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Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP)

Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs am Ende des Ersten Weltkriegs mussten sich auch die zersplitterten Parteien des rechten Lagers neu formieren. Politiker der Freikonservativen Partei, der Deutschkonservativen Partei, der Deutschen Vaterlandspartei, des Alldeutschen Verbands, der Christlichsozialen sowie der Deutschvölkischen unterzeichneten einen am 24. November 1918 veröffentlichten Aufruf zur Gründung einer neuen Rechtspartei, konnten sich aber zunächst nicht über die konkrete Zielsetzung der neuen Partei verständigen. Einig waren sich die Mitglieder in der Ablehnung revolutionärer Umtriebe, die in ihren Augen Tod und Verderben bedeuteten und den Staat - wie es das Plakat von 1919 anschaulich vermittelt - geradewegs in den Abgrund führten. 

Der Traum von der Wiedererrichtung der Monarchie

Auch über den Namen der Partei herrschte zunächst keine Einigung. So lehnte etwa der Deutschkonservative Kuno Graf von Westarp (1864-1945) als überzeugter Anhänger des preußischen Dreiklassenwahlrechts den Begriff "Volkspartei" als Ausdruck eines "unehrlichen Buhlens um die Masse" ab. Nur auf massiven Druck des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbands wurde schließlich der Name Deutschnationale Volkspartei (DNVP) durchgesetzt.  Zum Vorsitzenden ließ sich der ehemalige preußische Finanzminister und DNVP-Mitbegründer Oskar Hergt (1869-1967) wählen. Alfred von Tirpitz und Wolfgang Kapp, die beiden Gründer der Vaterlandspartei, sowie Alfred Hugenberg, der "Pressezar", zählten zu den bekanntesten Mitgliedern der Partei. Die DNVP vertrat vor allem die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Eliten des Kaiserreichs: des Adels, des Beamtentums, des Offizierskorps und des gehobenen Bürgertums. Starken Rückhalt fand die Partei in der protestantischen Kirche, bei den ostelbischen Agrariern, bei Vertretern von Industrie und Handel sowie bei den militanten Vaterländischen Verbänden und beim Stahlhelmbund.

Die Deutschnationalen empfanden sich als die eigentlichen Verlierer der Revolution 1918/19 und bekämpften das parlamentarisch-demokratische System der Weimarer Republik erbittert. Sie forderten die Wiederherstellung der Hohenzollern-Monarchie und waren überzeugt von der Richtigkeit der 1919 von Paul von Hindenburg öffentlich vorgetragenen "Dolchstoßlegende". Zum Kern ihrer außenpolitischen Forderungen zählten die Außerkraftsetzung des Versailler Vertrags sowie die Rückgabe der abgetretenen Gebiete und der ehemals deutschen Kolonien. Über die auflagenstarken Zeitungen des Hugenberg-Konzerns und über dessen Materndienst, der den meisten deutschen Lokalzeitungen Druckvorlagen für den Politikteil lieferte, wurde die antidemokratische und antirepublikanische Politik der DNVP bis in den letzten Winkel Deutschlands getragen.

Die Deutschnationale Volkspartei hatte 1919 rund 350.000 Mitglieder und konnte deren Anzahl bis 1923 auf etwa 950.000 steigern. Keine deutsche Partei profitierte so stark vom Frauenwahlrecht wie die DNVP. Sie erreichte bei der Reichstagswahl vom 4. Mai 1924 gut 19,5 Prozent aller Stimmen und wurde - mit einigen Hospitanten - stärkste Fraktion im Reichstag. Danach waren Mitgliederzahl und Wahlergebnisse rückläufig.

Die langsame Annäherung an das politische System

Da die Politik der Deutschnationalen einem Teil der Deutschvölkischen zu gemäßigt war, verließen viele von ihnen 1922 die DNVP und gründeten die nationalistisch-antisemitische Deutsch-Völkische Freiheitspartei. Doch auch nach Abspaltung dieser deutsch-völkischen Gruppe verfügten die Deutschnationalen über einen einflussreichen alldeutsch-völkischen Parteiflügel unter Alexander Freiherr von Freytag-Loringhoven (1878-1942), der sich u.a. die Bekämpfung der "Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit sowie die Unterbindung der ostjüdischen Einwanderung" auf die Fahne geschrieben hatte. Einer bemerkenswert zurückhaltenden Unterstützung des von General Walther von Lüttwitz im März 1920 initiierten Putsches stand der laute Jubel gegenüber, mit dem zahllose deutschnationale Zeitungen auf die Ermordung von Matthias Erzberger 1921 reagierten; etwas zurückhaltender war die Reaktion der deutschnationalen Presse auf die Ermordung von Walther Rathenau 1922. Bei der Wahl des Reichspräsidenten 1925 unterstützten die Deutschnationalen den greisen Paul von Hindenburg als rückwärts gewandten Hoffnungsträger.

In der Phase der relativen Stabilisierung der Republik stellte die DNVP ihre Vorbehalte gegen das parlamentarische System vorübergehend zurück und beteiligte sich erstmals an einer Reichsregierung. Sie war mit drei Ministern im 1. Kabinett Luther vertreten, zog sich jedoch schon im Oktober 1925 aus Protest gegen die Verträge von Locarno aus der Regierungsverantwortung zurück. Vier Deutschnationale hatten im 4. Kabinett Marx 1927/28 Ministerämter inne und erschwerten mit ihren Ämtern die fundamentale Oppositionshaltung der DNVP. Nach deutlichen Verlusten bei der Reichstagswahl 1928, als die Partei nur noch 14,2 Prozent errang, übernahm Hugenberg als Exponent des radikal-nationalistischen Flügels den Parteivorsitz und brachte die Partei wieder auf einen strikten Ablehnungskurs zum "Weimarer System".

Der Niedergang der DNVP

Unter Hugenberg organisierte die DNVP mit der NSDAP 1929 den Volksentscheid gegen den Young-Plan, der die Höhe der deutschen Reparationszahlungen regelte. Doch trotz der massiven Unterstützung durch die Hugenberg-Presse und die NS-Propagandamaschinerie konnten DNVP und NSDAP nur knapp 14 Prozent aller Wahlberechtigten für die Ablehnung des Young-Plans mobilisieren. Die gemeinsame Kampagne mit der DNVP gegen den Young-Plan steigerte jedoch das Ansehen der Nationalsozialisten in der rechtsgerichteten Wählerschaft ganz erheblich. Bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 erhielt die DNVP rund 7 Prozent Stimmen, während die NSDAP mit 18,3 Prozent unerwartet zur zweitstärksten Partei wurde. Zum politischen Überleben seiner eigenen Partei strebte Hugenberg mit Gründung der Harzburger Front 1931 einen engen Schulterschluss mit der weitaus massenwirksameren NSDAP an.

Aus Protest gegen den populistischen Rechtskurs unter Hugenberg hatte sich schon 1929/30 eine gemäßigte Gruppe unter Hans Schlange-Schöningen (1886-1960) und Gottfried Reinhold Treviranus (1891-1971) von den Deutschnationalen abgespalten und die Volkskonservative Vereinigung gegründet. Mit der Abkehr von weiteren, weniger republikfeindlichen Gruppen verblieben von den 1928 gewählten 78 deutschnationalen Reichstagsabgeordneten nur 36 in der Partei. Im Zuge ihres scharfen Rechtskurses unterstützte die DNVP die Präsidialkabinette unter Heinrich Brüning und Franz von Papen. Die Bereitschaft Hugenbergs zur politischen Zusammenarbeit mit Adolf Hitler in einem gemeinsamen Kabinett ermöglichte schließlich am 30. Januar 1933 die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.

Zu den Reichstagswahlen vom 5. März trat die DNVP gemeinsam mit dem Stahlhelmbund als "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" an und erreichte mit 8 Prozent der abgegebenen Stimmen ein zwar eher mäßiges Ergebnis, aber sie sicherte damit der gemeinsamen Koalitionsregierung unter Hitler 51,9 Prozent aller Stimmen. Das war der letzte Part ihrer Rolle als "Steigbügelhalter" für die Nationalsozialisten. In völliger Verkennung der Ziele nationalsozialistischer Politik war der unter Hitler als Reichsminister für Ernährung und Wirtschaft fungierende Hugenberg nicht in der Lage, den Fortbestand der Deutschnationalen Volkspartei neben der NSDAP zu sichern. Seit Mai firmierte seine Partei als "Deutschnationale Front", Ende Juni 1933 wurde sie zur Selbstauflösung gezwungen.

Burkhard Asmuss
27. Januar 2023

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