> Werner Mork: Kämpfe bei Ortona, Italien 1943

Werner Mork: Kämpfe bei Ortona, Italien 1943

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Juni 2006:

Nachdem die 90. Division nach dem Übersetzen von Korsika auf das italienische Festland Anfang Oktober 1943 wieder einigermaßen eine zusammenhängende Einheit geworden war, wurde unsere Divison von der nördlichen Adria verlegt in den Raum von Ortona an der mittleren Adria. Dort versuchte die britische 8. Armee mit Unterstützung schwerster Schiffsartillerie von See aus den deutschen Abwehrriegel am Sangro und dann am Moro zu durchbrechen. Das sollte auch zu einer Entlastung der schweren Kämpfe in der Mitte Italiens führen, wo sich im Gebiet von Cassino die Fronten so verhärtet hatten, dass es kein Durchkommen nach Norden in diesem Raum gab. An der Adriaküste sollte nun der Weg frei gemacht werden, um dort im ebenen Gelände entlang der Küste nach Norden zu gelangen und die deutschen Truppen dann vernichtend zu schlagen. Dabei sollte das sehr schwierige Berggelände in der Mitte Italiens umgangen werden, um schnell und zügig bis an die Alpen vorstoßen zu können.

In der Nähe von Ortona sollte ich mich bereit halten für den Einsatz direkt an der Front. In der Kompanie war ich zum Schützen 3 einer MG-Besatzung "gemacht worden", auf Veranlassung des Herrn Oberleutnants, der mich nicht vergessen hatte! Meine Aufgabe würde sein, mich als Muni-Schlepper für das MG zu betätigen und Träger der MG-Munitionskästen zu sein, was auch bedeutete, dass ich, hinter dem MG-Schützen 1 und dem Schützen 2 liegend, für die ausreichende Munitionierung des MGs mit den MG-Gurten zu sorgen hatte, aber auch für den rechtzeitigen Nachschub der Munition von rückwärts. Der Abschnitt, den die Kompanie halten sollte/musste, lag unter schwerstem Feuer der Engländer – nicht nur der Artillerie, sondern ganz besonders auch der Schiffsgeschütze der vor der Küste völlig ungestört liegenden Kriegsschiffe der Royal Marine, die laufend ihre "dicksten Koffer" herüber schickten, die von einem gewaltigen Kaliber waren. Hindern konnte sie keiner daran, es gab keine Abwehr vom Land aus, und vom Himmel hoch konnte ihnen auch nichts geschehen, deutsche Flugzeuge waren eine Seltenheit geworden, dafür tummelten sich am Himmel die Maschinen der Tommys, die Bomber und die Jabos. Diese Flugzeuge beharkten und zerbombten tagsüber die Front und das gesamte Hinterland.

An dem Abend, an dem ich dann mit nach vorne musste, hatte der Verpflegungswagen, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, den Gefechtsstand der Kompanie erreicht, wo sich auch der Oberleutnant Tschechow befand. Ich meldete mich und wurde einem Kompanie-Melder zugewiesen, der mich dahin bringen sollte, wo sich der Feldwebel Müller mit seinen Leuten eingegraben hatte. Die Stellungen, die von den Tommys heftig beschossen wurden, waren keine Stellungen im Sinn von festen Unterständen, Schützengräben und Verbindungsgräben. Das waren ganz einfach Löcher, die von den Landsern mit Hilfe ihrer Spaten gegraben worden waren. In diesen Löchern lagen sie ohne weitere Deckung im Dreck und mussten das feindliche Feuer der Artillerie über sich ergehen lassen, und das schon seit etlichen Tagen. Ihre Aufgabe war, den erwarteten Angriff der englischen Infanterie abzuschlagen und die eigene Stellung um jeden Preis zu halten, auch den des eigenen Lebens. Doch die Tommys ließen sich Zeit, ihre Taktik war es, den Gegner mit schweren Waffen zu zermürben und zu dezimieren, um dann den infanteristischen Angriff durchzuführen, fast ohne eigene Verluste. An schweren Waffen und an Munition herrschte bei den Engländern kein Mangel.

Ich war zwar zu meinem "Loch" gekommen, aber nicht die Verpflegung. Ein Treffer der Ari hatte die Verpflegungs-Kanister irgendwo im Gelände verstreut. Die Landser in ihren Löchern hatten wieder einmal nichts zu essen und hofften auf den nächsten Abend, wenn es denn dann klappen würde mit der Verpflegung. Zwischenzeitlich wurde etwas von der "Eisernen Ration" gekaut. Das Schlimmste war aber, das es nichts zu trinken gab. Durst war schlimmer als Hunger. Nun lag auch ich in einem Erdloch, auch ich musste die gewaltige Feuerwalze über mich ergehen lassen, regungslos mit dem Kopf im Dreck. Die beiden anderen Schützen hatten mich nur kurz begrüßt und gesagt Schnauze halten, alles abwarten, nicht bewegen, den Kopf nicht aus dem Loch halten, beim Tommy seien tagsüber sehr versierte Scharfschützen im Einsatz. Die, von mir mitgebrachten Muni-Kästen wurden verstaut und die Kameraden waren froh über den Nachschub. Munition war wichtiger als Verpflegung.

Die Nacht ging vorüber, und auch der neue Tag. Der Tommy hatte noch nicht angegriffen, und die Ari war sogar etwas ruhiger geworden. Ich hatte nun Gelegenheit, einiges von meiner neuen Umgebung wahrzunehmen. Einige Meter rechts von unserem Deckungsloch befand sich das Erdloch des Zugführers Feldwebel Müller, das er mit einem Obergefreiten teilte. Die beiden hatten sich ein verlassenes MG aufgebaut, um damit wenigstens eine wirksame Waffe zu haben, Pistole und Karabiner nutzten da nicht mehr viel. Zu meinem Erstaunen merkte ich, wie nahe das war. In der Nacht hatte ich geglaubt, einen langen Weg zurückgelegt zu haben, was aber daran lag, dass ich mich auf dem Bauch liegend nur langsam robbend dahin bewegen konnte, wo ich hin musste. Am Abend dieses Tages geschah das Wunder, es kam Verpflegung durch bis zum letzten Loch. Es war weiterhin ziemlich ruhig geblieben, und wir hofften, dass auch die Nacht ohne besonderen Feuerzauber vorüber gehen würde, etwas Schlaf würde uns ganz gut tun.

Doch wir hatten umsonst gehofft, wir sollten eine sehr ungute Nacht erleben. Irgendwo am Abend setzte ganz plötzlich schwerstes Artilleriefeuer ein, von See und von Land. Der Tommy schoss aus allen Rohren mit allem was er zur Verfügung hatte. Es entwickelte sich ein regelrechtes Trommelfeuer auf die deutschen Linien. Waren wir zuerst froh gewesen, unsere Verpflegung noch bekommen zu haben, so verging uns jetzt sehr schnell jegliches Verlangen nach Essen und Trinken. Was sich jetzt abspielte war grauenhaft. Die Landser lagen in ihren Löchern und waren dem Trommelfeuer hilflos ausgeliefert. Meine Kameraden in unserem Loch meinten, dass die Engländer noch in dieser Nacht mit der Infanterie angreifen würden, wenn das Trommelfeuer eingestellt wird. Sie sorgten nun dafür, dass die Muni-Kästen mit den gefüllten Muni-Gurten griffbereit am MG gelagert wurden. Mir war dabei nicht sehr wohl, ich hatte Angst, eine sehr große Angst und ich glaubte, dass ich das hier nicht überstehen würde. Aber dann überkam mich seltsamerweise eine Art eines grenzenlosen Phlegmas, wohl aus dem Gefühl heraus, dass nichts mehr zu ändern ist, dass man nun einfach warten muss auf das, was geschehen wird – entweder Tod, Verwundung oder/und Gefangenschaft. Es überkam mich das, was die Landser als LmA-Gefühl bezeichnen, das "Leck mich am Arsch-Gefühl". In einer hoffnungslosen Lage nutzte alles Wehklagen und Jammern nichts mehr, da gab es nur das Warten, sonst nichts. Nur dieses Warten konnte sehr qualvoll sein.

Dann geschah etwas sehr Schlimmes. Aus der Richtung des Zugführers hörten wir lautes und furchtbares Schreien, es musste jemand getroffen worden sein. Einen Augenblick später kam der zweite Mann aus dem Loch des Feldwebels Müller zu uns gerobbt, ließ sich in unser Loch fallen und sagte, der Feldwebel Müller sei von einem Ari-Splitter getroffen, der ihm den Bauch aufgerissen habe und er im Sterben liegt, ihm könne keiner mehr helfen. Das Schützenloch sei voll von Blut, und er habe rausmüssen. Er hatte noch versucht, mit den Verbandspäckchen das Blut zu stillen, aber das war hoffnungslos. Der immer so nette und lustige Feldwebel Müller, ein etwas kleiner aber sehr agiler Mann, ein Pfundskerl, lag nun im Sterben, und er war dabei alleine in dem dreckigen Loch, ohne Hilfe. Bei dieser schweren Verwundung konnte es auch keine Hilfe mehr geben. Solch eine Bauchverletzung war immer tödlich, es war nur eine Frage der Zeit, wann der Tod als Erlöser kommen würde. Es gab weit und breit aber auch keinen Sanitäter, und wenn, dann hätte der in dem schweren Trommelfeuer nicht kommen können. Es gab auch keine Verbindung mehr zu den anderen Teilen der Kompanie, die Fernsprechverbindungen waren völlig zerstört. Aber ein Sani hätte auch nicht mehr helfen können. v Es gab nichts, mit dem unserem Müller noch hätte geholfen werden können. Vor einer solchen Verwundung hatten alle Soldaten immer eine große Angst, sei es ein Bauchschuss oder ein Splitter im Bauch, in beiden Fällen gab es kaum eine Hilfe, da konnte nur das Sterben den Qualen ein Ende bereiten. Diese Qualen konnten aber auch noch stundenlang andauern, und auch bei unserem Müller sollte es noch lange dauern, bis er zur ewigen Ruhe kam.

Trotz des nach wie vor starken Feuers hörten wir sein wahnsinniges Schreien und das Rufen nach seiner Mutter. Es war grauenhaft, und noch heute beim Schreiben überkommt mich ein sehr wehes Gefühl, ich erlebe alles noch einmal und könnte heulen dabei. Es war wirklich grauenhaft, dieses Schreien hören zu müssen, und so furchtbar es auch klingt, aber für uns alle war es wie eine Erlösung, als das Schreien in ein erschütterndes Wimmern überging und danach Ruhe war. Unser guter Kamerad Müller war nun tot, gefallen für den Wahn eines Krieges, dessen Notwendigkeit wir immer weniger einsehen konnten.

Das war kein "Heldentod", wie er immer so dumm dargestellt wird, das war ein sinnloses, brutales Morden, das war ein Verbrechen ausgeübt von Menschen an anderen Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer – als zum Töten bestimmte Feinde erklärt worden waren. Das war nicht mehr zu begreifen, das konnte ich nicht mehr verstehen.

Die Schreie von Feldwebel Müller, nicht nur wegen der furchtbaren Schmerzen, sondern auch die Schreie nach seiner Mutter und seiner Frau haben mir noch lange in meinen Ohren geklungen, ich bin nie wieder davon ganz frei geworden. Erstmals hatte ich ein solches menschenunwürdiges Sterben miterleben müssen, ein so qualvolles Verrecken eines Menschen, und das ließ mich in dieser Nacht um einiges älter werden, in der Nacht wurde ich ein anderer, war nicht mehr der, der kurz zuvor erst vorne angekommen war.

Das Schreien hatte aufgehört, aber aufgehört hatte plötzlich auch das Feuer der Geschütze. Stille war nun eingekehrt, aber die war uns unheimlich. Das Trommelfeuer war über uns hinweggegangen, hatte sich weiter nach hinten verlagert, bei uns war jetzt diese unheimliche Ruhe. Das war wirklich die Ruhe vor dem Sturm! Ungewiss war bei dieser Ruhe, was nun wohl geschehen würde. Würde es noch in der Nacht zu einem Angriff der englischen Infanterie kommen? Und würden mit ihr auch die gefürchteten englischen Panzer angreifen? Das alles in der Nacht, in der es kaum etwas zu erkennen gab. Das war eine sehr miese Situation für uns, die wir da in unseren Löchern lagen, wobei wir nicht wussten, ob und wer überhaupt mit uns dieses Trommelfeuer überlebt hatte. Wir waren allein in dem Gelände, das wir zumindest etwas übersehen konnten. Es gab auch keinen, der uns noch etwas hätte sagen oder gar befehlen können. Sollten wir wirklich die einzigen sein, die das Inferno überstanden hatten? Es hatte den Anschein, als sollte es wirklich so sein.

Da lagen wir nun bei nur schwachem Mondschein in unserem Loch, wir vier Landser und wussten nicht, was wir nun tun sollten, wie wir uns in dieser Lage zu verhalten hätten. Wir waren abgeschnitten von dem Rest der Kompanie, es gab keine Verbindung zum Gefechtsstand mehr, wobei die Frage anklang, ob es den überhaupt noch gibt. .

Was wir jetzt nur tun konnten, war ein ruhiges Verhalten und dabei abwarten, was geschehen wird. Wobei wir aber meinten, dass uns wohl nichts anderes übrig bleibt, als in Kürze die Hände hochzunehmen, uns zu ergeben und in Gefangenschaft zu gehen und dabei noch froh zu sein, dass wir noch am Leben sind und wir mit dem Los der Gefangenschaft noch Glück haben und nicht draufgegangen sind. Wir müssten dem Schicksal dafür wohl danken, auch wenn die Gefangenschaft doch etwas sehr Ungewisses an sich hatte, wusste doch keiner, was uns erwarten wird.

Doch dann, in dieser Stille, sahen wir plötzlich links, nur wenige Meter von unserem Loch entfernt, eine lange Reihe von Tommys, die alle schön hintereinander fast sorglos dahin marschierten in Richtung Ortona. Sorglos wohl deshalb, weil keiner mehr daran dachte, dass nach dem Trommelfeuer noch Überlebende vorhanden sein könnten, und es schlug ihnen ja auch kein Abwehrfeuer entgegen, die deutsche Linie war eine tote Linie geworden.

Sie war nicht nur eine tote Linie geworden wegen der hohen Verluste, sondern auch, weil die Kompanie und das Bataillon die Stellungen in der Nacht geräumt hatten, ohne uns in unserem Loch darüber zu informieren oder uns die Stellung räumen zu lassen. Es stellte sich später heraus, dass ein Melder versucht habe, den Zugführer Müller zu erreichen und den Absetzbefehl zu überbringen. Per Feldtelefon funktionierte ja nichts mehr, und Funkgeräte waren hier nicht im Einsatz. Der Melder hat den im Blute liegenden und wohl schon toten Feldwebel Müller in seinem Loch vorgefunden, sonst aber keinen anderen mehr. Nach seiner Rückkehr zum Gefechtsstand soll er dann von einem völligen Ausfall der Reste des Zuges von Müller gesprochen haben. Das ist die Erklärung dafür, dass wir vier abgeschrieben waren, wir existierten nicht mehr, wir waren nicht nur Vergessene, wir waren nicht mehr existent für die Kompanie und ihren Chef Tschechow. So jedenfalls bekam ich dieses Geschehen zu hören, später!

Es war also kein Wunder, dass die Tommys da sorglos durch die Nacht zogen, auf ihrem nächtlichen Spaziergang nach Ortona. Wären sie allerdings nicht hintereinander, sondern in breiter Linie vorgegangen, dann wären sie mit Sicherheit über uns gestolpert, so gingen sie in Reihe an uns vorbei. Krieg kann schon manchmal sehr wunderlich sein. Für uns war die Lage so, dass wir vier in unserem Loch die ganze lange Reihe der Tommys mit unserem MG hätten "abschießen" können. Aber daran lag uns nichts, denn wir wussten, dass das auch unseren Tod bedeutet hätte. Etwas verwundert waren wir schon, dass die da so ungeschoren marschieren konnten und dass es weit und breit keinen mehr gab, der auf sie hätte schießen können, es gab auch keine Führungsstellen mehr. Also musste es wohl Wirklichkeit sein, dass wir die einzigen deutschen Landser waren, die sich noch vorne befanden, aber nun ja wohl schon im Rücken der Engländer. Das war kein gutes Gefühl! Was aber trotzdem gut tat, war, war die Ruhe die nicht "gestört" wurde von i möglichen Panzergeräuschen. Wir waren jetzt unmittelbar hinter der vorgehenden englischen Angriffsspitze, der sicher bald das Gros der nachrückenden Verbände folgen würde und dann auch die Panzer.

Flüsternd beratschlagten wir vier was nun zu tun sei. Dabei kamen wir zu dem Entschluss, dass es am besten ist, wenn ein jeder für sich versuchen sollte im Schutze der Dunkelheit nach Ortona zu gelangen, wo deutsche Einheiten noch vorhanden sein würden. Aber das sollte geschehen ohne Waffen und sonstigem Gerät. Das MG 42 wurde unbrauchbar gemacht und wir machten uns einzeln auf den Weg nach rückwärts, der für die auf gleichem Wege befindlichen Tommys der Weg nach vorwärts war. Wir waren der Meinung, dass das, was wir tun wollten, richtig sei, entweder würden wir die deutschen Linien erreichen, dann wäre es gut, wenn aber nicht, dann würden wir Gefangene der Tommys werden, was bei einem weiteren Verbleiben im Loch ohnehin der Fall sein würde. Somit waren wir uns über unser Verhalten einig. Wir wollten versuchen, uns durchzuschlagen zu den eigenen Linien, die Dunkelheit musste dabei unser Helfer sein, am Tage wäre ein solches Vorhaben undurchführbar. Nun kroch einer nach dem anderen aus dem Loch und machte sich auf in die Richtung, wo Ortona liegen müsste. Frei nach Schnauze, ohne Kompass aber mit dem Gefühl für die richtige Richtung, das Landsern so zu eigen war. Das geschah in nur kriechender Bewegung. Mit einem sehr vorsichtigen Robben (hatten wir doch gut gelernt auf den Kasernenhöfen) ging es durch das Gelände, das nicht nur unbekannt war, sondern auch gleich mehrere Gefahren und kritische Situationen in sich barg. Neben der möglichen Entdeckung durch die Engländer bestand die Gefahr von Minen, aber auch Ari-Blindgängern, die unvermittelt hochgehen könnten und die Gefahr, dass deutsche Vorposten uns für einen Feind halten könnten und kurzerhand draufhalten würden. Wir kannten ja auch keine etwaigen ausgegebenen Parolen auf deutscher Seite.

Alles in allem eine beschissene Lage, in der mir überhaupt nicht wohl war. Ich war nun ganz und gar mir selber überlassen und bewegte mich äußerst vorsichtig in die Richtung, von der ich glaubte, es sei das die richtige Richtung. Irgendwo gab es immer Geräusche, die nicht genau zu definieren waren, und immer wieder gab es auch in der weiteren Umgebung leise Stimmen, die von den Engländern kommen mussten, genau zu verstehen waren sie nicht. Von meinen Kameraden war nichts zu sehen und zu hören. Seltsam war dabei, dass noch immer eine ziemliche Ruhe herrschte, die nur unterbrochen wurde von einzelnem Gewehrfeuer und Stößen aus Maschinenpistolen. Wer auf wen schoss, war nicht klar, auch nicht, ob die Schüsse vielleicht einem meiner Kameraden galten, der u. U. bemerkt oder gar entdeckt worden war.

Langsam kam ich vorwärts und robbte mich in den beginnenden Tag hinein. Die Morgen-Dämmerung machte sich so bemerkbar, dass anzunehmen war, es würde ein klarer Tag werden mit guter Sicht. Nur war das nicht gut für die, die nicht gesehen werden wollten. Beim Umschauen, ohne dabei in "Kontakt" mit den Tommys zu geraten, gelang es mir, eine Stelle zu finden, von der ich annahm, mich da gut verstecken zu können. Nur würde das Verstecken nicht viel nützen, wenn ich, bei Tagesanbruch und danach, so richtig mittendrin im Feuer deutscher und englischer schwerer Waffen liegen würde oder aber in die Angriffwellen englischer Infanterie geraten könne, möglicherweise aber auch in deutsche Gegenstöße. War alles schon sehr beschissen, aber mir blieb keine Wahl, ich konnte nicht mehr weiter "kriechen", dann hätten mich die Engländer mit Sicherheit erwischt, was ich aber gerne vermeiden wollte, wenn es denn möglich sein könnte. Ich nutzte die ausgesuchte Stelle um mich zu verstecken, so gut das ging.

Ich lag irgendwo im Niemandsland, das entstanden war, weil die Engländer die vorgeschobenen Stellungen der Deutschen überrollt und ausgeschaltet hatten, und das waren in dem Abschnitt die Stellungen unserer Kompanie gewesen. Die dahinter liegenden deutschen Einheiten hatten sich zurückgezogen und nun gab es eine Lücke zwischen den beiden Linien, die schön weit und breit offen war. Aber weil sie offen war und so gut eingesehen werden konnte, gab es jetzt am hellen Tag keine infanteristischen Tätigkeiten, nicht hüben und nicht drüben, dafür aber Ari-Feuer und Granatwerfer-Beschuss. Ich hatte das Glück, den Tag, trotz allem was ich da mitmachte, ohne Entdeckung unverletzt und lebend zu überstehen. Die Mauern von Ortona waren in Sichtweite, ich konnte also annehmen, mich in der richtigen Richtung zu befinden. Und so wartete ich auf den Abend, um dann weiter zu versuchen, die deutschen Linien zu erreichen. Ich hatte zwar von den Tommys nichts mehr gesehen und gehört, war aber der Meinung, dass ich mich noch immer im Bereich der Engländer befinden würde, so richtig mittendrin. Ich wusste natürlich nicht, dass wegen des starken Abwehrfeuers der deutschen Artillerie, das ich in so "guter Lage" auch über mich ergehen lassen musste, die Angriffsspitzen der Engländer wieder zurückgenommen worden waren, was ich erst "danach" erfuhr. Noch glaubte ich, dass in der näheren Umgebung sich Tommys befinden würden, mit der Nase genau so im Dreck wie ich in meinem Versteck.

Als es schön dunkel geworden war, machte ich mich weiterhin kriechend auf den Weg, in der Hoffnung, dass es mir gelingen würde in Sicherheit zu kommen. Im Laufe der Nacht gelang es mir dann, am Stadtrand von Ortona die Vorposten der deutschen Linien zu erreichen. Nur wäre ich jetzt, an meinem erstrebten Ziel, doch fast noch hops gegangen. Mit größter Mühe gelang es mir, den deutschen Landsern klarzumachen, dass da kein Feind im Anmarsch war, sondern nur ein versprengter Obergefreiter der deutschen Wehrmacht. Das war natürlich sehr schwer, weil ich keine Parole nennen konnte, woher auch. Aber es wurde mir dann doch Glauben geschenkt, wenn auch mit einer großen Skepsis. Es war für die Vorposten nämlich unvorstellbar, dass aus dem Gebiet der einstigen Hauptkampflinie noch einer lebend herausgekommen war. Wobei ich nun auch hörte, dass außer mir kein anderer Soldat an der neuen Vorpostenlinie aufgetaucht war. Von einem der Posten wurde ich mit entsicherter Waffe, man musste doch mit allem rechnen, zur Kommandantur "geleitet", um auch dort skeptisch staunend betrachtet zu werden. Nachdem sich der Kommandant aber von meiner Echtheit und Ungefährlichkeit überzeugt hatte, wurde ich mit einem der nächsten Fahrzeuge zurückgeschickt nach "hinten", wo es mir dann nach einigem Suchen und Fragen gelang, da wieder zu landen, von wo ich vor einigen Tagen an die Front geschickt worden war.

Der Tross meiner Kompanie befand sich noch an gleicher Stelle. Als ich dort eintraf und mich meldete, wurde ich bestaunt wie ein Wunder. Mich durfte es eigentlich gar nicht mehr geben. Es war beim Tross die Nachricht eingegangen, dass alle Männer vom Zug des Feldwebels Müller gefallen seien, so wie er auch. Von diesen Landsern hätte keiner überlebt, bis auf einen Mann, der am Tage zuvor beim Tross eingetroffen war und darüber berichtet hatte. Ich gehörte zu denen, die als gefallen galten. Und nun war ich, der Totgesagte, wieder mitten unter ihnen, meinen alten Kameraden vom Tross. Jetzt hörte ich davon, dass die Tommys an anderer Stelle auf heftige Gegenabwehr gestoßen waren, weil dort noch intakte Einheiten existierten, was die Engländer dann veranlasste, sich auf ihre Ausgangsstellungen wieder zurückzuziehen. Das war auch mein Glück gewesen, ich hatte mich doch nicht mehr in englischen Linien bewegt, wie in der Nacht, als wir unser Loch verließen. Nachdem was geschehen war, musste ich nun annehmen, als Einziger nach unserem Ausbruch aus dem Schützenloch heil durchgekommen zu sein. Die drei anderen Kameraden waren entweder tot oder in Gefangenschaft, wobei aber angenommen werden musste, sie seien gefallen, von ihnen fehlte bis jetzt jede Spur, aber die Hoffnung auf ein auch gelungenes Durchkommen wollten wir nicht aufgeben, auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich war.

Ich hatte wieder einmal sehr viel Glück, welches aber nicht auf eigenem Mut und Können beruhte, sondern nur auf dem Trieb einer Selbsterhaltung, die einen manchmal zu Taten befähigt, die im normalen Dasein kaum möglich sein würden. Was ich getan hatte, war keine Heldentat, nur der Versuch, doch noch am Leben zu bleiben, trotz Krieg.

lo