Rosmarie Beier | Aufbau
West - Aufbau 0st.
|
"Eisen für den Frieden". Die Kumpel vom Hochofen V |
Deutsch-deutsche
Geschichte Zwei Industriestädte stehen im Zentrum dieses Bandes, knapp sechzig Jahre alt die eine, rund zwölf Jahre jünger die andere. Beide sind die wohl bedeutendsten deutschen Stadtgründungen im zwanzigsten Jahrhundert, und beide waren zugleich als Modell- und Musterstädte politisch bedeutsam. Das heute niedersächsische Wolfsburg ging aus der 1938 von den Nationalsozialisten projektierten Stadt des KdF-Wagens hervor. Durch den Erfolg des Volkswagenwerkes wurde das Fragment der "nationalsozialistischen Musterstadt" in der jungen Bundesrepublik die "Wirtschaftswunderstadt" des Westens. Hat Wolfsburg solcherart zwei Geschichten in zwei Staaten, so ist das in der Nähe von Frankfurt/ Oder an der Grenze zu Polen gelegene Eisenhüttenstadt die Neugründung eines deutschen Teilstaates. Die Stadt entstand seit 1950 auf Parteibeschluß der SED als Wohnstadt zum neuen Eisenhüttenkombinat und sollte nach dem Willen ihrer Planer die "erste sozialistische Stadt Deutschlands" werden. Ihr erster Name "Stalinstadt", der ihr mit Stalins Tod 1953 oktroyiert worden war und den sie bis 1961 führte, verweist über die Stadt hinaus auf die Ideologeme des mächtigen Bündnispartners Sowjetunion. Beide Städte gäbe es nicht, wäre ihrer Gründung nicht ein staatlicher Beschluß zur Schaffung eines neuen Industriekomplexes vorausgegangen. Der Bau der Stadt des KdF-Wagens folgte der von Adolf Hitler verfügten Gründung des gleichnamigen Werkes (1938), mit dem das NS-Regime in einem gewaltigen Kraftakt den deutschen Modernisierungsrückstand in der Massenmotorisierung aufholen wollte, und der Aufbau der "ersten sozialistischen Stadt" (1950) ging einher mit der Errichtung eines Eisenhüttenkombinates bei Fürstenberg an der Oder als neue metallurgische Basis der kurz zuvor gegründeten DDR. Diese benötigte, um wirtschaftlich überleben zu können, Roheisen, besaß jedoch nur ein kleines Werk in Thüringen, denn die oberschlesischen Betriebe waren nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen gefallen und der Eisen- und Stahlimport aus der Bundesrepublik war aus politischen Gründen fast völlig zum Erliegen gekommen. (1) Die beiden Städte, deren rasche Entwicklung sich in der Nachkriegszeit vollzog, verweisen auf zwei deutsche Gesellschaftssysteme, mit deren propagierten Idealen sie in vielfacher Hinsicht - in politischer, wirtschaftlicher, städtebaulich-architektonischer und kultureller - verknüpft sind. So fügen sie sich zugleich ein in den Zusammenhang der beiden politischen "BIöcke". Diese stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen sich beide Gesellschaftssysteme entwickeln konnten. Ein bedeutsamer Unterschied kennzeichnet indes beide Städte des Aufbaus in West und Ost: Eisenhüttenstadt ist die genuine Neugründung eines der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, Wolfsburg ein Um- und Ausbau einer nationalsozialistischen Gründung. Gerade aber wie dieser Um- und Aufbau Wolfsburgs sich vollzog und wie man mit der NS-Vorgeschichte umging, ist eine zentrale Frage, an der sich viel ablesen läßt über den bundesdeutschen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Bereits vor der offiziellen Grundsteinlegung zum "Werk des deutschen Volkswagens" am Himmelfahrtstag des Jahres 1938 (26. Mai) hatte - protegiert durch den Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, Albert Speer - der junge österreichische Architekt Peter Koller mit den Planungen für die zu errichtende Stadt des KdF-Wagens begonnen. Seine Entwürfe betonten das natur- und landschaftsnahe Wohnen nach dem Prinzip der gegliederten und aufgelockerten Stadt. Auf das allgemeine nationalsozialistische Planungsleitbild nahm er mit einer für Aufmärsche vorgesehenen Hauptachse zur sogenannten Stadtkrone, einem burgartigen Gebilde aus Parteibauten, Bezug. Der Aufbau der "nationalsozialistischen Musterstadt" und "vorbildlichen Arbeiterstadt" (Adolf Hitler) kam jedoch im Zweiten Weltkrieg zum Erliegen, und der Betrieb wurde zum Rüstungsbetrieb, für den mehr als elftausend Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen Frondienst leisten mußten. In der Bundesrepublik entwickelte sich der 1945 von der britischen Besatzungsmacht in "Wolfsburg" umbenannte, aus Werk, Barackenlagern und Kollerschen Wohneinheiten im Heimatschutzstil bestehende Torso nicht nur zu einer tatsächlichen Stadt, sondern aus ihr wurde die "Wirtschaftswunderstadt" der Bundesrepublik. Daß der Übergang in die Demokratie nicht per se erfolgte, sondern gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit vor der Gründung der Bundesrepublik eine politische Nähe (nicht nur) der Wolfsburger Bevölkerung zu rechtsextremen politischen Splittergruppen bestand, darauf weist Hans Mommsen in seinem Beitrag über das "Volkswagenwerk und die >Stunde Null<" eindringlich hin. Im Welterfolg des Volkswagenwerkes, das schon 1955 den millionsten "Käfer" vom Band rollen lassen konnte und 1959 seinen Siegeszug auf dem US-amerikanischen Markt antrat, spiegelte sich das Erfolgsgefühl der (west)deutschen Bevölkerung. Ein >Wunder< war dieser wirtschaftliche Gipfelsturm allerdings weniger als vielmehr die Folge der Entscheidung der britischen Besatzungsmacht, das Werk nicht zu demontieren, sondern die Fertigung von Fahrzeugen für den eigenen Bedarf aufzunehmen, sowie der wirtschaftlichen Anbindung der Bundesrepublik an die mächtigste Wirtschaftsmacht der Welt, die USA. Das Wolfsburg der fünfziger Jahre war geprägt durch die Erfolgsgeschichte des "Käfers" und die auf Interessenausgleich bedachte betriebliche Sozialpolitik des VW-Werkes unter seinem mächtigen "General" Nordhoff, durch ein rasantes Wachstum der Stadt, deren Planer und Architekten sich an zeitgenössischen westlichen (insbesondere skandinavischen) Leitbildern orientierten, sowie die Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen, die 1953 rund die Hälfte der 50 000 Einwohner ausmachten, in die "VW-Familie". In all diesen Entwicklungen und nicht zuletzt in ihrem Lebensgefühl, das auf individuelles Vorwärtskommen setzte und die NS-Vergangenheit >ruhen< lassen wollte, spiegelte sich zugleich das Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik in der Adenauer-Ära. KZ und Zwangsarbeit wurden und blieben ausgeblendet, bis in den achtziger Jahren der Wolfsburger Stadtarchivar Klaus-Jörg Siegfried sie diesem Vergessen wieder entriß. (2) Der Aufbau der zweiten Stadt, Stalinstadt, begann dreizehn Jahre nach der Gründung der Stadt des KdF-Wagens. Zunächst nur eine Wohnsiedlung beim Eisenhüttenkombinat 0st, sollte sie durch ein städtebauliches Gesamtkonzept zur "ersten sozialistischen Stadt" auf deutschem Boden werden. Sie sollte beispielgebend für den gesamten DDR-Städtebau sein, und das großzügig geplante stadträumliche Ensemble sollte baulicher Ausdruck sozialistischer Prämissen, insbesondere des Kollektivgedankens, sein. Dieser spiegelte sich in der "Hausgemeinschaft" ebenso wie im Ausschluß privaten Handwerks und Handels und im Verbot von privatem Eigentum an Grund und Boden. Zudem verfügte Walter Ulbricht, daß die neue Stadt ohne Kirchen zu bauen sei - ähnlich kirchenfeindlich hatte sich bereits das NS?Regime bezogen auf die Stadt des KdF-Wagens gezeigt. Beide Systeme duldeten keine andere Heilslehre neben der eigenen. Große Wohnungen mit einer Innenausstattung, die für die Nachkriegsjahre herausragend war, eine gute städtische Infrastruktur und ein Warenangebot, das im "Sonderversorgungsgebiet" wenig von den Versorgungsschwierigkeiten in der übrigen DDR ahnen ließ, waren Facetten der Vision einer sozialistischen Zukunft, die hier, "WO einst nur Sand und Kiefern waren", bereits verwirklicht schien. Wie Wolfsburg, wuchs auch die junge Stadt an der Oder durch den Zuzug von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, die auf der Suche nach einem Neuanfang, nach Arbeit und besseren Verdienstmöglichkeiten waren. Der Name, den die "Wohnstadt bei Fürstenberg" im Mai 1953 nach dem Tode Stalins erhielt, symbolisierte die Bündnistreue des jungen Staates gegenüber der Sowjetunion. Ebenso diente die Ausblendung der nationalsozialistischen Vorgeschichte eines Industriestandortes, an dem vor 1945 - entgegen dem vom Aufbruchsmythos einer neuen Gesellschaft getränkten Topos eines weltabgeschiedenen Ortes - vorher keineswegs "nur Sand und Kiefern" gewesen waren, dem "Antifaschismus" sowjetischer Prägung. Entwicklung und Aufschwung beider Städte in den fünfziger Jahren vollzogen sich in zwei deutschen Teilstaaten, hervorgegangen aus dem besiegten und geteilten Nazi-Deutschland. So interessieren Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in besonderer Weise vor der Folie deutscher Zeitgeschichte als Geschichte zweier deutscher Staaten. Beide Städte sind in vielem Modellfall für ihre Zeit, ihren Staat und ihr Gesellschaftssystem. Sie sind ein aufschlußreiches Zeugnis für den Aufbau eines geteilten Deutschlands. Die doppelte Betrachtungsweise der jüngeren deutschen Geschichte begründete der Historiker und Journalist Peter Bender vor kurzem so: "Es ist nötig, im Bewußtsein zu halten, daß es zwei autonome deutsche Schicksale gab [...] >Autonom< heißt: Was den West- und den Ostdeutschen nach 1945 widerfuhr, ist gleich wichtig und hat gleichen Anspruch, mit Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Und >deutsch< heißt: Beide Schicksale gehören zusammen, weil sie denselben Ursprung in der Katastrophe des Hitlerreiches haben und weil gleiche oder doch vergleichbare Umstände beide bestimmten. (3) Mit dieser Fokussierung liegt der Schwerpunkt des Städtevergleichs auf den fünfziger und frühen sechziger Jahren, erhielten in dieser Zeit doch beide Städte ihr charakteristisches Gepräge, sind hier Zielvorstellungen und Visionen am deutlichsten erkennbar. Heute sind an die Stelle der Ideale des Aufbruchs Strukturprobleme getreten, die beide Industriemonolithen mit anderen Wirtschaftsstandorten teilen. Eisenhüttenstadt fand sich nach der Wiedervereinigung in politisch-ökonomisch ungünstiger Randlage an der deutschen Ostgrenze wieder; die Turbulenzen der Privatisierung des Eisenhüttenkombinates und wiederholt gescheiterte Übernahmen in- und ausländischer Investoren (Krupp, Riva) haben die Stadt sozial erschüttert. Zwar bleibt mit der Übernahme durch den belgischen Konzern Cockerill Sambre im Januar 1995 Eisenhüttenstadt wenigstens als Industriestandort erhalten, doch von den einstmals 12 000 Arbeitsplätzen im EKO sind heute weniger als die Hälfte, nämlich 2 500 im Stammbetrieb und weitere 2 500 in ausgegliederten Bereichen, übrig. Mehr als 6 200 Einwohner verlor die defizitgeschüttelte Kommune seit 1988. Und die Abwanderungswelle hält derzeit an. Konzepte wie die "Euroregion Oder" haben mit der schleppenden deutsch-polnischen Kooperation entlang der Grenze ihren >GIanz verloren<. In Anbetracht des Strukturwandels der VW-Produktion im Zeichen verschärften Wettbewerbs auf den globalen Märkten und der allgemeinen kommunalen Finanznot hat auch Wolfsburg mit leeren Stadtkassen zu kämpfen, und die betrieblich-sozialen Errungenschaften der "Wirtschaftswunderzeit" werden immer mehr zurückgenommen. Zugleich sucht auch diese Stadt, deren Arbeitslosenquote eine in Prosperitätszeiten unvorstellbare Marge erreicht hat, ebenso wie ihr östliches Pendant nach einem neuen Selbstverständnis jenseits der alten Visionen. |
Blick auf den eigenen Wagen und die Neubauten der "Wirtschaftswunderstadt" Wolfsburg, im Hintergrund dasVolkswagenwerk, 1956 (Photo: Willi Luther) |
Stadt Wiewohl in unterschiedlichen Systemen, im Nationalsozialismus und im SED-Staat sowjetischer Prägung, gegründet, haben beide Stadtgründungen eines gemeinsam: Sie erfolgten auf staatliche Beschlüsse, unter dem Primat des Politischen, und ihre politische Vorgeschichte vollzog sich am Ort der Zentralgewalt - in beiden Fällen in Berlin, der Reichshauptstadt beziehungsweise der Hauptstadt der DDR. Dergestalt eng mit Herrschaft verknüpft, sind diese Stadtgründungen per se schon Ausdruck von Ideologien. Diese spiegeln sich in den politischen Visionen ("nationalsozialistische Musterstadt", "sozialistische Musterstadt") (4) ebenso wie in den typisierten Leitvorstellungen des Städtebaus im Nationalsozialismus ("Blut und Boden") beziehungsweise im Stalinismus ("sozialistischer Realismus", "nationale Bautraditionen"). So ist die Darstellung beider Städte eingebettet in die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts als "Zeit der Ideologien" (Karl Dietrich Bracher). Die städtebauliche Konzeption und Entwicklung beider Städte in der Nachkriegszeit ist vor dem Hintergrund politisch kontroverser Architekturauffassungen zu sehen. Auf der Seite der DDR ist die Abgrenzung vom kapitalistischen Westen und seinen städtebaulichen Leitbildern bestimmend, auf der Seite der Bundesrepublik die Orientierung an westlichen, insbesondere skandinavischen Vorbildern. So finden wir in Stalinstadt den Typus einer "kompakten" Stadt als Gegenbild zur räumlich "aufgelockerten und gegliederten" Stadt westlicher Prägung, wie sie etwa auch Wolfsburg verkörpert. Die Hinwendung zu den "nationalen Bautraditionen" eines "besseren" Deutschlands griff auf Schinkelsche Bauideen zurück und ging zugleich einher mit der Adaption sowjetischer Leitbilder (Anti-Formalismus-Kampagne). Der Stadtplaner von Stalinstadt, Kurt W. Leucht, folgte diesen Vorbildern, die in den "16 Grundsätzen" des sozialistischen Städtebaus auch theoretisch ausformuliert wurden (zu seinem Weg vom NSDAP-Mitglied und Planer der "Alpenfestung" zum >linientreuen< Sozialisten vgl. den Beitrag von Jörn Schütrumpf). Die "16 Grundsätze" postulierten für die DDR architektonisch streng gefaßte Straßen- und Platzräume; zwischen monumentalen Wohnanlagen mit geschlossener Blockrandbebauung und geräumigen Innenhöfen sahen auch Leuchts Planungen großzügig Raum für Massendemonstrationen und politische Feiern vor (vgl. den Beitrag von Werner Durth). Sowohl an der Magistrale, die die neue Stadt an der Oder strukturieren und als Demonstrationsachse geradewegs auf das Kombinat zulaufen sollte, als auch an der Planung eines hybriden Portalensembles als "Tor zur Arbeitswelt" läßt sich das Ideal einer Stadt als Einheit von Produktion und Reproduktion ablesen. Leuchts Entwurf griff die Radialsysteme des barocken Städtebaus auf und sah an der Stelle, die in barocken Plänen dem Residenzschloß vorbehalten blieb, einen (nie realisierten) monumentalen Werkeingang vor, in dem sich die Überhöhung der alltäglichen Konditionierung der Menschen auf die Arbeit hin spiegelte. In der "ersten sozialistischen Stadt Deutschlands" hat der Arbeiter die Herrschaft angetreten, und nur folgerichtig erscheint es, wenn zugleich die alte >Herrschaftsarchitektur< stürzen mußte: Als im Dezember 1950 in Berlin mit den Planungen für die neue Stadt begonnen wurde, fiel - räumlich nicht sehr weit entfernt - der letzte Stein des Stadtschlosses der Hohenzollern. Das Wolfsburg der fünfziger Jahre war eine Stadt ohne Zentrum mit verstreuten Wohnbereichen. Bis 1958 waren die Ostsiedlung (für Heimatvertriebene) sowie die Stadtteile Köhlerberg, Hohenstein, Laagberg, Hageberg, Wohltberg, Wellekamp, Klieversberg, Eichelkamp und Unterm Steimkerberg entstanden. Zentrale Einzelbauten knüpften an westliche, insbesondere skandinavische Vorbilder an beziehungsweise wurden von einem skandinavischen Architekten entworfen. So wurde der erste Kulturbau der Stadt, das Kulturzentrum mit Volkshochschule und Stadtbücherei, von dem finnischen Architekten Alvar Aalto geplant, der kurz zuvor auf der Internationalen Bauausstellung in Berlin (1957) Aufsehen erregt hatte. Das Wolfsburger Rathaus (1958), dessen drei Baukörper sich - wie es 1958 in der Zeitschrift "Baumeister" hieß - "ohne Pathos der Macht, des Regierens" ineinander fügten und das als "Zeichen einer bewußten Verbundenheit von Rat und Bürgern" empfunden wurde, folgte - wie viele andere bundesrepublikanische Rathausbauten - dem Prototyp Arne Jacobsens von 1954/56 im dänischen Rødovre. Demgegenüber fehlte in Stalinstadt bis in die jüngste Vergangenheit ein Rathaus. Daß die städtischen Funktionen im Haus der Partei und Massenorganisationen wahrgenommen wurden, das in seiner neoklassizistischen Strenge gebieterisch und fast abweisend wirkt, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis zwischen Stadt und Staat. Stalinstadt war die erste Stadt, in der es nur eine Partei gab, in der die Blockparteien von Anfang an nicht zugelassen waren. Die städtebaulichen und architektonischen Leitbilder, die in Wolfsburg realisiert wurden, spiegelten in den Augen der Zeitgenossen den >freien Westen<; der sachlich-kühle Baustil erschien als losgelöst von der drückenden Last der Geschichte, insbesondere der nationalsozialistischen Vergangenheit. Der Architekturhistoriker Heinrich Wefing hat hervorgehoben, daß an ihre Stelle die moralisch und ästhetisch unbelastet scheinende Moderne trat, die im Osten verpönt war und nicht zuletzt deshalb im Westen als Inbegriff künstlerischer und politischer Freiheit galt: "Architektur als Rede und Gegenrede in einem Disput nicht nur über den besseren Städtebau, sondern vor allem über das bessere Gesellschaftssystem: Eine unerbittliche Unterscheidung von schön und häßlich, gut und böse, Freund und Feind." (5) Das erinnert an das wohl berühmteste Paar von "Bau und Gegenbau": die Architekturensembles der Stalinallee und des Hansaviertels in Berlin. Doch nicht nur die städtebauliche Diskontinuität zu den Planungen im Nationalsozialismus ist für Wolfsburg kennzeichnend, sondern auch die Kontinuität. Prägend für die Stadt ist nämlich bis heute der Kollersche Generalbebauungsplan von 1938. Unter Stadtbaurat Hans Bernhard Reichow nach 1945 transformiert, blieben jedoch dessen Vorstellungen einer "organischen Stadt" letztlich ohne größere Auswirkungen auf das Stadtbild. Koller knüpfte als Stadtbaurat (1955-1959) wieder an seine ursprünglichen Planungen an (vgl. dazu den Beitrag von Sigurd Trommer). So wie der Name Koller sich untrennbar mit Wolfsburg verbindet, verknüpft sich der Kurt W. Leuchts mit Stalinstadt. Gleichwohl ist auch das heutige Eisenhüttenstadt nicht aus einem Guß entstanden, sind heute die wechselnden Etappen des Städtebaus, die den politischen Etappen korreliert werden können, gut sichtbar: zunächst der Wechsel vom schlichten Zeilenbau zu Leuchts "Arbeiterpalästen". Nach dieser kurzen Bauphase, die schon aus Kostengründen nicht aufrechterhalten werden konnte und mit der Propagierung des industriellen Bauens durch Chruschtschow auch politisch verpönt war, vollzogen sich nach der Mitte der fünfziger Jahre - und insbesondere mit dem Leiter des Stadtbauamtes, Herbert Härtel - die Angleichung an die internationalen Standards des Städtebaus und der Übergang zum industriellen Bauen (dazu der Beitrag von Thomas Topfstedt). Wenn Eisenhüttenstadt und Wolfsburg heute durchaus städtebauliche Ähnlichkeiten aufweisen, so ist das darauf zurückzuführen, daß mit Chruschtschows Entstalinisierung des Bauens seit 1954 die Konkurrenz der beiden weltpolitischen Systeme zu einer Angleichung der stadtplanerischen Konzepte führte, die mit der Rückkehr der DDR-Architektur in den Mainstream des weltweit gerade in Blüte stehenden "Internationalen Stils" - wie Werner Durth in seinem Beitrag ausführt - den gebauten Ausdruck politischer und kultureller Polarisierung in Deutschland überformte. Die mit dem Wachstum des Eisenhüttenkombinates korrespondierenden Stadterweiterungen machten auch vor dem benachbarten Fürstenberg nicht halt, dessen historische Bausubstanz nach Planungen der späten sechziger Jahre fast vollständig abgerissen werden sollte. Die alltäglichen Lebensdimensionen waren durchaus auch durch Gemeinsamkeiten gekennzeichnet. In West wie 0st zeigten die Stadtbewohner eine gewisse Widerständigkeit gegenüber den städtebaulich bzw. politisch motivierten Vorgaben des idealen Wohnens. Mit Musterwohnungen und ausgesuchten Möbelkollektionen sollte den Bewohnern der östlichen Stadt das sozialistische Heim im Stil der "nationalen Tradition" nahegebracht werden. Den Erziehungsversuchen von staatlich beauftragten Architekten und Möbelgestaltern fügten sich die Bewohner Stalinstadts jedoch nur widerwillig oder verweigerten sie (wie Claudia Freytag in ihrem Beitrag über "Neue Städte - neues Wohnen" ausführt), ebenso wie die Wolfsburger in den skandinavisch-kühlen Neubausiedlungen daran gingen, durch Zwischenwände und nachträgliche Verkleidungen Heimeligkeit herzustellen. Die Visionen der Planer und die typisierten Menschenbilder wurden durch den Lebensalltag der Einwohner vielfältig gebrochen. Es gab keinen direkten Weg vom Reißbrett ins Wohnzimmer. Das Selbstverständnis der Städte und mehr noch ihre politischen und weltanschaulichen Verankerungen spiegeln sich im Bezugssystem der Namengebungen. An der "Politik der Namen" lassen sich ideologische Bezüge und Suggestionen aufzeigen. Die Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" der Deutschen Arbeitsfront gab dem projektierten Werk und seiner Stadt den Namen, der Mobilität und eine Freiheit suggerierte, die letztlich nur der - "arischen" - Volksgemeinschaft zugänglich werden wollte, sowie die Verfügung über Raum und Zeit. Die britische Siegermacht verbot, bereits im Mai 1945, mit dem Städtenamen auch die NS-ldeologie und verpaßte der gerade sieben Jahre alten Stadt mit dem Namen des nahegelegenen Renaissance-Schlosses Wolfsburg, dem alten Sitz derer von Bartensleben und der Grafen von der Schulenburg, ein pseudohistorisches, "entnazifiziertes" Gewand. Straßenumbenennungen durch die Briten lassen sich als "symbolische Entmilitarisierung" lesen (vgl. dazu den Beitrag von Gottfried Korff zur öffentlichen Namengebung): An die Stelle der Namen von preußischen Generalen und Personen, "die bis 1945 die Rüstungsproduktion im VW-Werk und dessen Rolle in der Kriegswirtschaft ideologisch abgestützt hatten", traten die deutschen Dichter. Die Wohnstadt bei Fürstenberg erhielt nach dem Tode Stalins am 5. März 1953 den Namen "Stalinstadt" - eine politische Geste Ulbrichts und eine Facette in seiner Politik der "sozialistischen Revolution", die er seit 1952 mit dem Ziel betrieb, sich dem >großen Bruder< Sowjetunion unentbehrlich zu machen. Von den Einwohnern der Stadt wurde der als suspekt empfundene Politname hingenommen; gerade in der ersten Zeit erschien er in Begegnungen mit Ortsfremden, besonders Westdeutschen, als anstößig und wurde eher vermieden (vgl. den auf Zeitzeugen-lnterviews basierenden Beitrag von Dagmar Semmelmann). Die Umbenennung der Stadt in das sachlich-technische "Eisenhüttenstadt", die acht Jahre nach Stalins Tod und der Entstalinisierung in der Sowjetunion in einer >Nacht-und-Nebel-Aktion< erfolgte, entsprach der späten Entstalinisierung in der DDR. Doch nicht nur ein Vergleich der Städtenamen, sondern auch der Namengeber für öffentliche Gebäude, Straßen, Schulen und andere Einrichtungen ist erhellend. Bezogen auf die Straßennamen stehen Porsche oder Nordhoff dann Lenin, Rosa Luxemburg und Erich Weinert gegenüber, wobei Goethe gesamtdeutsches Erbe zu sein scheint, denn eine gleichnamige Straße findet sich in beiden Städten. Das Kreiskulturhaus in Stalinstadt wurde nach dem Arzt und Autor Friedrich Wolf benannt, der sich als künstlerische Identifikationsfigur aus dem sowjetischen Exil anbot; die erste Kirche in der Autostadt ist dem Patron der Reisenden geweiht, St. Christophorus. Hieß der erste Schulneubau in Stalinstadt (Polytechnische Oberschule I, 1951-1953) "Georgi-Dimitroff-Schule" nach dem Ministerpräsidenten und Generalsekretär der bulgarischen KP, so bezog man sich in Wolfsburg, wo 1951 der Unterricht in der ersten massiv gebauten Schule aufgenommen wurde, ein weiteres Mal auf Goethe. Zugleich läßt sich anhand der Namenbezüge auch die politische Verdrängung und Umdeutung der nationalsozialistischen Vergangenheit zeigen: Ferdinand Porsche, dem zu Ehren die Wolfsburger Hauptgeschäftsstraße ihren Namen erhielt, wurde als der geniale Ingenieur und Erfinder erinnert, seine NS-Vergangenheit blieb jedoch ausgeblendet - ebenso wie auch die Zwangsarbeiterlager und der Friedhof der rund vierhundert gestorbenen Zwangsarbeiter ("Russenfriedhof") aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt wurden. Die nationalsozialistische Vergangenheit wurde auch in der neuen sozialistischen Stadt ausgeklammert oder verfälscht. Der Mythos der Erbauer, wonach auf dem EKO-Gelände "einst nur Sand und Kiefern" gewesen waren, verdeckt die darunter liegende historische Schicht: Die Wohnbaracken des EKO entstanden auf den Fundamenten der Rheinmetall-Borsig-Werke, die hier in einem Zulieferbetrieb an der östlichen Reichsgrenze ebenso kriegswichtige Produktion betrieben hatten wie die Degussa AG (Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt), Frankfurt / Main. Diese produzierte in ihrem seit 1941 errichteten Werk "F" u. a. Hexamethylentetramin für die Sprengstoffherstellung. Für beide Werke wurden mehrere zehntausend sowjetische Kriegsgefangene aus dem >Stalag lll B< sowie Zwangsarbeiter aus Polen, Litauen u.a., die in einem Nebenlager des KZ Sachsenhausen untergebracht waren, aus gebeutet. Das Werk "F" verschwand nahezu im Sommer 1947 - auf Betreiben der sowjetischen Besatzungsmacht; an seiner Stelle erhebt sich heute der Vl. Wohnkomplex der Stadt. Die mehr als viertausend (überwiegend, aber nicht ausschließlich sowjetischen) Kriegsgefangenen, die das Lager nicht überlebt hatten, wurden zu "gefallenen Helden der Roten Armee" erklärt und erhielten als solche am "Denkmal der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft" auf dem gleichnamigen Platz ein Ehrengrab. Ließ sich in diesem Falle die tatsächliche historische Schicht durch eingehende Archivstudien freilegen (vgl. dazu den Beitrag von Jörn Schütrumpf über "Vergangenheitsbewältigung"), so wissen wir von der Existenz eines EKO-Haftarbeitslagers für politische Häftlinge der DDR nur aus einem Interview mit einem ehemaligen Insassen, der dort nach seiner gescheiterten Republikflucht einsaß. (6) Betrachtet man Wolfsburg und Stalinstadt aus dem übergeordneten Blickwinkel der zeithistorischen Perspektive, stellt sich die Frage, ob es in anderen Staaten der westlichen und östlichen Hemisphäre Vergleichbares gab oder gibt. Für den sozialistischen Block läßt sich dies bejahen. Fast zeitgleich mit Stalinstadt entstanden darin der sowjetischen Doktrin der wirtschaftlichen Selbstversorgung der Satellitenstaaten folgend - Industriestädte in anderen sozialistischen Ländern: das polnische Nowa Huta um die Leninhütte (heute ein Stadtteil Krakóws), die bulgarische Industriestadt Dimitrowgrad und - mit der größten inhaltlichen Nähe zum deutschen Stalinstadt - die ungarische "Schwesterstadt" Sztálinváros (= Stalinstadt). Diese südlich von Budapest gelegene Neugründung, die heute Dunaújváros heißt, wurde seit 1950 planmäßig zu einem der wichtigsten Standorte der ungarischen Schwerindustrie ausgebaut (Kombinat mit Hochöfen, Siemens-Martin-Stahlwerk, Kalt- und Warmwalzwerk). Auch städtebaulich ähneln sich beide Städte sehr, und beiden ist zudem gemeinsam, daß der Städtename politisch oktroyiert wurde. Sztálinváros konnte seinen Namen mit dem Ungarn-Aufstand 1956 abwerfen, mußte ihn nach dessen Niederschlagung aber (ebenfalls bis 1961 ) wieder führen. Übrigens war auch die polnische Industriestadt Katowice 1953 in "Stalinogrod" (Stalinstadt) umbenannt worden. Ist Stalinstadt im östlichen Block keine Einzelgründung, so scheint Wolfsburg, zumindest bezogen auf die Bundesrepublik, ein "Solitär" zu sein. Wenngleich Salzgitter als ehemalige Stadt der Hermann-Göring-Werke auch aus nationalsozialistischen Planungen hervorging (vgl. dazu den Beitrag von Christian Schneider) und ebenfalls eine industrielle Stadtgründung ist, erlangte doch keine andere Stadt eine solche Bedeutung als Industriestandort wie Wolfsburg, wurde keine andere so mit der "Wirtschaftswunderzeit" der jungen Bundesrepublik gleichgesetzt. Werk Beide Werke, das Volkswagenwerk wie das Eisenhüttenkombinat, waren in ihren Staaten von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung, und sie sind es bis heute. Motiv für die Schaffung eines Roheisenwerkes an der Oder war, wie eingangs hervorgehoben, das Schließen einer Rohstofflücke als Grundlage für den Aufhau einer autarken Schwerindustrie. An ihrer Notwendigkeit wurden allerdings noch 1950 Zweifel geäußert mit Blick auf eine baldige mögliche Wiedervereinigung. Gleichwohl begründete Ulbricht - den sowjetischen Vorgaben folgend - die Schwerpunkte des 1. Fünfjahrplanes (metallurgische Basis, Schwerindustrie) mit dem "Neuaufbau aus eigener Kraft", der Verhinderung jeder Abhängigkeit und Verschuldung gegenüber "imperialistischen Mächten". Das Kombinat und sein Produkt wurden dementsprechend ideologisch überhöht zu "Friedenswerk" und "Friedensstahl" (dazu Jörn Roeslers Beitrag "Eisen für den Frieden"). Industrieminister Fritz Selbmann erklärte 1950 prosaisch, daß Eisen und Stahl für "Turbinen, für Förderbrücken im Bergbau, für landwirtschaftliche Maschinen" benötigt würden. Der Parteitagsbeschluß zum 1. Fünfjahrplan sah ein "gemischtes Hüttenwerk" mit einer angestrebten Jahresleistung von 500 000 t Roheisen vor. Das propagierte Ziel eines Kombinates, zu dem auch ein Stahlwerk und Walzstraßen gehörten, wurde jedoch so nicht erreicht. Am 17. Juni 1953 war es auch unter den Bauarbeitern des EKO zu Protesten gegen Normen und Preise gekommen, die in der Erstürmung des Sitzes der SED-Kreisleitung im nahegelegenen Fürstenberg gipfelten. Danach schien sich die Lage nur langsam und schwer zu stabilisieren. Darauf deutet zumindest die Tatsache hin, daß ab Oktober 1953 ein Schauprozeß gegen eine (in Wirklichkeit nicht existente) "Padel-Bande" initiiert wurde, der Sabotage gegen das EKO zur Last gelegt wurde. Ihr "Führer", Helmut Padel, wurde 1954 verurteilt und saß unschuldig mehr als neun Jahre lang im Zuchtbaus ein. (7) 1989 wurde er rehabilitiert. Nach dem Aufstand am 17. Juni 1953 sah sich das ZK genötigt, den Volkswirtschaftsplan zu ändern und die schwerindustriellen Investitionen zurückzustellen zugunsten der "gesteigerten Produktion von Konsumgütern". Während einerseits bis Ende 1953 in der "ersten sozialistischen Stadt" 25 HO- und Konsumläden eröffneten und die Großgaststätte "Aktivist" in Bau ging, wurde andererseits der Aufbau des Stahlwerkes sowie eines Kalt- und eines Warmwalzwerkes im Eisenhüttenkombinat auf unbestimmte Zeit verschoben. Erst 1968 konnte das Kaltwalzwerk eingeweiht und mehr als ein Jahrzehnt später (1984) das von der österreichischen Firma VOEST Alpine gebaute Stahlwerk dem Betrieb übergeben werden. Das geplante Warmwalzwerk wurde zwar begonnen, wird aber erst im Juli 1997 seinen Betrieb aufnehmen. Das Kernstück der metallurgischen Basis der DDR blieb letztlich ein Torso. Ganz anders erging es der ehemaligen Stadt des KdF-Wagens in der britischen Besatzungszone. Die Militärregierung hatte das Volkswagenwerk als Vermögensbestandteil der aufgelösten nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront 1945 beschlagnahmt, hob Mitte 1947 den erteilten Demontagebefehl jedoch wieder auf. Mit Heinrich Nordhoff ließ sie 1948 einen Manager an die Spitze des Werkes, dem es gelang, aus dem ehemaligen nationalsozialistischen Prestigeobjekt und Rüstungsbetrieb einen Automobilkonzern von Weltgeltung zu machen. Was im Nationalsozialismus Vision geblieben war, realisierte sich in der Bundesrepublik: die Massenmotorisierung der Schichten, die sich bis dato kein Auto leisten konnten und deren finanziellen Möglichkeiten der kostengünstige, wirtschaftliche und anspruchslose Volkswagen entsprach. Bereits 1953 lief der 500 000. VW vom Band, zwei Jahre später der millionste. Seine Feier wurde zum riesigen Fest, auf dem Tanz- und Musikgruppen aus allen Exportländern des Volkswagens den Wolfsburgern eine Ahnung von der großen weiten Welt vermittelten (vgl. den Beitrag von Brigitte Vogel). Das Volkswagenwerk war mit der Gründung der Bundesrepublik von den Briten der Bundesregierung übertragen worden (September 1949), in deren Auftrag das Land Niedersachsen treuhänderisch die Kontrolle ausübte (bis 1960). Ermöglicht durch den unternehmerischen Erfolg, entwickelte sich das Volkswagenwerk zum Muster für "soziaie Marktwirtschaft" im Sinne des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit. Nordhoff propagierte als eine der "wichtigsten und vornehmsten" Aufgaben eines modernen Unternehmers die Erhöhung des Anteils der Arbeiter und Angestellten am Sozialprodukt und ihre Gewinnbeteiligung (vgl. den Beitrag von Heidrun Edelmann). Deren Bemessung jedoch oblag nach seiner Ansicht allein der Geschäftsleitung, begründet durch ihre unternehmerischen Kompetenzen. Der autokratische Führungsstil von "König Nordhoff", insbesondere gegenüber dem Quasi-Vorstand und der Stadt, fügte sich zusammen mit den Bedürfnissen einer entwurzelten und zunächst perspektivlosen Nachkriegsgesellschaft, die auf der Suche nach Führung war. Während Nordhoff seine Belegschaft als "Meine Arbeitskameraden!" ansprach (und so begann jede seiner Reden), nannte diese ihren Generaldirektor den "General", durchaus mit militärischem Anklang. Überhaupt entsprach Nordhoffs Habitus dem der bundesrepublikanischen Gesellschaft in den fünfziger Jahren, in welcher der Abbau autoritärer Denkstrukturen nur allmählich vonstatten ging, und ist vergleichbar mit Adenauers Führungsstil in der "Kanzler-Demokratie". Die Leistungen des Werkes mit seinen überdurchschnittlich hohen Löhnen und Erfolgsprämien, seiner Hilfe bei Wohnungssuche und Eigenheimbau trugen ebenso wie die "unerschöpfliche" Nachfrage nach dem Volkswagen, welche die Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern schien, wesentlich bei zur Herausbildung eines "Wir-Gefühls", das für VW - zumindest in der "Ära Nordhoff" charakteristisch war. Patriarchalisch-bestimmend war das Werk nicht nur für "seine" Arbeiter, sondern auch kommunalpolitisch, denn: "Was gut ist für das Werk, ist gut für die Stadt" (vgl. den gleichnamigen Beitrag von Wulf Tessin). Die "Wir-Gemeinschaft" im Volkswagenwerk hatte nur ein Geschlecht: männlich. Verheiratete Frauen wurden bis 1965 nicht eingestellt. In der neuen sozialistischen Stadt wurde demgegenüber auch die Arbeit der Frauen neu definiert. Dem Primat der Gleichberechtigung bezogen auf das Berufsleben folgend, erhielten Frauen durch Förderpläne Zugang zu bislang fast gänzlich von Männern besetzten Bereichen (vgl. zur Frauenarbeit in zwei Systemen die Beiträge von Christine von Oertzen und Jenny Richter). |
"Lebensfreude". Wolfsburger Familie auf der Feier des 500 000sten Volkswagens, 1953 (Photo: Willi Luther) |
Menschenbilder Schon dieser kurze Hinweis auf die unterschiedliche Bedeutung der Frauenarbeit in den Werken der beiden Städte zeigt: Die Städte spiegeln nicht nur politische Positionen und Weltanschauungen, sie basieren auch auf Bildern vom Menschen und von seinen Lebenswelten, die sich in den jungen Städten möglicherweise schneller und deutlicher herauskristallisierten als in anderen, gewachsenen Gemeinwesen. In beiden Städten wurden die Arbeitenden hofiert, richteten sich die "Verheißungen" an sie. Beide Städte sind Beispiele für die gelungene Integration einer zusammengewürfelten Bevölkerung. Diese Integration vollzog sich allerdings weniger über ideologische Momente, sondern über die gemeinsame Erfahrung des Aufhaus, des Vorwärtskommens, der materiellen Besserstellung. Andreas Ludwig arbeitet in seinem Beitrag heraus, daß der in der frühen DDR einmalige Vorgang, eine ganze Stadt und ein großes Werk unter nichtkapitalistischen Rahmenbedingungen zu erbauen, einherging mit der "Konstituierung eines Idealtyps", der auch als literarische Kunstfigur des "sozialistischen Menschen" seine Ausprägung fand. Das politisch überhöhte Ideal wurde jedoch schnell zur Legende des Aufbaus, der Alltag galt Materiellerem. In beiden Städten, Wolfsburg und Eisenhüttenstadt, kam die Aufbaugeneration zum allergrößten Teil von außen, setzte sie sich - in der Folge des Zweiten Weltkrieges, von Flucht und Vertreibung - aus Menschen unterschiedlichster regionaler Herkunft und Bindungen zusammen. An die Stelle des Verlustes der Heimat trat für sie die "neue Heimat". Die Herausbildung des Sichheimisch-Fühlens war wesentlich gebunden an die sozialen Beziehungen, erschwert wurde sie wie Ulfert Herlyn darlegt - durch die Defizite der Strukturen einer Retortenstadt, in der Urbanität infolge mangelnder Heterogenität, Differenzierung und Geschichtlichkeit nur ansatzweise ausgebildet war. Dabei ist Wolfsburg, für das umfangreiche empirische Studien vorliegen, ungleich besser erforscht als Eisenhüttenstadt. Die mündlichen Befragungen, die die örtliche Geschichtswerkstatt seit einigen Jahren durchführt, sind hier ein erster wichtiger Schritt zu einer Geschichte nicht nur "über..", sondern "von unten" (diese Quelle spiegelt sich im Beitrag von Dagmar Semmelmann über die "Heimat Stalinstadt"). Während in der "Flüchtlingsstadt" Wolfsburg zahlreiche landsmannschaftliche Verbände bestanden und bestehen, waren sie in Eisenhüttenstadt - wie in der gesamten DDR - als "revanchistische" Interessengruppierung verboten. Als Wolfsburg Ende der fünfziger Jahre rund 50 000 Einwohner zählte und das junge Gemeinwesen sich zunehmend konsolidierte, wurden vom Volkswagenwerk Arbeitskräfte aus Italien in großer Zahl angeworben. Diese neuartige Begegnung mit dem "Fremden" scheinen die Wolfsburger überwiegend als krisenhafte Erschütterung der gerade gefestigten sozialen Ordnung und des Beziehungsgefüges zwischen Mann und Frau erlebt zu haben. Eisenhüttenstadt lag zwar an der polnisch-deutschen "Friedensgrenze" und das EKO schmolz mit Hilfe polnischer Kohle "Friedensstahl", doch jenseits dieser rhetorischen Worthülsen war das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen eher ein "Nicht-Verhältnis". Bis heute besteht hier kein Grenzübergang über die Oder ins polnische Nachbarland. Aufschlußreich für das Menschenbild und für das Verständnis dessen, was unter einer modernen, zukunftsweisenden Industriestadt verstanden wurde, ist der Vergleich zwischen beiden Städten auch bezogen auf die religiösen Bindungen. Bis Anfang der fünfziger Jahre war Wolfsburg ohne feste Kirchenbauten, hatte doch Speer 1940 vom Obersalzberg aus verfügt, daß "Kirchenbauplätze in der Stadt des KdF-Wagens nicht ausgewiesen werden" könnten. (8) Mit der 1950 eingeweihten evangelischen Christuskirche sowie der katholischen Kirche St. Christophorus (1951, Entwurf: Peter Koller, finanzielle Unterstützung: Volkswagenwerk) zog in Wolfsburg wieder kirchliches Leben ein; weitere Kirchenbauten folgten rasch in den einzelnen Stadtteilen. Gottesdienste und der Segen der Kirche bei Eheschließungen, Geburten et cetera waren gefragt. Anders sah es demgegenüber in Stalinstadt aus, das mit der Stadt des KdF-Wagens gemeinsam hat, daß von politischer Seite eine Kirche unerwünscht war. Zwar sahen Leuchts Entwürfe (Ende 1952/Anfang 1953) zwei Kirchenbauplätze vor, doch anläßlich der Namengebung der Stadt (7. Mai 1953) widersprach Ulbricht diesen Plänen öffentlich, wie ein Zeitzeugen-lnterview belegt. (9) Der evangelische Pfarrer Bräuer, als erster Pfarrer für die neue Stadt dort seit dem 1. Januar 1953 im Amt, kämpfte fast drei Jahrzehnte lang um einen festen Kirchenbau. Bräuer hielt bis Ende der siebziger Jahre den Gottesdienst in einem Wohnwagen bzw. der "Kirchenbaracke" ab (wie übrigens auch sein katholischer Amtskollege). Doch anders als in Wolfsburg lösten sich die Menschen in Eisenhüttenstadt sehr schnell aus konfessionellen Bindungen (vgl. dazu den Beitrag von Gottfried Korff über die "Koordinatensysteme" der "politischen Symbolik von Orten und Ordnungen"). Während anfangs durchaus Interesse am Kirchenbesuch bestand, brach die im Aufhau befindliche Gemeinde rasch in sich zusammen. Die Zahl der Kirchenbesucher ging immer mehr zurück, auch die der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Trauungen. Neue säkulare Formen wie die Jugendweihe setzten sich rascher als andernorts durch, wo aufgrund gewachsener Strukturen länger und zäher an den traditionell-religiösen Bindungen festgehalten wurde. Betrachtet man die Bereiche Kunst und Kultur, öffentliche Feste und Feiern, so ist beiden Städten gemeinsam, daß gerade in den Aufbaujahren das Werk in Ermangelung eines kommunalen Trägers wichtige kulturelle Funktionen übernahm. Nordhoff, selbst in seiner Freizeit künstlerisch tätig, gab den Anstoß zu den "Wolfsburger Konzerten", insbesondere mit den Berliner Philharmonikern unter Furtwängler und später Karajan. Ebenfalls auf seine Initiative kam es zu den berühmten Wolfsburger Kunstausstellungen (als erste 1952 "Franz Marc", 1954 "Wilhelm Leibl" sowie fünf weitere bis 1967), deren kunsthistorisch wohl bedeutendste die von 1956 ist: "Deutsche Malerei. Ausgewählte Meister seit Caspar David Friedrich". Seine Position beschrieb Nordhoff selbst so: "Neben Automobilen, Bilanzen und Zahlen wollen wir nicht vergessen, was an großen, künstlerischen Leistungen Schönheit und Erhebung in unser Leben zu bringen berufen ist, und so hat sich das Volkswagenwerk entschlossen, in Wolfsburg eine Ausstellung" zu veranstalten, denn "Kunstverständnis und Kunstgenuß sollen nicht das Vorrecht einiger weniger sein, sondern für jeden Schaffenden die notwendige schöne Ergänzung tätiger Arbeit" (vgl. zur Kunst in beiden Städten den Beitrag von Katja Widmann). Zugrunde liegt eine Anthropologie, die jedem Menschen Kunstsinnigkeit und Freude an der Erhabenheit der Kultur zuspricht: Der Arbeiter sei eben mehr als bloßer Teil einer repetitiven Maschine. Dies formulierte übrigens auch Alvar Aalto anläßlich der Eröffnung des von ihm entworfenen Kulturzentrums (1962). Das Eisenbüttenkombinat übernahm ebenfalls früh wichtige kulturelle Aufgaben. Kulturbund, Kulturgruppen und das Volkskunstkabinett bemühten sich (entsprechend den in Berlin formulierten Vorgaben) in der jungen Stadt um die Förderung einer sozialistisch orientierten Volks- und Laienkunst. Eigens dafür ausgebildete künstlerische Leiter betreuten die sogenannten Zirkel, in denen Werksangehörige sich in ihrer Freizeit zusammenfanden und deren Aktivitäten teilweise ein hohes künstlerisches Niveau erreichten. Die Arbeiter wurden aufgefordert, in einen Dialog mit den Künstlern des neuen Staates zu treten: Sie diskutierten mit dem Arbeiterschriftsteller Hans Marchwitza über den Roman, der ihre eigene Geschichte des Aufbaus des Hüttenkombinates zum Thema hatte: "Roheisen", und nahmen Stellung zu Oskar Nerlingers Ausstellung "Mit Pinsel und Feder im Eisenhüttenkombinat Ost",1952. Bezogen auf kommunale Kultureinrichtungen war in Eisenhüttenstadt ein Kulturhaus beziehungsweise Kino (das 1955 eröffnete, mehrfunktionale Friedrich-Wolf-Theater) von Anfang an mitgeplant. Daneben bestanden gewerkschaftliche und betriebliche Kulturhäuser (Kulturhaus Zementwerk u.a.). In Wolfsburg wurde die kommunale Kultur erst Ende der fünfziger Jahre ausgebaut. 1958 lag der Baubeginn für das städtische Kulturzentrum (Entwurf: Alvar Aalto). 1959 wurde der Städtische Kunstverein gegründet; er vergab jährlich seinen Kunstpreis mit dem programmatischen Titel "junge stadt sieht junge kunst". Zugleich erfolgte die Ausgestaltung des Schlosses Wolfsburg zu einem Künstlerzentrum ("Schloßstr. 8"). Erst 1973 erhielt die Stadt mit Scharouns Bau ihr eigenes - bereits 1963 beschlossenes - Theater. Die Kunstpolitik der Plazierung von "Solitären" in das Gesamtbild erreichte mit der Errichtung des Kunstmuseums 1994 ihren (vorläufigen) Höhepunkt und Abschluß. Die Unterschiede in der Auffassung dessen, was Kunst in der Gesellschaft >solle< waren erheblich. In Eisenhüttenstadt war - zumindest in der Frühzeit - die Kunst eng an den Gedanken des Aufbaus, der Arbeit gekoppelt. Der direkte Kontakt mit den Künstlern war wichtig, und die Aussprache zwischen Kunst und Wirklichkeit fragte nach der Angemessenheit der Kunst. In Wolfsburg dagegen wurde abgelassen von diesen Dimensionen der Kunst. Kunst wollte die >andere<, nicht mit der Arbeit verbundene Seite des Menschen betonen. Gab es in beiden Städten eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich in Vereinen zu engagieren, so lag deren wohl wichtigster Unterschied darin, daß die Wolfsburger Vereine "Unternehmungen aus eigenem Recht und nur dem eigenen Zweck gehorchend" waren (vgl. den Beitrag von Gottfried Korff über "Koordinatensysteme"), während die Eisenhüttenstädter in Abhängigkeit von "zuständigen Trägerorganisationen" und "staatlichen Organen" standen und zentral auf kulturelle Aufgaben verpflichtet wurden. Ebenso wie die Vereine hatten öffentliche Feste und Feiern eine wichtige, sozialintegrative Funktion. Sie stärkten den Gemeinschaftssinn der Bevölkerung und das "Wir-Gefühl" eines "zusammengewürfelten Haufens". Sie demonstrierten den Aufbau und das Erreichte, sie schufen gemeinsame Erinnerungen und das Zusammenwachsen der Einwohner, sie demonstrierten Leistung und übten Stabilität ein. In beiden Städten hingen die Feiern eng mit dem Werk zusammen. Die anläßlich der seit 1954 jährlich inszenierten Hüttenfeste in Stalinstadt getragenen "Hüttenehrenkleider", deren Abzeichen die Rangordnung innerhalb des EKO darstellten, knüpften an bergmännische Traditionen an. Die Feiern des 50 0000. und insbesondere des millionsten Volkswagens (1955) gerieten zur Demonstration Wolfsburger, ja bundesrepublikanischen neuen Selbstbewußtseins. Willi Luthers 1956 auf der Kölner "fotokina" in der Rubrik "Deutschland heute" preisgekröntes Bild "Lebensfreude" verleiht dieser Stimmung bildhaften Ausdruck. Seine Ausstrahlung findet ihr Pendant in einem reich bebilderten Band über "Neues Leben - Neue Menschen" in Stalinstadt drei Jahre später, 1958. (10) Was die Bilder festhalten, ist eine gelungene Integration. Wenn man den Aufbau in 0st und West anhand von Eisenhüttenstadt und Wolfsburg begreifen will, wird man die verschiedenen Perspektiven auf beide Städte zusammenfügen müssen. Man muß Architektur und Städtebau, Prämissen des Wohnens und Arbeitens, auch Kunst, Kultur und Menschenbilder, zugleich die Geschichte der Einbindung in die kulturellen Strömungen der unterschiedlichen Systeme vergleichend betrachten. Das erfordert interdisziplinäre Ansätze, die die unterschiedlichen Perspektiven auf die beiden Städte verknüpfen. |