Der späte Aufstieg der Gabel
Noch bis 5. Juni rufen die Schlösser und Gärten Deutschland zur Blogparade #SchlossGenuss auf. Wir nehmen sie zum Anlass, auf die Geschichte des Bestecks einzugehen und zu erklären, warum die Gabel zunächst verschmäht, dann in Adelskreisen zum Symbol für Luxus und Kultiviertheit und schließlich ebenso wie Löffel und Messer zum Massenphänomen wurde.
Um sich in einem feinen Restaurant in Europa einmal richtig zu blamieren, reicht ein Handgriff: Man verzichte einfach auf Messer und Gabel und bearbeite das Filet oder die Kartöffelchen mit dem Suppenlöffel. Gerümpfte Nasen und abschätzige Blicke der anderen Gäste sind garantiert.
Noch vor wenigen Generationen waren solche Allüren unbekannt. Für Gabeln hatten unsere Vorfahren lange Zeit keine Verwendung. Denn vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit war der Speiseplan der meisten Menschen sehr übersichtlich. Morgens: Brei. Mittags: Brei. Abends: Brei. Auf den Tisch kam in der Regel ein großer Topf mit gekochtem Getreide. Mitessen konnte nur, wer einen Löffel hatte. Er war die Lebensversicherung. Die Leute trugen ihn beständig bei sich – egal ob im Gasthaus oder auf Reisen. „Den Löffel abgeben“ stand damals nicht nur sprichwörtlich für den sicheren Tod.
In seiner Form gleicht der Löffel einer schöpfenden Hand und ist eines der urtümlichsten Werkzeuge des Menschen. Schon aus der Altsteinzeit sind Löffel aus Holz und Knochen bekannt, später brannte man sie aus Ton. Mit der metallverarbeitenden Industrie kam im 15. Jahrhundert die professionelle Löffelmacherei auf: Ein Betrieb schmiedete am Tag bis zu 40 Löffel aus rohem Metall. Drei Jahrhunderte später schnitten die Handwerker die Löffel dann schneller und effizienter aus Blech.
Der Löffel blieb in Mitteleuropa bis ins 19. Jahrhundert das wichtigste Esswerkzeug. Das Messer, ebenfalls ein treuer Begleiter, diente vor allem zum Zerteilen der Mahlzeit.
Gottlose Forke
Heute liegt in der westlichen Welt auch die Gabel ganz selbstverständlich auf dem Tisch. Anders als Löffel und Messer musste sie sich ihren Platz neben dem Teller aber erst erstreiten.
Der Ruf der Miniatur-Forke war früh ruiniert. Nicht ihre Ab-, sondern ihre Anwesenheit war ein gesellschaftliches No-Go. Obwohl schon die alten Römer Gabeln gekannt hatten, war das gezackte Esswerkzeug nördlich der Alpen lange verpönt. Schon Hildegard von Bingen, meinungsstarke Mystikerin des 12. Jahrhunderts, soll die Gabel als gottlos gebrandmarkt haben. Zum Massenphänomen reichte es mit diesem Stigma zunächst nicht. Zum Image- kam das bereits geschilderte Konkurrenzproblem: Die Gabel schaffte es lange nicht, mit dem Löffel gleichzuziehen. Die Menschen brauchten kein zweites Esswerkzeug, das Nahrung vom Teller zum Mund beförderte.
Erst spät begann der Aufstieg der Gabel. Die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts brach mit dem Aberglauben vom Teufelsgerät. Im gleichen Jahrhundert fanden Obst- oder Konfektgabeln den Weg auf europäische Esstische. Französische und italienische Damen schätzten sie als distinguiertes Accessoire.
Die Gegnerschaft blieb zunächst jedoch groß und gewichtig. Martin Luther und Erasmus von Rotterdam verspotteten die Gabel als weibische Mode. „Gott behüte mich vor Gäbelchen“, soll Luther gesagt haben.
Die Gabel: Luxus und weibische Mode
Ein nachhaltiger Imagewandel gelang der Gabel in unseren Breiten im 18. Jahrhundert: Das einst verschmähte Werkzeug wurde in Adelskreisen zum Symbol für Luxus und Kultiviertheit. Die handgefertigte Besteckgarnitur für zwölf Personen aus dem Besitz der Herzöge von Anhalt, die in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums zu sehen ist, veranschaulicht diese Veränderung. Mit der industriellen Revolution wurde das Besteck inklusive Gabel zum Massenphänomen und ist heute Standard auf den Tischen der westlichen Welt.
Blogparade – nach #SchlossGenuss ist vor #DHMMeer
Wie grundlegend Europa durch das Meer geprägt wurde und welche gegenseitigen Einflüsse aber auch Abgrenzungen zu anderen Ländern und Sitte über das Meer nach Europa kamen, zeigt die Ausstellung Europa und das Meer, die ab 13. Juni im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist. Auch dazu wird es ab dem 20. Juni eine Blogparade geben, zu der alle herzlich eingeladen sind.