Sieben Jahre reiste Reiner Leist seit 1994 durch die
USA und suchte in dieser Zeit den Kontakt zu verschiedenen
Bevölkerungsgruppen, um sie zum Thema „Amerika“
zu befragen. Er sprach mit Nachfahren der Ureinwohner
des Landes, Menschen, die seit Generationen in den USA
leben, und Einwanderern, die ihre Kindheit noch in einem
anderen Land verbracht haben. Seine Erwartungen als
Europäer, geprägt von vielen Klischees über
das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“,
die von der Freiheitsstatue und Cowboys, von Baseball
bis Hollywood reichten, konfrontiert er dabei systematisch
mit der Realität in unterschiedlichen Biographien.
Fast 100 Menschen zwischen Rochester und Key West, zwischen
Seattle und Los Angeles traf und interviewte der Fotograf;
34 von ihnen werden in unserer Ausstellung vorgestellt.
Die Bandbreite der geschilderten Leben und Schicksale,
die Leist protokollierte, lässt ein Amerika im
Spiegel seiner Menschen entstehen. Die Fotos von Leist
werden dabei zum Medium der Vergewisserung und Recherche
nach der Authentizität eines Landes.
Reiner Leist bat seine Gesprächspartner um ein
Kinderfoto, dem er eine von ihm gemachte Porträtaufnahme
gegenüberstellt. In knappen, häufig sehr offenen
Statements berichten die Porträtierten, welche
Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen sie zum Zeitpunkt
der Aufnahme hatten und welche Erfahrungen sie im Laufe
ihres Lebens sammelten. Die Bildpaare und Textfragmente
stehen gleichwertig nebeneinander und verbinden sich
zu einem Ganzen. In den vorgestellten Porträts
offenbart sich den Betrachtern ein Stück Geschichte.
Im Interview mit Susanne Baumann beschreibt Leist sein
Projekt American Portraits als „die Arbeit
an einer Art fragmentarischen Landkarte, eine neue Welt,
die in geografischer Breite und biografischer Tiefe
ausgelegt ist“. Durch die Erzählungen und
Porträts der jüdischen Flüchtlinge aus
NS-Deutschland wird ein Teil deutsch-amerikanischer
Geschichte ins Blickfeld gerückt. Einige der abgebildeten
Personen haben selbst Weltgeschichte geschrieben: Der
kleine Heinz aus Fürth konnte zum Zeitpunkt der
ersten Aufnahme 1931 nicht ahnen, dass er später
als US-amerikanischer Außenminister Henry Kissinger
den Friedensnobelpreis erhalten würde...
Das Langzeitprojekt des Fotografen Reiner Leist ist
in einer Publikation des Prestel Verlages, München
erschienen:
Reiner Leist. American Portraits
mit Essays von Vicki Goldberg, Claus
Leggewie, Christoph Menke sowie einem Interview von
Susanne Baumann mit Reiner Leist; 176 Seiten
Preis: 29,95 €
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