Deutsches Historisches Museum - Verf�hrung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945 - Blog

23.11.2012
15:50

Geschichten von der Reise, Part I

Zwei Jahre lang reisten unsere Kuratoren durch ganz Europa, um Kunstwerke für unsere Ausstellung zu suchen. Und wer eine Reise macht, der hat viel zu erzählen. Jeden Freitag möchten wir Euch deshalb eine dieser Geschichten vorstellen. In unserer ersten Geschichte erzählt unsere Co-Kuratorin Ulrike Schmiegelt, wie es dazu kam, dass ihre Eingebung über den Verbleib eines Ringes zur Zusage für eine Leihgabe führte.  

Verloren – Gefunden, oder: Wie wir eine Leihgeberin gewannen

Dezember 2011, die meisten Leihanfragen für unsere Ausstellung sind inzwischen bestätigt, einige unserer Wünsche sind noch unerfüllt. Besonders die älteren Künstler und ihre Arbeiten, mittlerweile Klassiker der Moderne, erweisen sich als verhandlungsbedürftig, und das obwohl die meisten Leihgeber unser Konzept begeistert aufnehmen. Viele Kunstwerke, die in den 1940er und 1950er Jahren geschaffen wurden, sind inzwischen so fragil, dass sie nicht mehr auf Reisen gehen dürfen.

Dies gilt auch für die Arbeiten des Niederländers Constant, von dessen utopischen Raumentwürfen aus dem Projekt „New Babylon“ wir einen ausstellen wollten. Ein paar Versuche haben wir schon unternommen, doch unsere Bemühungen waren ohne Erfolg. Bis uns dann ein Museum mit unserem Leihersuchen an die Witwe des Künstlers verwies, Trudy van der Horst-Nieuwenhuys, die über eine große Sammlung und den Nachlass Constants verfügt und manches Werk dauerhaft an niederländische Museen verliehen hat.

Bei der ersten Kontaktaufnahme schon ist Frau van der Horst interessiert und aufgeschlossen für unser Ausstellungsprojekt. Sie lädt uns ein, nach Utrecht zu kommen, wo sie uns ihre Sammlung zeigen und uns und unser Konzept kennenlernen möchte. Für Monika Flacke und mich steht fest: Wir müssen hinfahren und sie für uns und unsere Idee gewinnen, wenn wir mit einer Leihzusage zurückkommen wollen. Und wir wollen!

Also reisen wir kurz vor Weihnachten nach Utrecht und klingeln an einem regnerischen Dienstagmorgen an der Tür eines pittoresken schmalen Giebelhauses. Ein bisschen nervös sind wir, fragen uns, was uns wohl erwartet, und wie schwierig das Gespräch wohl werden mag. Dann öffnet sich die Tür und eine attraktive Frau mit blonden Locken begrüßt uns: „Good morning, I’m Trudy!“

Sie hat den Tag mit uns genau geplant: Zuerst werden wir Kaffee bekommen, sie hat bereits ein kleines Mittagessen vorbereitet, wird uns erst hier ihre Sammlung zeigen und später mit uns zu Constants Haus in Amsterdam fahren, in dem weitere Arbeiten aufbewahrt sind. Wir kommen mühelos miteinander ins Gespräch, sprechen von unserem Ausstellungsprojekt, über Constants Kunst und Trudys Leben mit dem Künstler, darüber, wie die beiden sich kennengelernt haben, schließlich auch über ihre Kümmernisse als Witwe und als Sachwalterin seines Nachlasses.

Sie zeigt uns ihr Haus, das voll ist mit Werken Constants. Wir blättern in Graphikmappen, bewundern die Gemälde und Architekturmodelle und schon bald steht unser Favorit fest. Wenn irgend möglich, möchten wir ein Architekturmodell zeigen, zwei zerbrechlich-leichte Turmkonstruktionen. Trudy zögert, als wir ihr diesen Vorschlag unterbereiten, sagt, sie hänge gerade an diesem Stück sehr und wir sollten erst alles sehen, bevor wir uns entscheiden.

Schließlich machen wir uns auf den Weg nach Amsterdam, nachdem Trudy zuvor ihren Wagen etwas beräumt und die Rückbank wieder benutzbar gemacht hat. Es hat zu regnen begonnen, und unsere Gastgeberin wirkt plötzlich nervös und fahrig. Wird ihr unser Besuch jetzt doch zu anstrengend?

Das Haus in Amsterdam ist nicht geheizt und irgendwie scheint die fröhlich-entspannte Atmosphäre des Vormittags verloren zu sein. Als Trudy kurz das Zimmer verlässt verständigen Monika und ich uns, den Besuch hier abzubrechen Wir wollen Trudy noch einladen, unser Treffen in einem (geheizten) Café zu beenden und sie so von unserer Anwesenheit befreien. Doch daraus sollte nichts werden. Als Trudy zurückkommt fragt sie, ob wir sie am Morgen einen Ring hätten tragen sehen. Ich konnte das bestätigen, der ungewöhnlich große Mondstein war mir gleich aufgefallen.

Er war ein Geschenk Constants, ein liebevoll bewahrtes Andenken, und jetzt war er verschwunden. Sie hatte es während der Autofahrt bemerkt, war sich aber nicht sicher gewesen, ob sie ihn an dem Tag überhaupt getragen hatte. Meine Bestätigung brachte sie fast aus der Fassung. Sie war sehr unglücklich und begann fieberhaft zu überlegen, wo sie den Ring verloren haben könnte – womöglich beim Umbau des Autos, dann läge er jetzt vielleicht im Kofferraum. Wir sahen nach, fanden aber nichts. War der Ring vielleicht von ihrem Finger gerutscht und auf die Straße gefallen oder – noch schlimmer – in ihrem Haus in die Toilette? Wir versuchten sie zu beruhigen und zu trösten so gut es ging.

Ich erinnerte mich, dass sie das Geschirr abgewaschen hatte – hatte sie den Ring dafür abgenommen und beiseite gelegt? – Nein, sie nehme den Ring, wenn sie ihn trage, niemals ab. Aber vielleicht war er einfach in das warme Wasser gerutscht? So baten wir Trudy, doch gleich zurückzufahren und im Haus zu suchen. Leider konnten wir sie nicht begleiten, denn wir mussten in ein paar Stunden zurückfliegen. So verabschiedeten wir uns schneller als geplant und weniger fröhlich als wir uns begrüßt hatten, schickten Trudy mit unseren allerbesten Wünschen auf den Heimweg und blieben etwas niedergeschlagen zurück. Hoffentlich würde der Ring sich wieder anfinden. Doch wir konnten nichts weiter tun als alle Daumen zu drücken und das Beste zu hoffen.

Am nächsten Morgen zurück in Berlin fanden wir eine Nachricht von Trudy vor: Der Ring war wieder da, er hatte tatsächlich im Spülbecken gelegen. Dem Himmel sei Dank!

Unser Verständnis in dieser Notlage, unser Zuspruch und wohl nicht zuletzt die richtige Vermutung, wo der verloren geglaubte Ring sein könnte, sicherten uns einen Platz in Trudys Herzen. Keine Frage, dass wir unser Lieblingsobjekt für die Ausstellung bekamen.

- Ulrike Schmiegelt

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