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Im
Sommer 1994 fanden die Transparente der Berliner Massendemonstration
vom 4. November 1989 den Weg in die Sammlungen des Deutschen
Historischen Museums.
Die
großherzige Schenkung der Initiatoren jener Veranstaltung
beendete ein Rätselraten: Denn schon einmal, im Frühjahr 1990,
waren einige hundert Objekte aus Stoff und Papier im Zeughaus
zu Gast gewesen, nicht aus antiquarischen Gründen, sondern
zu einem symbolischen Akt, der in den Hallen des DDR-Museums
für Deutsche Geschichte noch einmal die Geste des 4. November
wiederholte. Die Transparente verhüllten die Vitrinen der
Ausstellung "Sozialistisches Vaterland DDR".
Nach
einem kurzen Gastspiel in Bonn, wo die Präsentation durch
den Aufbaustab des »Hauses der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland« zu einer besorgten parlamentarischen Anfrage
der CSU führte, verschwanden die Objekte aus dem Gesichtskreis
der Öffentlichkeit. Wem bekannt ist, daß im Deutschen Historischen
Museum die sicherlich umfangreichste Sammlung von Dokumenten
der DDR-Propaganda gehütet wird, der mag es als Ironie der
Geschichte nehmen, daß nun unter dem gleichen Dach die Rufe
vom Herbst 1989 musealisiert werden, welche halfen, eben jene
DDR zu beenden.
Es
gibt freilich auch Stimmen, die hier Einspruch erheben würden.
Daß die Massenversammlung am Alexanderplatz zwar gegen die
Parteidiktatur der SED, aber für eine sozialistische DDR plädiert
habe, ist eine Deutung, die sich auf viele Formulierungen
der Reden des 4. November stützen könnte.
Genausoviel
Glaubwürdigkeit hätte aber auch die These, daß allein die
Möglichkeit einer "demokratischen" Großdemonstration das Ende
der eigentlichen DDR bezeuge, unbeschadet der dort gesprochenen
Worte. Wer sich einer solchen Deutung nähert, muß nicht unbedingt
einer platten Kausalität huldigen, die vom wohlbekannten Ausgang
der Geschichte, nämlich der Wiedervereinigung, zurückrechnet
in den November 1989.
Vielmehr ist es das Charakteristische vieler Revolutionen,
daß sie von einer auffälligen Ungleichzeitigkeit im Bewußsein
der Handelnden gekennzeichnet sind. Man mußte nicht, so könnte
man überspitzt sagen, subjektiv die Wiedervereinigung als
Ziel haben, um objektiv derselben durch das eigene Handeln
Vorschub zu leisten. Den Faktor "List der Geschichte" im turbulenten
Einigungsjahr zu verfolgen, wird später einmal zu den spannendsten
Aufgaben gehören, und man kann jetzt schon neugierig darauf
sein, welchen historischen Ort die Forschung dem Berliner
4. November dabei geben wird.
Peter
Bender, der langjährige Beobachter der deutschen Teilung,
hat kürzlich (Merkur September/ Oktober 1994) angemahnt, sich
von der Konjunktur der "Deutschen Legenden" in Ost und West
nicht den Blick vernebeln zu lassen für die verschiedenen
Phasen in der Geschichte der DDR.
Es
ist das Faszinierende am 4. November 1989, daß fast wie in
einer - sit venia verbo! - Geschichtsrevue Protagonisten fast
aller dieser Phasen das Wort ergriffen: Stefan Heym wie Friedrich
Schorlemmer, Steffi Spira wie Gregor Gysi, Ekkehard Schall
wie Jens Reich, Markus Wolf wie Christa Wolf. So ist denn
eines jedenfalls sicher in der Einordnung des 4.11.1989: Seine
Hinterlassenschaft, als die eines bedeutenden Ereignisses,
ist selbst auch bedeutend.
Darauf,
und nur darauf kommt es im Museum zunächst an - die strenge
Erforschung der historischen Ereignisse ist Sache anderer
Institutionen. Wir haben es auf diesem Hintergrund für sinnvoll
gehalten, den Kommentar zu den Transparenten des 4. 11. 1989
von einem Augenzeugen und Beteiligten schreiben zu lassen;
Frank Beuths Text ist gleichermaßen ordentliche Chronik wie
Stimmungsbild des DDR-internen Raisonnements. Deshalb erzählt
er, und sei es zwischen den Zeilen, viel mehr vom Inhalt des
4. 11. 1989, als es eine lückenlose Fernsehdokumentation des
sichtbaren Ereignisses jemals könnte.
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