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Anfang der Siebzigerjahre taucht Krzysztof Zanussi mit seinen Filmen wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt auf. Nach dem Danziger Aufstand vom Dezember 1970 muss die poststalinistische, national-kommunistische Regierung unter Władysław Gomułka zurücktreten, und Polen feiert den Aufbruch in eine neue, schönere Welt. Partei und Arbeitervolk scheinen wieder vereinigt. Ein Hauch westlichen Konsums durchweht das Land: Auf den Straßen rollen neben Lada und Trabant Fiat und Berliet, und in den Kinos sind US-amerikanische Filme in sogenannten Konfrontationsprogrammen zu sehen. Polen feiert – auf Pump – das neue Leben.

In dieser Zeit des Aufbruchs kommen Zanussis erste abendfüllende Spielfilme in die Kinos. Aber sie sind keine Kinofeuerwerke der neuen Zeit. Zanussis Helden sind verunsichert, schon am Anfang ihres Weges. Sie vertrauen nicht dem gesellschaftlichen Status Quo, hinterfragen Gegebenheiten und Parolen. Zanussis Filme spannen eine philosophische Welt auf. Die großen Fragen der Aufklärung und Menschheit bestimmen ihre Erzählungen: Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was kann ich wissen? Und – was ist der Mensch?

Bald ist die Aufbruchsstimmung der frühen Siebziger Jahre vorbei. Mit der ersten Ölkrise schnellen die polnischen Staatschulden in die Höhe und aus den Regalen verschwinden nicht nur die Luxusprodukte aus dem Westen sondern auch Nahrungsmittel wie Fleisch, Brot und Zucker. Die Arbeiter streiken wieder und Bürgerrechtler organisieren sich im Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR). Mit zunehmender Brutalität gehen Polizei und Sicherheitskräfte gegen sie vor.

In dieser Zeit – einer Zeit zunehmender Verzweiflung und ideologischer Enttäuschung – ereignet sich etwas Sonderbares. Die Filme von Krzysztof Kieślowski, Agnieszka Holland, Barbara Sass, Janusz Kijowski und Feliks Falk kommen in die Filmtheater und prägen maßgeblich das „Kino der moralischen Unruhe“. Ohne Zanussis Wirken ist es schwer vorstellbar, dass diese jungen Filmemacherinnen und Filmemacher sich so mutig artikuliert hätten und gegen Doppelmoral und Zynismus vorgegangen wären. Krzysztof Zanussi, für den die Mitgestaltung der polnischen Gesellschaft stets mit der Aufforderung zu moralischem Handeln und geistiger Erneuerung verknüpft ist, hat ihnen den Weg bereitet und sich ihnen angeschlossen.

In diesem Jahr feiert der Grandseigneur des polnischen und europäischen Kinos seinen achtzigsten Geburtstag. Das Festival filmPOLSKA widmet ihm eine Werkschau mit Filmen aus den Siebzigerjahren. Wir freuen uns, Krzysztof Zanussi im Zeughauskino begrüßen zu können. (Kornel Miglus / filmPOLSKA)

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