Bilder als Waffe

 

Die republikanischen Künstler Spaniens orientierten sich seit den frühen dreißiger Jahren an der internationalen sozialistischen und kommunistischen Kunst. Für sie stand die Erziehungsfunktion von Kunst im Vordergrund. Politik und Ästhetik verwiesen aufeinander, und darum war es eine Sache der Ehre, mit den Mitteln der Kunst für ihre politische Sache zu werben. Die Bilder aus dem ersten Jahr des Bürgerkriegs zeigten noch Szenen ländlicher Idylle, die es zu verteidigen galt. Doch dieses friedliche Gegenbild zu den Kämpfen in den Städten wurde immer mehr von Szenen grausamer Metzeleien verdrängt. Ein konkreter Feind fehlte zumeist, wogegen die Folgen des Krieges in allen denkbaren Varianten vorgeführt wurden. In diesem Zusammenhang prägte sich der Begriff der engagierten Kunst (arte comprometido) als einer Kunst, die darauf ausgerichtet ist, politische Botschaften zu verbreiten.(41) Dabei wurden die modernen surrealistischen, kubistischen und expressionistischen Einflüsse aus dem Ausland aufgesogen, da die spanische Kunst der dunklen Braunmalerei des Barock und des 19. Jahrhunderts verhaftet geblieben war.(42)

 

Einer der wenigen, die zunehmend eine Katalysatorwirkung auf andere Künstler ausübten, war Helios Gómez (1905-1956). Nach dem Sturz der Militärdiktatur Primo de Riveras kehrte er 1931 aus seinem selbstgewählten Exil nach Spanien zurück. Er ließ sich in Barcelona nieder und trat der KP bei. Sein graphisches Schaffen stellte er von nun an in den Dienst des Kampfes gegen den Faschismus. Auf seinen Jugendreisen war er als Graphiker in Paris, Brüssel und Berlin tätig gewesen. Dort geriet er unter den Einfluß avantgardistischer Bewegungen und engagierte sich für die Sache der proletarischen Revolution.

Als Reflex auf die Ereignisse in Spanien gab die IAA (Internationale Arbeiter-Assoziation) in Berlin seine erste Graphikmappe "Días de Ira - Schreckensherrschaft in Spanien" mit einem Vorwort des französischen Schriftstellers Romain Rolland heraus (Abb. oben rechts). Dort formulierte Gómez: "Die Kunst befreien von naturalistischen Formen und sie mit ihrer eigenen Dynamik leben lassen, den Betrachter allein durch eine abstrakte Form die ganze Emotion einer Idee spüren lassen, das ist kurzgefaßt meine künstlerische Absicht. Aber ich habe dem Zweck dieses Buches zum Teil künstlerische Ideen geopfert, weil ich mit ihm das Volk erreichen wollte" (S. 2). Als Kunstform, die einerseits den grobgeschnittenen Bilderbögen und der Bändchenliteratur nahesteht und andererseits durch ihre Volkstümlichkeit auch politische Inhalte eingängiger werden läßt, wurde der Holzschnitt zu einem erfolgreichen Bildmedium seiner Zeit.(43) Gómez führt in drastischer Schwarz-Weiß-Malerei die Ursachen für das Elend des spanischen Volkes vor und betreibt auf diese Weise mit seiner Kunst Aufklärung.

 

 

Den Reigen führt der von seinem Thron gestürzte spanische König Alfons XIII. an, eine Marionette von Kirche und Militär (Abb. oben links). Er repräsentiert das "Schwarze Spanien" mit den Herrschaftsmitteln der Repression und des Terrors, gefolgt von seinem führenden Politiker, dem General Primo de Rivera (Abb. oben rechts). Zur einen Hälfte General, zur anderen Hälfte Gaukler, triumphiert er in der politischen Arena seiner Tage. Offenbart wird sein Doppelwesen als einerseits mächtiger Feldherr, der das Militär auf seiner Seite weiß, und andererseits Demagoge, der die Massen mit den Mitteln der Psychologie an sich bindet. Sein Versuch, Spanien mit Hilfe der Militärdiktatur zu modernisieren, erweist sich als schillernde Seifenblasen. Daß dieses Gespann mit seinen menschenverachtenden Machenschaften nicht den rechten Weg aufzeigen kann, führen die folgenden Blätter drastisch vor Augen: Ihr Regime foltert, beugt das Recht, tötet. So zeigt der Faschismus seine zerstörerische Fratze, der die Kommunisten nur mit vereinten Kräften entgegentreten können (Abb. unten links). Als Lohn für den revolutionären Kampf, den wiederum der fahnenschwenkende Arbeiter anführt, winkt eine sonnige Zukunft (Abb. unten rechts). Hier drückt sich deutlich das von den Futuristen propagierte Pathos der Revolution aus. Die dynamische Diagonalkomposition visualisiert das gewaltsame Hinwegfegen des Kapitalismus und der Traditionen, um eine neue proletarische Gesellschaft zu etablieren, in der immer die Sonne scheinen wird.

 

 

Nach den Vorbildern revolutionärer Kunst, wie sie die Weimarer Republik, die Sowjetunion oder auch Lateinamerika aufboten, arbeiteten auch die Künstler in Spanien.(44) Häufig tauchte die Figur des Arbeiters als politischer Führer oder der idealisierte, muskulöse Oberkörper des Soldaten auf. Nur mit einem Stahlhelm auf dem Kopf, greift ein Kämpfer zur Waffe. Sein durchtrainierter nackter Leib suggeriert einerseits Stärke und bleibt andererseits dem proletarischen Körperkult verpflichtet.(45) Auch ein Plakatentwurf (Abb. unten rechts) von Horacio Ferrer de Morgado (1894-1978) zitiert neben sowjetischer Arbeiterästhetik den Typus des entschlossenen Soldaten wie er schon in den Plakaten des Ersten Weltkriegs erschien. Es ist die Ikonographie der Kampfbereitschaft, die Ferrer in "Determinación" (Entschlossenheit) nutzt. Damit kennzeichnet er das unterdrückte, aber widerstandswillige Spanien.

 

 

Der Glaube an die Kraft des Menschen, politische Veränderungen zu bewirken, findet im Schritt des Kämpfers nach vorn seinen Ausdruck. Der energische Blick des spanischen Proletariers fordert den Betrachter auf, an seine Kampfbereitschaft zu glauben, in denen allein der Grundstein für die Befreiung Spaniens liegen kann. Die Rezeption derartiger Bildprägungen griff die Erkenntnis aus dem Ersten Weltkrieg von der Entdeckung der Propaganda als "geistige Kriegführung"(46) auf, obwohl Ferrer wohl mehr eine geistige Mobilmachung im Sinn hatte.

Im Gegensatz zu Gómez zeigte Horacio Ferrer zunächst wenig Interesse an der Darstellung politischer Themen. Er durchlief eine klassische Akademieausbildung, wurde Professor für Wandmalerei in Madrid. Mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs politisierte sich seine Kunst. Er sympathisierte mit der Assoziation revolutionärer Schriftsteller und Künstler von Spanien, einer 1933 nach französischem Vorbild gegründeten linken Künstlervereinigung. Zunehmend stellte Ferrer seine Kraft in den Dienst republikanischer Propaganda. Er entwarf Plakate, illustrierte Beiträge in Gewerkschaftszeitungen und politischen Broschüren. Künstlerisches Schaffen erschöpfte sich für ihn nicht in der Arbeit an der Staffelei im Atelier, sondern begann direkt am Ort des Geschehens. Als Kriegszeichner eilte er zu den jeweiligen Krisenorten, wurde Augenzeuge von Bombenangriffen und Attacken mit unzähligen Toten. Er war einer jener Kriegsberichterstatter, die die Printmedien ihrer Zeit mit aktuellem Bildmaterial versorgten. Zwar kämpfte er nicht an der Waffe, begriff seine Arbeit aber als politische Betätigung.

Als Mitglied im Comité de Denfensa de los Intelectuales sah er sich bei der Ausgestaltung des Spanischen Pavillons gefordert. Im Hinblick auf die Weltausstellung schuf er einige Gemälde, die sich mit dem Schrecken durch die Luftangriffe und der Vertreibung aus der zerstörten Heimat befassen. Diese Gemälde stellen den Höhepunkt seines Schaffens dar. Ab 1939 begann er eine Tätigkeit als Gemälderestaurator, da seine Kunst im neuen Spanien der Nationalisten unerwünscht war. Innere Emigration wurde für viele Künstler die einzige Möglichkeit, in Spanien zu bleiben.

 

Horacio Ferrer reichte "Aviones Negros", das vielbeachtete Gegenstück zu Picassos monumentalem Wandbild "Guernica" für den Spanischen Pavillon ein. Als Pendant zu diesem Gemälde, das das Entsetzen der Bevölkerung angesichts des faschistischen Bombenterrors widerspiegelt, fertigte Ferrer noch ein zweites Bild an, das die Folgen des Krieges vorführt. Es sind Zerstörung, Vertreibung und Not. In "Éxodo" (Abb. rechts, Detail) flieht eine Gruppe von Bauern mit ihrem zusammengerafften Hab und Gut. Der Grund für ihre Vertreibung offenbart sich im Hintergrund - ihr Dorf wurde durch Luftbombardements in Brand gesteckt.

 

Ferrer und Picasso bildeten die künstlerischen Gegenpole der zeitgenössischen Kunstauffassungen. Nach 1945 galt die einseitige Bevorzugung der abstrakten, freien Kunst. Ferrers Bilder dagegen wurden als "militanter Realismus"(47) oder als Agitprop abgetan. Jedoch war der Realismus damals auch für international anerkannte Künstler attraktiv.

 

Die kämpferische Mutter als Katalanin zu präsentieren, war ein politischer Schachzug, da einerseits die Katalanen als widerständiges Volk gelten, das sich seit der Maurenverteibung über Napoleon bis in die Gegenwart jeglicher Fremdherrschaft widersetzt hatte.(48) Sie repräsentiert die Zivilbevölkerung und die moderne Frau zugleich. Gerade in Barcelona, wo die anarchistische Gewerkschaft F.A.I. besonders stark war, hatten sich Frauen entweder den Volksmilizen angeschlossen oder eigene Frauentrupps gebildet. Sie zögerten nicht, von der Waffe Gebrauch zu machen.

 

Damit bot der Spanische Bürgerkrieg trotz allen Leids den Frauen auch die Chance der Emanzipation. Fürsorgliche Mütter konnten, wenn es die Umstände erforderten, eben auch töten. Die Akzeptanz der neuen Frauenrolle war umstritten. Selbst im republikanischen Lager folgte die Propaganda nicht den linken Forderungen nach der Gleichberechtigung der Frau. Wie schon im Ersten Weltkrieg, als sich die Sphären der in Kriegshandlungen verwickelten und der körperlich nicht bedrohten Zivilisten noch klar voneinander unterschieden hatten, warben Plakate für aufgeteilte Rollen.

 

Diese Idee liegt auch Horacio Ferrers Kriegszeichnung zugrunde. Allerdings überblendete er die Darstellung mit weiteren ikonographischen Bildtypen antifaschistischer Kunst. So zeigt er in einem Blatt vor der Kulisse eines kastilischen Dorfes eine Gruppe von Frauen und Kindern. In Todesangst klammern sich die Bäuerinnen aneinander, um sich mit ihren Körpern gegenseitig zu schützen. Das Verschmelzen mehrerer Figuren zu einer Überfigur lehnt sich an den "Mutterturm" von Käthe Kollwitz (1867-1945) an. Ferrers schutzsuchende, zusammendrängende Leiber visualisieren ebenfalls den proletarischen Einheitsgedanken. Sein "Mutterturm" ist zudem von verteidigungsbereiten Soldaten umringt. In dieser Zeichnung nimmt er den Volksfrontgedanken der Vereinigung von Landbevölkerung und Volksmiliz auf.

 

In Anlehnung an Plakate und Postkarten des republikanischen Propagandaministeriums zitiert er den geschlossenen Ring der Soldaten als Verteidiger der Republik. Die Spanische Republik stellt sich als bekrönte España mit den Attributen Rad und Ähre dar. Als die Hüterin des Volkswohls fördert sie Industrie und Landwirtschaft. Daß die Republik die einzig legitime Regierung des Volkes ist, deutet ihr engelsgleicher, weißer Schatten an. Die Waage als Symbol von Recht und Gerechtigkeit in der Hand der Republik demonstriert die von ihr geschützten demokratischen Grundwerte. Soldaten der Volksmiliz finden somit in der Bildpublizistik nicht nur als Kämpfer Berücksichtigung. Je mehr die Republik von den Franco-Truppen bedrängt wurde, desto öfter traten sie als ihre Bewahrer auf. Diese Tendenz läßt sich nach dem Fall von Madrid, dem politischen Zentrum, beobachten, bevor die geschwächte Republik die Bildproduktion endgültig einstellte.

 

Eines der wenigen Bildzeugnisse, die zum Untergang der Spanischen Republik Stellung nehmen, ist die Radierung "Als Madrid fiel" von Lea Grundig (1906-1977). Eine Reihe von Frauen kauert, voneinander abgewandt, auf steinigem Boden, der die karge Erde der kastilischen Hochebene La Meseta bezeichnen soll. Resignativ haben sie entweder den Kopf aufgestützt oder erheben wehklagend die Hände. Die Figuren sind in schummeriges Dunkel gehüllt, um die Darstellung zu emotionalisieren. Die Frauen selbst sind in tiefe Apathie versunken. Aussparung von erzählerischen Details überhöht die Figuren zum Sinnbild für die erlebte Niederlage.

 

Die bewegte und offensiv-grelle Schilderung von Verzweiflung und Entsetzen der frühen Bürgerkriegsjahre war einer Grabesstimmung gewichen. Handlungen waren wirkungslos geworden, Depression bestimmte die Existenzen sowohl der Überlebenden in Spanien als auch der Menschen im übrigen Kriegseuropa, die sich von Spanien immer mehr abwandten, um sich nun mit ihren eigenen Kriegsproblemen zu befassen. Die einzige Art und Weise, mit den Tatsachen fertigzuwerden, war die innere Emigration. Auch Lea Grundigs Figuren verharren mit geschlossenen Augen in einem Zustand, in dem sie ganz auf sich selbst zurückgeworfen sind. Hier stößt der Realismus an seine bildnerischen Grenzen, vermag er die Depression, die auf die im Leeren verhallte Wut folgt, nicht mehr darzustellen.