hervorgeboben werden, als es das
Bildprogramm verlangt. Der Umstand ist vielmehr ein Indiz für die
gesellschaftliche Bedeutung dieses aristokratischen Vergnügens. Das
Waidwerk stand nämlich auch in bürgerlichen Kreisen hoch im Kurs.
Zum Grundbesitz der Patrizier gehörten ausgedehnte Jagdreviere. Die
Brüder Langenmantel vom Sparren richteten um 1500 auf ihren Besitzungen
in der Möhringerau festliche Jagdveranstaltungen zu Ehren der Gemahlin
Maximilians I. aus.
1506 erlaubte Maximilian I. den Augsburger Geschlechtern,
in den Gehölzen am Lech drei Hirsche mit der Armbrust zu erlegen.
Nach dem erfolgreichen Abschuß luden die hochgestimmten bürgerlichen
"Jäger" den Kaiser, die Fürsten, das Domkapitel und andere hochrangige
Besucher zu einem festlichen Bankett, an dem 32 Tische besetzt wurden,
und zu einem anschließenden Tanz auf dem Tanzhaus ein. 1538 hören
wir von Händeln um die Jagdgerechtigkeit zwischen dem Augsburgischen
Hauptmann Sebastian Schertlin und Hans Adam von Stein. Wildbret war ein
bevorzugtes Geschenk bei Hochzeiten, sowohl in den Augen der Empfänger
als auch aus Sicht der großzügigen Schenker, die als Inhaber
der begehrten Jagdprivilegien damit zugleich ihren hohen Stand demonstrieren
konnten.
Wie beliebt die Jagd und das Thema in der Augsburger Oberschicht
waren, das belegen die Beispiele aus dem Bereich der bildenden Kunst. Am
eindrucksvollsten ist zweifellos das Fresko der Hirschjagd im Pfettnerhaus.
Häufig erscheint das Motiv auf Glasscheiben, wie die Venatio auf einer
Rundscheibe und Scheibenrisse Jörg Breus d.Ä. belegen. Selbstverständlich
ist die Falkenjagd auch in Miniaturen des Herwartschen und Fuggerschen
Ehrenbuches festgehalten. Selbst im Gebetbuch des Matthäus Schwarz
stößt man auf Jagdmotive.
Im Bücherschrank der Oberschicht dürfte auch
das Jagdbuch des Petrus de Crescentiis nicht gefehlt haben, das damals
in Augsburg neu aufgelegt wurde. Andere Schriften informierten speziell
über die Beize, "auch wie man den habich dazu gewenen sol, auch wie
man erkennen sol ein guten habich". Verschiedene Jagdarten bildete Hans
Weiditz auf einem Holzschnitt in der deutschen Ausgabe von Ciceros "De
officiis" ab.
Jakob Rehlinger, also ein Vertreter derselben Familie,
die vermutlich die Monatsbilder in Auftrag gegeben hat, bestellte in Antwerpen
unter anderem ein Gobelinmuster des Monats "September" (81/2 Ellen lang,
61/4 Ellen hoch, festgesetzt auf 11.343 3/4 Dukaten), das er mit Hilfe
seiner flämischen und venezianischen Geschäftspartner nach Konstantinopel
transportieren und dort verkaufen wollte. Das Stück war Teil einer
Serie von Jagdszenen, die auf die zwölf Monate des Jahres verteilt
waren.
Unumstritten war dieses Privileg des Adels und des Patriziats
nicht. Gesellschaftskritische Töne werden zum Beispiel in einem Streitgespräch
zwischen einem Jäger und einem Bauern laut, das auf einem Augsburger
Holzschnitt von 1535 nachzulesen ist. Darin wehrt sich der Bauer gegen
die ihm aufgebürdeten Lasten der Jagd und bemerkt, daß es unter
allen Heiligen nur einen Jäger gegeben habe, und der habe sich rechtzeitig
bekehrt. Rechtschaffener Broterwerb sähe anders aus: "Wen gute Arbeit
schwächen tut, mag wohl mit Jagen suchen Mut" [= Vergnügen];
der Teufel habe jedenfalls seine helle Freude daran, wenn jemand auf Kosten
armer Leute der Jagdlust fröne.
Die "Frühlings"- und "Sommer"-Gemälde halten
sich also sehr viel enger als die beiden anderen Bilder an die vorgegebenen
Themen. Vereinfacht ausgedrückt scheinen in den vier Bildern zwei
unterschiedliche Konzepte verwirklicht zu sein. Zwei Gemälde sind
den konventionellen, die anderen beiden den originellen Themen reserviert.
Merkwürdigerweise und vielleicht nicht zufällig entsprechen dieser
thematischen Zweiteilung auch gewisse stilistische Unterschiede zwischen
den "Winter"- und "Sommer"- Bildern.
Gleichmäßig korrekt und mit viel Liebe zum
Detail hat der Maler die Realien wiedergegeben und die vier Bilder zu einer
Fundgrube der Alltagskultur des 16. Jahrhunderts gemacht. Kulturgeschichtlich
besonders interessant ist das Interieur der bürgerlichen Wohnstuben:
Das Januar-Bild
ist eines der wenigen süddeutschen Bildbeispiele eines Festmahls in
einem Patrizierhaus oder einem öffentlichen Versammlungsraum. Ins
Auge fallen der wuchtige Kachelofen, der Waschbrunnen, die raffinierte
Holzkassettendecke, die Kredenz mit dem kostbaren und repräsentativen
Geschirr
und die eleganten Fensterstreben. Auf dem Tisch sind nicht nur Braten und
zierliche Dessertbehälter, sondern sogar bunte, gedrehte "Honigröhren"
und Konfektstäbchen zu entdecken, die als verdauungsfördernd,
hilfreich gegen Trunkenheit und verschiedenes mehr galten. In zeitgenössischen
Gesundheitsbüchern sind solche Gewürze und Leckereien abgebildet
und deren Eigenschaften und Wirkungsweise minuziös beschrieben.
Die Wohnstube im Oktober
ist kaum bescheidener ausgestattet. Man erkennt den Stuhl und das Baldachinbett,
die schwere verzierte Tisckdecke, den gewölbten Spiegel an der Wand,
den Waschschrank und die etwas einfachere Balkendecke. Der Hausherr sitzt
auf einem Schemel mit fein gedrechselten Beinen.
Beachtenswert ist auch der Planwagen
im Mittelgrund des April-Bildes; genauer und aus anderer Perspektive ist
die Konstruktion dieser Wagen auf dem Holzschnitt von Jörg Breu d.
Ä. über die Belehnung König Ferdinands bei Wellenburg (1530)
zu sehen. Demgegenüber läßt es die Abbildung der Weinpresse
auf dem August-Bild kaum zu, den technischen Vorgang der Weinkelter nachzuvollziehen.
Naturgetreu nachgemalt sind wieder andere Geräte
und Utensilien wie die Forken mit Quersteg und Eisenzinken (Juli).
Das traditionelle Bildprogramm wirkt auch in solchen Kleinigkeiten
nach. Nicht nur die meisten Hauptmotive, sondern auch viele Details gehen
nämlich auf das überkommene Repertoire zurück. Manche Einzelheit,
die man auf den ersten Blick für eine spontane Bildidee des Malers
halten könnte, ist längst mehr oder weniger fester Bestandteil
der entsprechenden Szene gewesen: der Kachelofen im Januar, die Katze
auf dem Ofen und die Hunde vor der reichgedeckten Tafel, Mann und Frau,
die gemeinsam auf einem Pferd sitzen (August), der Schafhirte mit seinem
Dudelsack (April), der Mann
im Apfelbaum während der Obsternte im September oder auch die
Frau im Vordergrund
des Oktober-Bildes mit dem flachen Obstkorb auf dem Kopf .
Obwohl die meisten Hauptszenen und die genannten Einzelmotive
eng an die gewohnten Genreszenen anknüpfen, haben die Monatsbilder
auf den ersten Blick wenig mit dem traditionellen Bildprogramm gemein.
Man stelle sich nur einmal vor, auf den Bildern fehlten die weißen
Schildchen mit den Monatsbezeichnungen! Wer würde dann auf Anhieb
erkennen, daß es sich hier um die Darstellung der zwölf Monate
handelt? Daß die Bilder einen anderen Eindruck als die meisten Monatszyklen
vermitteln, liegt weniger an der Zusammenfassung von jeweils drei Monaten
zu relativ geschlossen wirkenden Gesamtszenen, sondern an zwei anderen
Besonderheiten: erstens natürlich daran, daß einige Szenen eindeutig
vom herkömmlichen Kanon der Monatsbilder abweichen. Manche dieser
Motive hat der Maler wie die Standardszenen gleichfalls aus seinen direkten
Vorlagen, den Scheibenrissen, übernommen: den Verkauf
von Geflügel im Oktober, die Marktszene
im November und den Auszug der Ratsherren
im Dezember. Neu sowohl im Vergleich mit dem üblichen Bildprogramm
als auch gegenüber den Entwürfen Breus ist die große Turnierszene,
die das gesamte für Februar und März reservierte Bildfeld einnimmt.
Auf Kosten der normalerweise streng durchgehaltenen Monatsgliederung ist
hier ein Bildthema, das auf dem Scheibenriß im Hintergrund der Januar-Szene
nur vage angedeutet wurde, so breit wie kein anderes ausgeführt. Diese
Turnierdarstellung
stellt eine entscheidende Änderung der Konzeption der Scheibenrisse
dar, die sicher auf den besonderen Wunsch des Auftraggebers zustande gekommen
ist. Die beiden "originellen" Gemälde werden weiter unten eingehend
zu besprechen sein.
Der überraschende Gesamteindruck hängt aber
auch mit den ungewöhnlich figurenreichen und lebendigen, um nicht
zu sagen überladenen Einzelszenen zusammen. Wie in den Scheibenrissen
sind sämtliche Szenen aus mehrfigurigen Einzelgruppen zusammengesetzt.
Aber formal und qualitativ unterscheidet sich die figurenreiche und lebhafte
Schilderung auf den vier Monatsbildern von der direkten Vorlage. Schon
auf einigen der zwölf Einzebilder - etwa im Februar, Juli, September
- waren einzelne Patrizier auffällig im Bildvordergrund plaziert.
Nun aber rücken sie noch stärker in den
Vordergrund. Nicht auf die Getreideernte, sondern zunächst auf die
Wachteljagd
der vornehmen Bürger fällt etwa im Juli der Blick des Betrachters.
Sogar rein zahlenmäßig sind die vornehmen Damen und Herren jetzt
- anders als auf früheren Monatszyklen - eindeutig in der Mehrheit.
Der Lebensrhythmus und die Selbstdarstellung der Patrizier gewinnen thematisch
die Oberhand über die Feldarbeiten des Landvolks.
Der Eindruck wird verstärkt durch die Kleiderpracht,
die auf den Bildern vorherrscht. Farben, Variationsbreite, sorgfältige
Ausführung und Schmuck der Kleidung dominieren so sehr, daß
sie den Zuschauer in den Bann ziehen und von den eigentlichen Monatsbeschäftigungen
ablenken. "Meid jetzt der neuen Kleider Tracht, Lädt man dich ein,
nimm dich in acht." So empfiehlt es der Kalender Albrecht Glockendons für
den Monat Juli. Die Augsburger und auch der Maler haben solche Merkverse
in den Wind geschlagen. Für sie galt eher der Satz: "Hoffart ist überall
Sünde, in Augsburg aber gehört sie zum Wohlstande".
Hier und da sind spanische, italienische und französische
Besonderheiten übernommen worden. Die Teilnehmer der Festgesellschaft
auf dem Januar-Bild
sind erwartungsgemäß besonders fein herausgeputzt: Der links
am Tisch sitzende Mann, vielleicht der Gastgeber, trägt unter einem
dunkelbraunen Pelzrock ein prächtiges Wams aus Damast, das mit einem
Rankenmuster in Gold und Schwarz gewebt ist. Aus dem Halsausschnitt lugt
der Faltenrand eines weißen Hemdes hervor. Das Barett auf dem Kopf
ist mit Pelz besetzt. Demgegenüber ist sein Gesprächspartner
mit einem schlichten schwarzen Wams bekleidet, auf dem die schräg
über die Schulter getragene goldene Gliederkette besonders gut zur
Geltung kommt. Eine netzartige goldene Haube hält das Haar über
der Stirn in einem Wulst zusammen.
Der Herr rechts neben den beiden Hauptfiguren hat eine
prächtige gelbe Schaube mit einem farblich dazu passenden Tellerbarett
kombiniert, während das moosgrüne Kleid seiner Dame italienischen
Schnitt und Chic verrät. Die linke Lautenspielerin an der Vorderseite
der Tafel mit dem breitrandigen roten Barett auf dem Kopf trägt über
Rock und Oberteil den sogenannten Goller, einen in diesem Fall hochgeschlossenen
runden Kragen, der Schulter und Ausschnitt bedeckt und dekorativ mit zwei
schweren Goldketten behängt ist. Nur diese Schmuckformen und das Material
bezeichneten Standesunterschiede, während der Goller an sich ein Allerweltskleidungsstück
war. Unter dem Obergewand der Lautenspielerin wird der gekräuselte
weiße Hemdkragen sichtbar. Noch deutlicher sind diese gekräuselten
Rüschen an den Hemden der Kartenspielergruppe im Mittelgrund betont
- ein Detail, das erst seit den 30er Jahren häufiger zu beobachten
ist und als Vorläufer der späteren Halskrause, der Kröse,
gilt
Das vornehmste Obergewand bei Männern wie bei Frauen
war die mantelartige Schaube. Mit einem dekorativen Besatz aus Pelzen oder
anderen kostbaren Stoffen verbrämt, kam sie in verschiedenen Längen
und Farben vor. Nur die repräsentativen Schauben der Ratsherren reichten
in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts noch bis auf den Boden (Dezember).
Wichtigste Zusatzausstattung war natürlich der Pelzkragen, der fast
völlig die Schultern bedecken konnte. Neben dem hier vorherrschenden
Schnitt mit den weiten bauschigen Ärmeln, die zuweilen mit einer zweiten
Öffnung in Höhe der Ellenbogen kombiniert waren, gab es auch
kurze Puffärmel, die nur den Oberarm bedeckten.
Die Augsburger
Bürgerin, die im November den Perlachplatz überquert, trägt
ähnlich wie die Ratsherren im Vordergrund eine kostbare helle pelzverbrämte
Schaube; die Hände wärmt sie in den weiten Ärmeln ihres
Kleides, die durch die Hängeärmel der Schaube geführt sind.
Das um den Kopf geschlungene, das Kinn verhüllende "Bündlin"
ist zwar etwas altmodisch, könnte aber auch konservative Attitüde
einer Dame aus besserem Hause sein. Die althergebrachte Form der hohen
Haube hat sich noch in der (Trauer-?)Gewandung der Frauen in der Nähe
des Beerdigungszuges
im Mittelgrund des Februar gehalten.
Auffällig oft bestimmen Männer im ritterlichen
Waffenrock oder Faltrock die Szenerie. Dieser Rock
war um 1530 zwar eher ein "Auslaufmodell", aber aus praktischen Erwägungen
als Reitrock (Juli, November), bei der Jagd (April) und bei anderen Aktivitäten
beliebt. Mi-parti-Kleidung mit verschiedenen Farben für die beiden
Körperhälften und gestreiften Hosenbeinen ist in der reinen Form
und in der ursprünglichen heraldischen Bedeutung vor allem bei den
drei Stadtdienern
verwirklicht (Dezember). Die Augsburger Stadtfarben Weiß-Grün-Rot
verleihen ihnen und den Ratsherren zusätzliche Autorität. Ansonsten
hat sich diese Art der zweifarbigen Kleidung noch im Narrenkostüm
erhalten und wird sozusagen durch die Schlitzung der Oberbekleidung und
die andersfarbige Unterfütterung fortgeführt, wie sie im Januar
der "Kellner"
am Wappenschemel zeigt.
Eher zurückhaltend ist auf den Gemälden eine
andere typische Eigenheit der Männerkleidung dargestellt: der plastisch
ausgearbeitete Hosenlatz,
die sogenannte Braguette. Vielleicht nicht zufällig ist sie nur bei
dem jungen Mann im Vordergrund des Mai-Bildes etwas deutlicher hervorgehoben,
während sie sonst unter Schoßwams, Rock oder Schaube verschwindet.
An der genannten Figur ist auch am besten die vorn breite Schuhform der
sogenannten Kuhmäuler zu erkennen.
Ein modisches Accessoire, das sich zeitlich auf wenige
Jahre eingrenzen läßt, waren die Kniebänder, die kreuzweise
um die Kniescheibe gebunden wurden. Das gekreuzte Knieband war eine Vorstufe
der Unterteilung des Beinkleides in gebauschte Oberschenkelhose und Strumpf.
Matthäus Schwarz hat diese modische Neuheit von 1529 bis 1533 zur
Schau getragen. Einer der beiden Herren links vor den Kramläden unter
dem Perlachturm auf dem November-Bild
folgt gleichfalls dem neuesten Modetrend. Wie Matthäus Schwarz scheint
er stolz auf den kurzen Mantel, die sogenannte spanische Kappe, und die
kreuzweise gebundenen Strumpfbänder zu sein. Weniger elegant wirkt
die Kombination der gekreuzten Bänder mit dem Faltrock auf der Ernteszene
im Juli.
Überhaupt hat der Maler sich weitgehend an der damals
herrschenden Männer- und Frauenmode orientiert. Auch die übrige
Kleidung paßt gut in diese Zeit. Diesbezüglich gibt es also
keinen Grund, daran zu zweifeln, daß die Augsburger Monatsbilder
tatsächlich um "1531" entstanden sind. Wenn manche Details etwas altmodisch
erscheinen, dann hat das einen einfachen Grund: Wichtiger als die historisch
korrekte Wiedergabe scheint dem Maler die Abwechslung gewesen zu sein.
Man vergleiche nur die höchst unterschiedlichen Kopfbedeckungen auf
den einzelnen Gemälden. Die Barette sind entweder flach mit steifen
Krempen oder bestehen aus mehreren weichen Stofflagen und sind geschlitzt.
Sie waren aus Tuch, Samt, Damast, Leder oder Wolle und konnten mit Pelz,
Federn und anderem Zierat geschmückt sein. Mit einer Brosche oder
Ähre ist etwa die Unterseite der Krempe des Baretts verziert, das
sich der junge Mann im Vordergrund der Mai-Szene
absichtlich schief auf den Kopf gesetzt hat. Auf den "Herbst"-und "Winter"-Bildern
sind auch einige Barette mit Ohrenklappen zu entdecken. Oft wurden diese
Barette, die im Laufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer
kleiner wurden, an einer netzartigen Haube am Kopf befestigt. Diese sogenannten
Kalotten, die man auch wie die Herren auf dem Januar-Bild
und im Vordergrund der Mai-Szene ohne zusätzliches Barett tragen konnte,
bestanden oft aus wertvollem golddurchwirktem Seidengarn. Solche Gold-
und Silberhauben waren natürlich der Oberschicht vorbehalten. Man
vermißt allerdings das winzige ovale Barett, das "klein spanisch
hütlein", das auf den Holzschnitten Breus vom Einritt Karls V. in
Augsburg 1530 zu sehen ist. Offenbar "fingen die Manus-Personen zu Augsburg
[erst um 1540] an, kleine leinene Barette wie die Spanier zu tragen".
Gegenüber den Scheibenrissen Jörg Breus hat
der Maler die Kostüme auf den Monatsbildern in zweifacher Hinsicht
weiterentwickelt: Er hat die Kleidung auf den gut zehn Jahre alten Vorlagen
dem Zeitgeschmack angepaßt und sie zudem prächtiger ausgeführt.
Dies läßt sich besonders gut an dem wohlhabenden Paar auf der
Oktober-Szene
beobachten: Der Mann trägt statt der hautengen Beinlinge eine kurze
ballonartige schwarzgelbe Hose, auf die die ebenfalls in mi-parti gehaltenen
Strümpfe und die goldene Kalotte abgestimmt sind. Dazu paßt
ein schwarzer Goller, der in Farbe und Schnitt, mit dem kleinen Schößchen,
den angeschnittenen kurzen Ärmeln und dem ausgeprägten Kragen
der neuesten Mode entspricht. Seine Frau hat sich ebenfalls "umgezogen":
Statt des tief ausgeschnittenen Kleides des Scheibenrisses trägt sie
nun unter dem schwarzen Mieder ein hochgeschlossenes Hemd; die Manschetten
der hautengen überlangen Ärmel sind modisch umgeschlagen. Auch
die Goldkette um den Hals ist neu hinzugekommen.
Die Kleidung der Landarbeiter
und der einfachen Leute ist natürlich weniger aufwendig und war nicht
dem raschen Wechsel der Mode unterworfen. Die charakteristischen Bestandteile
blieben über Jahrzehnte hinweg gleich: das einfache, meist kurze Wams,
die schlecht sitzenden Hemden, die relativ engen Hosen, die mit Nesteln
verknüpft waren, die langen Röcke der Frauen, die hier und um
der größeren Bewegungsfreiheit willen über der Hüfte
zu einem Wulst zusammengebunden wurden (Juni), Schürzen zum Schutz
der Oberbekleidung, Stroh- und Filzhüte, der bis über die Knöchel
geschlossene Leder- oder Bundschuh (Juni). Aber auch bei der Kleidung der
Landleute hat sich der Maler um Abwechslung bemüht. Das zeigt sich
etwa bei der Kleidung der Frauen, die im Juni bei der Heumahd mithelfen.
Die hübschen kleinen Beutel, die am Gürtel einiger Frauen hängen,
sind um des malerischen Reizes willen sogar allzu luxuriös ausgefallen.
In der prachtvoll inszenierten Modenschau ist zweifellos
wieder ein Stück Lebenswirklichkeit des 16. Jahrhunderts zu fassen.
So wie auf den Monatsbildern konnte sich Wohlstand nur in wenigen anderen
deutschen Städten äußern. Die weiträumigen Handelsverbindungen,
die internationale Atmosphäre auf den Reichstagen und die eigene Kaufkraft
machten die Augsburger Patrizier besonders empfänglich für Modeströmungen
aus aller Herren Länder. Gegen 1500 zeigten sie sich etwa von den
pantoffelartigen Schuhen von 400 burgundischen Reitern des Erzherzogs von
Österreich so sehr angetan, daß sie ihre spitzigen Schnabelschuhe
umgehend aufgaben, "wie dann die Teutschen gleichsam anderer Nationen Affen
seyn". Der englische Gesandte auf dem Reichstag von 1515, Sir Robert Wingsfield,
schwärmte von der Schönheit und dem prächtigen Aufzug der
Augsburgerinnen, von ihren kostbaren Goldketten, den venezianischen Satin-
und Damastroben mit goldbesetzten Rändern. Wir hören von Marderpelzen
an den Schauben, teuren Stoffen, kostbaren Ringen, Perlen und Ketten, wie
man "sie in kainer stat in teutschen landen nicht findt".
"Kleider machen Leute", das hieß damals unter anderem:
Bürger konnten wenigstens äußerlich Fürsten und Adel
nachahmen. Bereits gegen 1500 registrierte Sebastian Brant im Narrenschiff
bedenkliche Anzeichen einer solchen Nivellierung der Standesunterschiede:
"Der vor eyn burger, kouffman was/ will edel sy und ritter
gansz/ . Es kunt da har eyns burgers wib, / Vil stöltzer dann eyn
gräfin duot/ Wo yetz gelt ist, do ist hochmuot/. Inn allen landen
ist großze schand/ Keynen benuogt me mit sym stand . . . Der Adel
hat kein Vorzug meh".
Auch in Augsburg waren solche Tendenzen zu beobachten.
Hochzeiten waren die besten Gelegenheiten, Reichtum und Modeneuheiten zur
Schau zu stellen. Als Georg Thurzo 1497 Anna Fugger heiratete, glaubte
der Chronist und Standesgenosse Wilhelm Rem eine neue Dimension bürgerlicher
Repräsentation zu entdecken und sprach daher von "adelichen sitten,
das vor nie mehr hie geschehen was". Auf der Hochzeit Ulrich Fuggers des
Jüngeren "ward grosse hoffart getriben, daß man maint, es mecht
ettwan bös alter nemen". Ebenso überschwenglich beschrieb Jörg
Breu eine Hochzeit von 1537: "Also het man...ain groß mal mitsamUt
den freundten und darnach ain köstlich dantz, (wie) der in langer
zeit nie gesehn ist worden, mit berlen, goldt, silber, edlen stainen, halsbanden,
ringen, sammat, damascat, atlaß und von zoblnfuttern: da was kain
tadl, in keiner hoffart nichts gespart". Und man ließ sich einiges
einfallen, um die Kleidung vor dem Straßenschmutz zu schützen.
Jörg Breu d.Ä. berichtet etwa von einem Hochzeitszug, "da warent
kerren mit sandt da, daß man die kleider mit sammat und seiden nit
verunrainiget, daß kain hundt daran saichet".
Eine optische Vorstellung von der Pracht und vom Aufwand
des Augsburger Patriziats in der Kleidermode vermitteln am besten die sogenannten
Geschlechtertänze. In teils zeitgenössischen, teils historischen
Kostümen führen die Paare dort in exklusivem Rahmen den gravitätischen
Schreittanz vor. Auch die Passion des Fugger-Faktors Matthäus Schwarz
für die elegante Garderobe ist kein "pathologischer Ausnahmefall"
eines "Kleidernarren", sondern durchaus zeittypisch. Auf unseren Monatsbildern
ist der Kleiderluxus zwar nicht ganz so aufdringlich, aber doch unübersehbar.
Kleiderordnungen versuchten vergeblich, Hoffart und Verschwendungssucht
einzudämmen und die Standesunterschiede auch bezüglich der Kleidung
aufrechtzuerhalten. Die Augsburger Policeyordnung von 1530 enthält
etwa gesonderte Auflagen für gemeine Bürger und Handwerker, Kaufleute
und Gewerbetreibende sowie schließlich Angehörige der Geschlechter.
Die diesbezüglichen Vorschriften wurden mehrfach erneuert, wie zum
Beispiel in einem "Außzug eins erbern Raths jüngst den VIII.
Augusti MDLXVIII verruffter Ordnung unnd verpotts die Hoffart belangendt,
unnd was einem jeden seinem Stand nach von kleydung unnd andern anzutragen
gepürt und zugelassen ist". Doch weder die Bürger in der Wirklichkeit
noch die Patrizier auf den vier Monatsbildern haben sich an die Regelungen
gehalten. So hätte möglicherweise die junge Reiterin
in der Mai-Szene, die auf der reichverzierten gelben Schabracke sitzt,
ebenso Anstoß erregt wie die goldfarbigen Metallschellen am Pferdezeug
des Pferdeschlittens im Dezember.
"Hätt' ich Venedigs Macht,
Augsburger Pracht,
Nürnberger Witz,
Straßburger Geschütz
und Ulmer Geld,
so wär' ich der Reichste von der Welt".
Diesen Reim soll man sich gegen 1500 auf die speziellen
Vorzüge der großen europäischen Handelsstädte gemacht
haben. Was Augsburgs Pracht angeht, so findet der Spruch zweifellos in
den Monatsbildern eine gewisse Bestätigung in Auftreten und Kleidung
der städtischen Oberschicht.
Die Monatsbilder
des Deutschen Historischen Museums unterscheiden sich, um den roten Faden
wieder aufzunehmen, von anderen Versionen des Bildprogramms dadurch, daß
sehr viel mehr Menschen die Einzelszenen bevölkern und daß die
Personen durch die Farben und die Eleganz ihrer Kleidung die Aufmerksamkeit
auf sich lenken und von den eigentlichen Monatstätigkeiten abziehen.
Doch gleichzeitig geht die soziale Differenzierung der dargestellten Personen
weiter als auf den Scheibenrissen und auf anderen zeitgenössischen
Zyklen. Es kommen immer mehr Frauen, spielende Kinder sowie gesellschaftliche
Randgruppen ins Bild: Juden,
Krüppel und Bettler, Spielleute und Narren.
Nimmt man die herkömmlichen Monatsbilder-Zyklen zum
Maßstab, dann sind Frauen erstaunlich zahlreich vertreten. Nur das
Schneiden des Getreides mit der Sichel war von jeher Domäne der Frauen:
"Auch mach ich Sichel mancherley, darmit man einschneid das Getreid, Durch
alte Weiber und Bawrn Meid", so drückt es wie selbstverständlich
der Sensenschmied im Ständebuch des Jost Amman aus. Ansonsten waren
Frauen vielleicht noch bei der Heumahd oder beim Buttermachen tätig.
Demgegenüber sind sie auf den Monatsbildern nicht nur bei der Korn-
und Heuernte, sondern auch in anderen Szenen fast gleichberechtigt neben
den Männern zu sehen: auf der Festgesellschaft im Januar, als Zuschauerinnen
beim Turnier, bei Kahnfahrt, Musik, Bad und Spiel im April und Mai, bei
Erntedankfesten im August und auch beim Einkauf und beim Flanieren auf
dem Perlachplatz im Oktober und November. Einige vornehme
Damen treten infolge ihrer Tätigkeit, ihrer Position im Bildaufbau
oder ihrer Kleidung besonders her vor: so im Januar die beiden Lautenschlägerinnen
und die Gruppe der Kartenspielerinnen, die Flötenspielerin
auf dem Turnierhof , die umworbene Reiterin in der Mai-Szene, die Dame
im gelben Kleid mit den zwei Zöpfen in der Rückansicht, die in
der Rechten einen Krug hält (August), die Frau
in Rot, die im September den Einflüsterungen eines Narren nachgibt,
die gutsituierte
Ehefrau, die gemeinsam mit Mann im Oktober die Angebote der Landleute
prüft, oder auch die Frau
in der pelzverbrämten gelben Schaube, die im Dezember den Perlachplatz
überquert.
Kindern gestanden die knappen Monatsdarstellungen des
14. und 15. Jahrhunderts noch weniger Raum zu als den Frauen. Das änderte
sich erst allmählich in den Kalendarien der späten flämischen
Stundenbücher. Das nicht gerade "kinderfreundliche" Bildprogramm hat
auch die Augsburger Monatsbilder geprägt. Wenn die Erwachsenen bei
der Abendgesellschaft im Januar unter sich bleiben wollten, wird man das
noch verstehen können. Doch es ist schwer vorstellbar, daß die
neugierigen Kinder auch beim großen Fastnachtsturnier nicht zuschauen
durften. Auf den übrigen Monatsszenen sind sie vereinzelt im Bildhintergrund
versteckt worden: Ein Kind
sammelt beispielsweise im September die Äpfel auf, die ein Mann vom
Baum schüttelt, ein anderes spaziert im Dezember an der Hand der Mutter
am Brunnen
auf dem Fischmarkt vorbei. Schon älter ist der Junge, der auf die
Affen achtgibt
(September); seine Kameraden stürzen sich auf die Schweine; ein Jugendlicher
trägt einen Wildschweinkopf
über den Perlachplatz (November). Nur im Mai und Juli entdeckt man
spielende Kinder. Leicht übersieht man das putzige Gesicht eines Kleinkindes,
das sich im Wasser des Maienbads
wohlfühlt.
Der Knabe im Vordergrund der Mai-Szene ist mit dem Reifenschlagen
beschäftigt. Dies war damals das typische Kinderspiel. "Das was mein
Kurzweil, so ich aus der schul kam", so erinnerte sich auch Matthäus
Schwarz in seinem Kostümbuch später an das Reifenschlagen Kinderspiele
waren auch beliebte Motive auf Miniaturen in den Randleisten der Stammbücher.
Selbst im Andachtsbuch des Matthäus Schwarz scheinen spielende Kinder
die Konzentration auf Ablaßfürbitten und auf ein Gebet vom Jüngsten
Gericht nicht zu beeinträchtigen. Wegen ihres malerische Reizes gehörten
solche Szenen auch auf unseren Monatsbildern einfach dazzu. Darüber
hinaus repräsentiert das wie ein kleiner Erwachsener zurecht gemachte
Kind in der Mai-Szene, die von Badefreuden, Liebeswerben und Kartenspiel
der Jugend bestimmt ist, sozusagen das aufblühende Leben und bringt
zugleich eine weitere, kindgemäße Form des Zeitvertreibs ins
Bild. Lebendiger wirken freilich die beiden Kinder, die auf dem Juli-Bild
am Spiel mit
den Windrädern ihren Spaß haben. Die vier Augsburger Gemälde
geben in bezug auf Alter und Geschlecht zwar keine Normalverteilung der
Bevölkerung wieder, aber im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen
Monatsbilder-Folgen sind Kinder und Jugendliche wenigstens unübersehbar
präsent. Selbst auf den Scheibenrissen war beispielsweise nur ein
Knabe zu sehen, der im Dezember mit einer Laterne einige wohlhaben de Bürger
nach Haus geleitete.
Am linken Rand des Februar-Bildes steht eine Gruppe von
Männern beisammen, die turbanartige Kopfbedeckungen und Vollbärte
tragen. Vielleicht handelt es sich um echte oder kostümierte orientalische
Händler; wenigstens einer von ihnen ist durch den typischen rotgelben
Judenfleck als Jude
gekennzeichnet . Seit 1434 mußte die jüdische Minderheit auf
Anweisung Kaiser Sigismunds ein besonderes Abzeichen tragen, und die Policeyordnung,
die auf dem Augsburger Reichstag von 1530 verabschiedet wurde, bekräftigte
die Bestimmung, "daß die Juden eyn gelen ringk an dem rock oder kappen
allenthalben unverborgen zu irer erkantnuß offentlich tragen". Unvermittelt
und unvermutet kommt damit auf den Bildern eine soziale Randgruppe ins
Spiel, die auf Monatsbildern normalerweise nicht vertreten ist.
Die Geschichte der Juden war auch in Augsburg eine Geschichte
der Diskriminierungen und Verleumdungen. 1439 wurden die ungefähr
300 jüdischen Mitbürger mit Erlaubnis des Kaisers Albrecht II.
aus der Stadt ausgewiesen. Fortan durften sie Augsburg nur tagsüber
und gegen Bezahlung betreten. In diesem engen Rahmen haben sie offenbar
nach 1500 tätig werden können, wie unser Bild zu beweisen scheint.
Flugschriften für und gegen die Juden kursierten damals in der Reichsstadt.
Die Vorstellung vom geizigen Juden, der durch Wucher seinen Reichtum mehrt,
findet sich wie selbstverständlich auch im "Memorial der Tugend" wieder.
Andererseits sind zu Beginn des 16. Jahrhunderts erstaunlicherweise eine
ganze Reihe hebräischer Bücher gedruckt worden. Die meisten dieser
Judaica sind dem Eifer des Johannes Böschenstein zu verdanken, der
zeitweise auch in Augsburg das Studium des Hebräischen zu befördern
suchte. Ganz andere Ziele verfolgte Samuel Margolis alias Anthon Margaritha,
ein getaufter Jude aus einer Rabbinerfamilie, der sich in seinen Schriften
gegen seine früheren Glaubensbrüder wandte. Sein Werk "Der gantz
jüdische Glaub", der die älteste deutsche Übersetzung des
jüdischen Gebetbuches enthielt, erlebte 1530/31 gleich drei Auflagen.
Auf dem Titelholzschnitt sind Juden wie auf dem Monatsbild mit dem Judenabzeichen
dargestellt. In den 30er Jahren gelangte der hebräische Wanderdrucker
Chaim Schachor (Schwarz) nach Augsburg und konnte bis 1536
allein sieben Schriften herausbringen.
Das gesellschaftliche Spektrum, das die Monatsbilder abdecken,
ist erstaunlich breit. Selbst Bettler, Behinderte und Außenseiter
werden in die Szenen einbezogen, das heißt Randgruppen, die auf früheren
und zeitgenössischen Monatsdarstellungen überhaupt nicht vorkommen.
Manche Figuren sind dabei buchstäblich so sehr an den Rand gerückt,
daß sie fast dem starken Beschnitt der Bildränder zum Opfer
fielen. In der März-Szene
ist rechts gerade noch die Hand eines Bettlers zu erkennen, der mit einem
leeren Napf um eine milde Gabe bittet. In der April-Szene
kommt ganz links unten ein Mann ins Bild, der mit dem Napf in der Rechten
ebenfalls um Nahrung bettelt und mit dem Zeigefinger der linken Hand auf
seinen Mund deutet - vielleicht die Geste eines Taubstummen. Ihm gegenüber
sitzt eine Frau, die ein Glasgefäß mit einem langen gedrehten
Hals, also vermutlich den Kuttrolf oder Angster, in der Linken hält.
Möglicherweise ist sie mit diesem Fastnachtsrequisit als Hellseherin
gekennzeichnet. Ob diese Gruppe von Außenseitern auf ein Sprichwort
anspielt oder einen allegorischen Sinn haben könnte, ist unklar. In
ähnlicher Form begegnet das Utensil der Frau zum Beispiel auf einem
anonymen deutschen Holzschnitt des 16. Jahrhunderts aus einer Serie mit
Narrenspielen.
Auf dem nächsten Gemälde kniet, erneut am linken
unteren Bildrand, eine Bettlerin (?), die sich auf einen Stock stützt
und die Ähren vom Stoppelfeld mitaufliest. Einer der Musiker, die
im August zum
Tanz aufspielen, ist durch eine Beinprothese stark behindert, bläst
gleichwohl aus voller Lunge seine Trompete. Merkwürdigerweise fehlen
Bettler auf der figurenreichen Marktszene im November/ Dezember, wo man
sie eigentlich erwartet hätte. Wieder wird deutlich, daß es
dem Maler bei der Darstellung von Bettlern nicht so sehr um ein getreues
Abbild der sozialen Wirklichkeit ging. Vielmehr dürften diese Randgruppen
als Symbol der Bedürftigkeit und des menschlichen Elends und als beliebte
(Gegen-)Figuren in Literatur und Kunst jener Zeit dargestellt worden sein.
Die differenzierte Darstellung sozialer Gruppen bietet
freilich noch längst kein repräsentatives Bild der Augsburger
Stadtgesellschaft. So sieht man kaum Kleriker, die das Stadtbild in Augsburg
vor und nach der Reformation nicht unerheblich geprägt haben dürften.
Wie überhaupt im Februar und März, so ist der Maler auch in diesem
Punkt nicht seiner direkten Vorlage gefolgt. Denn immerhin ist auf dem
März-Scheibenriß im Hintergrund ein Versehgang dargestellt:
Priester und Diakon halten die verdeckten Behälter mit den geweibten
Hostien in den Händen; voran geht ein Mesner mit einer langen Kerze
und einer Glocke, mit der er die Passanten zu Andacht und Respekt gegenüber
dem Leib und Blut Christi auffordert. Diese Szene wird so nicht in das
Januar-März-Gemälde übernommen, aber der Gedanke an Krankheit
und Tod wird auch hier wachgerufen: Ein Sarg,
der in ein schwarzes Tuch mit einem weißen Kreuz gehüllt ist,
wird hinausgetragen; seitlich davor führt jemand ein weißes
Pferd am Zügel, also möglicherweise das Pferd des Verstorbenen,
aber nicht unbedingt eines Turnierteilnehmers. Ein Priester gehört
nicht zu dem Trauerzug, falls wir es bei den beiden Herren links vom Sarg
nicht mit protestantischen Predigern zu tun haben. Eher versteckt sind
im überdachten Säulengang ein Ordensmann und links neben dem
Narren ein Priester mit seiner weißen Stola (?) auszumachen. Im Mittelgrund
des August-Bildes geht ein einsamer Mönch seines Weges. Daß
der Klerus auf den Scheibenrissen und auf den Gemälden so gut wie
keine Rolle spielt, ist allerdings nicht außergewöhnlich und
entspricht wieder der Bildtradition. In anderen Folgen der Monatsarbeiten
kommen Kleriker ebenfalls nur selten ins Bild: In den Kalendarien einiger
Stundenbücher wurde etwa im Februar die Austeilung des Aschenkreuzes
am Aschermittwoch festgehalten. Eher eine Ausnahme ist auch der Auftritt
eines Priesters, der sich auf dem August-Bild des Zyklus im Adlerturm von
Trient mit dem Brovier in der Hand vor dem Pfarrhaus sehen läßt.
Das Bildprogramm der Augsburger Monatsbilder bringt zwar
mehr soziale Realität ins Spiel, aber an eine konsequente oder umfassendere
Vorstellung der Welt des 16. Jahrhunderts ist nicht
zu denken. Die Normen der Bildtradition schließen von vornherein
aus, daß die großen Auseinandersetzungen der Zeit, die Besuche
der Kaiser und die Reichstage in Augsburg, die Reformation, die sozialen
Spannungen innerhalb der Stadt, die Bauernkriege oder der wirtschaftliche
Aufschwung der großen Handelshäuser ins Bild kommen. Auftraggeber
und Maler konnten sich allenfalls indirekte Anspielungen erlauben.
Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht der blutige
Streit in einem Dorf, der sich im Hintergrund der Juni-Szene abspielt.
Vor einem Wirtshaus, das durch das Schankzeichen kenntlich ist, sind sich
bewaffnete Bauern (und Ritter?) in die Haare geraten. Ein Dorfbewohner
verteidigt sich mit der Forke gegen einen Angreifer. Einer liegt offenbar,
wie erst nach der Reinigung der Bilder zu erkennen war, bereits tot am
Boden. Eine Frau eilt schreiend hinzu. Waren dies "normale" Übergriffe
in einer unruhigen Zeit, oder stellt das Scharmützel eine Episode
im Bauernkrieg von 1525 dar? Eine weitere Anspielung auf dieses epochale
Ereignis könnte im Mittelgrund des August-Bildes
versteckt sein: Dort zieht, begleitet von Pfeifer und Trommler, eine Rotte
von Bauern mit Heugabeln, Hellebarden und anderen Waffen in den Kampf.
Tatsächlich hat der Bauernkrieg 1524 die Umgebung Augsburgs erfaßt,
während es in der Stadt selbst ruhig blieb. Ende März 1525 stand
das große Bauernheer vor den Toren der Reichsstadt, aber zu Auseinandersetzungen
und Unruhen kam es damals nicht. Die Frage nach dem realen Hintergrund
der Szene mit dem Bauernhaufen wird sich kaum beantworten lassen; doch
festzuhalten ist, daß in diesen Sommermonaten auch die Schattenseiten
des Lebens nicht verschwiegen werden. So erkennt man rechts hinter der
Wehrkirche im Hintergrund des Juli-Bildes einen Galgen,
an dem ein Übeltäter aufgehängt ist. Zumindest in Einzelheiten
und im Bildhintergrund wird also die Konvention der Monatsbilder-Ikonographie
durchbrochen.
Die kleinen Affen
auf der Mauer im September-Bild sind kaum als allegorische Anspielung zu
verstehen. Als modische Liebhaberei erfolgreicher Geschäftsleute verweisen
sie zumindest indirekt auf die überseeischen Handelsverbindungen der
Augsburger Handelsfirmen. Die exotischen Haustiere tummeln sich auch auf
dem Gartenfest des Narziß Renner von 1522. Der Augsburger Turnierliebhaber
Marx Walther bestritt eins seiner Rennen gemeinsam mit seinem Hausäffchen,
das angekettet am Sattel auf dem Rücken des Pferdes saß. Ob
man sie possierlich und "lustig" oder eher "scheußlich" und chaotisch
finden sollte, darüber stritten sich schon die "Freude" und die "Vernunft"
in Petrarcas beliebtem Trostbuch.
Doch nur der moderne Betrachter, der die Bildtradition
nicht kennt oder geringschätzt, kann darüber enttäuscht
sein, daß auf den Bildern die dramatischen Ereignisse des Reformationszeitalters
nicht deutlicher zum Ausdruck kommen. Wer den vorgegebenen Rahmen berücksichtigt,
wird gar im Gegenteil darüber erstaunt sein, wieviel an Realität
und Originalit, in den Bildern steckt. Schon die "konventionellen" Szenen
der Monate April-September waren, wie oben dargelegt, nicht ganz so konservativ,
wie es auf den ersten Blick schien. Doch in ganz anderem Maß zeigen
die Darstellungen der Herbst- und Wintermonate, worauf es den Auftraggebern
der Scheibenrisse und Monatsbilder ankam. Neue Szenen verändern das
Standardprogramm, die gesellschaftliche Führungsschicht Augsburgs
setzt der Stadt und sich selbst ein Denkmal. Die Segnungen einer "Guten Regierung"
(Oktober-Dezember)
Drei Motive bestimmen den Bildeindruck des Gemäldes
mit den Monaten Oktober
bis Dezember: erstens die Bauten im Zentrum Augsburgs, also ein Wohnhaus
und dahinter vielleicht das alte Schlachthaus (die Metzig), dann das Giebelhaus
mit dem Wappen des Stifts St. Peter, der Perlachturm, die Barfüßerkirche
und das alte Rathaus, zweitens das bunte Markttreiben, das sich von der
linken unteren Bildhälfte diagonal bis in den rechten Hintergrund
am Rathaus hinzieht und die Monatssektoren miteinander verbindet, sowie
schließlich der Auszug der Ratsherren aus dem Rathaus.
Die Verkaufsszene
im Oktober spielt (wie schon auf dem Scheibenriß) eindeutig in einer
bürgerlichen Wohnstube; die Identifizierung des Hauses mit der alten
Metzig, die sich in der Literatur eingebürgert hat, erscheint höchst
zweifelhaft. Eher ist das kleinere Gebäude, vor dem der Schlachter
ein Schwein ausnimmt, mit dem alten Schlachthaus in Verbindung zu bringen.
Vielleicht hat bereits der Maler, der das Gemälde im 16. Jahrhundert
kopiert hat, die Funktion und Anordnung der Häuser mißverstanden
und deshalb die Ansicht des Giebelhauses im Vordergrund, die vermeintliche
Metzig, so auffällig und eigentlich unverständlich "korrigiert".
Im Zentrum steht der Perlachturm mit dem Reichswappen.
Er war das Symbol der städtischen Unabhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit,
aber zugleich auch Wachtturm. Oben im Turm hängt die Sturmglocke,
die im Notfall der ebenfalls hoch oben hausende Türmer läuten
mußte. Im Bärenzwinger sind echte Bären eingesperrt . Die
volkstümliche Deutung des Namens Perlach als eines Platzes, an dem
Bären gefangen gehalten wurden, soll allerdings erst Anfang des 17.
Jahrhunderts aufgekommen sein. Unterhalb des Bärenzwingers an beiden
Seiten des Reichswappens zogen sich Ladenzeilen an der Front entlang. Erst
1531 sind die Dächer über den Läden angebracht oder erneuert
worden. Rechts vom Perlach schließt sich im Hintergrund das städtische
Schaugefängnis an, das 1475 für Nachtschwärmer, Trunken-
und Raufbolde errichtet worden war. Neben den vergitterten Fenstern sind
die "Eisen" oder Blöcke (?) des Stadtgefängnisses zu sehen. Hier
haben unter anderem vielleicht auch monatelang die Höchstetter, die
Auftraggeber der Scheibenrisse, nach ihrem Bankrott in den zwanziger Jahren
geschmachtet. Davor breitet sich der Fischmarkt
aus, ein Platz, auf dem man bei Bedarf auch Übeltäter erhängte.
Einen Galgen hat man beispielsweise während des Reichstags von 1548
"auf dem vischmarckt gleich hinder dem rörkasten machen lassen ...,
daran sie vil Spänier, landtsknecht und ander hencken, und die hoch
püne, so ir kay. mt. auf dem platz des Berlachs, zunechst bei der
Metzg, aufrichten, auch etliche im Reichstag darauf viertailen, vor mit
dem reitl und strick erwurgen und darauf ratbrechen lassen; und [sind]
ir vil darauf enthauptet worden, darunder der Vogelsperger, auch andere
haupt- und edelleut gewesen".
Mittelpunkt des Platzes ist ein Brunnen, der nicht eindeutig
zu identifizieren ist. Die Nachrichten über den Brunnen sind nämlich
nicht eindeutig und widersprechen sich teilweise. Um 1420 wurde der Brunnen
angelegt, und laut Ratsbeschloß von 1456 soll damals der "rörenkasten"
auf dem Fischmarkt neu aufgerichtet worden sein. 1510 fertigte der Augsburger
Bildhauer Sebastian Loscher für den Fischbrunnen eine geschnitzte
Bildsäule an. 1531 ließ der Rat im Brunnen ein neues "Messingrohr"
einbauen. Einige Rätsel gibt die Brunnenfigur auf, die auf dem "Winter"-Bild,
wie aufder Kopie des Augsburger Maximilianmuseums
zu sehen ist. Handelt es sich dabei um die ursprüngliche "Wappnerfigur"
des Sebastian Loscher, die noch auf einem späteren Kupferstich mit
dem von Hans Felber erneuerten Brunnen zu sehen ist? Die Verwirrung entsteht
dadurch, da nach anderslautenden Nachrichten auf dem Fischmarktbrunnen
eine Statue des H1. Ulrich gestanden haben soll, die Ulrich Maurmiller
1511 vergoldete und die 1537 nach dem Bildersturm durch eine Neptunfigur
ersetzt wurde. Dies geht aus einer Beschwerdeschrift hervor, die das Augsburger
Domkapitel nach den erwähnten Übergriffen an die Stadt richtete:
"Hingegen kunnen wir nit für recht noch loblich achten oder halten
d[a]z die vo Augspurg als widersinnig Leut Sanct Ulrichs des heiligen bischoves
biltnu so lange zeit uff dem Berlach gestanden ist, verachter weiß
hinweg getha und an desselben stat des Abgots Neptun Bildtnus uf den Brunnen
gestelt haben". Zu dieser Notiz paßt die Radierung, die Wilhelm Peter
Zimmermann zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach dem Vorbild dieses Monatsbildes
anfertigte. Das Blatt zeigt zweifelsfrei Neptun mit seinem Dreizack. Doch
leider hat sich der Radierer gerade in diesem Punkt nicht nach seiner Vorlage
gerichtet. Die Brunnenfigur auf unserem Gemälde is nämlich weder
mit dem H1. Ulrich noch mit Neptun identisch und weicht auch von der Statue
Loschers (bzw. Felbers) merklich ab. Das Rätsel ist vorerst nicht
zu lösen: Vielleicht bezieht sich die Beschwerdeschrift von 1537 auch
auf den heutigen Augustusbrunnen bzw. auf jenen, der heute auf dem Weinmarkt
steht. Vielleicht aber müssen wir auch mit mehrfachen Umsetzungen
von Brunnenfiguren innerhalb Augsburgs oder aber mit einem Standbild rechnen,
das nur wenige Jahre den Brunnen zierte und bisher unbekannt war.
Diejenigen Szenen, die Themen der Monatsbilder aufnehmen,
sind ziemlich isoliert im Mittelgrund
angeordnet: Brennholz wird von einem Leiterwagen geladen und an der Hauswand
aufgeschichtet; Schweine werden in die Stadt getrieben und vor dem Verkauf
noch einmal mit Eicheln gefüttert; links daneben nimmt der Metzger
ein bereits geschlachtetes Schwein aus. Direkt vor dem Perlach sprengt
ein Pferd über den verschneiten Platz; es zieht einen Schlitten, in
dem eine vornehme Dame sitzt, die sich vom Schlittenführer herumkutschieren
läft. Der Schlitten ist mit dem Rehlinger
Wappen geschmückt - ein deutlicher Hinweis auf den möglichen
Auftraggeber. Wie zeichenhafte Symbole für die entsprechenden Monate
stehen diese Episoden unverbunden nebeneinander. Zudem sind sie im Gegensatz
zu den Scheibenrissen nicht mehr korrekt den Wintermonaten zugeordnet,
sondern auf engem Raum zusammengefaßt. Während Jörg Breu
das Schweineschlachten in seinem Entwurf wie üblich im Dezember stattfinden
läßt, verlegte der Maler den Vorgang kurzerhand in den Oktober/November.
Ganz beiseitegelassen ist das Zechgelage der Marktbesucher
(?), das im November-Riß noch relativ breit ausgeführt worden
war. Das mag daran liegen, daß die Szene allzusehr den Auszug der
Ratsherren im Dezember beeinträchtigt hätte. Vielleicht hat die
erstaunliche Lücke aber auch damit zu tun, daß die Unsitte des
"Zutrinkens" in jenen Jahren immer mehr in Verruf kam. Vergeblich war das
Laster auf Reichstagen mehrfach seit 1497 verboten worden, wirkungslos
blieben die Strafgelder gegen Zuwiderhandlungen, die in den Stadtbüchern
notiert wurden, ins Leere gingen die polemischen Schriften einiger Kritiker.
Das Motiv der Schlittenfahrt hat der Maler offenbar einfach
aus dem Hintergrund des Januar-Scheibenrisses als Sinnbild für den
Winter hierherverpflanzt. Der Aspekt eines spezifisch winterlichen Vergnügens
tritt in den Hintergrund. So bleibt die Szene eher ein Beispiel dafür,
wie realistische Vorkommnisse unrealistisch abgebildet werden können.
Man erhält jedenfalls kaum eine Vorstellung davon, wie beliebt diese
winterlichen Schlittenpartien für die Augsburger Patrizier damals
gewesen sein müssen. Sehr viel besser hat später Wilhelm Peter
Zimmermann dieses Wintervergnügen, daß man in Gesellschaft,
also mit vielen anderen Schlitten gleichzeitig, genoß, wiedergegeben.
In dem dazugehörigen Text hebt er die Fugger als besondere Liebhaber
dieses Winterspaßes hervor. In der Tat ist auch im Ehrenbuch der
Fugger die Schlittenfahrt in einer eigenen kleinen Miniatur festgehalten.
Daß Schlittenpartien für die Oberschichten ein bevorzugtes Mittel
waren, sich selbst und ihren Reichtum zur Schau zu stellen, wird freilich
nirgends so deutlich wie im Trachtenbuch des Matthäus Schwarz. Gleich
mehrfach ließ er sich dort als Schlittenlenker konterfeien. Schlitten
und Pferdegeschirr waren prächtig bemalt und dabei fein auf das Kostüm
des Besitzers abgestimmt. Die Rückenlehnen wurden ähnlich wie
die Renndecken der Turnierpferde - mit scherzhaften Szenen bemalt. An den
Schellen für die Schlitten verdienten die Schellenmacher ihr gutes
Geld. Als Schwarz am 5. Januar 1523 "auf dem Weinmarkt" mit einem anderen
Schlitten zusammenstieß, so daß sein Gefährt "zu
Stücken" zerbarst, beschaffte er sich binnen fünf
Tagen eine völlig neue Ausrüstung.
Solche Unfälle und Auswüchse dieser Modeerscheinung
machten dem Rat offenbar zu schaffen. So sah er sich im Winter 1530 genötigt,
ein regelrechtes "Nachtfahrverbot" für die Schlitten zu verhängen:
"ist angesehen, das man uber zehen hor[e]n in der nacht wol und daruber
mit dem schlitten nit gefarn werd[en]" solle. Der Aufwand für die
Prunkschlitten nahm eher noch zu. Schließlich mußten die Stadtoberen
sogar Höchstpreise für Schlitten festsetzen. In der Hochzeitsordnung
von 1568 heißt es: "Item es soll kein Schlitten, der mit macherlon,
gemehl und allem anderm, uber 10 biß inn 12 gulden kost und werdt
ist, gebraucht auch daran gar nichts vergults gemacht werden bey straf
10 gulden". Der Weinmarkt wurde im Winter zu einer Spielwiese der Eitelkeit,
das Schlittenfahren aber zugleich zu einer Zielscheibe der Gesellschaftskritik.
So stellt sich das Vergnügen im "Memorial der Tugent" frei nach Ciceros
Officia ("Der teutsch Cicero") recht zwiespältig dar. Wer es genießen
will, sollte gut auf seine Frau aufpassen:
"Zu mummerei und schlittenfart
Auch wo man sonst gut sitten spart
Rath ich gesell dein weib nit ley
Und muß es sein biß nach dabey.
Denck sein die schaf und lemmer dein
So laß den wolf kein hueter sein.
Glaub wo der bock ein gartner wirt
Die jungen beum er selten ziert.
Und wer sein schmer für katzen setzt
Wirt offt benaschet und verletzt.
Also wer weib und pferd leicht hin
Ist auch ein kauffman on gewinn".
Hauptmotiv des Gemäldes ist aber nicht die repräsentative
Schlittenfahrt, es sind die profanen Marktszenen: der Verkauf und Kauf
von Federvieh und Kleinwild im Oktober und der Handel mit anderen Lebensmitteln
im November und Dezember. Die Versorgung mit Waren und Naturalien aus dem
Umland war für eine spätmittelalterliche Stadt, auch für
eine Fernhandelsstadt wie Augsburg, lebensnotwendig. Immer stärker
bezogen die expandierenden Gewerbe- und Handelsstädte ein wachsendes
Umland in ihr Marktsystem ein. Diese Stadt-Land-Beziehungen bildeten die
Grundlage für den Einstieg einiger Familien in die Montanindustrie
und in das Bankwesen. Insoweit spiegelt das Bild die Realität eines
Marktes wider, der offenbar noch stark vom direkten Kontakt zwischen Erzeuger
und Verbraucher lebte. Das Schlachtvieh, Federvieh und anderes kauften
die Bürger auf dem städtischen Markt.
Aber zum großen Teil bleiben auch das reiche Marktangebot
und die problemlose Versorgungslage mehr Wunschbild als Realität.
Schon in normalen Zeiten war der Handel durch üble Praktiken mancher
Kredithaie und Betrüger bedroht. Ein unbekannter Augsburger Meister
macht um 1535 in einem Einblattdruck "Vom wucher, Furkauff und Trygerey"
diese alltäglichen Mißstände zum Thema. Den betrogenen
Opfern bleibt als letzter Ausweg nur der Selbstmord, wie der Text ausführt
und wie es der Holzschnitt auf dem offenen Dachboden des Hauses auf der
rechten Seite drastisch zeigt.
Wie war es da erst um einen ruhigen und friedlichen Marktverkehr
bestellt, wenn wieder einmal Hungersnöte und Pestepidemien zu Engpässen
in der Versorgung geführt hatten. Schon die Beschaffung von Brennholz
für den Winter war nicht so problemlos, wie es auf dem Bild aussieht.
Als Zulieferer kamen einerseits der Bischof und Adlige, andererseits "geizige
Bauern" in Frage. Streitigkeiten enzündeten sich an der Trift über
den Lech. Doch die Probleme lagen tiefer. Der "Raubbau" in den Wäldern
der Augsburger Umgebung hatte zu bedrohlichen Versorgungsengpässen
geführt.
Seit 1477 versuchte der Rat, den Verkauf von Holz zu reglementieren.
Au der Chronik Paul Hector Mairs erfahren wir, daß der Holzpreis
um 1548 in schwindelnde Höhen gestiegen war. 1566 durfte man den wichtigen
Rohstoff nur noch auf offenem Markt, nicht mehr vor der Stadt anbieten
und verkaufen. Die Schweine, die in der Bildmitte zusammengetrieben werden,
lassen kaum etwas ahnen von dem Mangel an Fleisch, der in manche Jahren
herrschte. Die "Metzgerordnung" versuchte, den Mißständen zu
steuern, doch die Klagen der Chronisten reißen nicht ab.
Wirklichkeitsnah und realitätsfern zugleich dürften
auch die wohlgefüllten Säcke auf dem "Brotmarkt" an der Rathausmauer
sein, die nach friedlichen Verkaufsverhandlungen den Besitzer wechselten
oder aus denen das Korn scheffelweise verkauft wurde. Sie spiegeln uns
- fast nach Art der "Guten Regierung" in Siena - eine geregelte Vorratshaltung
und problemlose Lebensmittelversorung in Zeiten des Überflusses vor.
Aber gerade in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts herrschten in Augsburg
wieder einmal Teuerung und Hungersnot. 1531 beschränkte der Rat wegen
der große Teuerung die Aufnahme von Neubürgern und drohte denjenigen,
die aus Mangel an Nahrung die Stadt verließen, den Verlust des Bürgerrechts
an. Die Versorgung der Stadt mit Fleisch und Getreide hatte sich auch 1533
noch nicht gebessert. In stadteigenen Backöfen wurde zusätzlich
Brot gebacken und zu einem günstigen Preis an die Armen verkauft.
1534 mußt der Rat, um der Betrügereien der Müller Herr
zu werden, eine öffentliche Mehlwaage anlegen und wegen des fortwährenden
Mangels an Fleisch eigene Metzger anstellen, die Ochsen schlachteten und
das Fleisch billig an die Armen weitergaben. Wie es in solchen Notzeiten
ausgesehen habe mag, schildert der Kupferstich des Augsburgers Daniel Hopfer
von 1534, der im Anschluß an den Spruch Salomonis (cap. XI, Vers
26) drastisch den Kornwucher illustriert: "Wer Korn inhelt, dem fluochen
di Leit, aber Segen kompt uber den, so es verkafft." Erst 1535 waren Getreide
und Wein wieder im Überfluß vorhanden.
Eher harmlos wirkt der "Zahnbrecher", der sich links hinter
dem Fischverkaufsstand über einen Patienten beugt. Seine "Praxis"
im Freien ist nicht zuletzt an dem Aushängeschild kenntlich, auf dem
dieser Alleskönner seine sonstigen Angebote anpreist: seine Dienste
als Geburtshelfer, allerlei Kram wie Petroleum, Salben gegen Flöhe
und Läuse und Rattenpulver. Aber auch hinter der charmant-chaotischen
Fassade verbirg sich sozialer Zündstoff. So beschweren sich 1532 beispielsweise
vier Ärzte in Augsburg über ungelernte und falsche Ärzte
und über den freien Verkauf von Arzneien außerhalb der Apotheke
und prangern namentlich die Zahnbrecher an.
Immerhin vermittelt diese Hintergrundszene ein Stück
spezifisch städtisches Leben, das auf den Monatsbildern normalerweise
nicht die Hauptrolle spielt. Unter diesem Aspekt ließen sich auch
die Auslagen der Handwerker in der Sieben-Lädle-Zeile
unter dem Perlachturm betrachten. Die interessanten Auslagen, Heiligenfiguren,
Turnierspielzeug, Harnischteile, sind Produkte verschiedener städtischer
Gewerbe: der Rot- und Goldschmiede der Harnischmacher usw. Doch mehr als
eine Andeutung des Gewerbefleißes können diese Szenen nicht
sein. Vor allem fehlt jeglicher Hinweis auf die Grundlage der Wirtschaftskraft
und das wichtigste Exportgewerbe der Reichsstadt: die Barchentweberei.
Über 1000 Meister zählte die Weberzunft zu Beginn des 16. Jahrhunderts.
Ihr Versammlungslokal, das prächtig bemalte Weberhaus, stand im Zentrum
der Stadt und zog die Blicke der Besucher auf sich. Die Zunft führte
eine eigene Chronik. 1531 wurde ein Angehöriger dieser Zunft, Mang
Seitz, zum (zweiten) Bürgermeister gewählt Jörg Breu hatte
die Weberei ("Vestiaria") um 1516 noch in seine Gruppe von sechs Rundscheiben
aufgenommen. Aber auf den Scheibenrissen und den Gemälden war aus
ikonographischen Gründen kein Platz für sie.
Der Reigen der Monatsbeschäftigungen endet auf den
Gemälden nicht nur im Dezember, sondern erlebt im Auszug
der Ratsherren aus dem Augsburger Rathaus sein großes Finale.
Augsburger Realität und Selbstbewußtsein werden in keinem anderen
Bildausschnitt so demonstrativ vorgeführt wie in dieser Szene, die
den vorgegebenen Rahmen der Monatsbilder-Ikonographie sprengt. Jegliche
Anspielung auf die üblichen monatsspezifischen Themen ist vermieden.
Selbst das Schweineschlachten, das auf der Vorlage Jörg Breus noch
im Hintergrund zu sehen war, hat der Maler weit weg in den Oktober/November
verschoben. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich ganz auf die Ratsherren
und den mächtigen Bau des alten Rathauses. Zweifellos haben sich hier
Sonderwünsche des Auftraggebers niedergeschlagen. Da diese Bildvorstellung
schon auf dem Dezemberriß Jörg Breus verwirklicht war, stammt
sie bereits aus der Zeit um 1520 und geht auf Georg II Höchstetter
zurück.
Das alte Rathaus, 1449 erweitert und 1515/16 von Jakob
Zwitzel aus drei ungleichen Reihenhäusern zu einer Einheit umgestaltet,
ist um der besseren Wirkung willen im Bild nach vorn versetzt worden. Hinter
den hübschen neuen dreiteiligen Korbbogenfenstern im ersten Obergeschoß
befand sich der große Rathaussaal. Die blechernen Schutzdächer
für die Kramläden und für die Eingänge zu den gewerblich
genutzten Kellergewölben wurden in jenen Jahren durch bessere aus
Kupfer ersetzt, das die Fugger und andere Familien nach Augsburg importierten.
An der Stirnseite erkennt man den Pranger, auf dem Bösewichter wegen
ihrer Vergehen öffentlich zur Schau gestellt wurden. Dann wurde der
auf dem Bild hochgeklappte hölzerne Boden heruntergelassen. 1531 waren
dort beispielsweise Ehebrecher an die Schließeisen angekettet und
dem Spott der Menge preisgegeben.
Nur auf dem Gemälde des Maximiliarmuseums ist noch
ein Teil der Rathausuhr zu erkennen, die 1516 dort angebracht worden war.
Das erste Modell zeigte allerdings nur die vollen Stunden an.
Über dem nördlichen Hauptportal ist das Sandsteinrelief
von 1450 mit dem Stadtwappen
eingemauert, das sich heute an der Ostfassade des Rathauses von Elias Holl
befindet. Zwei wilde Männer halten den gemäß den Bannerfarben
des vormaligen bischöflichen Stadtherrn rotweiß/silbernen Schild,
auf dem das Stadtzeichen zu sehen ist: eine umgekehrte grüne Weintraube
oder "Zirbelnuß" auf einem Fuß, die unter dem Einfluß
der Humanisten in einen antiken Pinienzapfen auf einem Kapitell umgestaltet
wurde. Unter dem Schilde kauern zwei Löwen, die an die beiden großen
Förderer der Stadt erinnern: den Staufer-König Heinrich VI. und
Rudolf von Habsburg. Über dem Wappen schweben zwei Engel mit einem
Spruchband, auf dem zu lesen war: "Christe, tiLi gloria /
in Augusta Rhaetica / Urbe vere regia!" (Ehre sei Dir, Christus, in Augsburg,
der wahrhaft königlichen Stadt!). Wappen und Aufschrift zeugen vom
Selbstbewußtsein und vom Stolz der Schwaben auf ihre Reichsstadt.
Die Fresken, mit denen Jörg Breu d. Ä. und seine
Mitarbeiter nach dem Konzept Konrad Peutingers seit 1516 die Außenfassaden
schmückten, sind merkwürdigerweise nicht einmal angedeutet. Einst
dürften dort Herrschergestalten aus dem Geschlecht der Habsburger
"von Romischen Kaiseren und Kunigen, auch Kunigen von Hispanien und Sicilien"
abgebildet gewesen sein. Über dem Wappenrelief am Hauptportal war
eine Schlachtenszene zu sehen. Der eigentliche Blickfang ist der achteckige
Erker, von dem aus Verlautbarungen des Rates ausgerufen wurden. Daneben
diente der sogenannte Kaisererker der Huldigung von Fürsten und neugewählten
Bürgermeistern.
Vor dieser Kulisse spielt sich nun der beeindruckende
Auftritt der Ratsherren ab. Eingehüllt in ihre kostbaren, perlzverbrämten
Schauben verlassen sie ernst und feierlich ihr Versammlungslokal. Einer
von ihnen trägt einen Rosenkranz.
Ob dieses Attribut eine spezifische Bedeutung hat und etwa auf das Bekenntnis
des Betreffenden in der reformatorischen Umbruchzeit verweist, ist schwer
zu sagen. Zwei Stadtdiener, die die typische mi-parti-Kleidung in den heraldischen
Stadtfarben Rot-Weiß-Grün tragen, bahnen ihnen den Weg. Möglicherweise
handelt es sich um den Abgang des alten Rates nach dem "Letztmahl" am 31.
Dezember, auf das ein "Neumahl" im Januar folgte. Der Zeichner und Kupferstichverleger
Zimmermann deutete 1618 den Vorgang als Neuwahl des neuen Rates von "1520".
Die Umsetzung des Rates fand freilich normalerweise erst am Dreikönigstag
statt. Vielleicht steht die Szene auch im Zusammenhang mit der Auszahlung
des "Bürgermeisters Sold" am Sonntag nach dem Fest der Unschuldigen
Kinder (28. Dezember).
Eine "alte Inventarnotiz" vom Anfang des 19. Jahrhunderts
aus dem Schloß Leutstetten, wo sich die vier Monatsbilder früher
befanden, nennt kühn die Namen der angeblich dargestellten Ratsherren:
die Bürgermeister Ulrich Rehlinger und Marx Seitz, die Räte Wolfgang
Langenmantel und Hans Mühlich sowie Konrad Peutinger. In der Tat sind
die Gesichter der Ratsherren wie schon auf den Scheibenrissen recht markant
ausgeführt, und der Gedanke liegt nahe, daß hier zeitgenössische
Ratsherren abgebildet worden sind. Doch bestimmte Zuschreibungen erlauben
die Porträts, die man zum Vergleich heranziehen kann, nicht.
Die Frage, ob Personen des öffentlichen Lebens, Auftraggeber
oder Maler auf den Bildern verewigt und wiederzuerkennen sind, läßt
sich auch in anderen Fällen nicht beantworten: Auffällig ist
beispielsweise der etwas isolierte Reiter mitten auf dem Perlachplatz,
der ein Schwert in der Linken und außerdem noch einen Stab hält.
Die Teilnehmer des Festmahls im Januar, der junge
Mann am linken Rand des Turnierbildes, der eigenartig aus dem Bild
hinaus- und den Betrachter anblickt, sowie der ältere Patrizier
mit der Netzhaube, der sich im Vordergrund des Mai-Bildes über
die Kartenspieler beugt, könnten ebenfalls reale Personen jener Zeit
darstellen. Den letztgenannten in den schwarz-gelben Fuggerfarben hat man
als Mitglied der Familie Fugger identifizieren wollen.
Der Perlachplatz war das Zentrum des politischen und wirtschaftlichen
Lebens der Reichsstadt. Nach dem Bau des neuen Rathauses durch Elias Holl
(1615) erhöhten sich Wert und Wirkung des Bildes, das den früheren
topographischen Zustand festhielt. Moderne Historiker verwenden es gern
als Illustration mittelalterlichen Stadtlebens. Doch bereits die Zeitgenossen
des 16. Jahrhunderts sahen in dem Gemälde offenbar einen gelungenen
Versuch der Selbstdarstellung. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts ließen
sie eine Kopie des Bildes anfertigen, und es spricht
einiges dafür, daß nicht etwa die ganze Serie der Monatsbilder,
sondern nur dieses "Winter"-Bild nachgemalt wurde.
Exklusive Geselligkeit und aristokratischer Zeitvertreib
(Januar-März)
Das Bild des verschneiten Perlachplatzes ist fraglos das
bekannteste aus Serie der vier Monatsbilder, und kein anderes bildet die
geschönte Augsburger Wirklichkeit so getreu ab. Aber noch bemerkenswerter
ist das Gemälde mit den Monaten Januar
bis März. Die Motive sind noch eigenwilliger, vor allem weicht
das Bild insgesamt am stärksten von den Vorlagen der Scheibenrisse
ab. Es bringt daher am besten die Wünsche und Absichten zum Ausdruck,
die der (zweite) Auftraggeber um 1531 mit diesen Gemälden verfolgte.
Selbst das Januar-Bild hält sich nur scheinbar an
den vorgegebenen Rahmen und an die Zeichnungen Breus: Die Festgesellschaft
in der Wohnung eines reichen Mitbürgers oder in einem größeren
Versammlungsraun, die sorgfältig aufgebaute, repräsentative Kredenz
mit den prunkvollen Schaugefäßen, Tellern und Krügen, schließlich
der Kachelofen, an dem sich eine Frau wärmt und auf dem eine Katze
ein ruhiges Plätzchen gefunden hat - all das entspricht weitgehend
den Januar-Darstellungen in den Kalendarien der Stundenbücher und
der Komposition auf dem Scheibenriß. Auf den Ausblick aus dem Fenster
auf das winterliche Treiben des Weinmarktes, auf das alte Siegelhaus und
Sankt Ulrich mit dem noch unvollendeten Turm hat der Maler verzichtet.
Aber einige Themen sind sehr viel stärker als in
den allgemeinen und speziellen Vor-Bildern betont: der gesellige Charakter
des festlichen Mahls, an dem eine größere
Schar vornehmer Gäste teilnimmt; die zentrale Bedeutung von Musik,
für die die beiden Damen im Vordergrund mit ihren Lauten sorgen, und
von Gesellschaftsspielen, die gleich dreimal ins Bild komen: beim Tric-Trac-Spiel
der beiden Männer am linken Bildrand, im Schachbrett an der Wand und
in der Runde der Kartenspieler. Individuelle und entscheidende Zutaten
des Malers sind der Narr
im Hintergrund, der Bienen fängt, und der dreifüßige Schemel
im Vordergrund, eine Art Beistelltisch, der mit den Wappen
der Augsburger "High Society" bemalt ist.
Vor allem diese Wappen verleihen dem Bild einen individuellen
Charakter, bringen einen neuen Realitätsbezug in das Genre-Bild. Zwar
hat der Maler auch hier eines der beiden Paare am Tisch durch die zentrale
Position im Bild, durch aufwendige Kleidung und Gestik besonders hervorgehoben.
Doch die Szene ist mehr als eine Reminiszenz an das fürstliche Fest
wie es in flämischen Kalendarien, etwa im Stundenbuch des Herzog Berry
oder im Breviarium Grimani, dargestellt ist. Das Fest ist ein Gemeinschaftserlebnis
und offensichtlich keine beliebige Zusammenkunft wohlhabender Bürger,
sondern ein spezielles Treffen eines ausgewählten Kreises. Der Raum
mit seiner aufwendigen Holzkassettendecke, dem Wandbrunnen und den zierlichen
Mittel- und Ecksäulen der Glasfenster ist nicht eindeutig zu identifizieren.
Doch das Interieur paßt wohl kaum zu einem normalen Festessen in
einem öffentlichen Wirtshaus, wie es im Ravensburger Gatshaus "Zum
Mohren" auf einem Fresko des 15. Jahrhunderts - ebenfalls mit den Wappen
der Patrizier - dargestellt war. Schon eher könnte man an ein Neujahrsmahl
des Rates oder an eine private Feier in der guten Stube eines Patrizierhauses
denken. Auf entsprechende Bräuche verweisen Einträge in den städtischen
Amtsbüchern, aber auch ein Passus in dem 1537 in Augsburg auf deutsch
herausgegebenen Werk des weitgereisten italienischen Theologen Polydorus
Vergilius (gest. 1555) "Von den erfyndern der dyngen". Vergilius geht unter
anderem auch der Frage nach, "woher bey den unsern der brauch sey, Gelt
under das volck hinaus zu werffen, ein gemayne Malzeyt un(d) daz New Jar
[zu] geben, Dantzen, Schawspyl halten und am ersten tag des Mayens auff
die aecker hinaus zegehen, unnd auch am ersten tag des Mertzens mit angezündten
Facklen durch die Felder zelauffen und an den Weyhenachten etwann aus den
Knechten ein Künig zumachenn und vor anfangs der Fasten, Faßnacht
klayder anzulegenn". Demnach ist der Brauch, "im anfang des jars von gutes
glücks wegen eine Strena", das heißt eine "schankung", zu geben,
auf die Zeiten des Kaisers Augustus zurückzuführen. In der Gestaltung
des Festes gab es im Europa des Vergilius Unterschiede: In Italien richteten
es die Reichen den weniger Reichen aus, in England die Fürsten dem
König.
Den besten Fingerzeig auf Ort, Anlaß und Festgemeinde
geben aber wohl die 37 Wappen selbst, die erstaunlich sorgfältig in
sechs Reihen (I-VI) auf den Untersatz
gemalt worden sind. Eins der Wappen ist nicht mehr zu erkennen. Die anderen
lassen sich bis auf wenige Ausnahmen zweifelsfrei identifizieren:
I 1: Langenmantel vom R.
I 2: Rehlinger
I 3: Sultzer
I 4: Welser
I 5: Walther
I 6: Frickinger
I 7: [nicht erkennbar]
II 1: Langenmantel vom Sparren
II 2: [bislang nicht identifiziert];
wohl kaum von Giltlingen, Artzt oder Kenzel.
II 3: Lauginger
II 4: Grandauer
II 5: Hofmair
II 6: Regel
III 1: von Stetten
III 2: Fugger
III 3: Mielich
III 4: Baumgartner
III 5: Meiting
III 6: wohl Thurzo (oben wachsender Löwe, unten
eine halbe rote Rose);
vgl. aber auch Honold »vom Luchs«.
IV 1: Rem/Rhem
IV 2: Hainzel
IV 3: wohl Vetter; evtl. auch Honold »vom Luchs«?
IV 4: Wilbrecht; kaum Ulstätt
IV 5: Schellenberger
IV 6: Ehem
V 1: Riedler
V 2: Dietenheimer
V 3: wohl Neidhart; kaum Pichler
V 4: PreiPschuh
V 5: Vetter oder Vögelin
V 6: Herwart
VI 1: Adler
VI 2: Vöhlin
VI 3: Ravensburger
VI 4: Peutinger
VI 5: Reihing
VI 6: Renwolt/Rembold
Nur die Wappen der Patrizier und der mit ihnen durch Heirat
verbundenen großen Familien Augsburgs, der sogenannten "Mehrer",
haben auf dem Schemel Platz gefunden. Die Familien der Zunftbürgermeister,
etwa des mehrfachen Stadtpflegers Mang Seitz, der 1531 Anton Bimmel ablöste,
sind nicht vertreten. Die nähere Eingrenzung und Datierung dieser
Wappenkombination ist nicht leicht. Auf dem Schemel sind keine Allianzwappen
zu sehen, mit deren Hilfe man einzelne Personen identifizieren könnte.
Kein Wappen ist etwa durch seine Position oder Ausführung gegenüber
den anderen herausgehoben. Falls die politische Führungsschicht, also
Stadtpfleger, Mitglieder des Großen (233 Personen, davon 12 Patrizier)
und des Inneren Rats (12 Patrizier und 57 Zünftler) und andere Amtsinhaber
gemeint gewesen sein sollten, dann müßten einige der Wappen
mehrfach vertreten sein. Daß ein Familienwappen stellvertretend für
mehrere namentlich bekannte Amtsträger stehen könnte, ist unwahrscheinlich.
Daher lassen sich Zahl und Verteilung der Wappen schlecht zu der Größe
der jeweiligen Gremien in Beziehung setzen. Verlockend wären solche
Überlegungen allenfalls für die Zeit nach der Regimentsordnung
Karls V. von 1548, als ein 7köpfiger "Geheimer Rat" eingerichtet und
der Innere Rat auf 41 Personen (31 Patrizier, 3 Mehrer, 1 von den Kaufleuten
und 6 aus der Gemeinde) reduziert wurde. Sollte also etwa die oberste Reihe
auf dem Schemel, die anders als die nachfolgenden Reihen ursprünglich
aus sieben Wappen bestand, dem obersten Regierungsorgan entsprechen?
Plausibler ist eine andere Hypothese: Könnte es sich
nicht um die Wappen der Familien handeln, die Zugang zur Herrenstubengesellschaft
erlangt hatten? Dieser Vereinigung, der "merere Gesellschaft von der herren
stuben", gehörten Patrizier und durch Heirat stubenfähige Nichtpatrizier
an, darunter besonders Leute aus der Kaufleutezunft ("Mehrer der Gesellschaft").
Aus der letztgenannten Gruppe der Mehrer wurden 1538 die übriggebliebenen
sieben alten Geschlechter durch 39 Familien ergänzt. Von den sieben
alten Geschlechtern (Herwart, Hofmaier, Ilsung, Langenmantel, Ravensburger,
Rehlinger und Welser) fehlt nur das Wappen der Ilsung; also spricht einiges
dafür, daß das nicht mehr erkennbare Wappen (I 7) das der Ilsung
war. Allerdings sind in der Stadtpolitik von 1500 bis 1548 von diesen alten
Geschlechtern nur noch die Herwart, Langenmantel, Rehlinger und Welser
aktiv gewesen.
Die Mitglieder der Herrengesellschaft fanden sich in der
Herrentrinkstube zu Beratungen, Hochzeiten und Gelagen zusammen. Dieser
Versammlungsraum, auch Geschlechterstube, Herrenstube oder Bürgerhaus
genannt, befand sich an der Ecke gegenüber dem alten Rathaus. Hier
kam man auf die Idee, Hochzeitsbücher anlegen zu lassen: "so auf der
herren stuben rechtlich beschriben, auch derselben erlich gesellschafft
und geschlechten zugethon gewesen, und zum tbaill noch sein". An den Wänden
hingen womöglich repräsentative Gemälde wie etwa der Geschlechtertanz
des Abraham Schelhas (um 1600). In einem solchen Raum hätten die Wappen
der Mitglieder ihren guten Sinn, sei es an den Wänden, sei es auf
einem Wappenschemel. Diesen Usus bestätigt der Kaufmann Hektor Mülich
in seiner Chronik: "Anno domini 1457 seind dise nachgeschribne gechlecht
auf der trinckstuben gemalt an der taflen gewesen, wie sie hernach stand
gemalet"; anschließend folgen die angekündigten Wappenmalereien.
In eine ähnliche Richtung weist die Beischrift im
"Gartenfest" Narziß Renners (1522), der die 200 Wappen nachgemalt
hat "von der Stuben", davon 54 der von Herren. Mit dieser Stube könnte
auch der Sitz der Kaufleutestubengesellschaft gemeint gewesen sein, die
den Angehörigen aller Zünfte offenstand. Dem Namen nach müßte
die führende Zunft, die Kaufleutezunft, die 1539 nur noch 39 Mitglieder
hatte, in dieser Gesellschaft den Ton angegeben haben. Das war aber offensichtlich
nicht der Fall. Denn die Kaufleute selbst zogen es vor, lieber in der Herrenstubengesellschaft
und in der Herrentrinkstube unter ihresgleichen zu verkehren. Ein Schlaglicht
auf das gesellschaftliche Leben beider Gemeinschaften werfen die "Stubengesetze
der Gesellschaft der Kaufleute von 1541", die nur folgende Spiele auf der
Stube gestattete: "mit dem würffl, doch allain im pret, item mit der
karten, im thurn, muntten, ains und hundert, rümpfen der pfennig,
aber teurer nit und karneußlen". Auch Hochzeiten wurden in der Kaufleutestube
wie in der Herrentrinkstube am Perlach gefeiert.
Auf dem Januar-Bild ist also entweder ein (Neujahrs-)Fest
in der Trinkstube der "Herrengesellschaft" oder eine Feier in den Privaträumen
eines ihrer Mitglieder abgebildet. Einige offene Fragen bleiben: So fällt
auf, daß verschiedene Familien, die eigentlich auf der Herrenstube
repräsentiert sein müßten, nicht mit ihren Wappen vertreten
sind, z. B. die Gossembrot, Höchstetter oder Pfister. Es fehlt mit
dem Höchstetter-Wappen also ausgerechnet das Erkennungszeichen jener
Familie, die ihr Haus mit den Monatsscheiben nach den Entwürfen von
Jörg Breu hat ausschmücken lassen. Entweder ist ihr Wappen mit
jenem identisch, das in der obersten Reihe rechts außen im nachhinein
unkenntlich geworden ist, oder aber es ist bewußt unterdrückt
worden. 1529 brach das Wirtschaftsimperium der Höchstetter bekanntlich
zusammen, die Firmenchefs saßen Anfang der dreißiger Jahre
in Haft. Vor diesem Hintergrund wird die Lücke in der Wappenfolge
im Januar-Bild zumindest erklärlich.
An das prunkvolle Fest im Januar schließen sich
das prächtige Turnier und das bunte Treiben im Februar
und März an. Das Turnier findet im Innenhof eines gotischen Gebäudes
statt, das mit seinen großen Erdgeschoßlauben, dem Zinnenkranz
und mit dem Turm aus drei aufeinander aufbauenden Loggien das Geschehen
im vorderen Teil hermetisch vom Hintergrund abschließt. Die Architekturformen
gemahnen an venezianische Vorbilder, an vergleichbare Elemente auf Gemälden
Carpaccios und Bellinis oder auch an den Fondaco dei Tedeschi, das Kaufhaus
der Deutschen in Venedig, wo Augsburger und Nürnberger Kaufleute eine
führende Rolle spielten. Insbesondere die überdeckten Bogengänge
mit den roten Marmortondi in den Bogenzwickeln erinnern aber auch an Bauten
in Augsburg selbst und in der weiteren Umgebung: an die Fuggerkapelle in
St. Anna, an den Damenhof der Fuggerhäuser, an den Nordflügel
des Schlosses Neuburg an der Donau (1534-1537), an Architekturformen des
Schlosses Grünau, des Schwazer Fuggerhauses und anderer Tiroler Burgenneubauten.
Über die Renaissance-Architektur wird also erneut ein Bezug zur Lebenswirklichkeit
der Augsburger Oberschicht des 16. Jahrhunderts hergestellt. Die Bauformen
verbinden anscheinend zeitgenössische Gestaltungselemente mit Phantasieformen.
Gegen eine reine Phantasieansicht sprechen unter anderem die roten Kuppeln
und Dächer, die rechts - eigentlich überflüssigerweise -
hinter dem Zinnenkranz angedeutet sind. Allerdings ist es bislang nicht
gelungen, den luftigen, heiteren Renaissance-Bau mit einem historisch verbürgten
oder noch bestehendem Schloß oder Palazzo zu identifizieren.
Das Turnierbild spiegelt wie kein anderes Thema innerhalb
des Monatszyklus die Vorlieben und Absichten des Auftraggebers wider. Im
Mittelpunkt steht das gesellschaftliche Ereignis der ritterlichen
Welt, das exklusive Kampfspiel des Adels. Das städtische Patriziat
hatte dem Adel jedoch längst dieses Privileg streitig gemacht. Gelegenheit
dazu hatte es auf den zahlreichen Turnieren, die im späten Mittelalter
überwiegend in den Städten stattfanden. Willkommener Anlaß
solcher Kampfspiele waren häufig Besuche von Königen und Fürsten
in der Stadt, aber auch Hochzeiten wohlhabender Bürger. Daneben kamen
im 15. Jahrhundert Turniere zur Fastnacht groß in Mode. Im Narrenschiff
Sebastian Brants gehören Turniere bereits wie selbstverständlich
zur Fastenzeit: "Auch lädt man ein zu Tanz und Stechen, da muß
man viele Speere brechen, und Narren recht zusammenbringen".
In die Fastenzeit (Februar/März) fällt auch
das Turnier auf dem Augsburger Monatsbild. Vorläufer in den Kalendarien
der Stundenbücher oder in anderen Monatszyklen gibt es kaum. Allenfalls
die Repräsentation des Februars durch ein Turnier
im Adlerturm von Trient ließe sich zum Vergleich heranziehen und
könnte die Augsburger Lösung beeinflußt habeni.
Das Februar-Bild erschließt sich also weniger als
Teil eines traditionellen Bildprogramms, sondern dokumentiert nackdrücklich
die gesellschaftliche Bedeutung des Turniers im Augsburg jener Zeit. Die
schwäbische Reichsstadt war damals die erste Adresse für jeden,
der das Turnierwesen in Theorie und Praxis kennenlernen wollte. Hier befand
sich das Zentrum der Harnischproduktion, die Hochburg der Plattner, hier
und in Nürnberg wurden mehr Turniere abgehalten als irgendwo sonst
in Deutschland, hier war demzufolge auch das theoretische und historische
Interesse an der Geschichte der Turniere besonders groß.
Diese besondere Anteilnahme dokumentieren die Turnierbücher,
die in Deutschland seit dem Ende des 15. Jahrhunderts Ablauf, Kampfformen,
Termine und Teilnehmer der Turniere festhalten. Könige und Fürsten
gaben persönliche Turnierbücher in Auftrag, die von bekannten
Künstlern illustriert wurden. Die Turnierbücher Kaiser Maximilians
I. mit Miniaturen der Augsburger Maler Hans Burgkmair d. Ä. und d.
J. oder der sächsischen Kurfürsten aus der Cranach-Werkstatt
und des Herzogs Wilhelm IV. von Bayern mit Bildern von Hans Ostendorfer
d. J. sind nur die bekanntesten Beispiele. Unter den historischen Turnierbüchern,
die Kampfspiele an einem Ort oder die Turniergeschichte bis in die Zeit
König Heinrichs I. (938) zurückverfolgen, wurde das 1530 gedruckte
Werk des Reichsherolds Georg Rixner Vorbild für viele spätere
historische Abrisse.
Aber auch bürgerliche Liebhaber des ritterlichen
Kampfsports verfaßten einige bemerkenswerte Turnierbücher. Einige
besonders informative und prächtige Exemplare entstanden in Augsburg.
1518 erschien dort die älteste gedruckte Turnierordnung und -chronik:
"Wann und um wellicher ursachen willen das loblich ritterspil des turniers
erdacht und zum ersten geübet worden ist". Die
Schrift eröffnete den Reigen der großen Turnierbücher und
diente unter anderem auch Georg Rixner als Vorlage. Der Verfasser ist unbekannt,
den Druck von 1514 veranlaßte der Augsburger Bürger Marx Würsung.
Ein seltenes Beispiel eines persönlichen Turnierbuchs aus der Feder
eines städtischen Patriziers ist der Bericht des Marx Walther, der
die Aufzeichnungen über die von ihm bestrittenen Reiterzweikämpfe
mit Notizen über die Geschichte seiner Familie verband. Kolorierte
Federzeichnungen illustrieren die Zweikämpfe, die er in der Zeit von
1477 bis 1489 austrug. Der Augsburger Bürger scheint seinen ganzen
Ehrgeiz daran gesetzt zu haben, seine städtischen und adligen Konkurrenten
zu übertreffen. Bezeichnend für sein Selbstbewußtsein und
seine Renommiersucht ist eine Episode aus dem Jahr 1489. Bei einem Rennen
gegen Jacob Ridler aus München erschien er mit einem riesigen Spieß
von dreifacher Manneslänge in der Arena, den selbst zwei Helfer nur
mit Mühe tragen konnten. Seine Gegner argwöhnten, die Lanze müsse
hohl sein. Kurzentschlossen setzte Walther zum Gegenbeweis einen vierzehnjährigen
Knaben auf die Lanze und sprengte so in voller Rüstung einmal über
den Fronhof und zurück. Danach schlug er die Eisenspitze vom Spieß,
füllte sie mit Wein und trank sie in einem Zug aus. Um 1542 übersetzte
der Augsburger Ratsdiener Paul Hector Mair eine Turniergeschichte ins Lateinische
und arbeitete diese in sein "Fechtbuch" ein. Mair hat auch Angaben darüber
gemacht, "wie es meine Herren [die Ratsherren] halten, wenn sie ain Rennen
[in Augsburg] ausschreiben". Eigene Beobachtungen und Auszüge aus
den Turnierbüchern Würsungs, Walthers und Mairs fügte Jeremias
Schemel um 1560 zu einem großen, reich illustrierten Sammelband zusammen.
Anhand anschaulicher Bilder beschrieb er unter anderem das "welsch gestech
über das Till" und die 32 Harnischteile dieses "welschen gestechs
über die Plangken oder frei Thornier mit all seiner zugehör".
Das Interesse der Augsburger Bürger am Turnier bezeugen
auch die Fresken, Holzschnitte, Scheibenrisse und Zeichnungen, die das
beliebte Kampfspiel abbilden. Ein frühes und außergewöhnliches
Beispiel ist das große Fresko aus dem Stettenhaus, das einen Turnierkampf
mit Keulen und Schwertern zeigt. Wie selbstverständlich ist das Thema
neben Schlittenfahrt und Jagdszenen in einer Miniatur des Fuggerschen Ehrenbuches
festgehalten. In ähnlicher Form ziert das Motiv auch die Ratsbücher
des oberen und unteren Rats.
Nicht weniger aufschlußreich für die Aufmerksamkeit,
die man in bürgerlichen Kreisen den Turnieren schenkte, sind die zahlreichen
Hinweise in der Augsburger Chronistik des 15. und 16. Jahrhunderts. Aus
Chroniken und Turnierbücher erfahren wir denn auch zwar nicht erschöpfend,
aber doch einigermaßen zuverlässig, wie häufig man sich
in den Städten zu diesen Schaukämpfen traf und wie die Treffen
abliefen. Eine Zusammenschau sämtlicher Nachrichten über die
Turniere in den süd- und mitteldeutschen Städten von 1400 bis
1550 ergibt, daß gleich nach Nürnberg für Augsburg die
meisten Turniere überliefert sind. Ungefähr 45 Scharfrennen,
(welsche) Stechen oder Halbierungen wurden in diesem Zeitraum ausgetragen
- in der Rosenau, auf dem Weinmarkt, bei Wellenburg oder auf dem Fronhof.
Dreizehn größere Turniere fielen allein in die erste Hälfte
des 16. Jahrhunderts. In der Regel wurden sie als Rahmenprogramm bei Reichstagen,
Schießfesten und Hochzeiten oder während der Fastenzeit anberaumt.
Die Kosten solcher Veranstaltungen waren beträchtlich. Bezüglich
der sozialen Herkunft der Turnierteilnehmer in Augsburg gab es verschiedene
Varianten: Oft blieb der Adel unter sich, die Bürger maßen sich
meist untereinander bzw. mit Gästen aus anderen Städten, mehrmals
traten aber auch Adlige gegen Bürger an.
Einige dieser Turniere erregten aus verschiedenen Gründen
besonderes Aufsehen. Zur Fastnacht 1442 kam Markgraf Albrecht Achilles
von Brandenburg mit 54 Rittern und 300 edlen Turnierteilnehmern nach Augsburg.
Der Rat mußte auf dem Fronhof, dem Turnierplatz, einen "Ordnungsdienst"
von 1.300 Männern aufbieten, um die Sicherheit der Teilnehmer und
Zuschauer zu gewährleisten. "Kostlich täntz" und "fröliche
vasnacht von stechen und anderm" waren den Aufwand offenbar wert. Die ritterliche
Lebensweise faszinierte die Bürger und spornte sie zu besonderen Anstrengungen
auf dem Spezialgebiet des Adels an. Die sportliche Rivalität konnte
gefährlich werden, sobald sie das Selbstverständnis und das Standesbewußtsein
der Ritter in Frage stellte. So wurde Michael Rem während eines Fastnachtsturniers
von einem von Schaumburg erstochen, und zwar deshalb, weil er gesagt hatte,
"daß unsere Bürger mit Thurnieren und Rennen denen vom Adel
weit überlegen weren".
1459 maßen sich die Augsburger auf dem Fronhof mit
ihren Gegnern aus Nürnberg und Ulm. Am 6. Februar "stachen die Herzöge
Christoph und Wolfgang von Bayern mit den Bürgern" bei einem Gesellenstechen.
In Anwesenheit Maximilians I. fand 1510 erneut ein
prächtiges Turnier statt, an das sich ein Festmahl im Haus Jacob Fuggers
und danach der Geschlechtertanz auf dem Tanzhaus anschlossen. Anläßlich
der Hochzeit Anton Fuggers mit Anna Rehlinger war am 5. Februar 1527 erneut
ein Rennen oder Stechen angesetzt, an dem Ulrich Welser, Thomas Ehem, Jörg
Pfister, Wolf Preischuh, Lienhart Epischoffer, Michel Sedelmeier, Paltaß
Streng, Ulrich Prock, ein gewisser "Gallunsch" und Offerus Mair als Turnierer
sowie "Gall Schemel maller" und "Michel Feierabent balbierer" als Narren
teilnahmen. Großen Zuspruch muß das Turnier gefunden haben,
das 1542 auf dem Fronhof veranstaltet wurde. Wilhelm Peter Zimmermann hat
es nach einer zeitgenössischen Vorlage ungefähr 200 Jahre später
wiedergegeben.
Der Nachweis der Turnierfähigkeit war das beste Mittel,
Zweifel an der adligen Herkunft zu zerstreuen. So wehrten sich auch die
Rehlinger in ihrem Stammbuch gegen "Mißgunstige des Rehlingeschen
Namens und Geschlechtes" am besten mit dem Hinweis darauf, daß sie
"neben und mit anderen vom Adel selbst gerent, gestochen und thurniert
haben, bey welchem Thurnieren, Rennen und Stechen vil fürsten, graven,
freiherren und von guttem rittermessigen Adel zum offten mal in guetter
anzal selbst personlich gewesen und vil ehrlicher Ritterspil und kurzweil
mit ihnen gehalten und hochberuembt worden sind".
Die Berechtigung zur Teilnahme am Turnier wurde auch in
den Adels- und Wappenbriefen gebührend hervorgehoben. Die Privilegien
machten den Begünstigten zu einem "recht edel gebornen Lebens-, Torniersgenoß
und rittermeBigen edelleuten" und verliehen das Recht, "ein rots wachs
geprauchen, tornier zu reitten ... urtail zu schöpffen und Recht zu
sprechen", wie es im Adelsbrief Karls V. für die Augsburger Krafter
heißt.
Ist nun das Turnier, das auf dem Augsburger Monatsbild
dargestellt ist, mit einem historischen Turnier zu identifizieren? Bezieht
sich die Jahreszahl 1531
auf dem Renaissance-Bau im Mittelgrund auf die Veranstaltung im Vordergrund?
Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Historisch bezeugt sind lediglich
für 1530 einige Treffen: am 6. Juni ein Scheingefecht anläßlich
der Ankunft Kaiser Karls V. und König Ferdinands in Schwaz (Tirol);
am 10. Juni ein Scharmützel in München anläßlich des
Einzugs des Kaisers und des Königs auf ihrer Reise nach Augsburg;
am 5. September 1530 das Turnier in Wellenburg bei Augsburg, als Ferdinand
I. durch Karl V. mit den österreichischen Erblanden belehnt wurde.
Das letztgenannte Ereignis ist bis hin zu den Farben der Turnierschilde
ausführlich beschrieben worden. Gemeinsamkeiten mit den Farben und
Wappen auf dem Februar-Bild sind nicht festzustellen. Anfang 1531 fanden
dann in Köln die Wahl und in Aachen die Krönung Ferdinands zum
römischen König statt. Auf dem Rückweg nach Österreich
ließ ihm der Augsburger Rat in Donauwörth durch Johann Haintzel
und Konrad Peutinger die besten Glückwünsche zur Königswahl
ausrichten. Am Augsburger Weberhaus war König Ferdinand als "erwelt
1531" vertreten. In den Hochzeitsbüchern vermerkte man das Ereignis
ebenfalls, aber von einem Turnier aus Anlaß der Wahl und Krönung
ist nichts bekannti.
Auch sonst ist für 1531 in Süddeutschland kein
besonderes Turnier bezeugt; Jeremias Schemel nennt nach der Hochzeit Anton
Fuggers (1527) erst wieder zu 1538 ein "gestech und rennen", das auf Karl
Fillingers Hochzeit ausgetragen wurde. Falls der Ort des Geschehens Augsburg
sein sollte, könnte es sich bei den Kampfspielen auf unserem Monatsbild
höchstens um eine "normale" Fastnachtsveranstaltung handeln - es sei
denn, das Bild selbst gäbe uns konkrete Hinweise auf ein anderweitig
nicht überliefertes Turnier dieses Jahres.
Die große Turnierdarstellung selbst gibt freilich
zunächst Rätsel auf. Offensichtlich hat der Maler verschiedene
Turnierformen miteinander verbunden und sich auch bei Harnisch- und Helmformen
nicht immer an die realen Vorbilder gehalten. Ganz im Vordergrund tragen
zwei Reiter augenscheinlich ein "deutsches
Stechen" aus. Die Lanzenspitzen sind im Gegensatz zum Scharfrennen
nicht mit einem vierseitig geschmiedeten spitzen Dorn, sondern mit einem
Krönlein versehen. Dahinter findet ein "welsches Stechen über
die Palia" oder, wie man in Augsburg sagte, ein "welsch Gestech über
das Thill" statt. Bei dieser italienischen Turnierart, die um 1530 in Deutschland
immer beliebter wurde, waren die Gegner durch eine Planke (palia, dill)
voneinander getrennt, die den möglichen Zusammenprall der Pferde verhindern
sollte; die Spieße waren dabei ebenfalls gekrönelt, trugen also
an der Spitze einen stumpfen Kranz von Zacken. Bei beiden Varianten zielte
der Stoß auf die Tartsche, die den Hals und die linke Schulter des
Gegners deckte. Im Hintergrund rechts messen sich andere Streiter im Schwerterkampf.
Die beiden Trompetenbläser sowie der eine Trommler noch weiter rechts
davon übernahmen vielleicht das Anblasen des Turniers. Wahrscheinlich
handelt es sich aber um die drei festangestellten Spielleute der Stadt,
die das Fest musikalisch begleiteten. Der Maler hat also verschiedene Gänge
eines Turniers zusammengefaßt, die normalerweise auf mehrere Tage
verteilt waren. Ebenfalls simultan, aber auf andere Weise hat Jörg
Breu d. Ä. die unterschiedlichen Turnierformen auf dem großen
Holzschnitt über das Turnier bei Wellenburg (1530) wiedergegeben.
Sämtliche Turnierer tragen prächtige (Halb-)Harnische.
Die Helme der beiden Teilnehmer am Plankengestech sind durch große
Federbüsche, der des linken Reiters mit einer besonderen Helmzier
geschmückt. Spezialisten für diese stählernen "Maßanzüge"
waren Augsburger und Nürnberger Harnischmacher. Die Datierung der
abgebildeten Rüstungen und Waffen ist schwierig; der Stechhelm des
Reiters auf der gelb-schwarzen Renndecke im Vordergrund gehört eher
in eine etwas frühere Zeit (um 1520), wenn man an Abbildungen zeitgenössischer
Turnierbücher (etwa im Freydal) denkt und berücksichtigt, zu
welchen sehr viel eleganteren Lösungen Augsburger Harnischmacher bereits
um 1525 gekommen waren. Andererseits ist natürlich nicht ausgeschlossen,
daß man um 1530 noch Turniere mit diesen etwas veralteten Helmen
ausgetragen hat. Die "Renngäule" wurden eigens für die Turniere
trainiert und nicht minder aufwendig herausgeputzt: mit den Schellenkränzen
um den Hals und mit den farbenfrohen Turnierdecken.
Das Kampfbild bietet nun einige scheinbar konkrete Anhaltspunkte
für eine nähere Identifizierung: Am augenfälligsten sind
die Embleme auf Tartschen und im Helmschmuck sowie die farbenprächtigen
Turnierdecken mit ihren Monogrammen, Symbolen und den Devisen. Wohl anhand
dieser Anhaltspunkte sind die Kämpfenden in der älteren Literatur
auch kurzerhand als Angehörige der Familien Lanberger, Fugger, Rechenberger
und Besserer identifiziert worden. Ganz so einfach ist es nicht. Die Decken
einiger Pferde an der Planke, das heißt die rote mit weißen
Ornamenten, die gelb-rote und die hellrote Renndecke mit goldenen Rankenornamenten,
lassen überhaupt keine weiteren Rückschlüsse auf die Reiter
zu. Die übrigen Embleme versprechen mehr als sie halten. Nicht einmal
der linke Ritter mit goldenen gekreuzten Rechen auf
grünem Grund auf der Tartsche und der Frau mit gekreuzten
Rechen im Helmschmuck ist namentlich zu ermitteln. Das Wappen der Rechenberger
und andere Wappen, die durch gekreuzte Rechen gekennzeichnet sind, sehen
anders aus.
Die Turnierdecke des zweiten Teilnehmers von links ist
wie die Tartsche rot-weiß-grün-schwarz gestreift und zeigt eine
Frau (?) in Grün, auf die ein weißer Hund zuspringt, sowie ein
weißes, nicht ausgefülltes Devisenband. Wahrscheinlich steckt
hinter
dem Bilderrätsel ein Scherz oder ein Sprich wort. Goldene Leuchter
(?) schmücken die grüne Decke des rechten Pferdes im Vordergrund.
Aufgemalt ist ferner ein zweigeteiltes Band mit dem scherzhaften Spruch:
"Mein Spies spicz, ich hie sicz". Wieder ganz anders, nämlich mit
grünen Spielkarten, ist die grüne, durch Goldfäden in Rhomben
unterteilte Schabracke des mittleren Pferdes verziert. Das Spielkartenmuster
und die Bilddevisen passen gut zu einem Fastnachtsturnier. Ähnliche
Schmuckelemente und Losungen kehren beispielsweise in verschiedenen Turnierbüchern
wieder. Da reitet der sächsische Kurfürst Johann Friedrich der
Großmütige in Torgau 1527 auf einem Pferd, dessen rote Decke
mit silbernen Spielkarten übersät ist. An solchen spielerischen
Figuren hatte auch Herzog Wilhelm IV. von Bayern seine Freude. In seinem
Turnierbuch fällt etwa eine Renndecke mit Ringen, Sternen, Uhren,
Schachbrett und Gießkanne ins Auge. Den Scherz- oder Phantasiefiguren
auf den Monatsbildern am nächsten kommen Darstellungen im Turnierbuch
des Augsburgers Marx Walther. Dort sieht man auf den Renndecken zum Beispiel
eine Katze mit dem Spruch: "Das ist ain bösse katz, die ain vornen
leckt und hinden kratzt" oder auch: "Wer mir ist wider, den stos ich nider".
Doch zur Identifizierung der Turnierreiter geben die Symbole und Aufschriften
wenig her. "Die mannigfaltigen Bilder der Renn- und Pferdedecken, der Schilde
und Helmzierde haben selten Bezug auf das Wappen des Ritters, es waren
beliebige für das besondere Turnier bestimmte Attribute, die häufig
ihren Grund in irgendeinem Witze hatten".
Festeren Boden meint man beim Schmuck der Renndecke links
im Vordergrund zu betreten: Die gelbe Turnierdecke ist mit grün-schwarzen
Sonnenstrahlen oder Flammen und schwarzen Blättern übersät
und wiederholt mehrmals das Monogramm "AF" am Saum. Die Versuchung, das
Monogramm voreilig mit bekannten Namen aufzulösen, ist groß.
Die Initialen und die gelb-schwarzen Farben passen etwa auf Anton Fugger,
um 1531 Leiter des bedeutenden Handelshauses. So ähnlich sind diese
Anfangsbuchstaben etwa in sein Petschaft eingeschnitten. Weitere Daten
der Fugger-Geschichte drängen sich in diesem Zusammenhang auf: 1531
richtete Anton Fugger in seinem Haus am Weinmarkt ein "kaiserlich Palatium"
ein, das Karl V. und die Angehörigen des Kaiserhauses während
der Reichstage bewohntenSollte das Renaissance-Gebäude auf dem Februar-Bild
den geplanten oder im Bau befindlichen "Palazzo" abbilden? Oder ist einer
der Landsitze gemeint, auf den sich Anton Fugger und andere Augsburger
Patrizier in jenen Jahren zurückzogen? Nachdem am 19. November 1530
der Augsburger Reichstag verabschiedet worden war, hielten sich Karl V.
und Ferdinand noch bei Anton Fugger in Schloß Weißenhorn auf.
Dorthin siedelte der Firmenchef, der in dem "kritischen" Jahr 1531 von
Karl V. in den Grafenstand erhoben worden war, über und hielt dort
von 1533 bis 1536 "herrlich und zierlich" "Haus". So verführerisch
solche Kombinationen auch sind, so erlauben sie doch nicht, den Turnierteilnehmer
und die Renaissance-Kulisse oder gar den Auftraggeber zweifelsfrei zu identifizieren.
Die Alternativen zur Auflösung des Monogramms auf
der Turnierdecke sind nicht weniger plausibel, können allerdings auch
nicht recht befriedigen. In verschlungener Form stehen die beiden Buchstaben
(AF oder FA) nämlich auch für König Ferdinand I. und seine
Gemahlin Anna. Beim Einzug Karls V. in Augsburg 1530 begleiteten ihn unter
anderen 100 "Trabanten...ynn gelben leibröcken, und ynn dem einen
erbel seiner Mai(estet) liberey, dazwischen ein gelb buchstab F und A gestickt".
Genauso hat es Jörg Breu auch auf seinem Holzschnitt über das
Einreiten des Kaisers wiedergeben. Ähnlich findet sich das Monogramm
auf Holzschnitten Jörg Breus und Christoph Ambergers, auf denen die
Schlittenfahrt des Königspaares während des Reichstags dargestellt
ist. Ferner ist es auf Medaillen, dem Spielbrett von Hans Kels und anderen
Gegenständen zu sehen.
Andere Möglichkeiten sind freilich nicht auszuschließen.
Das ligierte "AF" war etwa auch das Monogramm der Augsburger Kunsthandwerkerfamilie
Forster. Die Initialen könnten sich auch statt auf die Königsfamilie
auf ritterliche Turnierteilnehmer beziehen. Selbst der Gedanke, daß
die beiden Buchstaben als Abkürzung einer Devise zu verstehen sind,
wäre nicht ganz abwegig. Im Turnierbuch Herzog Wilhelms IV. von Bayern
tummeln sich etwa Narren auf einer Turnierdecke, verbunden mit den Buchstaben
W.S.N.A., die mit "Wir seind nit alain" aufzulösen sind. Bei einem
anderen Treffen tritt ein Teilnehmer mit dem Wahlspruch an: "All Freudt
mitt fridt". Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 waren die Leute Landgraf
Philipps von Hessen an den am Ärmel aufgenähten Buchstaben V.D.M.I.E.
kenntlich: "Verbum Domini manet in eternum". Der Volksmund machte sich
darauf seinen eigenen Reim: Und Du Mußt Ins Elend.
Anderer Art als die genannten Aufschriften ist das Monogramm,
das sich auf der Tartsche mit dem roten Überzug auf der rechten Bildhälfte
befindet. Das H.S.F.A.
unter einer kleinen Krone sieht wie eine Signatur des Malers aus. Ob Hans
Friedrich Schorer, der das Bild in späterer Zeit übermalt haben
könnte, damit gemeint ist, muß offenbleiben. Über weitere
Identifizierungen mit Malern aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
kann man nur spekulieren. Zur Identifizierung der Turnierteilnehmer trägt
die Signatur jedenfalls nichts bei. Vorerst läßt sich also nicht
entscheiden, ob das Februar-Bild ein historisches Turnier in der näheren
oder weiteren Umgebung Augsburgs oder nur ein typisches Fastnachtsturnier
vor einer eleganten Phantasiearchitektur wiedergibt.
Im weiten Innenhof
des Renaissance-Baues halten sich weitere Personengruppen auf: die Schar
derer, die dem Turnier zuschauen; dahinter eine Reihe von Händlern,
Trauergäste um den Sarg herum, flanierende Passanten und eine Frau,
die auf der Flöte spielt. Links hinter dem Sarg stehen und diskutieren
Männer mit turbanartigen Kopfbedeckungen, darunter wenigstens ein
Jude. Die übrigen könnten orientalische Händler sein oder
eher Augsburger Bürgersöhne, die sich entsprechend verkleidet
haben. Auf der gegenüberliegenden Seite kommen drei Herren in langen
roten Gewändern und roten Kopfbedeckungen ins Bild, die mit langen
weißen Reiherfedern oder Pelzschwänzen verziert sind. Die auffällige
Kleidung verweist auf echte oder kostümierte
Janitscharen, eine muslimische Sondertruppe im Heer des Osmanischen Reiches.
Jedenfalls sorgten junge Bürgersöhne auch in anderen süddeutschen
Städten während der Fastnacht als Türken und Ungläubige
für Aufsehen. Die Mummereien zur Fastnacht, die auf unserem Bild lediglich
angedeutet sind, gehörten schon im 15. Jahrhundert zu den beliebten
städtischen Vergnügen. Im Frühjahr 1477 verbot der Augsburger
Rat jegliche "Verkleidung und Maske für Bürger und Geistliche
sowie nächtliche Besuche und setzte den Aschermittwoch als absolutes
Ende des närrischen Treibens fest". Die Versuche, die Mummerei wenigstens
zeitlich auf die eigentlichen Fastnachtstage zu beschränken, fruchteten
nichts. Auf taube Ohren stießen solche Verbote fast ein Jahrhundert
später auch bei Veit Konrad Schwarz: "Es was verbotten, das niemant
sollt in der mummerey geen, da fueren wir dann, hetten 2 stattpfeifer,
kamen zu etlichen junckfrauenhöfen, da hett man uns nit ungern. Wir
tantzten und sprangen wie die kölber, dann es wasen belle figlie da"
[schöne Töchter]. In einem Glockenmantel, den ihm Hans Fugger
als Fastnachtskostüm geliehen hatte, machte er mit seinen Kumpanen
am 23. Februar 1561 die Nacht zum Tag. Diese Seite des Fastnachtstreibens
wurde in der Februar-Szene ausgeblendet. Wenig ist auf dem Bild davon zu
spüren, daß die Augsburger Fastnacht die ausgelassenste im ganzen
Reich gewesen sein soll.
Doch die Fastnacht gibt erneut einem Narren Gelegenheit
zu einem Auftritt. Wie ein roter Faden ziehen sich diese Narren durch die
vier Bilder: Auf dem Januar-Bild
ist hinter der Gruppe der Kartenspieler ein Narr damit beschäftigt,
Bienen zu fangen. Ein typischer Fastnachtsnarr
hält sich im Februar vor den Arkaden des Renaissance-Baus auf (Abb.
53), während beim Turnier selbst kleine als Narren verkleidete Helfer
("Grieswärtel") assistieren. Im April
lüftet ein Narr sein gelbes Narrengewand und wendet in einer obszönen
Geste dem Betrachter sein Gesäß zu. Auf der September-Szene
warnt ein Narr eine Frau davor, ihrem Anbeter Gehör zu schenken. Nur
auf dem "Winter"-Bild läßt sich kein Narr blicken. Der Maler
hat also merkwürdigerweise darauf verzichtet, den einzigen echten
Narren, der auf den Scheibenrissen zu sehen ist, in das Gemälde zu
übernehmen. Auf der Oktober-Scheibe ist nämlich eindeutig ein
älterer Mann im Narrengewand auszumachen, der die Wecken in seinem
Brotkorb an den Mann bringen will. Auf dem Januar-Scheibenriß sitzt
ein Mann, dem die Hände durch ein Halseisen gebunden sind, etwas abgesetzt
mit an der Tafel. Vielleicht war es ein Gefangener, den man am Essen teilhaben
ließ, vielleicht aber auch ein Schalksnarr, der auf diese Weise seine
Späßchen trieb.
Trotz des Verzichts auf den "Oktober-Narren" hat der Maler
auf den vier Monatsbildern die Narren sehr viel nachdrücklicher ins
Bild gesetzt als Jörg Breu auf seinen Scheibenrissen. Nur vage knüpft
er an Motive der Monatsbilder an. Narren erscheinen seit etwa 1500 auch
auf Monatsbildern, tauchen aber normalerweise nur einmal innerhalb des
Zyklus und auch in anderem Zusammenhang auf. Gewöhnlich nehmen sie
nämlich an der Fahrt im Maikahn teil, wie es etwa die Miniatur im
Fuggerschen Ehrenbuch zeigt. Die Augsburger Gemälde halten sich also
weniger an das vorgegebene Bildprogramm, sondern beziehen die zeitgenössische
Wirklichkeit und die Narrenidee in Literatur und Kunst mit ein.
Im 15. und 16. Jahrhundert konnte man im wesentlichen
vier Narrentypen begegnen: den wirklichen Narren in der sozialen Realität,
den Schalksnarren der höfischen und bürgerlichen Sphäre
und den "künstlichen" Narren zur Fastnachtszeit und bei anderen Formen
des gesellschaftlichen Zeitvertreibs. Nicht weniger präsent waren
jedoch die Narren in Literatur und bildender Kunst.
Die "natürlichen Narren" des Alltags waren Tunichtgute,
Bettler und "schräge Vögel", die sich gern auf Festen sehen ließen
und dann - in der Sprache des Hans Sachs - zu "fressend
Narren" werden konnten. schrulligen Typen aus Augsburg kennen wir besonders
gut. Matthäus Schwarz war offenbar so sehr von ihnen fasziniert, daß
er sie auf den leeren Seiten seines Gebetbuches porträtieren ließ.
Er stellt uns etwa den wuüsten "Meister Lauxlin" vor, der "khunt nichts
denn lachen und vol biers sein", Lenz Weienberger, der als großer
Tänzer vor allem in der Fastnachtszeit seinen großen Auftritt
hatte, und Kunz Schelklin, genannt Fugger, der so gern die Klarinette blies:
"Der versäumett kein Hochzeit, er pfiff vorher, und all Burger- und
Kaufmannstenntz tanntzt er jedermann vorher. Ließ sich ser erzirnen,
so er on essen und drinckhen blib. So er was hätt, so reimet er fast
gern. . . Die Oermel voll Brots, die gab er arm Laidenn. Er ist gwöst
bey Jörg Fugger selig". Die Galerie dieser "verkrachten Existenzen"
beschließt "Doni Hurri": "Diser lis sich hart erzirnen, so man über
in klopfett oder weer schry `Huri´." Vermutlich litt der arme Mann
unter Verfolgungswahn und war ein willkommenes Opfer für den Spott
der Kinder. Der eine oder andere dieser wilden Gesellen kehrt auch auf
dem Gartenfest Renners (1522) wieder, aber offenbar nicht auf unseren Monatsbildern.
Im Gegensatz zu diesen stadtbekannten Stadtnarren waren
die sogenannten Schalksnarren oder Hofnarren oft skurrile, aber intelligente
Männer, die ihre Herren berieten, kritisierten und mit viel schauspielerischem
Talent unterhielten. Einer von ihnen war zum Beispiel Kunz von der Rosen,
der Schalksnarr Maximilians I., der später eine Augsburger Bürgerstochter
heiratete. Wer es sich leisten konnte, hielt sich solch einen Schalksnarren.
Auch der Bischof von Augsburg, Christoph von Stadion, ließ sich in
Dillingen von seinem Hofnarren aufheitern.
Gegen Speis und Trank waren weniger privilegierte Schalksnarren
gern bereit, ihren Teil zum Gelingen eines Festes beizutragen: "Da ich
mit mein närischen Sachen/ Die Herrschafft kan fein frölich machn/
Mit heuchlerey die Leut ich blendt/ Darumm man mich ein Schalksnarren nennt",
so dichtete noch Hans Sachs im Ständebuch des Jost Amman. In die "Policeyordnung",
die auf dem Augsburger Reichstag von 1530 verabschiedet wurde, fügte
man eigene Bestimmungen über die "Schalksnarren" ein. Um einen solchen
Schalksnarren könnte es sich auf dem Januar-Bild handeln.
Die dritte große Gruppe sind verkappte Narren, junge
Adels- und Bürgersöhne, die sich zu Fastnacht, aber auch zu anderen
Gelegenheiten entsprechend verkleideten. Im Narrengewand traten sie etwa
beim Geschlechtertanz, bei Schlittenfahrten oder als Sekundanten und Helfer
bei Turnieren auf. Seit etwa 1480 mehren sich diesbezügliche Abbildungen
in Turnierbüchern und auf Turnierbildern. Eindrücklich hat etwa
Marx Walther die bunten Gestalten in seinem Turnierbuch wiedergeben. Dieser
Typ des Fastnachts- oder Turniernarren wird auch im Hintergrund des Februar-Bildes
gemeint sein.
Das närrische Fastnachtstreiben und das Turnierbrauchtum
sind eng mit den literarischen und künstlerischen Strömungen
der Zeit verbunden. Das 16. Jahrhundert war in Literatur, Graphik und Malerei
das Saeculum der Narren. Nachdem 1494 Sebastian Brants "Narrenschiff" und
1512 die Narrendichtungen des Franziskaners Thomas Murner erschienen waren,
wimmelte es geradezu überall von ihnen. In Augsburg publizierte man
die Werke Brants und Murners in Neudrucken und verbreitete einzelne Kapitel
auf Flugblättern. Narren begegnen scharenweise in Petrarcas Trostbuch
"Von der Arznei beider Glück", auch dort, wo man die Gestalt nicht
erwartet. In Kunst und Literatur wurde der Narr zu einer Symbolfigur für
Vergnügen, Eitelkeit, Vanitas, Laster und Ausschweifungen aller Art.
Insbesondere törichte, blinde Liebe begriff man als
Narretei. Was der Narr auf dem September-Bild eher zurückhaltend demonstriert,
veranschanlicht etwa das launig-satirische Bild des "Narrenbaums" sehr
viel deutlicher. Eine modisch gekleidete Frau schüttelt einen Baum,
von dem dann reihenweise die Früchte fallen: Narrenköpfe, die
sich beim Herunterfallen in halbfertige und fertige Narren verwandeln.
"Eine schöne Frau schafft Narren soviele sie will" - das ist der Sinn
dieser Federzeichnung, die möglicherweise Jörg Breu d.Ä.
um 1526 anfertigte. Die literarischen Narrenvorstellungen und die Narrenbilder
prägten Denken und Sprache in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Das bezeugt wieder einmal Matthäus Schwarz, der in seinem Trachtenbuch
mit einer bezeichnenden Redewendung von einem pikanten Erlebnis berichtet.
In der Fastnachtszeit 1520, ausgerechnet an seinem Geburtstag (20. Februar),
verliebte sich nämlich der junge Faktor der Fugger in eine Niederländerin
oder, mit den Worten des "Betroffenen": "Da stach mich der narr mit eyner
niderlendischen jungkfrau".
Narren gehören im frühen 16. Jahrhundert einfach
zum festen Repertoire von Bildern, die um Kurzweil, Fest, Spiel und Tanz
kreisen. Auch auf den Augsburger Monatsbildern durften sie daher - wie
das Kinderspiel und die Bettler - nicht fehlen. Gleichwohl sind sie charakteristisch
für eine neu Bildersprache. Ungefähr ein halbes Jahrhundert früher
wären die Monatsbilder so nicht denkbar gewesen. Die so auffällig
betonten Narrenmotive zwingen jedoch nicht zu einer allegorischen Umdeutung
des gesamten Bildprogramms. Eine sprichwörtliche Redensart oder eine
tiefergehende Aussage könnten allenfalls hinter der Narrenfigur stecken,
die im April dem Betrachter das blanke Hinterteil entgegenstreckt. Ansonsten
wirken die Narren eher wie dekoratives Beiwerk, verstärken gewissermaßen
den heiteren Charakter unbeschwerten Zeitvertreibs. Die Narren sind hier
sicher nicht - wie etwa in Brants "Narrenschiff" - als satirische "Allzweckwaffe"
gegen Kurzweil jeder Art eingesetzt. Denn dann hätten sie noch stärker
präsent sein müssen, etwa beim Turnier, beim Liebesspiel und
bei den Badefreuden im Mai, vielleicht auch - wie im Scheibenriß
- beim Verkauf von Federvieh im Oktober oder auch bei der Schlittenfahrt
im November. Außerdem wären sie vermutlich mit weiteren "Vanitas"-Symbolen
kombiniert worden. Diese Lösung hat man beispielsweise auf dem Geschlechtertanz
von 1522 vorgezogen, wo ein Todesbrunnen und der Schnitter Tod das unvoreingenommene
Vergnügen an Tanz und Spiel störten. Auftraggeber und Maler dürften
mit den Narren nicht einmal eine (selbst-)kritische Nebenabsicht verfolgt
haben. Gleichwohl verändern die Häufung dieses populären
Motivs und die mit ihm verbundenen Assoziationen bis zu einem gewissen
Grad den Tenor der Bildaussage. Narren signalisieren zwangsläufig
auch Eitelkeit, Genuß- und Ruhmsucht um jeden Preis. Die vordergründige
Botschaft von heiterer Kurzweil, geselligem Zeitvertreib und Selbstdarstellung
wird damit zwar nicht konterkariert, aber doch durch einen selbstironisch-moralisierenden
Zug ergänzt.
Die Narren auf den Gemälden fangen sozusagen gesellschaftskritische
Tendenzen auf, die nach 1500 allenthalben in recht unterschiedlichen Medien
zu fassen sind: in Kunst und Literatur, aber auch in kirchlichen Mahnungen
und Predigten oder in den städtischen Kleider- und Luxusordnungen.
Die Grenzen zwischen einem prunkvollen Festmahl und Völlerei, zwischen
gepflegtem Gesellschaftsspiel und Spielleidenschaft, zwischen Flirt oder
Tanz und unziemlicher Annäherung, zwischen Badefreuden und Ausschweifung
waren fließend. Wer die Augsburger Monatsbilder im 16. Jahrhundert
betrachtete, konnte sich an den heiteren Szenen freuen, wird aber spätestens
durch die Narren an die Kehrseite des Vergnügens erinnert worden sein.
Wie haben die Zeitgenossen beispielsweise die Brettspiele
und das Kartenspiel gesehen, die während des Festmahls im Januar so
deutlich herausgestellt sind? Vielleicht haben sie die Szenen ohne weitere
Hintergedanken als "realistisches" Abbild der gewohnten Freizeitbeschäftigungen
hingenommen. Schach und Tric-Trac waren schließlich die bekanntesten
Brettspiele im Mittelalter. Das Tric-Trac-Spiel stand oft stellvertretend
für das Spiel schlechthin und war ein beliebtes Bildelement. Augsburg
war neben Ulm und Nürnberg ein Zentrum der Spielkartenherstellung;
unter anderen ist ein Satz von 48 Spielkarten aus der Werkstatt Hans Schäufeleins
(um 1535) bekannt. Vielleicht haben die Bewunderer der vier Monatsbilder
sogar von der Schrift über "Das goldene Spiel" gewußt, die der
Straßburger Dominikaner Ingold Wild verfaßt und Günther
Zainer in Augsburg 1472 erstmals gedruckt hatte. Die Holzschnitte des Drucks
sind nach Federzeichnungen des Augsburger Kaufmanns Hektor Mülich
angefertigt. Der Predigtzyklus handelt über sieben beliebte Spiele,
die Wild als Gleichnis für die sieben Todsünden moralisierend
auslegt. Anders als erwartet gewinnt der Dominikaner den Gesellschaftsspielen
auch gute Seiten ab und empflehlt sie sogar als Heilmittel gegen die sieben
Todsünden: zum Beispiel das Würfelspiel gegen Geiz, das Damespiel
gegen Gefräßigkeit, das Schachspiel gegen
Hochmut, das Kartenspiel gegen Unkeuschheit und schließlich das den
Spielen zugeordnete Tanzen gegen Trägheit.
Doch vielleicht haben die Zeitgenossen beim Blick auf
das Januar-Bilder auch an die vorherrschende (kirchliche) Auffassung gedacht,
die Schachbrett und Kartenspiel als Inbegriff der verabscheuenswerten und
nichtsnutzigen Freuden dieser Welt brandmarkte. Auf Darstellungen des Weltgerichts
erscheinen sie als Symbole der Verdammnis. Das Kartenspiel artete nicht
selten zu einem Glücksspiel aus, bei dem es um viel Geld ging. Die
einen oder anderen Fürsten kostete die Spielwut auf den Reichstagen
ein kleines Vermögen. Die flammenden Bußpredigten, die Johannes
Kapistran im September 1454 in Augsburg gehalten hatte, waren nicht vergessen.
Von einer Tribüne auf dem Fronhof herab hatte der berühmte italienische
Wanderprediger vor angeblich 20.000 Zuhörern wie üblich gegen
unnützen Zeitvertreib und Luxus gewettert. Am Sonntag vor seiner Abreise
kam es nach gewohntem Ritual zum Höhepunkt seiner Predigtkampagnen
der öffentlichen Verbrennung der Eitelkeiten. Drei bis vier Wagenladungen
an Spielgeräten schafften die zerknirschten Augsburger auf den Fronhof,
wo sie sonst bekanntlich ihre prächtigen Turniere abbielten. Ungefähr
1500 Spielbretter und 60 bis 70 Schlitten gingen in Flammen auf. Die Lebensbeschreibung
des Bußpredigers und Auszüge aus seinen Predigten sind 1519
in Augsburg im Druck erschienen. Der Titelholzschnitt zeigt deutlich das
Teufelswerk, das Kapistran in Nürnberg, Augsburg und an anderen Orten
verfluchte: Tric-Trac-Brett, Spielkarten und Schnabelschuhe.
Kurzweil viel ohn' Maß und Ziel?
"Kaiser Carolus genant macht sy im Teutschland bekhant
Hielt ain Reichstag ernant Jar gar herrlich auch empfanngen
war.
Von den Curfürsten botschafft am 15. tag Juni der
monat
Der Kurtzweil und freden vil sach man an maß und
zil".
Mit diesen etwas holprigen Versen beschloß der Schreiber
eines Augsburger Hochzeitsbuches das Jahr 1530. Nicht minder wichtig als
die Wahl Karls V. in Bologna, der Reichstag und die Botschaft der Kurfürsten
waren ihm Kurzweil und Freuden, die man "ohn' Maß und Ziel" in Augsburg
genießen konnte. Politik und geselliger Zeitvertreib gehörten
zusammen. Was die führenden Familien in der Reichsstadt hautnah miterleben
konnten, das haben sie in etwas kleinerem Rahmen selbst verwirklicht -
im Leben wie auf den Monatsbildern. Repräsentativ war bereits das
große Format der Gemälde, die dem Festsaal eines Landschlosses
eine feierlich-heitere Atmosphäre verliehen haben dürften. Der
Eindruck wird verstärkt durch das Bildprogramm und die Komposition
der geradezu ausschweifend gemalten Szenen. Vor allem aber sind die Motive
der traditionellen Monatsdarstellungen auf Selbstdarstellung und Kurzweil
ausgerichtet und ergänzt worden: Vor der Kulisse des politischen und
wirtschaftlichen Zentrums der Stadt demonstrieren die Ratsherren auf den
letzten Monatsszenen Wohlstand, Einfluß und Macht. Die übrigen
Szenen stehen überwiegend im Zeichen "kurzweiliger" Vergnügungen:
Festfreude in ausgewählter Runde, Spiel, Musik und Tanz, Liebesspiel
und Badelust, Mummerei zur Fastnachtszeit, Jagd und Schlittenfahrt. Einige
dieser Lustbarkeiten werden nur angedeutet, andere ungewöhnlich stark
hervorgehoben, wieder andere als eigenständige Szenen ausgemalt. Alles
wird jedoch überstrahlt vom großen Turnier zu Fastnacht, dem
aristokratischen Freizeitvergnügen par excellence.
Die Turnierdarstellung
bietet als Schlüsselszene Kurzweil in "Reinkultur". "Kurzweil" war
der Sammelbegriff für Festschmaus, Turnier und Spiel, Mummerei, Jagd
und anderen Zeitvertreib. In dieser Kombination begegnen die Spielarten
der "Kurzweil" etwa auf Fest- und Turnierbildern oder auf Hochzeitsschüsseln.
Der Begriff konnte neutral, aber auch polemisch verwandt werden, wie es
eine deutsche Übertragung von Ciceros Officia tut. Der Textabschnitt
stellt die Mildtätigkeit der Verschwendungssucht eines Reichen gegenüber
und plädiert dafür, "das man auff kurtzweil kosten legt". Der
Holzschnitt illustriert diesen Appell. Während der eine Reiche mit
seinem Geld Gefangene auslöst, wirft der andere sein Vermögen
zum Fenster hinaus "für lustbarliche köstliche .. . speyß,
auch zu den spieln oder Mummereyen, dem Waldwerck und anderen dingen, die
ein kurtze oder gar kein gedechtnus hinder in verlassen". Wie "all kurtzweil,
wollust dißer welt" manchem mitspielen kann, der sich nicht "in essen,
trincken, freudenspiel" zurückhält, das illustriert - wieder
mit Turnier, Würfel- und Kartenspiel, Liebesszenen und Festschmaus
- das Schlußblatt der "Schachtafelen der Gesuntheyt".
Aber "Kurzweil ohn' Maß und Ziel", wie das Hochzeitsbuch
das Rahmenprogramm des Augsburger Reichstags charakterisierte, liefern
unsere Monatsbilder nicht. Denn dieses Hauptthema
der Bilder, Kurzweil und Geselligkeit der städtischen Oberschicht,
ist nur in einem Ausschnitt dargestellt: Auf den ersten Blick muß
es erstaunen, daß wichtige Formen der Repräsentation fehlen.
Tanzszenen sind zwar mehrfach zu sehen, aber der exklusive Reigen der vornehmen
Paare, der sogenannte Geschlechtertanz, ist nicht darunter. Nicht minder
überrascht es, daß ein weiteres gesellschaftliches Großereignis,
das Schützenfest, ausgespart blieb. Unter den öffentlichen Formen
der Kurzweil und des geselligen Zeitvertreibs hat nämlich keine Veranstaltung
so großes Interesse gefunden wie diese öffentlichen Preisschießen,
die mit weiteren sportlichen Wettkämpfen und Lotterien verbunden waren.
Das zeigt sich auch in der Ausführlichkeit, mit der die Augsburger
Chronisten des 15. und 16. Jahrhunderts auf die verschiedenen Formen des
geselligen Zeitvertreibs eingehen. Der gebildete Kaufmann Hektor Mülich
hat dem "Schießspiel" von 1470 erheblich mehr Raum gewidmet als den
Turnieren oder großen Tanzveranstaltungen. Keine Form der "Kurzweil"
hat einen so breiten Strom archivalischer Überlieferung hervorgebracht
wie eben die Schießfeste um 1500.
Diese Lücke auf den Monatsbildern ist allerdings
leicht zu erklären. Zwei Gründe dürften dafür maßgeblich
gewesen sein: Erstens gehörte das Armbrustschießen nicht zum
engeren Kanon der Monatsarbeiten. Nur ausnahmsweise taucht das Scheibenschießen
einer Schützengilde einmal in einem Brügger Stundenbuch um 1520/30
auf. Erneut werden wir an den Rahmen erinnert, den das Bildprogramm setzte.
Der Maler hatte eben nicht den Auftrag, unter dem Deckmantel der "Monatsbilder"
Lustbarkeiten und Repräsentationsformen des städischen Patriziats
in all ihrer Vielfalt wiederzugeben. In dieser Hinsicht boten das Gartenfest
des Narziß Renner, die Augsburger Geschlechtertänze oder auch
das Rothenburger Patrizierfest Wilhelm Zieglers von 1538 mehr. Zweitens
war das Schießen im Unterschied zu Turnier, Jagd oder Schlittenfahrt
kein spezifisches Vergnügen der Oberschicht, sondern stand breiteren
Bevölkerungsgruppen offen. Maß und Grenzen werden den Lustbarkeiten
weniger durch die Narrenfiguren gesetzt, die den unbeschwerten Genuß
der Szenen zugleich erhöhen und beeinträchtigen, als vielmehr
wieder einmal durch das traditionelle Bildprogramm. Mit Blick auf die thematische
Auswahl und die Schwerpunkte der Monatsdarstellungen müßte das
Motto der Monatsbilder also leicht abgewandelt lauten:
"Kurzweil viel, mit Maß und Ziel".
Zur Startseite |