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Christoph Stölzl

Vorwort

Berlin, im März 1997 Entsinnt sich noch jemand des rigorosen Wortes von Theodor W. Adorno, daß richtiges Leben im falschen nicht möglich sei? Gezielt auf die vermutete Deformierung des Menschlichen durch ökonomische Verhältnisse, ist der Satz verklungen, seit die Utopie von der gänzlichen Veränderung der Welt durch Änderung der Besitzverhältnisse historisiert worden ist, und zwar im Westen wie im Osten. Je mehr wir nach dem Ende der Spaltung der Welt gemeinsam an die Sichtung des Jahrhunderts gehen, desto weniger tauglich erscheinen vielen die schneidenden Formeln, die selbstgewisse Einteilung des geschichtlichen Handelns in das eindeutig Richtige und das eindeutig Falsche. Jedenfalls gilt dies, um nicht mißverstanden zu werden, für die Sichtung jener Verhältnisse, in denen die Menschen nicht an schwer zu bestehende, extreme moralische Herausforderungen geführt worden sind. Zwei Weltkriege, zwei Diktaturen in Deutschland sind ein Stoff der Erinnerung, der weniger katastrophale, gute Zeiten in den Hintergrund drängt. Daß sich das Selbstgespräch der Deutschen immer wieder, und offensichtlich auf lange Sicht hin nicht endend, den Zeiten extremer Versuchung, extremen Leidens, extremer Gewalt zuwendet, spricht für ihren wachen moralischen Sinn. Es muß gleichwohl erlaubt sein, den Blick zurück ohne Zorn auch auf Zeiten zu richten, in denen das Leben unter verhältnismäßig >normalen< Bahnen laufen durfte und sei es in der Realität der DDR und ihrer langdauernden Diktatur. In zwei Jahren feiert die Bundesrepublik Deutschland ihr fünfzigstes Jubiläum. Die DDR wird kaum jemand mitfeiern. Aber intensiv erinnert wird sie doch werden, schon deshalb, weil der eine Staat ohne den anderen nicht verstanden werden kann und weil die Einheit der Nation am Schluß die machtpolitische Teilung überwunden hat. Die Zeit von 1945 bis heute ist die längste zusammenhängende Friedensepoche, welche die Deutschen erlebt haben. Sie hat zwei Generationen geprägt, ihr Alltag ist für die meisten in 0st und West das ganze Leben. Ein halbes Jahrhundert lang haben die Menschen in den beiden deutschen Staaten sich miteinander verglichen. Der Blick auf die eigene und die andere Lebenswirklichkeit, in Zustimmung und Ablehnung, ist geradezu der Stoff des Nationalen gewesen. Ob sich die Deutschen als selbstverständlich verwandt ansahen, ob sie sich gegenseitig als exotisch oder als feindselig deuteten: gleichgültig waren sie einander jedenfalls nicht. Wer die Geschichte des Alltags im geteilten Deutschland erzählen will, wird, um nicht uferlos zu werden, nach Vergleichbarem suchen. Wir haben dies vor einigen Jahren mit der Chronologie des Durchschnittslebens getan, den >Lebensstationen in Deutschland< (1993). Man kann aber auch nach den exemplarischen lieux de memoire suchen. Dann drängen sich sofort zwei Namen auf: Wolfsburg und Eisenbüttenstadt. Zwei Gesellschaften, die sich, die eine freiwillig, die andere unfreiwillig, ganz wesentlich über ein diametral entgegengesetztes Modell des Wirtschaftens definierten, als soziale Marktwirtschaft und als sozialistische Planwirtschaft, haben mit den beiden Modellstädten sozialgeschichtliche Denkmale von hoher Lesbarkeit geschaffen. Wie das Leben in beiden Städten der >großen Geschichte< folgte, den Träumen und Zwängen der Planer, wie es sich seinen eigenen Weg suchte, wie die Grundwerte von Freiheit, Mobilität und Sicherheit, wie etwas so Selbstverständliches, der exakten historischen Definition aber Entzogenes wie Glück (und von alledem auch das Gegenteil) sich zueinander verhielten in 0st und West, davon erzählt unsere Ausstellung, zu der das vorliegende Buch als Begleitband erscheint. Sie hofft, daß sie einem altmodischen Bedürfnis des Publikums, nämlich der Frage danach, wie es wirklich gewesen ist, einige plausible Antworten geben kann. Beobachter und Kritiker unserer Serie von Ausstellungen über deutsch?deutsche Verhältnisse haben immer wieder bemerkt (oder beklagt), daß jedes Projekt niemals die >ganze Geschichte< erzählen konnte. Wir hoffen, daß unser Publikum statt dessen mit uns geduldig den Weg der >archäologischen< Sichtung weitergeht, der uns seit 1991 (seit >Abschied und Anfang<) bis Ende 1997 (>Boheme und Diktatur<) durch die Mäander der neuesten deutschen Geschichte führt. Ausstellung und Buch wären nicht möglich gewesen, wenn nicht beide Städte beherzt die Chance ergriffen hätten, gemeinsam mit uns mehr über sich herauszufinden. Unser Dank gilt deshalb Frau Oberbürgermeisterin Ingrid Eckel, Herrn Oberstadtdirektor Rolf Schnellecke und Herrn Stadtrat Dr. Wolfgang Guthardt in Wolfsburg sowie Herrn Bürgermeister Rainer Werner und dem 2. Beigeordneten Herrn Werner Hartmann in Eisenhüttenstadt. Er gilt ebenso unseren Kooperationspartnern, Dr. Klaus?Jörg Siegfried, Leiter des Instituts für Museen und Stadtgeschichte in Wolfsburg, und Herrn Andreas Ludwig, Leiter des Städtischen Museums in Eisenhüttenstadt. Ihrer Tatkraft, ihrer Vermittlung und ihren Anregungen verdanken wir vieles. Zu danken ist auch allen kommunalen Einrichtungen, die uns mit Leihgaben unterstützt haben, insbesondere dem Stadtarchiv Eisenhüttenstadt unter Leitung von Frau Gabriele Urban und den beiden Werkarchiven, dem Unternehmensarchiv EKO Stahl GmbH und seiner Leiterin Frau Simone Krüger sowie der Stiftung Auto Museum Volkswagen und seinem Leiter Dr. Bernd Wiersch mit dem Archivar Dr. Eckberth von Witzleben. Allen weiteren beteiligten Museen und Archiven in Deutschland und im Ausland, allen Vereinen und Verbänden, den Kirchengemeinden und Stiftungen sowie allen privaten Leihgebern, darunter mehr als sechzig Wolfsburger und Eisenhüttenstädter Bürger, gilt ebenso mein herzlicher Dank wie unseren wissenschaftlichen Beratern und allen Buchautoren, denen wir das vorliegende dichte Forschungswerk verdanken. Ausstellungen sind keine Bücher, kein Fernsehspiel, kein Feature ? eine Binsenweisheit. Aber was sind sie dann? Die niemals nachlassende Faszination dieser Erzählung im Raum rührt daher, daß zu Beginn eines Projektes niemals feststeht, wie das Sichtbare am Schluß aussehen wird. Es ist daher keine Überraschung, daß das Ausstellungsmachen die Domäne der Neugierigen und Wagemutigen ist. Zwei von ihnen, denen die Kunst der Ausstellung in Deutschland seit Jahrzehnten sehr viel verdankt, haben bei unserem Projekt mitgetan: Gottfried Korff und Klaus?Jürgen Sembach. Ihnen, den Weggefährten seit langem, und Rosmarie Beier, die präzise und leidenschaftlich den Städtevergleich zu ihrer Sache gemacht hat, gilt mein herzlicher Dank.
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