Treppenhaus der Südfassade mit Pfeilern aus "heimischem Muschelkalk" |
Zur Agitation des NS-Regimes
gehörte es, Architektur der Weimarer Republik zu diffamieren. Industriebauten
wurden davon ausgenommen, konnten sogar "Dom der Arbeit", "Denkstein deutscher
Ingenieurkunst" heißen. Bei Industriebauten, die seit 1933 entstanden,
hat das NS-Regime moderne Formen geduldet, ja eingesetzt. Sie kontrastieren
zu den Stilisierungsversuchen der monumentalen Staats- und Parteiarchitektur
und denen des "bodenständigen" Siedlungsbaus.
Die Modernität des Industriebaus hat hauptsächlich drei Erklärungsversuche
hervorgerufen. Bis heute gilt sie manchen als Absage unbeirrbarer Baukünstler
an einen herrschenden neoklassizistischen Monumentalstil oder heimattümelnden
Traditionalismus, eine Opposition aus ästhetischer oder gar politischer
Überzeugung. Daß das Regime moderne Industriearchitektur geduldet
hat, ist auf diesem Wege aber nicht zu erklären. Oder - zweitens - die
Architekten werden in der Defensive gesehen, in einer "Nische"
oder "Oase", wo das moderne Bauen wegen seiner Zweckmäßgkeit
eine "Zuflucht" gefunden habe. Diese plausiblere Erklärung wird
durch eine dritte ergänzt, die sich weitgehend durchgesetzt hat. Sie bemerkt
an den architektonischen Hervorbringungen des NS-Regimes eine Hierarchie
verschiedener Bauaufgaben, dreier Stile. Industriegebäude und technische
Anlagen hätten danach auf der untersten Stufe gestanden; ein moderner
Modus soll ihnen zugewiesen und dadurch zugleich deklassiert worden sein,
ganz entsprechend einer antimodernen Kunstdoktrin. Fehl (1985) zählte
Fabriken neben "andere[n] Zweckbauten" zu "offensichtliche[n]
Aschenputtel-Aufgaben" auf "der untersten Ebene der Hierarchie"
und fügte hinzu: "Selbstverständlich waren hier die Baustile der
höchsten Ebene ausgeschlossen."
Das Bild einer Hierarchie von Architekturgattungen kompliziert sich dadurch,
daß zum Beispiel angesichts von Kasernen-, Ordensburg- und Lagerarchitektur
weitere Stufen und Zwischenstufen zu bemerken sind. Die These von der
niedrigen Einstufung der Industriearchitektur jedoch kollidiert mit dem,
was die Propaganda hören ließ, und mit dem Augenschein, den die Bauten
gewähren.
Den Reichswerken Hermann Göring im heutigen Salzgitter, "eine[r]
neue[n] Schmiede deutschen Eisens", war keine "Aschenputtel"-Rolle
zugewiesen; auch dem Volkswagenwerk bei Fallersleben nicht, wenn es ein
"der Gemeinschaft dienende[s] Monument [...] schaffender Arbeit,
[...] Geist vom Geiste des Volkes" genannt wurde.
Die Wendung ins Geistige bestätigt es: Industriebauten dienten nicht nur
unmittelbarem Zweck, sondern wurden zugleich propagandistisch genutzt.
Für das Volkswagenwerk ist dies besonders gut bekannt; auch Bildberichte
und Erzählungen von seiner Architektur unterstrichen das Versprechen eines
Wagens für alle "Volksgenossen". Von vornherein war auf dem
Werksgelände außer einer Einfahrbahn auch ein Hotel geplant, weil die
Besteller ihren Wagen abholen und sich rechtzeitig mit ihm vertraut machen
sollten. Das Volkswagenwerk wäre auf diese besondere Weise unter die Pilgerstätten
aufgerückt, die das Regime außerhalb Berlins, Münchens und Nürnbergs einzurichten
begann, zum Beispiel durch den Bau einer "Adolf-Hitler-Jugendherberge"
in dem "Land [...], in dem das Haus des Führers steht". Die
Erinnerung an die Reise zum Volkswagenwerk konnte um so dauerhafter sein,
je stärker sich dieser Bau optisch einprägte: "Haften [...] bleibt,
was man in Stein baut und in Eisen gießt."
Fabrikbauten in ein mißachtetes Abseits zu stellen, hätte auch gar nicht
zu den anderswo auf Arbeit und Technik bezogenen hohen Tönen gepaßt. Die
Deutsche Arbeitsfront (DAF) nannte ihr Volkswagenwerk ein "großes
Olympia der Arbeit". Die Technik, der die Industriebauten doch dienten,
wurde manchmal mit der Kunst auf eine Stufe gestellt. Zum Beispiel sagte
Goebbels im September 1938: "Auch Technik ist Künstlertum".
Das Zitat stammt aus seiner Laudatio für die Nationalpreisträger Fritz
Todt, Ferdinand Porsche, Ernst Heinkel und Willy Messerschmitt. Die Reden
des "Führers" lassen Themen-Schichten erkennen, die sich mit
der besprochenen Dreischichtung von Monumental-, Heimat- und modernem
Stil der Architektur parallelisieren lassen. Zwei Tage nach der neuerlichen
Bekanntgabe des Volkswagen-Projektes auf der Deutschen Automobilausstellung
1938 hielt Hitler eine Reichstagsrede, in der NS-ldeologie hochfahrend
zelebriert wurde. Zum anderen berief sich Hitler in eher biederem Ton
auf die sozialen Wohltaten im NS-Staat - unter Bezug auf den Siedlungsbau.
Ein dritter, größter Anteil der Propagandarede sollte den Zuhörern mit
einer Flut statistischer, insbesondere technischer Daten zum Aufschwung
des Reichs imponieren.
Daß die von Technik geprägten Bauten im Gesamten der Architektur des Regimes
eine untergeordnete Rolle gespielt hätten, ist also übertrieben. Geradezu
falsch ist aber die oft mit den drei Erklärungsversuchen gepflegte Vorstellung,
die Industriearchitektur sei ein Bereich für sich gewesen, abgegrenzt
wie eine "Nische" oder vereinzelt wie eine "Oase".
Zur Industriearchitektur werden allgemein auch repräsentative Verwaltungsgebäude
gerechnet, soweit sie mit der Fabrik räumlich verbunden sind. Wenn es
auf Zusammenhang der Funktionen und Identität des Auftraggebers ankommt,
so sind ebensowohl Bauten zur Unterbringung der Arbeitskräfte einzubeziehen,
soweit sie mit einer Fabrik erstellt werden. Nach diesem Definitionsvorschlag
kann "Industriearchitektur des NS-Regimes" selbst schon monumentale, "heimatliche"
und moderne Stilistik - also dreierlei - umfassen, statt sich ins unterste
Feld ihrer Hierarchie einzuordnen. Der Industriebau wäre dann weniger
ein aus NS-typischen Architekturbereichen ausgegrenztes Sondergebiet,
vielmehr wäre gerade seine Integration in ein mehrschichtiges Ganzes von
Regime-Architektur festzustellen. Wie sehr weit diese Integration ging,
kann einer der größten Industriebauten der Zeit zeigen: das Volkswagenwerk.
Bei Fallersleben, im heutigen Wolfsburg, sollten nach offiziöser Proklamation
"Produktionsstätten, Verkehrseinrichtungen, Gemeinschaftsbauten und
Wohnsiedlungen als eine geschlossene Einheit" erstehen. "Geschlossen"
entlarvt sich von vornherein als Phrase. Geplant und realisiert war die
Positionierung nahe den Reichswerken Hermann Göring als Zulieferern; das
Ausbildungswerk (Vorwerk) des Volkswagenwerks entstand gleichzeitig in
Braunschweig. Wie seit Rolf Wagenführ (1954) immer wieder gezeigt wurde,
stand die Gründung eines Industriekomplexes Stadt des KdF-Wagens / Braunschweig / Stadt
der Hermann-Göring-Werke in "wehrgeographischem" Zusammenhang. Sie bot
Vorteile gegenüber einem weiteren Ausbau des grenznahen Ruhrgebiets.
Die Produktion eines Kraftwagens anzukündigen und vorzubereiten, der angeblich
für jeden erschwinglich sein sollte, war eine der langfristigen Aktivitäten,
mit denen das NS-Regime für sich warb. Die Sparer, die die Produktion
mit einer Viertelmilliarde Reichsmark finanziert hatten, bekamen den versprochenen
Wagen aber nicht. Denn das fast fertiggestellte, zum Teil schon mit Maschinen
bestückte Werk wurde kurz nach Kriegsbeginn für Rüstungsproduktion eingerichtet.
Es lieferte unter anderem Fliegerbomben, Bestandteile und Zubehör von
Panzerwagen und Kampfflugzeugen, ab 1942 insgesamt 52 000 Kübelwagen,
die militärische Version des Volkswagens, ab 1943 13 000 bis 14 000 V1
Flugbomben. 1943 erhielt das Werk den Titel "Kriegsmusterbetrieb", sein
Leiter Porsche stieg in eine Schlüsselposition der staatlichen Rüstungslenkung
auf. Als Waffenfabrik wurde das Werk im Juni 1944 bombardiert.
Bis heute ist strittig, ob die Rolle als Rüstungsbetrieb zur Interpretation
und Einschätzung des Bauwerks herangezogen werden darf, das doch der Herstellung
ziviler Kraftfahrzeuge gewidmet gewesen war. Aber schon Anfang 1934 hatte
Porsche geltend gemacht, daß der Volkswagen - nach einem "einfachen Wechsel
der Karosserie" - militärisch verwendbar sein werde; auch Hitler hatte
dies verlangt. Schon die Ankündigung eines zivilen Volkswagens setzte
eine Propaganda für die Motorisierung des deutschen Volkes um; diese gehörte
in einem auf motorisierte Kriegführung ausgerichteten Staat zur Wehrertüchtigung.
Porsche wurde 1935 in die Oberste Nationale Sportbehörde für die Deutsche
Kraftfahrt berufen. Wenig beachtet wird, daß 1936 mit und nahe dem Reichssportfeld
die Autostrecke Avus ausgebaut wurde, die wie dieses mit Skulpturen geschmückt
werden sollte. Auch als das Volkswagenwerk 1939 / 40 zunächst
Gelegenheits- oder "Verlegenheits"-Aufträge hereinnahm, die nichts mit
der Automobilproduktion zu tun hatten, setzte sich darin doch eine ursprüngliche
Eignung durch. Leere Fabrikanlagen sind Rüstungspotential, Umstellung
und Umnutzung ziviler Produkionsstätten waren aus dem Ersten Weltkrieg
bekannt.
Erfahrung mit der kostensparenden Massenproduktion von Zivilfahrzeugen
boten amerikanische Werke, und so reiste Porsche mehrmals in die USA und
brachte aus den Ford-Werken auch Techniker, wie es heißt: deutsch-amerikanische,
nach Deutschland. Fritz Kuntze, wohl einer davon, signierte 1937 einen
wenig durchgearbeiteten Plan, der im Werksarchiv (Stiftung AutoMuseum
Volkswagen, Wolfsburg) erhalten ist. Zwischen dem Mittellandkanal und
einer parallel dazu an- gelegten Autostraße erstrecken sich vier Flachbauten
mit Shed-Dächern. Der westlichste (falls dieser Plan bereits genordet
ist) hat zwei Randbauten und ist auf der Kanalseite mit einem vier stöckigen
Gebäude für Lehrlingsausbildung verbunden. Das Ufer springt hier so vor,
daß sich ein Vorplatz abzeichnet. Er vermittelt zu einem dreiflügeligen
Verwaltungsgebäude. Locker angefügt sind auch eine "Abholegarage"
mit "Verladebahnhof" und eine Werkstatt ("Überholen")
zu erkennen. Am östlichen Ende der Bauflucht ist ein Kraftwerk vorgesehen,
auf dessen massige Form zwei Eckbastionen des hintersten Flachbaus vorbereiten.
Die der Stadt zugekehrte Uferseite, noch nicht Uferfront, erscheint abwechslungsreich,
wenig zusammengefaßt.
Ein Historikerteam Hans Mommsens bezeichnet das Fordsche Hauptwerk River
Rouge in Dearborn / Detroit (von Albert Kahn) als Vorlage. Es
vereinigte die Produktionsbereiche nach den Prinzipien Henry Fords auf
einer Ebene und diente der Montage unter einem Dach, zeigte aber - nach
Bauzeiten von 1917 bis 1933 - sehr vielfältige Formen. Es weist Randbauten
auf, die schmucklose
Fabrikhallen einfassen. Ein deutsches Beispiel dafür waren Karl Janischs
und Carl Dihlmanns viergeschossige "Schauseiten" des Dynamowerks
in Berlin-Siemensstadt (1906 / 07 und 1910).
Die Produktionsbereiche des Volkswagenwerks durch eine Schaufront zusammenzufassen,
gehörte möglicherweise zu den Vorgaben eines Wettbewerbs der Deutschen
Arbeitsfront. Beteiligt waren die Architekten Emil Rudolf Mewes, der für
den Bochumer Verein AG 1935 bis 1936 langgestreckte Werkhallen mit einem
repräsentativen Verwaltungshochhaus verbunden hatte, Fritz Schupp mit
Martin Kremmer, deren Schachtanlage Zollverein 12 in Essen-Katernberg
(1927-1932) bald darauf wie ein NS-Bau gerühmt wurde, und Karl Kohlbecker,
den seit 1933 die Daimler-Benz AG beschäftigte. Sie fehlen fast gänzlich
in den bisher vorliegenden Überblicken zur NS-(nämlich vor allem
Repräsentations- und Siedlungs-)Architektur. Am 11. Dezember 1937 entschied
Hitler, alle Genannten sollten unter der künstlerischen Oberleitung Mewes'
weiterarbeiten. Kohlbecker erhielt die örtliche Bauleitung.
Nach dem Verlust der einschlägigen DAF-Akten stehen noch teilweise unbeschriftete
Photographien von Planzeichnungen und Gipsmodellen im Werksarchiv AutoMuseum
Volkswagen zur Verfügung. Sicher zu bestimmen ist auf Grund illustrierter
Zeitungsberichte ein großes Modell, das im Februar 1938 auf der Deutschen
Automobil-Ausstellung als Ergebnis der befohlenen Zusammenarbeit gezeigt
wurde. Es bildet Ausgangsmaterial für die Frage, welche Pläne und Modelle
welchem Architektenbüro zuzuschreiben sind und welche ihrer Gedanken in
das ausgeführte Werk eingingen. Die Front am Kanal erstreckt sich vom
Kraftwerk, einem nach Osten aufgestuften Block, zu einem Verwaltungshochhaus
an viereckiger Hofanlage. Das Modell umfaßt im Norden eine zweite
und eine dritte Ausbaustufe mit Shed-Dächern und Randbauten.
Wie die Reihe der Produktionsbereiche Werkzeugbau, Preßwerk, Karosseriebau
und mechanische Werkstatt durch eine Südfassade zusammengefaßt werden
sollte, hatte Mewes sich anfänglich anders vorgestellt. Sein Vorentwurf
ist an der Bezeichnung "Köln, im Dezember 1937 / Der Architekt
Emil Rudolf Mewes" zu erkennen - am 11. Dezember 1937 hatte Hitler
ja über die drei Konkurrenzentwürfe entschieden. Aus der Front am Mittellandkanal
sollten elf Speisehäuser vorspringen, die im Osten nicht mit dem Kraftwerk
fluchten, so daß der Blick hier zu einem Walzwerk östlich des Hafens weitergeht.
Ein Modellphoto veranschaulicht dies und zeigt, wie Mewes die im Süden
abgerundeten Speisehäuser mit dem Randbau oberhalb von Durchfahrten verbinden
wollte. Das war ein architektonisches Signal für die letzte große Aktion
des DAF-Amtes "Schönheit der Arbeit" (1937 / 38):
Die Unternehmen sollten allen Beschäftigten eine billige, warme Mahlzeit
ermöglichen. Vorspringende Speisehäuser sollten auch das "Bad der
20 000" in Prora / Rügen gliedern, die andere Kilometerarchitektur
der DAF (entworfen 1935 von Clemens Klotz). Mewes' erster Entwurf für
das Voliswagenwerk wurde wohl schon deshalb nicht durchgesetzt, weil der
Weg von den nördlichsten Arbeitsplätzen der Ausbaustufe zu den Speisehäusern
etwa 750 Meter lang gewesen wäre.
Diesen Nachteil vermied ein weiterer Entwurf, den Wilhelm Busch 1980 veröffentlichte
und (nach mündlicher Mitteilung) mit Schupp & Kremmers Konkurrenzentwurf
identifizierte. Die Speisehäuser der Ausbaustufe bilden im Hintergrund
eine Doppelreihe. Auch andere Gebäude werden möglichst zur Achsenbildung
genutzt; so soll das Kraftwerk - für das Anlegen der Kohlenschiffe unpraktisch
- am schmalen Ende des Stichkanals stehen. Das Kraftwerk ist also nicht
als Akzent der südlichen Front, folgerichtig auch kein Hochhaus als Pendant
vorgesehen. Das Bild der Südfront wird noch lockerer dadurch, daß die
Speisehäuser gegen die Treppenhausvorsprünge versetzt stehen und nur durch
brückenartige Gänge mit der Fassade verbunden werden sollten.
Ein drittes Entwurfskonzept ist wieder durch Plan- und Modellphotographien
im VW-Archiv faßbar. Die Beischrift des Planes "Volkswagenwerk GmbH
Zweigst. Stuttg." - gegründet erst 1938 - zusammen mit der nachträglichen
Datierung "1936 - 37" macht wahrscheinlich, daß der Zeichnung
ein Vorentwurf aus dem Umkreis Porsches zugrundeliegt,
für den dann als Urheber sein Bekannter Kohlbecker (in Gaggenau / Baden)
übrigbleibt. Nicht sicher ausschließen läßt sich allerdings, daß
diese Zeichnung - das heißt die erhaltene unscharfe Photographie - und
die Aufnahme eines sehr ähnlichen Modells einen Planungsstand wiedergeben,
der erst nach dem Februar 1938 unter der Gesamtleitung Mewes' erreicht
wurde.
Maßgebend für den ausgeführten Bau brachte dieser Entwurf die Speisesäle
sparsam im Randbau unter, so daß Vorsprünge der südlichen Gebäudefront
stattdessen Treppenhäuser aufnehmen konnten. Eine zweite Baustufe - nördlich
davon - sollte diese Anordnung wiederholen. Das Kraftwerk - rechts, neben
dem Hafenbecken - erhält nach diesem Entwurf am anderen, linken Ende der
Fassade ein Pendant in einem ungefähr flächengleichen Vierflügel- und
Turmhausbau. Weiter links (westlich) sind unter anderem ein "Stadion"
und - in axialem Bezug - eine "Versammlungshalle" eingezeichnet.
Nördlich von alledem erstrecken sich Bahnanlagen und die Autoeinfahrbahn
mit zwei kreisrunden Kehren.
Die innere Aufteilung des ausgeführten Baus ist auf einer kolorierten
Pause im Historischen Archiv der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG (Stuttgart)
zu erkennen. Sie zeigt den ersten Bauabschnitt für 9000 "Mann"
je Schicht - ohne die Verwaltungskräfte. Die Speisesäle - grün umrandet
- bleiben in den Randbau verlegt. Zwischen den Sälen weist der Plan quadratische
Bereiche aus, in denen niedrige Vestibüle zu den Treppenhäusern vermitteln
und zugleich zu zwei Gängen, die sich zwischen den Randbau und den Produktionsbereich
legen. Der obere war und blieb "Besucher- gang", gewährt nach
Norden den Blick in die Werkhallen. Säle und Hallen ruhen auf einem vier
Meter hohen Sockelgeschoß, das wie ein Keller genutzt und oft auch benannt
wird. Das oberste Geschoß enthält Büros, ebenso ein Zwischengeschoß über
den Vestibülen. Für die Treppenhäuser ergeben sich vier Ebenen.
Die Geschoßordnung zeichnet sich außen auch der Funktion nach summarisch
ab: Einfahrtstore zwischen den vier Produktionsbereichen unterbrechen
das Sockelgeschoß und lassen zum Teil Bahngeleise ein, steil hochrechteckige
Fenster mit Balkons kennzeichnen das Saalgeschoß darüber, Rundfenster
machen die Zwischengeschosse erkennbar; die Treppenhäuser haben wiederum
Fensternischen, die durch Zwischendecken unterteilt sind.
Die Südfassaden der Treppenhäuser setzen eine sehr niedrige Erdgeschoß-
gegen eine Oberzone ab. Den Eingang flankieren Wandpfeiler, die außen
durch scharrierte Lisenen mit nochmals vorspringenden Quadern verstärkt
werden (all dies aus "heimischem Muschelkalk"; das struktive
Gerüst besteht aus armiertem Beton). Die Pfeiler setzen sich oberhalb
des Vordachs fort und rahmen die Treppenhausfenster. Aber entgegen einem
Standardmotiv monumentaler NS-Architektur schließt sich dieser Rahmen
oben an der Dachkante kaum; nur ein schmaler Werkstein-Sturz erinnert
an die hart umgrenzende Rahmung von Fenstern wie an den Sälen daneben
oder zum Beispiel am Flughafen Berlin-Tempelhof (Ernst Sagebiel ab 1937),
wo auch die Traufkante der Fassade durchläuft. Die Wandpfeiler der Wolfsburger
Treppenhäuser springen weit vor, ihr Vertikalzug durchbricht die Silhouette
des Baus, endet oben offen, wie es schärfer zum Beispiel an Paul Bonatz'
Düsseldorfer Stumm-Haus (1922-1925) vorgeführt worden war. Am Volkswagenwerk
bilden Klinker-Rippen neben den Wandpfeilern geriefelte Lisenen und vermitteln
so zu der glatten Wand. Vertikalstäbe mit quadratischem Querschnitt kehren
in Wandvertäfelungen und Pilasterverkleidungen der Säle wieder.
Klinkerfassaden umfassen die Produktionsbereiche auch im Norden, im Westen
und im Osten mit kleineren Treppenhäusern, deren Formen von denen der
Hauptseite abgeleitet sind. Shed-Profile waren an den West- und Ostseiten,
auch entlang den drei ursprünglich nicht überdachten Durchfahrten zwischen
den Produktionsbereichen zu sehen. Vermieden wurde aber jeder Versuch,
aus der Form der Oberlichter neuartige Fassadenbilder abzuleiten wie gleichzeitig
bei Kahn in Dearborn / Detroit.
Motive der NS-Monumentalarchitektur, des neusachlichen Bauens und expressionistischer
Klinkerarchitektur treffen auch am Kraftwerk, einem Stahlskelettbau, aufeinander
- wenig vermittelt am Eingangsbau der Südostecke, der klotzigen Werkstein
gegen abgefaste Klinker-Rippen setzt. Die abschließende Pfeilerstellung
erinnert an die Bekrönung des Hochhauses beim Kraftwerk Klingenberg in
Berlin (1925 -1927 von Walter Klingenberg und Werner Issel), aber
zugleich an NS-Monumentalbauten wie Albert Speers Pfeilerkolonnade des
Nürnberger Zeppelinfeldes, die damals ständig - auch in der Werkszeitschrift
des Volkswagenwerks - abgebildet wurde. Planungsvarianten zum Hochhaus
am anderen Ende der Kanalfront zeigen eine korrespondierende Pfeilerstellung
auf einem Haus, das einen "Raum des Führers" enthalten sollte.
Das Ganze der Schaufront gleicht Hauptwerken der NS-Architektur vor allem
durch obstinate Formwiederholung, Gleichförmigkeit als Prinzip, beabsichtigte
Monotonie. Einhämmernde Wiederholung war von Hitler und Goebbels als Überredungsmittel
angewandt und ausdrücklich gepriesen worden. Hier scheint sie ins Visuelle
übersetzt.
Die Reihung der ursprünglich neunzehn Zugänge bewirkt, daß der Weg zum
jeweiligen Arbeitsplatz innerhalb des Gebäudes optimal kurz ist. Die Länge
der Front - mehr als 1 300 Meter - verhindert aber, daß die Fassade
als Ganzes überschaut wird. Die Architektur läßt großenteils nicht
ermessen, welches Treppenhaus dem aufzusuchenden Arbeitsplatz entspricht.
Diesem Orientierungsdefizit nicht nur durch Anbringen von Nummern abzuhelfen,
ist eine Funktion unterscheidenden plastischen Schmucks. Vergleichbar
- und wiederum nicht ohne ältere Vorbilder - wurden 1938 bis 1940 viele
Hauseingänge an der 1 300 Meter langen Wohnsiedlung Grazer Damm in
Berlin durch reliefierte Schlußsteine unterscheidbar gemacht. Plastischer
Schmuck konnte in Wolfsburg den Eingängen auch eine jeweils eigene Note
geben. "Eine heimatliche Note" klingt überzogen und trifft doch
das Programm. Ähnlich gefühlig hatte 1938 Gerdy Troost von dem "Streben"
geschrieben, "schöne, hohe Werktore zu schaffen - Pforten zur Arbeitsheimat!"
Das Programm der 32 Relief-Quader folgt der Einteilung des Deutschen Reiches
in Gaue. Ein gutes Drittel der 1940 bestehenden ist mit verschiedensten
Mitteln zitiert. Die beiden Blöcke für "Sachsen" stellen - wie
es damals auch in vielen Reden geschah - "Arbeit" (in Werk oder
Haus) neben "Feier" (einen Blick auf die Altstadt Dresdens,
von Halbfiguren mit Fackel und Lorbeerkranz flankiert). Auf heraldische
Angaben beschränkt sich eins der Reliefs für Halle-Merseburg.
Poetische Umschreibungen wie "Land der braunen Erde" (daneben) oder mundartliche
Devisen wie "hie gut Württemberg allwege" ergänzen einen Teil der Bilder.
Nur wenige - zum Beispiel das 1940 von Fried Heuler signierte Block-Paar
verwenden humanistisches Bildungsgut und er neuern den aus dem neunzehnten
Jahrhundert bekannten Widerspruch zu Motiven moderner Technik: der Flußgott
Moenus weist auf eine stilisierte deutsche Eiche, die ein Kugellager trägt,
Frankonia daneben betrachtet zwei Elektronenröhren. Außer industriellen
finden sich agrarische, jeweils landestypische Arbeiten und Produkte,
auch Paradieren in Brandenburg, Kriegsschiffe in Kiel. Diese beiden kriegerischsten
Darstellungen folgen am einfältigsten dem Vorbild von Zinnfiguren und
Abzeichen.
Das Anspruchsniveau der Reliefserie belegt, daß die geschmückte Schaufront
nicht den Berliner, Münchner und Nürnberger Monumentalbauten gleichgeschätzt
wurde, für die bevorzugte und heute wohlbekannte Bildbauer arbeiteten.
Die Signaturen am Volkswagenwerk - "Fried Heuler 1940", "Hosaeus",
"E. Kunst 1941", "Ed. Moeller" und "Fried W. Posoreck" verweisen auf Künstler
aus den jeweils symbolisierten Gauen.
Unpubliziert wie fast alle Relief-Blöcke und mit zwei Ausnahmen ("H. Röhricht",
sicherlich Wolf - damals "Wolff" - Röhricht und "Karl Gries / Nürnberg / 41")
ohne überlieferte Künstlernamen sind Gemälde, die die nördlichen Wände
der Säle im Randbau schmückten. Nur eine Alt-Nürnberger Szenerie konnte
1994 noch gezeigt werden. Photographien im VW-Archiv lassen weitere zyklische
Darstellungen ländlichen und städtischen Arbeits- und Kampfeslebens erkennen.
Neben und nach Architektur, Reliefplastik und Wandmalerei führten die
Speisesäle auch Kunsthandwerk und Gebrauchsgerät vor. Die Säle sind durch
Fenster vom Besuchergang aus einzusehen. Die Türen vom Besuchergang zu
den Treppenhäusern dazwischen haben geschmiedete Gitterbeschläge. Und
wie eine weitere Schwesterkunst wird in zeitgenössischen Photographien
die Formung des Gebrauchsgeräts nach Entwürfen des Amtes "Schönheit der
Arbeit" verdeutlicht.
Gegenüber diesem kunstgeschmückten Erholungsbereich hatte das Modell vom
Februar 1938 noch eine Steigerung versprochen. Westlich des Verwaltungsbaus
sollte ein "Feierplatz" einem "Gefolgschaftshaus" vorgelagert werden,
östlich daneben ein großes Sportgelände entstehen. Mewes hatte diesen
Partien des Modells seine Zeichnung vom Dezember 1937 zugrundegelegt.
Zwei Tage vor der Grundsteinlegung und noch im August 1938 sieht man stattdessen
Schupp & Kremmer mit dem Modifizieren und Neuplanen dieses Bereichs beschäftigt
(das heißt vermutlich: abgefunden). "Ehrenhof" und "Versammlungshalle
für 10 000 Besucher und Turnhalle" vom 24. Mai 1938 zeigen die Achsenbetonung,
die Symmetrisierung aller sichtbaren Teile, die pathetischen Stützenreihen
von Durchgangs-, Seiten- und Vorhallen wie an bekannten NS-Monumentalbauten.
Aufrißvarianten wie die vom 1. August 1938 lassen sich trotzdem nicht
hinreichend als Derivate eines Neoklassizismus bestimmen, setzen zum Beispiel
den Stichbogen als ein Motiv ein, das stattdessen mit "landschaftsgebundener"
Backsteinarchitektur und mit Fabrikbau konnotiert ist. Stichbogen waren
schon für eime offene Pfeilerstellung
auf dem Verwaltungshochhaus erwogen worden.
Daß sich Teile der monumentalen NS-Architektur dem Stilprädikat "Neoklassizismus"
entziehen, hat bereits Wolfgang Schäche (1979) betont.
Die gebaute und die geplante Architektur in Wolfsburg legen die These
nahe, daß Stil-Trends nicht einfach "je nach Bauaufgabe" verordnet
waren, sondern vor allem auf verschiedene Organisationen als Urheber zurückverweisen.
Die Deutsche Arbeitsfront unterhielt eine eigene Bauabteilung, seit 1934
unter Julius Schulte-Frohlinde, der auf die Volkswagenwerk-Planung freilich
keinen erkennbaren Einfluß hatte. Bauten unter der Ägide der DAF fallen
öfter durch Rückbezüge zur Architektur der 1920er Jahre auf. Herbert Richters
Berliner Bürogebäude für den DAF-Versicherungsring von 1936 - 38
knüpft an Erich Mendelsohns Haus des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes
(1929 / 30) an. Das Kraft durch Freude-"Seebad der 20 000"
auf Rügen enthält "moderne" Elemente, die heute als Argumente gegen den
drohenden Abriß angeführt werden.
Auch die repräsentativen Teile des geplanten Volkswagenwerks lassen vermuten,
daß die DAF sich damit zurückhielt, ihrer Zielgruppe neoklassizistisches
Architekturgehabe zuzumuten. Noch wahrscheinlicher ist, daß sie sich im
Gebrauch der architektonischen Hoheitszeichen von Staat und Partei zurückzuhalten
hatte. Indiz dafür, daß der DAF ein mittleres Anspruchsniveau zugewiesen
war, ist auch das Vorwiegen von Klinker in den Fassadenflächen.
Die Zwischenstellung des Baues zwischen moderner Industriearchitektur
und traditionalistischer Monumentalarchitektur unterstützt eine These
zu der immer noch umstrittenen Frage nach der Form-Spezifik von NS-Architektur:
Es gibt NS-Bauten unverwechselbarer Form, aber ein gleitender Übergang
verbindet sie mit solchen, die nur an ihrer Umgebung und (ursprünglichen)
Nutzung erkannt werden können. An Verwaltungsbauten der Industrie - auch
der privaten - hat dies schon Werner Kleinerüschkamp 1990 bemerkt.
Verbreitet ist eine Scheu davor, in dieser Frage die Möglichkeiten detaillierter
Formbeobachtung zu nutzen. Die kunstwissenschaftliche Formanalyse hatte
gerade zur Entstehungszeit der Bauten einen hohen Stand erreicht. Wenn
sich Autorlnnen heute damit brüsten, sie könnten NS-Architektur nicht
von anderer unterscheiden, so nehmen sie eine Position der Unterlegenheit
ein. Der bequeme Verzicht darauf, eine eigentümliche Formstruktur der
NS-Architektur zu ermitteln, schneidet auch die Möglichkeit ab, kunstwissenschaftliche
Strukturanalyse in eine solche des NS-Systems, zum Beispiel zur Polykratie-Frage,
einzubringen. Wo Formen der NS-Architektur nur noch mit Allerweltsprädikaten
wie "Neoklassizismus" oder "monumentale Ordnung" bedacht werden, ist oft
das Ziel deutlich, sie frei von einem spezifischen NS-Kontext zu kommentieren
und zu beliebiger Nutzung zu empfehlen. Aber nicht nur der politische
Zusammenhang wird dabei ignoriert, sondern schon der Konnex zu den Teilen
der NS-Architektur, die sich einer Neutralisierung nicht fügen, namentlich
den Lagerbauten. Darauf wird zurückzukommen sein.
Die Werkhallen des Volkswagenwerks, teilweise auch ihre Außenwände, wären
für sich betrachtet nicht als NS-Architektur zu erkennen. Das Ganze der
geplanten Anlage verrät aber modellhaft das Bestreben, die technisch bestimmten
Bauteile so zu ummanteln und zu umstellen, daß sie in eine sichtlich regimegeprägte
Architektur integriert werden. Das alte Problem einer Verschmelzung von
Ingenieurbau und künstlerischer Architektur war hier nochmals in Arbeit,
Schupp & Kremmer brachten es noch 1942 durch einen Aufsatz in Erinnerung.
Aber schon bevor der Bau des Volkswagenwerks begann, zeigte sich eine
gegenläufige Tendenz, die die geplante Synthese aller Modi der NS-Architektur
verhinderte. Die Produktionsstätten erhielten den Vorrang gegenüber den
"Sozialanlagen", und das Hochhaus samt dreier der Flügel, die
es mit dem Bau verbinden sollten, blieb ungebaut. Spätestens der Ausführungsplan
im Porsche-Archiv gab dies schon vor der Grundsteinlegung zu: Er enthält
für die technischen Bauten genaue Daten unter anderem zur Tragfähigkeit
der Böden, für das Hochhaus nichts dergleichen. Die Priorität des Kriegswichtigen
kündigt sich an. Die
dann - seit Anfang 1939 beschleunigt - realisierte Baustufe kommt schon
den Bauten nahe, die heute als modern und "eigengesetzlich" gefallen.
Aber gerade sie verdanken ihr Gesicht dem Krieg und damit erst recht der
Zielbestimmung der faschistischen Politik. Hierauf haben in letzter Zeit
besonders Ulrich Heiß und Wolfgang Voigt hingewiesen, aber üblich ist
es noch, solche Bauten aus ihrem Kontext gelöst zu preisen und abzubilden.
Vielleicht fördert es die historisch begründeten Gedankenverbindungen,
daß die Planungsgeschichte des Volkswagenwerks die auf Krieg orientierte
Verselbständigung des Modernen gegenüber dem repräsentativ Stilisierten
im Entstehen zeigt.
Was die Funktionen betrifft, so durchkreuzten sich Integration und Verselbständigung
aufgrund derselben Kausalitäten.
Auf dem Werksgelände konnten Schupp & Kremmer außer der Zentralküche nur
eine Turnhalle und eine Kampfbahn realisieren. Das Gemeinschaftshaus für
Versammlungen, Aufführungen und Feierabendbeschäftigung blieb ungebaut,
das Werk verlor die entsprechenden Funktionen auf Dauer an die Stadt jenseits
des Kanals.
"Verlor" ließe sich nicht sagen, wenn Werk und Stadt städtebaulich verknüpft
wären. Schupp & Kremmer hatten den Industriebau immer wieder als eine
städtebauliche Aufgabe bezeichnet: "[...] auch das Gemeinschaftshaus
eines Industriewerkes ist [...] als Baukörper zunächst einmal eine städtebauliche
Forderung. Dieser Baukörper bestimmt den Eingang zum Werk und bildet [...]
eine Art Vorhof zum Werk außerhalb des Tores." Wichtig war es ihnen
dabei, den Arbeitern in den Pausen den Aufenthalt "außerhalb des Tores"
anzubieten, statt das Werk abzusperren. Ihre städtebauliche Sichtweise
des projektierten Volkswagenwerks wird durch eine Zeichnung vom 24. Mai
1938 akzentuiert. Die Kanal-Brücke am Westrand des Werkskomplexes als
Vordergrundmotiv betont die Verbindung zur Stadt. Offenheit ist auch mit
der Einfahrt in einen Bootshafen angedeutet. Die Zeichnung selbst läßt
aber erkennen, daß solche Mittel und Mittelchen nicht die Kluft überbrücken
konnten, die mit dem Kanal vorgegeben war; sie wird durch den Gleiskörper
auf der Stadtseite noch verschärft, auch durch den unbebauten Streifen
vor der Werksfront, dessen Breite durch einkurvende Bahngleise bestimmt
war.
Anscheinend hat sich nur Roswitha Mattausch (1979, 1981) etwas näher damit
auseinandergesetzt, daß Werk und Stadt voneinander isoliert auftreten,
allenfalls "negativ aufeinander bezogen" sind. Auf die hölzernen Fußgängersteige
über den Kanal anspielend, verglich sie das Volkswagenwerk mit "einer
Festung, getrennt durch einen Wassergraben[,] über den zwei schmale Brücken
führen". Festungs-Assoziationen weckte die Schaufront, wo ihr bisher überhaupt
einige Zeilen galten, stets wegen der "bastionsartig" gereihten Vorsprünge.
Diese "Kammstruktur" war längst an Produktionsanlagen wie beim Kraftwerk
Klingenberg und Geschäftshäusern zum Beispiel der l.G. Farben in Frankfurt
am Main (1928 - 31 von Hans Poelzig) bekannt, aber in der NS-Architektur
wurde das Motiv geradezu eigensinnig repetiert und gesteigert, unter anderem
mit Rudolf Lodders' Entwurf für die Hauptverwaltung des "Reichsnährstandes"
in Goslar 1936. Beim Volkswagenwerk erinnern die Vorsprünge noch deutlicher
an die nach außen gewandten Bastionen einer Stadtmauer. Der ursprüngliche
Festungscharakter des
Motivs wird auch mit den anfänglich sechs Kesselhaus-Vorsprüngen am Ost-Ende
des Volkswagenwerks in Erinnerung gebracht.
Diesem Automobilwerk der DAF einen festungsartigen Aspekt zu verleihen,
ging mit Intentionen des Regimes überein. Der riesige, straff geordnete
Bau war im übertragenen Sinne ein Bollwerk gegen die angeblich häßlichen
Industriebau-Konglomerate aus dem stets höhnisch zitierten "liberalistischen
Zeitalter" mit seinem "freien Spiel der Kräfte". "Einheit" und "Geschlossenheit"
als Prädikate des Gebäudes argumentierten gegen die - in Wirklichkeit
hingenommene - Zersplitterung der Industrie in konkurrierende Firmen.
Der Volkswagen selbst bedeutete ja eine Demonstration gegen die im Krieg
unzweckmäßige Typenvielfalt der Kfz-Produktion.
Mit einem Bau, der wie das Volkswagenwerk "Front machte", konnte wohl
keine denkbare Wohnstadt eine "Einheit" bilden, besonders dann nicht,
wenn - ebenfalls im Sinne von Leitvorstellungen des Regimes - gegen die
gesundheitsschädliche Vermischung von Fabrikations- und Wohnanlagen, gegen
das abschreckende Beispiel des Ruhrgebiets gearbeitet werden sollte. Wie
der Stadtentwerfer Peter Koller dies versuchte, wie er zwischen einem
landschaftlich bestimmten kurvigen Duktus und Werkfront ähnlich rektangulären
und monotonen Partien schwankte, läßt sich nicht in Kürze analysieren.
Wo bisher darüber geschrieben wurde, galten die Ausführungen der teilweise
realisierten Stadtplanung, nicht aber der Stadt, wie sie wirklich gleichzeitig
und notwendig mit dem Werk entstand. Sie wurde erst durch eine stadtgeschichtliche
Ausstellung 1988 von neuem bekannt.
Der Blick vom Kraftwerksdach auf die Wohnstadt zeigte eine ausgedehnte,
von Februar bis Mai 1938 errichtete Barackensiedlung, das "Gemeinschaftslager".
Sein öffentlich zugänglicher Teil umfaßte provisorisch untergebrachte
Ämter und Banken. Als Dominante ist die Tullio-Cianetti-Halle zu erkennen.
Im Gemeinschaftslager wohnten zum Aufbau und Betrieb des Werks angeworbene
Arbeiter, großenteils Italiener. Das nach dem Führer der Organisation
"dopo lavoro" benannte Giebeldachhaus glich weitgehend den "Kraft durch
Freude"-Hallen, die 1936 zu den Olympischen Spielen in Berlin aufgebaut,
dann auf das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg verbracht worden waren.
Langgestreckte Gauben finden sich auch an einer alten Scheuer nahe dem
Schloß Wolfsburg. Den Giebel schmückten drei flache Holzskulpturen, die
wegen ihrer Ähnlichkeit
mit der etwas später herausgegebenen Winterhilfswerk-Abzeichen-Serie "Schaffende
Arbeit" als Arbeiter mit Schaufel, Bauleiter, mit Plan und Zimmermannsgeselle
bestimmt werden können - eine damals ohnehin allgegenwärtige Ikonographie.
Die Arbeit am Bau, nicht auch die in der Fabrik also war hier symbolisiert.
Innen herrschten ebenso leicht verständliche folkloristische Motive, auch
in zwei Reihen von "Feierabendräumen" mit geschnitzten Türschildern und
Wandmalerei auf Holzverkleidungen. Ein Holzbildhauer, so hatte die Aller-Zeitung
am 11. Juli 1938 angekündigt, würde dort "in aller Oeffentlichkeit" arbeiten
und auch Zuschauer in "diese[r] schöne[n] Kunst" unterrichten.
Ein ähnliches Vermittlungsbemühen ist vielleicht für die (noch nicht vollständig
mit Reliefs versehenen) Quader am Werk anzunehmen, die jedenfalls zum
Greifen nah und niedrig angebracht sind. Wie dort scheint an und in der
Cianetti-Halle das Begriffspaar "Arbeit" / "Heimat" bestimmend
gewesen zu sein, aber auch der berechnende Umgang mit einer Emotion, die
ein zentrales Thema sogenannter Trivialkunst ist: dem Heimweh. Es mußte
aus dem massenhaften Rekrutieren und Verschieben von Arbeitskräften entstehen
und gefährdete die sogenannte Arbeitsmoral. Das probate Gegenmittel, ein
Wechsel von harter Arbeit und Geselligkeit mit Landsleuten, war auch in
der Stadt des KdF-Wagens programmiert. Soweit bekannt, wiesen allerdings
die "Feierabendräume" nur Bilder deutscher Trachten und Bräuche auf, die
zugleich der Volksgemeinschafts-Propaganda dienen konnten.
Ein Versuch, das ephemere Ensemble des Gemeinschaftslagers aus dem Begriffsfeld
"Architektur" auszugrenzen, wäre schon wegen seines Zusammenhanges mit
der Werksarchitektur verfehlt. Es läßt sich als eine ungewollte, entlarvende
Parodie auf "Feierplatz" und "Gefolgschaftshaus" lesen, die man für den
westlichen Bereich des Werks angekündigt hatte und denen dieselben Aufgaben
zugedacht gewesen waren. Die dreiflügelige Hofanlage korrespondierte aber
auch mit einem - selbstverständlich traditionsgebundenen - Leitmotiv,
das an mehreren Stellen der geplanten steinernen Wohnstadt realisiert
wurde und das im ganzen Reich Anlagen verschiedener Funktion zum Antreten
geeignet zu machen hatte: unter den Bezeichnungen "Ehrenhof", "Feierplatz",
"Aufmarschplatz", "Stellplatz" und - mehrmals schon auf Betriebsgelände
- "Appellplatz".
In dem signifikanten Motiv des ausgeführten Volkswagenwerks, der Südfassade,
ist ein Konnex zum Lagerbau besonders deutlich. "Kamm-Stellung" ist auch
ein Fachausdruck für die Reibung paralleler Baracken, die ein Höchstmaß
an Platzausnutzung und Übersichtlichkeit schaffen soll. Das gleiche
Extrem zweckbestimmter Grundrißmonotonie prägt die Werksfassade, wurde
allerdings durch die Gedankenverbindung zum Festungsbau überhöht. So verweist
die Reihung des Bastions-Motivs erst recht auf das mit Türmen umstellte
Lager als ein Instrument und Merkzeichen des NS-Herrschaftssystems. Speers
(seit dem 11. Dezember 1937 gebautes) Nürnberger Märzfeld erinnerte schon
durch seinen Namen an ein fränkisches Heerlager; weitere Lagerkomplexe
schlossen sich ihm nördlich an.
Auf dem Boden des heutigen Wolfsburg waren mehrere Abstufungen des Lagersystems
sichtbar. Dem "Gemeinschaftslager" wurde 1943 ein "Ostlager" angefügt,
dessen Baracken im Blick von Norden links erscheinen. Hier wurden vor
allem zwangsverpflichtete und deportierte Arbeiter hinter Stacheldraht
verwahrt. Die Normbaracken waren so gereiht, daß sich zwischen ihnen keine
Höfe, Treffpunkte oder andere Nebenzentren abzeichneten. Am Westrand der
geplanten Stadt errichtete das Volkswagenwerk im April 1944 ein weiteres
Barackenlager: als Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme.
Klaus-Jörg Siegfrieds topographische Rekonstruktion dieser und weiterer
Lager, von denen keine Photographien gefunden wurden, zeigt, daß die Lager
nicht nur in das Straßennetz der unfertigen Wohnstadt eingepaßt waren,
sondern auch das Betriebsgelände durchsetzten. Das Sockelgeschoß des ursprünglichen
Werkzeugbau-Bereichs nahm 1944 ein Frauenkommando des KZ Neuengamme auf.
Im Keller der Gießerei, die Kohlbecker nordöstlich des Hafens erbaute,
bestand 1942 ein selbständiges KZ mit Häftlingen aus Neuengamme und Sachsenhausen,
deren fürchterliche Behandlung
sich durch diese Verlegung nicht verbesserte. Die Unterkunft im Bunker
erhielt den Namen "Arbeitsdorf". Werk und Lager, angebliche Arbeitsheimat
und sogenanntes "Arbeitsdorf" waren unter einem Dach vereint.
Die Definitionsfrage, ob auch einem Werk angeschlossene Wohnanlagen "lndustriearchitektur"
genannt werden sollten und ob Baracken und Kellerräume überhaupt "Architektur"
seien, wird hier vollends zur Frage des Begreifens von Zusammenhängen.
Im Funktionszusammenhang zwischen Industriebau und Konzentrationslager
wird der Zusammenhang von Kriegswirtschaft und KZ-System sichtbar. Er
ist gründlich belegt, wird aber trotzdem häufig als sekundär oder nebensächlich
bezeichnet. Daß die Praxis der Konzentrationslager im Kriege nicht nur
bürokratischer, sondern auch ökonomischer Rationalität folgte, belastet
noch. Denn das Prinzip ökonomischer Rationalität gilt weiter, kann noch
menschenfeindliche Konsequenzen hervorbringen.
Diese Sorge versuchte Leon Krier 1985 gegen die Industriemoderne zu mobilisieren.
Die von ihm gezeichnete "Parallele d'ensembles artistiques et industriels"
bringt das Volkswagenwerk mit Auschwitz-Birkenau und I.G. Farben Auschwitz
zusammen. Die Krupp-Werke und Dresdens Altstadt werden als vorindustrielle
Grundrißmuster dagegengesetzt. Kriers Parallelisierung ist formal nicht
schlüssig, zumal er das Volkswagenwerk
im Umriß von etwa 1955 ohne Lager zeigt. Seine Andeutung, daß industriell
rationalisiertes Arbeiten und Bauen menschenfeindliche Konsequenzen haben
müsse, läßt sich durch Formvergleiche anschaulich zur Diskussion stellen,
aber nur durch historische Recherche weiterbearbeiten.
An historischen Bezügen fehlt es indessen nicht, auch nicht an solchen
zum Thema des 23. Deutschen Kunsthistorikertages "Deutschland und seine
östlichen Nachbarn".
Schon 1940 waren polnische Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk tätig. Im
Herbst 1941 wählten Beauftragte Porsches in Durchgangslagern sowjetische
Kriegsgefangene aus und gaben das Signal für eine neue Phase der Arbeitskräftebeschaffung.
Die 1944 ins westlichste Sockelgeschoß eingesperrten ungarischen Jüdinnen
waren höchstwahrscheinlich aus Auschwitz gekommen. Dorthin war ein Werksingenieur
zwecks Auswahl geeigneter Arbeitskräfte entsendet worden.
Schupp & Kremmer errichteten ein Zweigbüro in Gleiwitz und bauten in Oberschlesien
unter anderem von 1939 bis 1944 das Hydrierwerk Blechhammer / Blachownia.
Busch (1980) nannte auch diese Arbeit "ordnende Gestaltung im gesamten
verfahrensmäßigen Anlagenbereich und architektonische Bearbeitung der
Werksbauten". In Blechhammer bestand ein Außenkommando des Konzentrationslagers
Auschwitz. Das Werk wurde nach Kriegsende demontiert.
Auch an vielen anderen Orten ist heute nicht mehr zu sehen, wie Fabriken
und Lager miteinander verknüpft waren. Wo die KZs zu Gedenkstätten ausgebaut
wurden, stand bei der Erhaltung der Gebäude und in der Gestik künstlerischer
Mahnmäler verständlicherweise die Erinnerung an Leiden und Vernichtung
im Vordergrund und ließ die kriegswirtschaftliche Ausbeutung der Insassen
zurücktreten. Mit dem Bewahren oder Rekonstruieren von Wohnbaracken und
Wohngebäuden, dem Verfallenlassen der Werksanlagen begann schon an Ort
und Stelle eine Tätigkeit, die das Leiden von einem Teil seiner Ursachen
trennt.
An Werken wie dem in Wolfsburg sind - umgekehrt - die sichtbaren Spuren
der KZ-Kommandos verschwunden, die Plätze der Lager verbaut, die Baracken
restlos abgerissen, die Bunker-Unterkünfte unter Verschluß. Daß die Erinnerung
dort aufrechterhalten bleibt, ist von der Image-Pflege der Firmen und
Gemeinden kaum zu erwarten.
Aber - das sei zum Schluß gesagt - regionale Geschichtswerkstätten und
Denkmalschutzämter haben bereits in einigen Fällen durchgesetzt, daß der
Konnex von Lager und Werk an den Stellen der damaligen KZs und der fortbestehenden
Industriewerke anschaulich bleibt. Auf dem Fabrikgelände in Salzgitter-Drütte
war unter einer 1940 / 41 erbauten Hochstraße im Herbst 1942
ein Außenkommando des KZ Neuengamme untergebracht worden. Bis April 1945
wurden etwa dreitausend Häftlinge von hundert SS-Leuten terrorisiert und
zur Arbeit gezwungen. Nach etwa zehnjährigen Bemühungen konnte ein "Arbeitskreis
Stadtgeschichte" dort 1993 einen Abschnitt der vergitterten Räume wiederherstellen.
Auf dem Lagergelände in Neuengamme wurde 1964 / 65 ein Hinweis
auf die Außenkommandos beim Volkswagenwerk ("Fallersleben") auch in Stein
gemeißelt. Das von Häftlingen 1939 / 40 gebaute Klinkerwerk
ist 1985 unter Denkmalschutz gestellt, pragmatischer Nutzung entzogen
und aufwendig restauriert worden. Manfred F. Fischer und Volker Konerding
haben in ihre publizierte Begründung dafür eine architekturwissenschaftliche
Erläuterung des Bauwerks einbezogen.
Eines der vielen Hindernisse bei solcher Arbeit besteht in dem Einwand,
daß die Denkformen und Fachausdrücke unserer Wissenschaft vor einem derart
schlimmen Thema haltmachen sollten. Der Einwand ist vor allem deshalb
nicht stichhaltig, weil kunstwissenschaftliche Begriffe auch kritisch
gebraucht werden können - und weil eine historische Analyse ohne wissenschaftlich
reflektiertes Sehen einen Teil des Geschobenen verfehlen würde.
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