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    Wehrmachtssoldat in Prag, 1939

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Das "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren"

Nach der "Zerschlagung der Rest-Tschechei" verkündete Adolf Hitler am 16. März 1939 auf dem Prager Hradschin die Errichtung des "Reichsprotektorats Böhmen und Mähren" als Bestandteil des "Großdeutschen Reichs". Es umfasste ein Gebiet von rund 49.000 Quadratkilometern mit circa 7,5 Millionen Einwohnern, von denen etwa 250.000 deutschstämmig waren. Seine auswärtigen Beziehungen wurden vom Deutschen Reich wahrgenommen, das auch die Aufsicht über das gesamte Verkehrs-, Post- und Fernmeldewesens übernahm. Der zum Reichsprotektor ernannte Konstantin Freiherr von Neurath als Repräsentant des Deutschen Reichs war Hitler direkt unterstellt und konnte nur von ihm Weisungen entgegennehmen.

Die Organisation des Protektorats erfolgte durch eine autonome tschechische Verwaltung. Staatsoberhaupt blieb der von der tschechoslowakischen Nationalversammlung Ende November 1938 gewählte Staatspräsident Emil Hácha (1872-1945). Der Protektoratsregierung standen im März/April 1939 Rudolf Beran (1887-1954), von April 1939 bis September 1941 Alois Eliaš (1890-1942), von Januar 1942 bis Januar 1945 Jaroslav Krejci (1892-1956) und für wenige Wochen 1945 Richard Bienert (1881-1949) vor. Die Regierung durfte ihre Hoheitsrechte nur im Einklang mit den politischen, militärischen und ökonomischen Interessen Deutschlands ausüben, die der Reichsprotektor überwachte. Er besaß gegenüber der Protektoratsregierung unbegrenzte Eingriffsmöglichkeiten und konnte deren Gesetze jederzeit aufheben. Seine Macht wurde im Verlauf des Zweiten Weltkriegs noch dadurch verstärkt, dass nahezu alle Schlüsselfunktionen der Verwaltung von Deutschen besetzt wurden.

Auch wesentliche Teile der Wirtschaft fielen direkt unter deutsche Kontrolle. Die von Kriegseinwirkungen weitgehend verschonten böhmischen und mährischen Gebiete boten dem NS-Regime optimale geographische und strategische Bedingungen für ihre Kriegsproduktion. Deshalb investierte die NS-Führung besonders in die Schwer- und Waffenindustrie erhebliche Finanzmittel. Der als Arbeitskräftepotential dringend benötigten tschechischen Bevölkerung wurden durch Vollbeschäftigung, durch eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung und durch Intensivierung der Gesundheitsfürsorge erträgliche Lebensbedingungen gewährleistet. Die "gefährlichen Elemente" der tschechischen Bevölkerung wie Kommunisten und Intellektuelle allerdings waren Repressions- und Terrormaßnahmen der deutschen und der mit ihnen kollaborierenden tschechischen Sicherheitsbehörden ausgeliefert. Mindestens 38.000 Tschechen fielen den sogenannten Säuberungsaktionen zum Opfer. Auch zahlreiche deutsche Emigranten, die in der Tschechoslowakei Zuflucht gefunden hatten, wurden verhaftet und in Konzentrationslager (KZ) verschleppt.

Fast die gesamte jüdische Bevölkerung des Protektorats wurde in dem Lager Theresienstadt interniert und von dort zumeist weiter nach Auschwitz deportiert. Von etwa 82.000 aus dem Protektorat deportierten Juden überlebten nur etwa 11.200. Zum Synonym für den von Deutschen ausgeübten Terror und zum Symbol der verhassten Fremdherrschaft wurden der Höhere SS- und Polizeiführer im Protektorat, Karl Hermann Frank (1898-1946), sowie vor allem Reinhard Heydrich. Ab September 1941 führte Heydrich für Neurath die Geschäfte des Reichsprotektors, da dieser nach Ansicht Hitlers nicht rigoros genug gegen den tschechischen Widerstand vorgegangen war. Schon kurz nach der deutschen Besetzung 1939 war ein dichtes Netz von Organisationen entstanden, die nachrichtendienstliche Tätigkeiten übernahmen, Sabotageakte verübten, aktive Widerstandskämpfer ausbildeten und illegale Zeitungen veröffentlichten. Mit harter Unterdrückung wie Massenhinrichtungen, aber auch mit einer Befriedungspolitik durch Verbesserung der Lebensumstände versuchte Heydrich, den wachsenden Widerstand der tschechischen Oppositionsbewegung zu brechen. Währenddessen schickte die tschechische Exilregierung in London unter Edvard Benes (1884-1948) Fallschirmagenten mit dem Auftrag nach Prag, Heydrich zu töten. Die Vergeltung der Deutschen für die Ermordung Heydrichs, der am 4. Juni 1942 seinen schweren Verletzungen erlag, war grausam. So ebneten Angehörige der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), des Sicherheitsdiensts (SD) und der Schutzpolizei auf Befehl von Heydrichs Nachfolger Kurt Daluege das tschechische Dorf Lidice bei Prag ein, in dem Mitattentäter vermutet wurden. "This is Nazi brutality", mit Plakaten wie diesem prangerten die Alliierten das Massaker von Lidice an, bei dem 173 männliche Einwohner erschossen sowie über 300 Frauen und Kinder in KZ verschleppt oder zur "Eindeutschung" in SS-Familien gegeben wurden.

Bis Kriegsende kam es immer wieder zu Widerstandshandlungen Einzelner oder sogenannter Nationalausschüsse. Öffentliche Bekanntmachungen mit den Namen hingerichteter Saboteure wurden zur Abschreckung überall im Protektorat aufgehangen, in das aufgrund seiner Lage abseits des unmittelbaren Kampfgebiets immer mehr Rüstungsbetriebe und Lazarette verlegt wurden. Erst am 5. Mai 1945 begann in Prag ein vom kurz zuvor ins Leben gerufenen Tschechischen Nationalrat organisierter Aufstand gegen die deutschen Besatzer, an dem sich bis zur deutschen Kapitulation am 8. Mai circa 30.000 meist schlecht bewaffnete Prager beteiligten.

Heinke Lang
16. Oktober 2015

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