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aufbau west - aufbau ost
Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit

Stalinstadt: Vom Leben in einer neuen Stadt

Die sozialistische Staatsdoktrin stellte die "Arbeiterklasse" in den Mittelpunkt. Diese sollte nicht nur die politische Macht besitzen, sondern in allen Bereichen des Lebens zur führenden Klasse der Gesellschaft werden. Die Propaganda von Staat und Partei setzte den Aufbau des EKO mit dem Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung gleich. Beabsichtigt war, den "neuen", sozialistischen Menschen von seinen Verwurzelungen in der Vergangenheit zu "befreien". Alle Attribute "bürgerlichen Individualismus" sollten in der neuen Stadt fehlen. Privates Handwerk, privater Handel und Privatbesitz an Grund und Boden waren nicht zugelassen. Die Kirchenbauten wurden aus den Plänen gestrichen. Kirchlich geprägte Feiern wollte man durch sozialistische ersetzen. Im Kollektiv, zwischen Werk und "Hausgemeinschaft", zwischen "Kulturhaus" und "Betriebssportgemeinschaft" sollte der "neue Mensch" entstehen. Als einzige Partei sollte die "Partei der Arbeiterklasse", die SED, in der Stadt präsent sein. Die Wirklichkeit sah vielschichtiger aus. Viele zogen nach Stalinstadt, weil das EKO hohe Löhne und gute Sozialleistungen, die "erste sozialistische Stadt" eine Sonderversorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern sowie eine neue Wohnung bot. Den Brigaden und Hausgemeinschaften schlossen sich viele Menschen vor allem aus privaten Gründen an: Sie ersetzten Familie und Freundeskreis, waren doch die meisten allein in die neue Stadt gekommen. Auch sportliche und kulturelle Angebote wurden vielfach aus diesen Gründen angenommen. Einige Verbote, die der Erziehung des "neuen Menschen" dienen sollten, mußten eingeschränkt werden. 1956 wurden die Blockparteien zugelassen. Die Existenz christlicher Gemeinden in "Kirchbaracken" wurde akzeptiert; gleichwohl richtete sich die offizielle Propaganda weiterhin gegen sie. Die anfangs nicht geduldeten Schrebergärten boten seit 1956 individuelle Rückzugsmöglichkeiten. Das private Handwerk und der private Handel blieben aber weiterhin, bis zum Zusammenschluß mit Fürstenberg und Schönfließ, aus der Stadt verbannt.

 

Schulen in Stalinstadt

Stalinstadt war nicht nur die Stadt mit dem niedrigsten Durchschnittsalter, also die "jüngste Stadt der DDR", sondern warb auch mit dem Slogan "Jugend in einer jungen Stadt" Arbeitskräfte aus dem ganzen Land. Entsprechend groß war in den fünfziger Jahren die Anzahl der Kinder, die zu betreuen waren. Bei Krippen, Kindergärten und Schulen wurde nicht gespart. Sowohl die Architektur als auch die künstlerische Gestaltung fielen großzügig aus. Auch für die Beschäftigung des Nachwuchses in der Freizeit wurde in Stalinstadt viel getan - allerdings weniger politisiert, als es offensichtlich Kurt W. Leucht vorgeschwebt hatte. In seinen Planungen war für jeden Wohnkomplex ein Pionierhaus vorgesehen.

 

Kultur in Stalinstadt

Das Kulturangebot in Stalinstadt war, wie überall in der DDR, zum einen durch Angebote der "Hochkultur" geprägt, zum andern sollte die Bevölkerung selbst dazu angeregt werden, sich künstlerisch und kunsthandwerklich zu betätigen. Dabei richtete man sich vornehmlich an die Arbeiter, denn auch in der Kultur war das propagierte Ziel die Formung des "sozialistischen Menschen". In Stalinstadt war die Nachfrage nach Kultur höher als anderswo in der DDR. Die "kulturelle Arbeit" half vielen Neuankömmlingen, in der jungen Stadt heimisch zu werden. Die Betriebe organisierten "Zirkel", in denen unter fachkundiger Anleitung Theater-, Chor-, Mal- oder Handarbeitsgruppen aktiv waren. 1960 errichteten die Bürger im Rahmen des "Nationalen Aufbauwerkes" (NAW) eine Freilichtbühne für über 3.000 Zuschauer.

Sport in Stalinstadt

Sport in Stalinstadt stand in der Tradition des Arbeitersports, der seit Ende des 19. Jahrhunderts zur Arbeiterkultur gehörte. Damals sollten die Gesundheit und der soziale wie politische Zusammenhalt der Arbeiterschaft gefördert werden. Auch in der DDR wurde der Sport politisiert; daß viele Teilnehmer aus reiner Freude kamen, prangerten die Funktionäre als "Nur-Sportlertum" an. Die Betriebssportgemeinschaften der beiden großen Betriebe EKO und VEB Bauunion, die BSG "Stahl" und die BSG "Aufbau", boten verschiedene Sportarten an. Besonders beliebt waren Fußball und Handball. Nachdem ein Mitglied des Fußballkollektivs der BSG Stahl 1957 "republikflüchtig" geworden war, mahnte der Rat der Stadt an, auch im Bereich des Sports die "sozialistische Erziehungsarbeit" voranzutreiben
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Arbeitsplatz Eisenhüttenkombinat

Das Eisenhüttenkombinat gehörte in der DDR zu den Betrieben mit den höchsten Löhnen, einem umfangreichen Prämiensystem und einer Sonderversorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern. Dies gewährleistete, daß nicht nur hinreichend Arbeitskräfte zuwanderten, sondern auch die Fluktuation gering blieb. Seit 1954 arbeiteten alle sechs Hochöfen. Die Zahl der Gesamtbelegschaft lag bei 6.000 Beschäftigten. Hochöfen müssen rund um die Uhr betrieben werden. Die Arbeitsbelastung für den einzelnen war anfangs sehr hoch - bis zu zwölf Stunden pro Schicht mußte gearbeitet werden. Später wurden vier Schichten eingesetzt, wodurch sich die Situation sichtlich entspannte. Auf Verschleiß hingegen war die Arbeit für die Gefangenen des Haftarbeitslagers angelegt, das zwischen 1951 und 1968 am Eisenhüttenkombinat existierte
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Aktivisten

Die "Aktivisten-Bewegung" zielte - ebenso wie das sowjetische Beispiel - auf eine Erhöhung der Produktion. Die Idee war, Arbeiter zu gewinnen, die bereit waren, durch bessere Arbeitsorganisation die bestehenden Normen "überzuerfüllen". Als ersten "Aktivisten" feierte die DDR den Bergmann Adolf Hennecke. Beim Aufbau des EKO wurde diese Auszeichnung häufig vergeben - an diejenigen, die den überall herrschenden Mangel durch große Anstrengungen zu kompensieren suchten. Die Normen im EKO hingegen "überzuerfüllen" war in den ersten Jahren oft schwierig, da technische Probleme die Produktion immer wieder ins Stocken brachten. Mit der Aktivisten-Bewegung sollten die anderen Beschäftigten zu "Selbstverpflichtungen" motiviert werden.
 
Qualifizierung

Die ersten Hochöfner im EKO stammten aus der Fürstenberger Gegend und hatten zuvor in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Zur Ausbildung wurden sie in die thüringische Maxhütte, aber auch in Stahlwerke wie Hennigsdorf geschickt. Sie lernten anschließend die neueingestellten EKO-Hochöfner selbst an. Seit den frühen fünfziger Jahren gab es betriebseigene Ausbildungsstätten für Hochöfner und Ingenieure. Auch viele der sonstigen Beschäftigten mußten für ihre Tätigkeit erst qualifiziert werden. Für Aufgaben, die eine geringere Qualifikation erforderten, wurden vor allem Frauen eingestellt. Für sie gab es seit 1954 spezielle Förderungsprogramme
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Politik im Werk

Viele der frühen EKO-Arbeiter hatten schon zu den Aufbaukräften gehört. Unter ihnen dominierte der Typ des ehemaligen Landsers - ungebunden, um die dreißig Jahre alt, nach Hitlerjugend, Krieg und Gefangenschaft froh, "davongekommen" zu sein, und durch die SED zunächst politisch kaum beeinflußbar. SED, FDJ und FDGB versuchten zunehmend, das Leben im Werk durch Versammlungen und Großveranstaltungen wie den 1. Mai und das Hüttenfest zu politisieren. Der Grad der realen Politisierung ist schwer zu bemessen, denn viele fügten sich in den vorgegebenen politischen Rahmen ein, ohne selbst sonderlich aktiv zu werden.
 
Der 17. Juni 1953

Stalinstadt gehörte nicht zu den Zentren des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953. Die Werkleitung hatte entgegen den Direktiven aus Berlin schon Tage zuvor die landesweit verfügte zehnprozentige Normerhöhung zurückgenommen und so den auch im Eisenhüttenkombinat schwelenden Konflikt entschärft, wenngleich nicht beseitigt. Am Nachmittag zogen viele Bauarbeiter nach Fürstenberg, versammelten sich zu einer Protestkundgebung auf dem Marktplatz und stürmten die SED-Kreisleitung. Sowjettruppen beendeten den Ausstand. Über 90 Streikende wurden im Schnellverfahren verurteilt. Obwohl es im Hüttenkombinat ruhig geblieben war, kam es auch dort zu Verhaftungen. Monatelang versuchten die Behörden, eine "faschistische Untergrundbewegung" zu "enttarnen". Nach dem 17. Juni stoppte die SED-Führung den weiteren Ausbau des Hüttenkombinates zugunsten der Konsumgüterindustrie.
 

Kirche in Stalinstadt

Die "erste sozialistische Stadt" sollte atheistisch sein. Dieses politische Ziel ließ sich allerdings nicht verwirklichen. Wenige Tage nach dem 17. Juni 1953, als die SED-Führung durch Zugeständnisse versuchte, ihre Macht zu retten, übergab der stellvertretende Ministerpräsident Otto Nuschke an die Pfarrer der beiden Konfessionen Bezugsscheine für Baracken und versprach den Bau von festen Häusern. Doch jahrzehntelang blieben die Behelfsbauten stehen. Stalinstadt wurde ab Mitte der fünfziger Jahre zum Versuchsfeld für "sozialistische Riten". Während sich die "sozialistische Eheschließung" und die "sozialistische Namensgebung" als Ersatz für die Taufe nicht durchsetzten, begann die Jugendweihe von Stalinstadt aus ihren Siegeszug. Die Presse in der Bundesrepublik reagierte mit Schlagzeilen wie: "Sozialismus von der Wiege bis zur Bahre" - "›Gegenkirche‹ in der Zone. Stalinstadt als Modellfall".

 
 
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