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"Die Aufnahmen sind entstanden im Herbst 1980
im Altersheim Gürtelstraße, Berlin Prenzlauer Berg. Es ist
ein langgestreckter, siebengeschossiger Bau, Mitte der siebziger Jahre
entstanden, ein sogenannter Mehrzweckbau, d.h. dieser Typ wurde auch für
Kinderheime u.ä. verwandt.
Fünf Etagen Wohnräume für noch rüstige Menschen, die
zwei oberen Etagen Pflegestation. Die Korridore ziehen sich in der Mitte
durch den Bau; von ihm gehen rechts und links die Türen in die einzelnen
Zimmer. Alles Zweibettzimmer, komplett möbliert mit Toilette und
Waschgelegenheit. In der Mitte des langen Korridores ist der Aufzug, an
den Enden sind Fenster, davor stehen leichte Gartenmöbel. In der
Eingangshalle bekommt man Auskunft an einer Rezeption. Dort stehen unter
einem Wandbild tiefe schwere Ledersofas. Sie sind meistens vollbesetzt,
weil hier und vor den Fahrstühlen in den einzelnen Etagen die besten
Möglichkeiten sind, sich zu treffen.
Das Heim wirkt ordentlich und bescheiden. Es ist mit geringem Aufwand
ausgestattet, nicht altersgerecht und stellt das momentan Bestmögliche
dar, was der Staat alten Menschen zugesteht. Ein Maximum an Versorgung
und ein Minimum an persönlicher Anteilnahme.
Alles muß so schnell und rationell wie möglich vonstatten gehen.
Es mangelt an Personal. Besonders in der Pflegeabteilung fehlen Leute.
Die Bezahlung ist so gering, daß keiner diese schwere Arbeit dafür
machen will. Dabei bleiben ein paar aufopferungsvolle Frauen, die sich
aber nur um das Allernotwendigste kümmern können.
Die Zimmer in den Wohnetagen sind klein, zwei Personen leben darin. Einzelzimmer
gibt es nicht. In jedem Zimmer das gleiche Mobiliar an derselben Stelle.
Die Tapeten unterscheiden sich kaum. Die Bewohner dürfen nur ein
paar Kleinigkeiten mitbringen, Bilder, Kissen, Fernseher, keine Teppiche
(Hygiene) oder Bettvorleger (Rutschgefahr), kein einziges Möbelstück.
So kam es, wenn ich die verschiedenen Zimmer betrat, daß sehr oft
jemand an genau dergleichen Stelle auf dem Stuhl saß, mit leerem
Blick in Richtung Fenster.
Daß sie kaum etwas aus ihrem früheren Leben mitbringen dürfen,
ist wohl der entscheidende Grund, warum die Menschen so passiv erscheinen.
Verschiedenste Unterhaltung wird ihnen geboten, Tanzabend, Konzerte, Bastelzirkel
usw., aber nur der Friseur ist gut besucht.
Die alten Leute, mit denen ich sprach während meiner Arbeit, waren
zufrieden, in dem Feierabendheim, wie es hieß, zu sein. Die Wartezeit
betrug zwei bis drei Jahre, die Bezahlung im Monat in der allgemeinen
Station 105,-, in der Pflegestation 120,-. Vorher wohnten sie in Altbauwohnungen
mit Ofenheizung, oft mehrere Treppen hoch, und waren jetzt froh, versorgt
zu sein.
Ihre Bescheidenheit hat mich geschmerzt. Es ist die Generation, die den
Krieg mitgemacht hat, unter großen Entbehrungen die Nachkriegszeit
und den Wiederaufbau. Sie sind abgewirtschaftet. Zu Wohlstand hat es keiner
gebracht. In diesem Land war alt sein gleichbedeutend mit an der unteren
Grenze der materiellen Existenz zu leben. Es gab keine reichen alten Leute.
Die waren enteignet worden oder rechtzeitig in den Westen gegangen.
Es kommt mir vor, als ob diese Generation in der DDR durch den dumpfen
inneren Druck und die Last, damals (im Nationalsozialismus) mitverantwortlich
gewesen zu sein, geprägt worden ist. Wirkliche Aufarbeitung hat der
pauschal <verordnete> Antifaschismus verhindert. Nur das kann mir
ihre Resignation erklären - nichts zu fordern und sich nicht zu wehren."
(Helga Paris)
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