So grau die politische Wirklichkeit der Weimarer Republik war, so glanzvoll waren ihre Kunst und Kultur, die frei von Zensur zur Entfaltung gelangen konnten und in den 1920er-Jahren einen rasanten Aufschwung erlebten. Viele Künstler brachen mit überkommenen Formen und Strukturen und übten mit den Mitteln eines politisch-aggressiven Realismus scharfe Gesellschaftskritik an den Missständen der Zeit. Bis dahin unbekannte Formen der Massenkultur entfalteten sich nach amerikanischem Vorbild in einem rasanten Tempo. Kinos erlebten einen stürmischen Aufschwung. Sportveranstaltungen zogen erstmals ein Massenpublikum an. In der verbreiteten Erinnerungskultur stehen diese Jahre für Aufbruchstimmung und kulturelle Experimentierfreudigkeit, für ausschweifende Partys und ungestillte Vergnügungssucht, für Verruchtheit und sexuelle Freizügigkeit. Vor allem Musik und Tanzvergnügen gehörten zum Lebensstil der "Goldenen Zwanziger", die allerdings so golden nur für wenige Reiche waren. Neben der großstädtischen Avantgarde, die heute Inbegriff der Weimarer Kultur ist, existierte aber auch eine bürgerliche Kultur, die von der Moderne unbeeindruckt ihre Ideale pflegte.
Aufbruchstimmung und Avantgarde
Die Nachkriegsjahre waren die Zeit der Radikalität und des Experimentierens mit avantgardistischen Stilrichtungen. Zu Anfang der 1920er-Jahre stellten die expressionistischen Künstler in Theater und Malerei Menschen als Marionetten, Maschinen oder als "Masse" dar. Viele vom Ersten Weltkrieg desillusionierte Künstler bekämpften provokant die Relikte der wilhelminischen Gesellschaft, die sich in der jungen Republik behauptet hatten. Schonungslos sezierte beispielsweise George Grosz in seiner Bildermappe "Ecce Homo" die Phänomene der Zeit, während auch andere Maler wie Heinrich Zille versuchten, Armut und Hunger bildlich zu beschreiben. Die Avantgarde gewann zu Beginn der 1920er Jahre an öffentlicher Anerkennung. In zahlreichen Ausstellungen und Museen waren Bilder von modernen Künstlern einem breiten Publikum im Deutschen Reich zugänglich.
Politik und Kultur waren aufs engste verwoben, und oft stellte sich der künstlerische Innovationsgeist in den Dienst einer politischen Partei. Viele Künstler und Intellektuelle wie John Heartfield und Otto Griebel begeisterten sich für die Ideale der Revolution von 1918/19 und für kommunistische Ideen. Sie stellten ihr Schaffen ebenso in den Dienst einer revolutionär-proletarischen Kunst wie es Käthe Kollwitz mit ihren Bildern für den Pazifismus tat.
Auch die relativ stabile mittlere Phase der Republik schlug sich fruchtbar in der Kunst nieder. Die Maler der Neuen Sachlichkeit versuchten ein scharfes Bild der Wirklichkeit zu skizzieren und lösten damit das Pathos der früheren Weimarer Jahre ab. In der Architektur und im Design trat eine kühle Nüchternheit in den Vordergrund. Zum Symbol der ästhetischen Moderne wurde das in Weimar gegründete Bauhaus mit seinem betont nüchternen Programm. Das neusachliche Theater feierte mit Carl Zuckmayers "Der fröhliche Weinberg" (1925) und "Der Hauptmann von Köpenick" (1930) große Publikumserfolge. Linkes politisches Theater agierte in der Weimarer Republik vor allem auf den Bühnen von Erwin Piscator. Von Berlin aus trat Bertolt Brechts Stück "Die Dreigroschenoper" ihren Siegeszug an - gesellschaftskritische Unterhaltung im modernen Gewand, wie sie zum Ende der Republik auch viele Filme in den Kinos boten.
Literatur und Film
Die Literatur erlebte ab der Mitte der 20er Jahre eine Blütezeit. Zu einem vielgelesenen Klassiker avancierte der 1924 erschienene Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann. 1929 erhielt Mann den Literaturnobelpreis, allerdings vornehmlich für sein Prosawerk "Die Buddenbrooks" von 1901. Weltruf erlangte 1927 auch Hermann Hesse mit "Der Steppenwolf". Gesellschaftskritische Unterhaltung boten die anspruchsvollen Sozialreportagen von Egon Erwin Kischs "Rasendem Reporter" (1925). Aus der Generation der Frontsoldaten beschrieben Ludwig Renn in "Krieg" (1928) und Erich Maria Remarque in "Im Westen nichts Neues" (1929) die Schrecken des Ersten Weltkrieges. Das vielfältige kulturelle und literarische Leben in der Weimarer Republik erlaubte es auch schreibenden Frauen, ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. Vor allem Berlin als Stadt mit den meisten Verlagen, Zeitschriften, Theatern und Cafes übte eine große Anziehungskraft aus. Zentraler Treffpunkt für Künstler war das Romanische Cafe gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (heute: Europa-Center). Hier wurden neue Texte verfasst, vorgetragen und diskutiert. Regisseure, Literaten, Schauspieler, Kunsthändler und Maler machten die kulturelle Szene unüberschaubar.
Die Anonymität der Großstadt erleichterte es Frauen, sich von der traditionellen Rollenzuweisung zu distanzieren und neue Lebensformen zu entwickeln. Ungehemmt von Prüderie und hierarchisierten gesellschaftlichen Normen wie zu Wilhelminischer Zeit konnten Frauen und Männer bisher weitgehend unbekannte Lebensentwürfe ausprobieren. Neu war es, sexuelle Themen anzusprechen und zu diskutieren. Schriftstellerinnen wie Vicki Baum zeichneten das Bild der "Neuen Frau" als kritische und selbstbewusste Protagonistin, die im Berufsleben die gleichen Leistungen wie ihre männlichen Kollegen erbringt und fester Bestandteil einer modernen, großstädtischen Massenkultur ist, die sich in einem rasanten Tempo - vorangetrieben durch die Ausbildung moderner Massenmedien - entfaltete. Die Printmedien erlebten ebenso wie die Kinos einen stürmischen Aufschwung. Die visuelle Erfahrung erreichte ein Massenpublikum, Ende der 20er Jahre gingen in Deutschland täglich etwa zwei Millionen Menschen in über 5.000 Kinos. Die Universum Film AG (UFA) in Potsdam-Babelsberg entwickelte sich nach Hollywood zum zweitgrößten Filmimperium der Welt, wo internationale Klassiker wie der 1927 uraufgeführte Stummfilm "Metropolis" produziert wurden. 1930 gelang Marlene Dietrich mit dem ersten großen deutschen Tonfilm "Der blaue Engel" der Durchbruch zum Weltstar.
Sport und Tanzvergnügen
Auch der Sport zog in der Weimarer Republik ein Massenpublikum an. Zum Fußball, im Kaiserreich noch als "undeutsche Fußlümmelei" verspottet, strömten wöchentlich Hunderttausende in die Stadien. Rad- und Autorennen zogen ebenso wie Boxveranstaltungen riesige Zuschauermengen an, die Kämpfe von Max Schmeling verfolgten Millionen Zuhörer an den Radiogeräten. Das neue Medium Rundfunk trat ab 1923 unaufhaltsam seinen Vormarsch an, innerhalb von zehn Jahren erhöhte sich die Zahl der in Deutschland angemeldeten Rundfunkgeräte von knapp 10.000 auf über 5,4 Millionen. Die Stimme der bekannten und beliebten Sängerin Claire Waldoff konnte Ende der 20er Jahre in jedem fünften deutschen Haushalt vernommen werden.
Die Radioprogramme folgten einem Massengeschmack und förderten die Verbreitung schnell abwechselnder Unterhaltungsschlager und Gesellschaftstänze. Zum Lebensstil der Zwanziger gehörten vor allem die Tanzvergnügen. Der Charleston wurde zum beliebtesten amerikanischen Modetanz in Deutschland. Für seine Verbreitung sorgten nicht zuletzt die "Chocolate Kiddies" mit Musik von Duke Ellington (1899-1974), die ab Mai 1925 als eines der ersten amerikanischen Jazzorchester in Berlin auftraten. Der Revuestar Josephine Baker gastierte 1927 mit ihrer "Charleston Jazzband" in Berlin und sorgte durch ihren "wilden" Tanzstil sowie ihre leichte Bekleidung mit Bananenröckchen für Aufregung. Die Prüderie des wilhelminischen Deutschlands machte - zumindest in den Großstädten - einer nie gekannten, hemmungslosen Vergnügungssucht mit sexueller Freizügigkeit Platz, die in Schlagertexten, großen Nacktrevuen und Darbietungen in kleinen Kabaretts ihren Ausdruck fand. Vor allem der Jazz infizierte die Vergnügungshungrigen. Revuen und Tanzlokale schossen in den Großstädten wie Pilze aus dem Boden. Die für die Tänze notwendige Bewegungsfreiheit hatte die "Neue Frau" in knielangen Hemdkleidern. Das Leben pulsierte, es pulsierte in den Großstädten und vor allem in Berlin, dem kulturellem Zentrum Deutschlands und neben Paris und London die europäische Kulturmetropole schlechthin. Die mit 4,3 Millionen Einwohner drittgrößte Stadt der Welt zog Talente und "Glücksritter" aus ganz Europa geradezu magisch an. "Jeder einmal in Berlin!" lautete der 1928 entstandene weltweit erste Werbeslogan für Stadttourismus.
Wirtschaftskrise und Depression
Die rauschenden Partys der "Goldenen Zwanziger" endeten abrupt mit der Weltwirtschaftskrise. Hunderttausende sahen sich auf der Straße des wirtschaftlichen und sozialen Niederganges dahinschreiten: arbeitslos, perspektivlos, hoffnungslos. Die Verelendung der Bevölkerung spiegelte sich ungeschminkt in der Kunst wider: Hunger und Tristesse wurden zu Bildthemen der Milieumalerei und der Photographie. Romane wie Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" (1929) oder Hans Falladas "Kleiner Mann was nun?" (1932) thematisierten die Not und den alltäglichen Überlebenskampf der Bevölkerung.
Die proletarische Kultur war noch in großen Teilen "links", aber die Anhängerschaft der rechten Heilsverkünder wuchs stetig. Der politische Kampf zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten wurde auch zum Kulturkampf, die Weltanschauungen konkurrierten auf Bühnen und in Zeitschriften miteinander. Kurt Tucholsky wandte sich 1929 mit einem für den rechten politischen Gegner zynischen "Deutschland, Deutschland über alles" gegen Nationalismus und Militarismus. In diesen letzten Jahren der Republik entstanden, sozusagen beflügelt durch die Konfrontation mit den Nationalsozialisten, einige ihrer interessantesten Werke. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendete 1933 die kulturelle Vielfalt in Deutschland schlagartig.