> 50 Jahre Élysée-Vertrag von 1963

50 Jahre Élysée-Vertrag

Am 22. Januar 1963 unterzeichneten der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer im Amtssitz des französischen Präsidenten, dem Élysée-Palast in Paris, den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Der sogenannte Élysée-Vertrag sah eine weitreichende Zusammenarbeit beider Länder in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen vor. Nach der jahrhundertelangen, oft auch als "Erbfeindschaft" bezeichneten Gegnerschaft, bildete der Élysée-Vertrag einen Meilenstein in der deutsch-französischen Verständigungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Zustandekommen basierte wesentlich auf der engen persönlichen Bindung zwischen Adenauer und de Gaulle.

Am 14./15. September 1958, kurz nach seiner Ernennung zum französischen Regierungschef, lud de Gaulle Adenauer zu einem persönlichen Treffen auf seinen Landsitz im lothringischen Colombey-les-deux-Églises ein. Es war das erste Treffen der beiden Politiker, und Adenauer blieb auch der einzige ausländische Politiker, den de Gaulle jemals auf seinen Landsitz einlud. De Gaulle wählte diese besondere Geste, weil er in Deutschland den wichtigsten Partner für ein europäisches Bündnis sah. Mit der Einladung zum Vier-Augen-Gespräch in privater Atmosphäre wollte er Vertrauen schaffen, da er um die Vorbehalte Adenauers gegen seine Person wusste, schließlich hatte er als General sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft, und stellte allein von der militärischen Ausrichtung her einen Gegenpart zum Zivilisten Adenauer dar.

Über ihre bürgerliche Herkunft, ihre Liebe zur deutschen Literatur, ihr tiefes Geschichtsbewusstsein und vor allem ihren beiderseitigen Willen zur Aussöhnung kamen sich die beiden Politiker rasch näher und entwickelten eine sehr herzliche, bald auch freundschaftliche Verbundenheit. "Sehr geehrter Herr General", schrieb Adenauer nach dem Treffen an de Gaulle, "Ich danke Ihnen nochmals für Ihre wohltuende Gastfreundschaft und bin glücklich, dass wir in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen." Und de Gaulle antwortete später: "Lieber Herr Bundeskanzler, mehr denn je habe ich das Gefühl, dass wir einen bedeutenden Schritt auf die Einigung unseres Europas hin machen können. Die Grundlage muss ohne Zweifel eine Übereinkunft zwischen Deutschland und Frankreich sein." Über 40 Briefe schrieben sie sich in der Folgezeit und trafen sich allein in der Zeit zwischen 1958 und 1962 fünfzehnmal zu persönlichen Gesprächen, in denen sie zusammengenommen mehr als 100 Stunden miteinander redeten.

Im Juli 1962 fand der erste offizielle Staatsbesuch Adenauers in Frankreich statt. Diesen Besuch gestaltete de Gaulle zu einem Akt der deutsch-französischen Versöhnung, der nach einer deutsch-französischen Truppenparade in einer feierlichen Versöhnungsmesse in Reims gipfelte, in der Stadt, die im Ersten Weltkrieg durch vornehmlich deutsche Luftangriffe so zerstört und ausgeblutet wurde, dass sie nach Kriegsende den offiziellen Titel "Märtyrerstadt" erhielt. Im selben Jahr lud Adenauer de Gaulle seinerseits zu einem Staatsbesuch nach Deutschland ein. In jeder Stadt, die de Gaulle vom 4. bis zum 9. September 1962 besuchte, erlebte er einen triumphalen Empfang. Auf dem Bonner Marktplatz pries der Anführer des Widerstands gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg, in freier Rede und auf deutsch, das "große deutsche Volk" und endete mit den Worten "Es lebe die deutsch-französische Freundschaft."

Ein solcher Akt der Versöhnung wäre einige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen, und so beschlossen de Gaulle und Adenauer, die gemeinsame Arbeit durch eine politische Vereinbarung abzusichern, von der nicht nur die Politiker sondern auch die Bürger beider Länder profitieren sollten. Kernelemente des am 22. Januar 1963 unterzeichneten "Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrags" waren regelmäßige Konsultationen auf höchster Ebene zwischen Präsident und Bundeskanzler sowie Ministern und leitenden Ministerialbeamten. Zudem sollte die Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik beider Länder koordiniert und abgesprochen werden. Weiter wurde beschlossen, sich intensiv der Bildungs- und Jugendpolitik zu widmen: Mit der Förderung des Sprachunterrichts, der gegenseitigen Anerkennung der Diplome und dem regelmäßigen Jugendaustausch sollte "eine Brücke für die Zukunft zwischen beiden Ländern" geschlagen werden. Ein konkretes Ergebnis dieses Beschlusses war die Schaffung des Deutsch-Französischen Jugendwerks im Juli 1963.

Bevor dies umgesetzt werden konnte, mussten vor allem auf deutscher Seite allerdings noch einige Hindernisse überwunden werden. Zum einen sah sich Adenauer in Deutschland mit einer wachsenden Opposition gegen seine enge Anlehnung an Frankreich konfrontiert. Nicht nur die Oppositionsfraktionen, auch Mitglieder der Regierungsfraktion befürchteten, dass die enge Bindung an Frankreich die atlantischen Bündnispartner USA und Großbritannien verärgern würde. Dies umso mehr, als sich de Gaulle im Januar 1963 auf einer Pressekonferenz gegen den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ausgesprochen hatte. Hinzu kam die Schwächung von Adenauers innenpolitischer Position durch die "Spiegel-Affäre", die ihn zu dem Versprechen Zwang, im Herbst 1963 aus dem Kanzleramt auszuscheiden. Adenauer ließ daher kurzerhand die geplante Vereinbarung in einen Vertrag umwandeln, an den dann auch der Bundestag und seine Nachfolger gebunden wären. Der "Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit" wurde schließlich am 22. Januar in Paris unterzeichnet. Der Deutsche Bundestag bestand allerdings darauf, dem Vertrag vor der Ratifizierung im Juni 1963 eine Präambel voranzustellen, in der die Deutschen ihre enge Bindung an die USA und den Willen zur Aufnahme Großbritanniens in die EWG bekundeten. De Gaulle war empört über diese Entwicklung und wählte das Bild einer "missratenen Hochzeitsnacht", nach der er sich weiterhin jungfräulich fühle.

Dass sich diese negative Einschätzung nicht bewahrheitete, lag vor allem daran, dass sich im weiteren Verlauf der deutsch-französischen Beziehungen ähnlich intensive Partnerschaften entwickelten. Nach de Gaulle und Adenauer waren es Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing (geb. 1926) und Bundeskanzler Helmut Schmidt, die den intensiven Austausch suchten und in den siebziger Jahren mit mehreren Initiativen wie der Einrichtung des "Europäischen Rates" und des "Europäischen Währungssystems" zur Weiterentwicklung der europäischen Einigung beitrugen. Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatspräsident François Mitterrand (1916-1996) fügten der deutsch-französischen Aussöhnung Hand in Hand an den deutschen und französischen Soldatengräbern von Verdun ein eindrückliches und emotionales Bild hinzu. Zudem erweiterten sie den Elysée-Vertrag um einen gemeinsamen "Finanz- und Wirtschaftsrat" und einen "Verteidigungs- und Sicherheitsrat".

Zum 40. Jahrestag am 22. Januar 2003 veranstalteten der französische Staatspräsident Jacques Chirac (geb.1932) und Bundeskanzler Gerhard Schröder eine gemeinsame Sitzung von Assemblée nationale und Deutschem Bundestag in Versailles. Im Jahr darauf nahm mit Gerhard Schröder zum ersten Mal ein deutscher Bundeskanzler an den Feierlichkeiten zur Landung der alliierten Truppen in der Normandie teil. Am 22. Januar 2013 kommen die Parlamente, Regierungen und Staatspräsidenten Deutschlands und Frankreichs zu einem Festakt anlässlich des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrags im Berliner Reichstagsgebäude zusammen.

Dorlis Blume
Januar 2013

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