Berlin, im März 1997 |
Entsinnt sich noch
jemand des rigorosen Wortes von Theodor W. Adorno, daß richtiges Leben im
falschen nicht möglich sei? Gezielt auf die vermutete Deformierung des Menschlichen
durch ökonomische Verhältnisse, ist der Satz verklungen, seit die Utopie
von der gänzlichen Veränderung der Welt durch Änderung der Besitzverhältnisse
historisiert worden ist, und zwar im Westen wie im Osten. Je mehr wir nach
dem Ende der Spaltung der Welt gemeinsam an die Sichtung des Jahrhunderts
gehen, desto weniger tauglich erscheinen vielen die schneidenden Formeln,
die selbstgewisse Einteilung des geschichtlichen Handelns in das eindeutig
Richtige und das eindeutig Falsche. Jedenfalls gilt dies, um nicht mißverstanden
zu werden, für die Sichtung jener Verhältnisse, in denen die Menschen nicht
an schwer zu bestehende, extreme moralische Herausforderungen geführt worden
sind. Zwei Weltkriege, zwei Diktaturen in Deutschland sind ein Stoff der
Erinnerung, der weniger katastrophale, gute Zeiten in den Hintergrund drängt.
Daß sich das Selbstgespräch der Deutschen immer wieder, und offensichtlich
auf lange Sicht hin nicht endend, den Zeiten extremer Versuchung, extremen
Leidens, extremer Gewalt zuwendet, spricht für ihren wachen moralischen
Sinn. Es muß gleichwohl erlaubt sein, den Blick zurück ohne Zorn auch auf
Zeiten zu richten, in denen das Leben unter verhältnismäßig >normalen< Bahnen
laufen durfte und sei es in der Realität der DDR und ihrer langdauernden
Diktatur. In zwei Jahren feiert die Bundesrepublik Deutschland ihr fünfzigstes
Jubiläum. Die DDR wird kaum jemand mitfeiern. Aber intensiv erinnert wird
sie doch werden, schon deshalb, weil der eine Staat ohne den anderen nicht
verstanden werden kann und weil die Einheit der Nation am Schluß die machtpolitische
Teilung überwunden hat. Die Zeit von 1945 bis heute ist die längste zusammenhängende
Friedensepoche, welche die Deutschen erlebt haben. Sie hat zwei Generationen
geprägt, ihr Alltag ist für die meisten in 0st und West das ganze Leben.
Ein halbes Jahrhundert lang haben die Menschen in den beiden deutschen Staaten
sich miteinander verglichen. Der Blick auf die eigene und die andere Lebenswirklichkeit,
in Zustimmung und Ablehnung, ist geradezu der Stoff des Nationalen gewesen.
Ob sich die Deutschen als selbstverständlich verwandt ansahen, ob sie sich
gegenseitig als exotisch oder als feindselig deuteten: gleichgültig waren
sie einander jedenfalls nicht. Wer die Geschichte des Alltags im geteilten
Deutschland erzählen will, wird, um nicht uferlos zu werden, nach Vergleichbarem
suchen. Wir haben dies vor einigen Jahren mit der Chronologie des Durchschnittslebens
getan, den >Lebensstationen in Deutschland< (1993). Man kann aber auch nach
den exemplarischen lieux de memoire suchen. Dann drängen sich sofort zwei
Namen auf: Wolfsburg und Eisenbüttenstadt. Zwei Gesellschaften, die sich,
die eine freiwillig, die andere unfreiwillig, ganz wesentlich über ein diametral
entgegengesetztes Modell des Wirtschaftens definierten, als soziale Marktwirtschaft
und als sozialistische Planwirtschaft, haben mit den beiden Modellstädten
sozialgeschichtliche Denkmale von hoher Lesbarkeit geschaffen. Wie das Leben
in beiden Städten der >großen Geschichte< folgte, den Träumen und Zwängen
der Planer, wie es sich seinen eigenen Weg suchte, wie die Grundwerte von
Freiheit, Mobilität und Sicherheit, wie etwas so Selbstverständliches, der
exakten historischen Definition aber Entzogenes wie Glück (und von alledem
auch das Gegenteil) sich zueinander verhielten in 0st und West, davon erzählt
unsere Ausstellung, zu der das vorliegende Buch als Begleitband erscheint.
Sie hofft, daß sie einem altmodischen Bedürfnis des Publikums, nämlich der
Frage danach, wie es wirklich gewesen ist, einige plausible Antworten geben
kann. Beobachter und Kritiker unserer Serie von Ausstellungen über deutsch?deutsche
Verhältnisse haben immer wieder bemerkt (oder beklagt), daß jedes Projekt
niemals die >ganze Geschichte< erzählen konnte. Wir hoffen, daß unser Publikum
statt dessen mit uns geduldig den Weg der >archäologischen< Sichtung weitergeht,
der uns seit 1991 (seit >Abschied und Anfang<) bis Ende 1997 (>Boheme und
Diktatur<) durch die Mäander der neuesten deutschen Geschichte führt. Ausstellung
und Buch wären nicht möglich gewesen, wenn nicht beide Städte beherzt die
Chance ergriffen hätten, gemeinsam mit uns mehr über sich herauszufinden.
Unser Dank gilt deshalb Frau Oberbürgermeisterin Ingrid Eckel, Herrn Oberstadtdirektor
Rolf Schnellecke und Herrn Stadtrat Dr. Wolfgang Guthardt in Wolfsburg sowie
Herrn Bürgermeister Rainer Werner und dem 2. Beigeordneten Herrn Werner
Hartmann in Eisenhüttenstadt. Er gilt ebenso unseren Kooperationspartnern,
Dr. Klaus?Jörg Siegfried, Leiter des Instituts für Museen und Stadtgeschichte
in Wolfsburg, und Herrn Andreas Ludwig, Leiter des Städtischen Museums in
Eisenhüttenstadt. Ihrer Tatkraft, ihrer Vermittlung und ihren Anregungen
verdanken wir vieles. Zu danken ist auch allen kommunalen Einrichtungen,
die uns mit Leihgaben unterstützt haben, insbesondere dem Stadtarchiv Eisenhüttenstadt
unter Leitung von Frau Gabriele Urban und den beiden Werkarchiven, dem Unternehmensarchiv
EKO Stahl GmbH und seiner Leiterin Frau Simone Krüger sowie der Stiftung
Auto Museum Volkswagen und seinem Leiter Dr. Bernd Wiersch mit dem Archivar
Dr. Eckberth von Witzleben. Allen weiteren beteiligten Museen und Archiven
in Deutschland und im Ausland, allen Vereinen und Verbänden, den Kirchengemeinden
und Stiftungen sowie allen privaten Leihgebern, darunter mehr als sechzig
Wolfsburger und Eisenhüttenstädter Bürger, gilt ebenso mein herzlicher Dank
wie unseren wissenschaftlichen Beratern und allen Buchautoren, denen wir
das vorliegende dichte Forschungswerk verdanken. Ausstellungen sind keine
Bücher, kein Fernsehspiel, kein Feature ? eine Binsenweisheit. Aber was
sind sie dann? Die niemals nachlassende Faszination dieser Erzählung im
Raum rührt daher, daß zu Beginn eines Projektes niemals feststeht, wie das
Sichtbare am Schluß aussehen wird. Es ist daher keine Überraschung,
daß das Ausstellungsmachen die Domäne der Neugierigen und Wagemutigen ist.
Zwei von ihnen, denen die Kunst der Ausstellung in Deutschland seit Jahrzehnten
sehr viel verdankt, haben bei unserem Projekt mitgetan: Gottfried Korff
und Klaus?Jürgen Sembach. Ihnen, den Weggefährten seit langem, und Rosmarie
Beier, die präzise und leidenschaftlich den Städtevergleich zu ihrer Sache
gemacht hat, gilt mein herzlicher Dank. |