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Die documenta ist eine der bekanntesten Kunstausstellungen der Welt. Gegründet wurde sie 1955. Seitdem verwandelt sich Kassel alle vier, fünf Jahre in ein internationales Zentrum für Gegenwartskunst. Zuletzt kamen fast eine Million Besucherinnen und Besucher in die hessische Stadt.

Im Zentrum der Ausstellung „documenta. Politik und Kunst“ steht das Wechselspiel zwischen Politik und Kunst im Nachkriegsdeutschland. Von Anfang an diente die Kasseler Kunstschau als wichtige politische Bühne. Mit der Kunst wollte sich die junge Bundesrepublik im Kalten Krieg abgrenzen: vom Sozialismus und Kommunismus der Gegenwart wie vom Nationalsozialismus der Vergangenheit.

„Im Laufe der Recherchen für die Ausstellung ergab sich eine erstaunliche Wendung: Der Bruch mit der NS-Kulturpolitik war nicht so radikal und tiefgreifend, wie ich gedacht hätte. Ermordete jüdische Künstler wurden am Anfang nicht auf der documenta gezeigt.“

Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums

Auf der documenta waren 1955 viele Künstlerinnen und Künstler vertreten, deren Werke im Stil der Moderne im Nationalsozialismus als „entartet“ verfemt worden waren. Bundespräsident Theodor Heuss engagierte sich als Schirmherr für die documenta und die Moderne stieg zur Staatskunst auf.

Zu den nach Kassel Eingeladenen zählte die Künstlerin Emy Roeder. Ihre Skulpturen galten bis 1945 als „entartet“. Auf der ersten documenta war sie mit drei Werken vertreten.

Wegen der Nationalsozialisten war Roeder nach Italien ausgewandert. Dort lernte sie den jüdischen Maler Rudolf Levy kennen. Er war 1933 aus Deutschland geflohen.

Levy wurde von der SS in Florenz verhaftet und starb 1944 bei der Deportation nach Auschwitz.

„Die Erinnerung, die die Künstlerin Emy Roeder an den jüdischen Künstler Rudolf Levy wachhält, findet keinen Eingang in die documenta 1955. Das sagt viel über die documenta und die Erinnerungspolitik in diesen Jahren.“

Julia Voss, Kuratorin von „documenta. Politik und Kunst“

An der Gründung der ersten documenta waren 21 Personen beteiligt. Zehn von ihnen waren ehemalige Mitglieder der NSDAP, der SA oder SS. Die Bruchlinie ging quer durch den innersten Kreis. Bis zur documenta 3 arbeiteten der Sozialdemokrat Arnold Bode (1900-1977) und das ehemalige NSDAP-Mitglied Werner Haftmann (1912-1999) eng zusammen.

Während Bode 1933 wegen der Nationalsozialisten seine Arbeit verlor, konnte Haftmann seine Karriere zur gleichen Zeit fortführen.

Im Jahr 1936 ging der Kunsthistoriker Haftmann nach Italien und wurde dort erster Assistent am renommierten Kunsthistorischen Institut in Florenz. Ab 1940 war er als Soldat in Italien im Einsatz, ab 1943 führte er auch geheimdienstliche Tätigkeiten aus. Für seine Erfolge bei der Jagd auf italienische Partisanen wurde er von der Wehrmacht ausgezeichnet. Der Historiker Carlo Gentile hat diesen Teil von Haftmanns Biografie erforscht; Haftmann selbst schwieg darüber zeitlebens.

„Was wir eindeutig wissen, ist Haftmanns aktive Beteiligung an der Partisanenbekämpfung. In diesen Aktionen sind Zivilisten erschossen worden und Verdächtige wurden gefoltert.“

Carlo Gentile, Historiker, Universität zu Köln

Die Folgen, die sich unter anderem durch Haftmanns Schweigen für die Kunstgeschichte und bundesdeutsche Erinnerungspolitik ergaben, werden in der Ausstellung des DHM zum ersten Mal ausführlich dargestellt. Es prägte auch die Ablehnung eines sozialistischen Kunstbegriffs, wie er in Ostdeutschland vertreten wurde.

Die documenta sollte lange Zeit zwei Gesichter behalten: Auf der einen Seite traten das Organisationsteam und die Geldgeber mit der Kunst für Freiheit, Fortschritt, Internationalität und Demokratie ein. Auf der anderen Seite wurde dieses Versprechen häufig nur zum Teil gehalten, manchmal gar nicht. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit führte immer wieder zu Protesten – der Öffentlichkeit, von politisch Aktiven, aber auch der Künstlerinnen und Künstler. Das feministische Künstlerkollektiv Guerrilla Girls wurde 1987 nicht eingeladen, auf der documenta 8 auszustellen. Es nahm aber trotzdem teil: mit einer Aktion gegen die Ausgrenzung von Frauen und People of Color.

„Die Karte der Guerrilla Girls zeigt, dass auch bei der documenta 8 das Verhältnis sehr unausgeglichen war: zwischen Künstlern, die weiß, westlich und männlich waren, und solchen, die Frauen waren oder People of Color.“

Lars Bang Larsen, Kurator von „documenta. Politik und Kunst“

Die Ausstellung „documenta. Kunst und Politik“ zeigt zahlreiche berühmte Werke, die zwischen 1955 und 1997 in Kassel ausgestellt wurden: von Kunstschaffenden wie Séraphine Louis, Joseph Beuys oder Andy Warhol.

Zu diesen Werken kommen in der Ausstellung Bilder, Skulpturen und Archivfunde, die bisher unbekannt waren oder nicht im Rampenlicht standen. Sie sollen eine größere Öffentlichkeit erhalten – und zu fruchtbaren Debatten über das Verhältnis von Politik und Kunst führen.