> Werner Brähler: Erinnerungen an den Reichsarbeitsdienst 1943

Werner Brähler: Erinnerungen an den Reichsarbeitsdienst 1943

Dieser Eintrag stammt von Werner Brähler (*1925) aus Bendorf-Sayn, Februar 2010 (Homepage: www.ausmeinerzeit.de):

/lemo/bestand/objekt/braehler01 Es ist nicht meine Absicht, durch diese Aufzeichnungen eine Zeit zu heroisieren, obwohl mancher Leser dieses in verschiedenen Passagen vielleicht meinen könnte. Nein, ich habe diese Zeit, die man auch das "1000 jährige Reich" nennt, wie jeder andere Angehöriger des Geburtsjahrgangs 1925 einfach mitmachen und durchleben müssen. Dabei wechselten meine Empfindungen öfter zwischen Begeisterung und Enttäuschung. Durch die langjährige politische Indoktrination in der Schule, im Jungvolk und der Hitler-Jugend, waren wir jungen Leute - jedenfalls die meisten von uns - dem Zeitgeist erlegen und standen dem Hitler-Regime, wie auch der überwiegende Teil der gesamten deutschen Bevölkerung, unkritisch gegenüber. Das ist uns sehr viel später erst bewußt geworden, was es heißt, in einer Diktatur zu leben, die von einer Clique fanatischer Ideologen bestimmt wird, wo jede Opposition lebensbedrohend war und wo Rassenwahn herrschte. Die Mehrzahl der Volksgenossen hatte völlig falsche Vorstellungen, was in den Konzentrationslagern (KZ), vor sich ging, dass Juden, Zigeuner, Oppositionelle, u.a. Menschen dort - auf welche Weise auch immer - umgebracht wurden. Und wenn heute tausendmal die Frage an unsere Generation gerichtet wird: "Warum habt ihr das alles zugelassen?" , so werden wir ehrlich antworten, daß wir das zu der Zeit nicht gewußt haben.

Was uns Jugendlichen 1943 und schon einige Zeit vorher bewegte, war der Krieg, der fortschreitend eskalierte, nicht nur an den Fronten, sondern auch in der Heimat. Wir, die gerade 17-18 Jahre alt waren, fragten uns, wann wir denn nun endlich auch unseren Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, der damals "Stellungsbefehl" genannt wurde, erhalten würden? Wir glaubten ja noch - im Nachhinein gesehen törichterweise - an den Endsieg, der uns von allen offiziellen Seiten her eingeredet wurde. Dabei erhielten wir unsere Informationen vornehmlich aus den Zeitungen, dem Radio und aus den in den Kinos gezeigten Wochenschauen. Alle Aussagen dieser Medien waren vom Reichspropagandaministerium in Berlin, das unter den Direktiven des Ministers Dr. Joseph Goebbels stand, beeinflußt, zensiert und im ganzen Reichsgebiet gleichgeschaltet. Dieser Minister inszenierte einen fast religiös anmutenden Hitler-Mythos. Nach der ersten großen Niederlage unserer Armeen in Stalingrad, propagierte er im Februar 1943 im Berliner Sportpalast den "Totalen Krieg". Eine gespensterhaft anmutende Aufforderung, die emphatisch bei fast allen Teilnehmern dieser Veranstaltung jubelnden Beifall auslöste. Natürlich wurden alle Reden der führenden Repräsentanten der Regierung, Minister, Gauleiter u.a. in den Tages- und Wochenzeitungen, im Radio und in den Wochenschauen im Kino einem breiten Spektrum der Bevölkerung vermittelt. Die Folgen des "Totalen Krieges" waren u.a. auch: Arbeitseinsatz aller halbwegs gesunden Frauen in den Rüstungsbetrieben, verstärkte Inanspruchnahme der nach Deutschland verschleppten oder freiwillig gekommenen Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen, sowie der Kriegsgefangenen. Ebenso ein weiteres Aussieben männlicher deutscher Arbeitskräfte, die dann nach kurzer militärischer Ausbildung zum Fronteinsatz kamen. Wer ausländische Rundfunksendungen abhörte, z.B. den BBC, wurde qua Gesetz mit dem Tode bedroht, wenn die hier gehörten Informationen an Dritte - dazu gehörten auch Familienangehörige - weitergegeben oder öffentlich bekannt wurden.

Bevor aber unser Jahrgang zur Wehrmacht eingezogen wurde, war erst noch eine halbjährige Dienstzeit beim RAD (Reichsarbeitsdienst) abzuleisten. Nur durch eine Freiwilligenmeldung zur Wehrmacht, der SS oder durch eine Bewerbung zur Offizierslaufbahn, konnte diese Zeitspanne um die Hälfte, d.h. auf 3 Monate reduziert werden. Für viele von uns war das d i e Lösung für unsere ungestüme Ungeduld. Am 15. April 1943, einem Donnerstag, 3 Tage vor meinem 18. Geburtstag, erhielt ich die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst zur RAD-Abteilung 5/206, die in Lendringsen im Sauerland, einem kleinen Ort südlich von Menden, stationiert war.

Eine Arbeitsdienstabteilung bestand aus ca. 200-250 Arbeitsmännern, oder im weiblichen Arbeitsdienst aus Arbeitsmaiden. Unsere Unterkünfte bestanden aus ziemlich massiven Holzbaracken. Jede Stube war mit 8-10 Männern belegt, die eine Gruppe bildeten. Jeder Zug hatte 4 Gruppen. Die Baracken waren auf dem Areal U-förmig angeordnet. Es blieb somit an der offenen Nordseite ein freier Platz (Antreteplatz). Jeden Morgen erfolgte hier die Flaggenhissung, eine seit den Jungvolk- und Hitler-Jugendzeiten traditionelle, feierlich anmutende Zeremonie, die mit einer Tagesparole versehen wurde. Hier wurden meistens patriotische Zitate großer deutscher Dichter, Feldherren, oder nationalsozialistischer Parteigrößen deklamiert. Danach erfolgte die Einteilung zum täglichen Arbeitsdienst oder zur vormilitärischen Ausbildung. Abends wurde die Flagge wieder durch die Teilnahme aller Arbeitsmänner auf dem Antreteplatz eingeholt. Die Arbeitsdienstfahne zeigte ein Emblem, welches in der Mitte ein Spatenblatt aufwies, das links und rechts von zwei schräggestellten Getreideähren eingerahmt war. Auf dem Spatenblatt befand sich ein Hakenkreuz. Unsere Uniform hatte eine erdbraune Farbe. Der Schnitt ähnlich der, der Heeresuniform. Auf dem linken Ärmel war eine Hakenkreuzbinde angebracht, über die das RAD-Emblem (Spaten mit Gerstenähren) stand. Eine Besonderheit war die Kopfbedeckung bei der Ausgehuniform. Sie war weder eine Schirmmütze, noch ein Hut, sondern ein Zwischending von beiden. Im RAD-Jargon nannte man sie: "Arsch mit Griff".

Die zweite Besonderheit für den Arbeitsmann war der Spaten. Er dokumentierte die Handarbeit, war aber auch so eine Art "Ersatzgewehr" im Blick auf die Wehrmacht. Analog zum "Gewehr-Griffe-Kloppen" bei der Wehrmacht, gab es beim RAD die "Spatengriffe". Diese wurden bei öffentlichen Kundgebungen, Parteitagen - nicht nur in Nürnberg - Parteiaufmärschen, Maifeiern, Heldengedenktagen u.a. Anlässen oft durch eine Ehrenformation der Bevölkerung gezeigt, die dann meistens große Beachtung und Beifall fand.

/lemo/bestand/objekt/braehler02 Im damaligen Sprachgebrauch waren wir ein "bunter, zusammengewürfelter Haufen" gleichen Jahrgangs, aus den umliegenden Städten Westfalens und des Ruhrgebietes, der sich aus ehem. Abiturienten, Schülern und aus allen möglichen Berufen zusammensetzte. In den ersten Tagen war außerhalb des Lagers kein Arbeitsdienst vorgesehen. Man verbrachte den Dienst mit vormilitärischer Ausbildung. Für mich war das bereits "ein alter Hut", denn aus meiner Hitler-Jugend-Zeit hatte ich bereits auf diesem Gebiet genügend Erfahrung. Ich bekam bei der HJ einen "Lehrschein für die Geländeausbildung", hatte das "SA-Sportabzeichen", wo ebenfalls der Geländedienst mit Kompaß und Karte, Gewehrschießen, Handgranatenweitwurf und dergleichen, gefordert wurde.

Überraschend gut war die Verpflegung im Arbeitsdienst, wenn man bedenkt, daß wir uns bereits im 5. Kriegsjahr befanden, der normale "Volksgenosse" seine Lebensmittel nur auf Karten bekam, und die vom Staat zugemessenen Rationen sehr knapp gehalten waren. Im Vergleich zur Wehrmacht, um das vorwegzunehmen, war die Verpflegung im Arbeitsdienst um Klassen besser. Ein Beweis dafür war auch, daß wir bei unseren kargen Ausgehstunden nie einen Gasthof oder ein Restaurant aufsuchten, um dort ein "Stammgericht" (ein einfaches Essen ohne Lebensmittelmarken) zu uns zu nehmen. Da ich wußte, daß meine Familie bzw. meine Eltern keine Quellen für zusätzliche Lebensmittel besaßen, auch nicht für Hühner, Gänse, Puten oder gar Wildbret, blieb ihnen nur noch ab und zu das markenfreie Angebot des Wittener Pferdemetzgers Klein in der Oberstraße. Ich kann mich noch erinnern, daß mein Vater eines Tages ein größeres Stück Fleisch nach Hause brachte, meine Mutter über die Herkunft düpierte, und sie einen recht guten Sauerbraten davon machte. Nach dem Mahl scharrte er mit den Füßen auf dem Boden, bis nach einiger Zeit bei uns der "Groschen" fiel, was für eine "Spezialität" wir gerade mit Appetit verspeist hatten.

Persönlich empfand ich den Dienst hier beim Arbeitsdienst ziemlich öde. Einige andere Kameraden empfanden das ebenso. So bildeten sich verschiedene Kontakt- und Interessengruppen, die sich mit Literatur, Musik, Theater und Film befaßten, aber auch andere die Sport und oder Mädchen bevorzugten.

Ja, wir hatten sogar schon einen 17-jährigen Vater in der Abteilung, womit bewiesen ist, daß das Ausleben der Sexualität damals schon bekannt war, wenngleich ich sagen muß, daß es sich hier um eine absolute Ausnahme gehandelt hat. Ich schloß mich einer schöngeistigen Gruppe an, und wir diskutierten Literatur von: Friedrich Nietzsches "Also sprach Zarathustra", "Götzendämmerung", über Hölderlin, Büchner, Kleist, Mörike und Rainer Maria Rilkes "Cornet" u.a. In der Freizeit gingen wir ins Kino nach Menden oder Iserlohn , danach diskutierten wir über den Filmstoff, die Schauspieler und Schauspielerinnen. Natürlich verfolgten wir auch die militärische Entwicklung an den Kriegsfronten. Ich dachte öfter daran, daß eines Tages der Krieg zu Ende ist, und ich als Soldat nicht mehr zum Fronteinsatz käme. Die RAD-Zeit verschleppte nur unnötig den Zeitpunkt meines eigentlichen Berufszieles. Nicht auszudenken, daß man dann später vielleicht von älteren Offizieren nicht für "voll genommen" und akzeptiert würde.

Während meiner RAD-Zeit ist mir in besonderer Erinnerung die Bombardierung der in der Nähe unseres Lagers gelegenen Möhnetalsperre im Mai 1943 geblieben.

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