Dieser Eintrag stammt aus Tagebuch-Aufzeichnungen von Karl Deutmann aus Adlershof bei Berlin. Deutmann war während des Krieges bei Mannesmann im Werkschutz tätig und beschrieb in seinem Tagebuch den Kriegsalltag mit Luftangriffen auf Berlin und zunehmenden Versorgungsschwierigkeiten. Aus dem Bestand des Deutschen Historischen Museums.
3. Februar 1945
Tagesangriff von 10.30 bis 12.40 Uhr. Die feindlichen Bomberverbände flogen von Südwesten und Süden kommend bei klarem Himmel und sonnigem Wetter die Reichshauptstadt an. Wie sahen die weißen Kondensstreifen am blauen Himmel in großer Höhe und konnten geschlossene Verbände beobachten, die der Stadtmitte zuflogen. Und dann hörten wir hinter den meterdicken Wänden des Bunkers über eine Stunde lang nichts als das furchtbare Donnergrollen fallender Bombenteppiche bei flackerndem, zeitweise fast erlöschendem Licht, wenn ein Kabel getroffen war.
Es war ein anderthalbstündiger Mord bei sonnigem Vorfrühlingswetter und blauem Himmel, der 18.000 bis 20.000 Menschen das Leben kostete.
Als wir den Bunker verließen, war die Sonne verschwunden, der Himmel bewölkt. Aus zahllosen kleinen und großen Brandherden gespeist, hing über der gesamten Innenstadt ein gewaltiges Meer aus Qualm, aus welchem sich zwei große Gipfel mit silbernen Rändern wie ein drohendes Gebirge in den Himmel schoben. In den Straßen der Stadt war es an diesem Tage um die Mittagszeit Nacht. Der Südwesten Berlins, die Innenstadt, Dahlem und andere Stellen wurden von den Teppichen furchtbar getroffen. Um den Spittelmarkt herum und am Moritzplatz sind ganze Straßen mit den Menschen bis auf Häuserreste verschwunden. In der Neuenburgerstraße in den Nähe vom Halleschen Tor wurde die Berufschule für Mädchen getroffen, wo in dem Keller hunderte von Mädchen Schutz gesucht hatten. Später standen die Eltern vor den zerrissenen, vom Luftdruck verstümmelten und entkleideten Leichen und erkannten ihre Töchter nicht mehr.
Doch handelt es sich hier nur um einen Fall des großen Sterbens. Es ist in Fabriken, Geschäftshäusern, U-Bahn- und Stadtbahnhöfen, die von Flüchtlingen aus Schlesien und West- und Ostpreußen und Pommern überfüllt waren, dasselbe Elend gewesen. Es war der schwerste Angriff auf Berlin, dessen Schloß nun auch in Flammen unterging.
26. Februar 1945
Beginn des Bombenangriffs um 12.00 Uhr mittags. Dauerlauf vom Werk zur Wohnung, wo ich meine Frau auf der Straße wartend antraf. Da sie nicht genau wußte, ob ich im Werk abkömmlich war, hatte sie nur zwei Koffer mit. Ich schickte meine Frau mit den Koffern voraus zum Bunker und rannte in die Wohnung, um noch einen Koffer mit Kleidungsstücken zu holen. Ich schaffte es und folgte meiner Frau, die zeitweise nach mir umsah.
Auf dem ganzen Weg begleitete mich das ferne Rollen der Bomber, das sich über dem wolkenbedeckten Himmel verteilte und näherkam. Dann fielen Bomber vor mir in Köpenick, die Flak schoß, die letzten hundert Meter waren ein Rennen ums Leben. Ich sah meine Frau den Bunker erreichen, das Getöse wurde stärker, neue Bomben fielen und auch ich hatte den Bunker erreicht. Und dann legten 26 starke Bomberverbände eine Stunde und 20 Minuten lang ihre Teppiche in und um Berlin auf Fabriken, Eisenbahnen, Bahnhöfe, haltende Transportzüge mit Munition für den Osten, auf das Polizeipräsidium, das Warenhaus Tietz "Hertie", das Warenhaus Wertheim, auf noch stehende Hochhäuser, Stadt- und U-Bahnen, Krankenhäuser, Wohnviertel, auf die gesamte Bahnstrecke von Berlin nach Fürstenwalde und hinterließen ein Meer von Rauch und Flammen, ein grausiges, unvorstellbares Bild von Tod und Zerstörung.
Nach den ersten Schlägen erlosch das Licht im Bunker. Auf dem gemauerten Treppengeländer wurde auf jeder Etage eine brennende Kerze aufgestellt. Um uns brandeten Tod und Verderben, atemlose Stille bei dem furchtbaren Rollen der fallenden und detonierenden Bomben. Irgendwo fing es an, neue Teppich-Rollen, ein furchtbares Rollen, das näherkommt, der Bunker bebt, aber er steht, das Rollen verläuft, und dann fängt mit furchtbaren Donnerschlägen ein neuer Teppich an, sich zu entfalten, wieder rollt es heran, kommt näher, verläuft sich irgendwo in der krachenden Ferne.
Bis nach einer Ewigkeit die letzten Schläge verhallen, die lautlose Stille im Bunker bei Groß und Klein anhält und die Gewißheit sich durchringt: Es ist vorbei.
Dann wird gesprochen, Kinderlachen dazwischen, die Türen knallen, Namen werden gerufen, Scherze fliegen hin und her. Ernste Gespräche über frühere Alarme und Erlebnisse werden angeknüpft, die Spannung weicht und innerlich fragt ein jeder der vielen Hundert auf den Etagen sich: Wie sieht es draußen aus? Steht meine Wohnung noch? Und nach endlosem Warten auf den Treppen steht man draußen, sieht die wohlbekannten Häuser und Straßen unversehrt und wenn man weiterkommt, am Himmel Rauch, die Menschen gehen Heim, der Himmel wird trüber, überall steigt Rauch auf, Silberstreifen und Brandhülsen liegen auf den Straßen, Rauch, der sich im dunklen Himmel verliert. Alles Rauch und trübe.
Und in dieser Zeit sind unter unvorstellbaren Qualen oder in einer jähen Sekunde Tausende und Abertausende gestorben. Erstickt, zerrissen, begraben, verbrannt, zertreten und was es sonst noch so alles gibt.
28. Februar 1945
Berlin brennt immer noch an vielen Stellen. Bei Tage und in der Nacht hören wir die Detonationen von Zeitzündern und Sprengungen. Es gibt keine Särge mehr und die noch vorhandenen sind beschlagnahmt. Schwerfällig wie meine Schrift und der Stil (in dem ich ein so großer Meister war) den ich schreibe, so müde bin ich selbst. Von allem....
20. April 1945
USA Bomberangriff auf den Norden von Berlin und frontnahe Vororte im Westen und Südwesten Berlins. Bei Müncheberg sind die Russen durchgebrochen. Auch das Artilleriefeuer von der amerikanischen Front im Westen vor den Toren Berlins verstärkt sich stündlich. Die Luft dröhnt bei Tage und in der Nacht von den Propellern der über uns hinwegrasenden Flugzeuge (deutsche und feindliche). Am Nachmittag knallten Bordwaffen nicht weit von uns entfernt, es entwickelten sich Luftkämpfe, Bomben krachten, dazwischen heulten die Maschinen steigend, kurvend, fallend und die Straße roch nach Pulverdampf. Höchste Alarmbereitschaft im Werk. Ich werde jetzt eingesetzt. Wann ich einmal wieder schreiben kann, ist unbestimmt.
Die Trecks der bäuerlichen Flüchtlinge aus der märkischen Schweiz von Bückow usw. durchfahren Adlershof. Das letzte Stückchen Brot mit meiner Frau geteilt. Wenn meine Frau nicht unter großen körperlichen Strapazen aus der Gegend von Strausberg, die heute schon besetzt ist, ungefähr 40 bis 45 Pfund Kartoffeln besorgt hätte, dann hätten wir schon bitter hungern müssen. Die meisten Bäcker und Kaufleute besitzen kein Brot mehr. Auf die Marken für nächste Woche darf aber noch nicht verkauft werden. Aber wer von den Bewohnern Berlins hat denn noch ein Stück Brot? Gemüse gibt es seit Wochen nicht. Strom und Licht gibt es seit Tagen überhaupt nicht mehr. Alle Maschinenarbeit ruht vollkommen. In der Nacht kann überhaupt nicht mehr gearbeitet werden und infolge der zerstörten Bahnen erreichen die Arbeiter ihre Werke nicht mehr.
Was wird die Nacht noch alles bringen? Die Verwundeten von der Ostfront fahren verbunden, blutig und beschmutzt, blaß, müde und abgekämpft mit der Vorortbahn nach Berlin zur ärztlichen Behandlung und sehen schweigend auf die vielen Trümmer.