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Ernst Mittig

Industriearchitektur des NS-Regimes:
das Volkswagenwerk



Treppenhaus der Südfassade mit Pfeilern aus "heimischem Muschelkalk"

Zur Agitation des NS-Regimes gehörte es, Architektur der Weimarer Republik zu diffamieren. Industriebauten wurden davon ausgenommen, konnten sogar "Dom der Arbeit", "Denkstein deutscher Ingenieurkunst" heißen. Bei Industriebauten, die seit 1933 entstanden, hat das NS-Regime moderne Formen geduldet, ja eingesetzt. Sie kontrastieren zu den Stilisierungsversuchen der monumentalen Staats- und Parteiarchitektur und denen des "bodenständigen" Siedlungsbaus.

Die Modernität des Industriebaus hat hauptsächlich drei Erklärungsversuche hervorgerufen. Bis heute gilt sie manchen als Absage unbeirrbarer Baukünstler an einen herrschenden neoklassizistischen Monumentalstil oder heimattümelnden Traditionalismus, eine Opposition aus ästhetischer oder gar politischer Überzeugung. Daß das Regime moderne Industriearchitektur geduldet hat, ist auf diesem Wege aber nicht zu erklären. Oder - zweitens - die Architekten werden in der Defensive gesehen, in einer "Nische" oder "Oase", wo das moderne Bauen wegen seiner Zweckmäßgkeit eine "Zuflucht" gefunden habe. Diese plausiblere Erklärung wird durch eine dritte ergänzt, die sich weitgehend durchgesetzt hat. Sie bemerkt an den architektonischen Hervorbringungen des NS-Regimes eine Hierarchie verschiedener Bauaufgaben, dreier Stile. Industriegebäude und technische Anlagen hätten danach auf der untersten Stufe gestanden; ein moderner Modus soll ihnen zugewiesen und dadurch zugleich deklassiert worden sein, ganz entsprechend einer antimodernen Kunstdoktrin. Fehl (1985) zählte Fabriken neben "andere[n] Zweckbauten" zu "offensichtliche[n] Aschenputtel-Aufgaben" auf "der untersten Ebene der Hierarchie" und fügte hinzu: "Selbstverständlich waren hier die Baustile der höchsten Ebene ausgeschlossen."

Das Bild einer Hierarchie von Architekturgattungen kompliziert sich dadurch, daß zum Beispiel angesichts von Kasernen-, Ordensburg- und Lagerarchitektur weitere Stufen und Zwischenstufen zu bemerken sind. Die These von der niedrigen Einstufung der Industriearchitektur jedoch kollidiert mit dem, was die Propaganda hören ließ, und mit dem Augenschein, den die Bauten gewähren.

Den Reichswerken Hermann Göring im heutigen Salzgitter, "eine[r] neue[n] Schmiede deutschen Eisens", war keine "Aschenputtel"-Rolle zugewiesen; auch dem Volkswagenwerk bei Fallersleben nicht, wenn es ein "der Gemeinschaft dienende[s] Monument [...] schaffender Arbeit, [...] Geist vom Geiste des Volkes" genannt wurde.

Die Wendung ins Geistige bestätigt es: Industriebauten dienten nicht nur unmittelbarem Zweck, sondern wurden zugleich propagandistisch genutzt. Für das Volkswagenwerk ist dies besonders gut bekannt; auch Bildberichte und Erzählungen von seiner Architektur unterstrichen das Versprechen eines Wagens für alle "Volksgenossen". Von vornherein war auf dem Werksgelände außer einer Einfahrbahn auch ein Hotel geplant, weil die Besteller ihren Wagen abholen und sich rechtzeitig mit ihm vertraut machen sollten. Das Volkswagenwerk wäre auf diese besondere Weise unter die Pilgerstätten aufgerückt, die das Regime außerhalb Berlins, Münchens und Nürnbergs einzurichten begann, zum Beispiel durch den Bau einer "Adolf-Hitler-Jugendherberge" in dem "Land [...], in dem das Haus des Führers steht". Die Erinnerung an die Reise zum Volkswagenwerk konnte um so dauerhafter sein, je stärker sich dieser Bau optisch einprägte: "Haften [...] bleibt, was man in Stein baut und in Eisen gießt."

Fabrikbauten in ein mißachtetes Abseits zu stellen, hätte auch gar nicht zu den anderswo auf Arbeit und Technik bezogenen hohen Tönen gepaßt. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) nannte ihr Volkswagenwerk ein "großes Olympia der Arbeit". Die Technik, der die Industriebauten doch dienten, wurde manchmal mit der Kunst auf eine Stufe gestellt. Zum Beispiel sagte Goebbels im September 1938: "Auch Technik ist Künstlertum". Das Zitat stammt aus seiner Laudatio für die Nationalpreisträger Fritz Todt, Ferdinand Porsche, Ernst Heinkel und Willy Messerschmitt. Die Reden des "Führers" lassen Themen-Schichten erkennen, die sich mit der besprochenen Dreischichtung von Monumental-, Heimat- und modernem Stil der Architektur parallelisieren lassen. Zwei Tage nach der neuerlichen Bekanntgabe des Volkswagen-Projektes auf der Deutschen Auto
mobilausstellung 1938 hielt Hitler eine Reichstagsrede, in der NS-ldeologie hochfahrend zelebriert wurde. Zum anderen berief sich Hitler in eher biederem Ton auf die sozialen Wohltaten im NS-Staat - unter Bezug auf den Siedlungsbau. Ein dritter, größter Anteil der Propagandarede sollte den Zuhörern mit einer Flut statistischer, insbesondere technischer Daten zum Aufschwung des Reichs imponieren.

Daß die von Technik geprägten Bauten im Gesamten der Architektur des Regimes eine untergeordnete Rolle gespielt hätten, ist also übertrieben. Geradezu falsch ist aber die oft mit den drei Erklärungsversuchen gepflegte Vorstellung, die Industriearchitektur sei ein Bereich für sich gewesen, abgegrenzt wie eine "Nische" oder vereinzelt wie eine "Oase".

Zur Industriearchitektur werden allgemein auch repräsentative Verwaltungsgebäude gerechnet, soweit sie mit der Fabrik räumlich verbunden sind. Wenn es auf Zusammenhang der Funktionen und Identität des Auftraggebers ankommt, so sind ebensowohl Bauten zur Unterbringung der Arbeitskräfte einzubeziehen, soweit sie mit einer Fabrik erstellt werden. Nach diesem Definitionsvorschlag kann "Industriearchitektur des NS-Regimes" selbst schon monumentale, "heimatliche" und moderne Stilistik - also dreierlei - umfassen, statt sich ins unterste Feld ihrer Hierarchie einzuordnen. Der Industriebau wäre dann weniger ein aus NS-typischen Architekturbereichen ausgegrenztes Sondergebiet, vielmehr wäre gerade seine Integration in ein mehrschichtiges Ganzes von Regime-Architektur festzustellen. Wie sehr weit diese Integration ging, kann einer der größten Industriebauten der Zeit zeigen: das Volkswagenwerk.

Bei Fallersleben, im heutigen Wolfsburg, sollten nach offiziöser Proklamation "Produktionsstätten, Verkehrseinrichtungen, Gemeinschaftsbauten und Wohnsiedlungen als eine geschlossene Einheit" erstehen. "Geschlossen" entlarvt sich von vornherein als Phrase. Geplant und realisiert war die Positionierung nahe den Reichswerken Hermann Göring als Zulieferern; das Ausbildungswerk (Vorwerk) des Volkswagenwerks entstand gleichzeitig in Braunschweig. Wie seit Rolf Wagenführ (1954) immer wieder gezeigt wurde, stand die Gründung eines Industriekomplexes Stadt des KdF-Wagens / Braunschweig / Stadt der Hermann-Göring-Werke in "wehrgeographischem" Zusammenhang. Sie bot Vorteile gegenüber einem weiteren Ausbau des grenznahen Ruhrgebiets.

Die Produktion eines Kraftwagens anzukündigen und vorzubereiten, der angeblich für jeden erschwinglich sein sollte, war eine der langfristigen Aktivitäten, mit denen das NS-Regime für sich warb. Die Sparer, die die Produktion mit einer Viertelmilliarde Reichsmark finanziert hatten, bekamen den versprochenen Wagen aber nicht. Denn das fast fertiggestellte, zum Teil schon mit Maschinen bestückte Werk wurde kurz nach Kriegsbeginn für Rüstungsproduktion eingerichtet. Es lieferte unter anderem Fliegerbomben, Bestandteile und Zubehör von Panzerwagen und Kampfflugzeugen, ab 1942 insgesamt 52 000 Kübelwagen, die militärische Version des Volkswagens, ab 1943 13 000 bis 14 000 V1 Flugbomben. 1943 erhielt das Werk den Titel "Kriegsmusterbetrieb", sein Leiter Porsche stieg in eine Schlüsselposition der staatlichen Rüstungslenkung auf. Als Waffenfabrik wurde das Werk im Juni 1944 bombardiert.

Bis heute ist strittig, ob die Rolle als Rüstungsbetrieb zur Interpretation und Einschätzung des Bauwerks herangezogen werden darf, das doch der Herstellung ziviler Kraftfahrzeuge gewidmet gewesen war. Aber schon Anfang 1934 hatte Porsche geltend gemacht, daß der Volkswagen - nach einem "einfachen Wechsel der Karosserie" - militärisch verwendbar sein werde; auch Hitler hatte dies verlangt. Schon die Ankündigung eines zivilen Volkswagens setzte eine Propaganda für die Motorisierung des deutschen Volkes um; diese gehörte in einem auf motorisierte Kriegführung ausgerichteten Staat zur Wehrertüchtigung. Porsche wurde 1935 in die Oberste Nationale Sportbehörde für die Deutsche Kraftfahrt berufen. Wenig beachtet wird, daß 1936 mit und nahe dem Reichssportfeld die Autostrecke Avus ausgebaut wurde, die wie dieses mit Skulpturen geschmückt werden sollte. Auch als das Volkswagenwerk 1939 / 40 zunächst Gelegenheits- oder "Verlegenheits"-Aufträge hereinnahm, die nichts
mit der Automobilproduktion zu tun hatten, setzte sich darin doch eine ursprüngliche Eignung durch. Leere Fabrikanlagen sind Rüstungspotential, Umstellung und Umnutzung ziviler Produkionsstätten waren aus dem Ersten Weltkrieg bekannt.

Erfahrung mit der kostensparenden Massenproduktion von Zivilfahrzeugen boten amerikanische Werke, und so reiste Porsche mehrmals in die USA und brachte aus den Ford-Werken auch Techniker, wie es heißt: deutsch-amerikanische, nach Deutschland. Fritz Kuntze, wohl einer davon, signierte 1937 einen wenig durchgearbeiteten Plan, der im Werksarchiv (Stiftung AutoMuseum Volkswagen, Wolfsburg) erhalten ist. Zwischen dem Mittellandkanal und einer parallel dazu an- gelegten Autostraße erstrecken sich vier Flachbauten mit Shed-Dächern. Der westlichste (falls dieser Plan bereits genordet ist) hat zwei Randbauten und ist auf der Kanalseite mit einem vier stöckigen Gebäude für Lehrlingsausbildung verbunden. Das Ufer springt hier so vor, daß sich ein Vorplatz abzeichnet. Er vermittelt zu einem dreiflügeligen Verwaltungsgebäude. Locker angefügt sind auch eine "Abholegarage" mit "Verladebahnhof" und eine Werkstatt ("Überholen") zu erkennen. Am östlichen Ende der Bauflucht ist ein Kraftwerk vorgesehen, auf dessen massige Form zwei Eckbastionen des hintersten Flachbaus vorbereiten. Die der Stadt zugekehrte Uferseite, noch nicht Uferfront, erscheint abwechslungsreich, wenig zusammengefaßt.

Ein Historikerteam Hans Mommsens bezeichnet das Fordsche Hauptwerk River Rouge in Dearborn / Detroit (von Albert Kahn) als Vorlage. Es vereinigte die Produktionsbereiche nach den Prinzipien Henry Fords auf einer Ebene und diente der Montage unter einem Dach, zeigte aber - nach Bauzeiten von 1917 bis 1933 - sehr vielfältige Formen. Es weist Randbauten auf, die
schmucklose Fabrikhallen einfassen. Ein deutsches Beispiel dafür waren Karl Janischs und Carl Dihlmanns viergeschossige "Schauseiten" des Dynamowerks in Berlin-Siemensstadt (1906 / 07 und 1910).

Die Produktionsbereiche des Volkswagenwerks durch eine Schaufront zusammenzufassen, gehörte möglicherweise zu den Vorgaben eines Wettbewerbs der Deutschen Arbeitsfront. Beteiligt waren die Architekten Emil Rudolf Mewes, der für den Bochumer Verein AG 1935 bis 1936 langgestreckte Werkhallen mit einem repräsentativen Verwaltungshochhaus verbunden hatte, Fritz Schupp mit Martin Kremmer, deren Schachtanlage Zollverein 12 in Essen-Katernberg (1927-1932) bald darauf wie ein NS-Bau gerühmt wurde, und Karl Kohlbecker, den seit 1933 die Daimler-Benz AG beschäftigte. Sie fehlen fast gänzlich in den bisher vorliegenden Überblicken zur NS-(nämlich vor allem Repräsentations- und Siedlungs-)Architektur. Am 11. Dezember 1937 entschied Hitler, alle Genannten sollten unter der künstlerischen Oberleitung Mewes' weiterarbeiten. Kohlbecker erhielt die örtliche Bauleitung.

Nach dem Verlust der einschlägigen DAF-Akten stehen noch teilweise unbeschriftete Photographien von Planzeichnungen und Gipsmodellen im Werksarchiv AutoMuseum Volkswagen zur Verfügung. Sicher zu bestimmen ist auf Grund illustrierter Zeitungsberichte ein großes Modell, das im Februar 1938 auf der Deutschen Automobil-Ausstellung als Ergebnis der befohlenen Zusammenarbeit gezeigt wurde. Es bildet Ausgangsmaterial für die Frage, welche Pläne und Modelle welchem Architektenbüro zuzuschreiben sind und welche ihrer Gedanken in das ausgeführte Werk eingingen. Die Front am Kanal erstreckt sich vom Kraftwerk, einem nach Osten aufgestuften Block, zu einem Verwaltungshochhaus an viereckiger Hofanlage. Das Modell umfaßt im Norden eine zweite und eine dritte Ausbaustufe mit Shed-Dächern und Randbauten.

Wie die Reihe der Produktionsbereiche Werkzeugbau, Preßwerk, Karosseriebau und mechanische Werkstatt durch eine Südfassade zusammengefaßt werden sollte, hatte Mewes sich anfänglich anders vorgestellt. Sein Vorentwurf ist an der Bezeichnung "Köln, im Dezember 1937 / Der Architekt Emil Rudolf Mewes" zu erkennen - am 11. Dezember 1937 hatte Hitler ja über die drei Konkurrenzentwürfe entschieden. Aus der Front am Mittellandkanal sollten elf Speisehäuser vorspringen, die im Osten nicht mit dem Kraftwerk fluchten, so daß der Blick hier zu einem Walzwerk östlich des Hafens weitergeht. Ein Modellphoto veranschaulicht dies und zeigt, wie Mewes die im Süden abgerundeten Speisehäuser mit dem Randbau oberhalb von Durchfahrten verbinden wollte. Das war ein architektonisches Signal für die letzte große Aktion des DAF-Amtes "Schönheit der Arbeit" (1937 / 38): Die Unternehmen sollten allen Beschäftigten eine billige, warme Mahlzeit ermöglichen. Vorspringende Speisehäuser sollten auch das "Bad der 20 000" in Prora / Rügen gliedern, die andere Kilometerarchitektur der DAF (entworfen 1935 von Clemens Klotz). Mewes' erster Entwurf für das Voliswagenwerk wurde wohl schon deshalb nicht durchgesetzt, weil der Weg von den nördlichsten Arbeitsplätzen der Ausbaustufe zu den Speisehäusern etwa 750 Meter lang gewesen wäre.

Diesen Nachteil vermied ein weiterer Entwurf, den Wilhelm Busch 1980 veröffentlichte und (nach mündlicher Mitteilung) mit Schupp & Kremmers Konkurrenzentwurf identifizierte. Die Speisehäuser der Ausbaustufe bilden im Hintergrund eine Doppelreihe. Auch andere Gebäude werden möglichst zur Achsenbildung genutzt; so soll das Kraftwerk - für das Anlegen der Kohlenschiffe unpraktisch - am schmalen Ende des Stichkanals stehen. Das Kraftwerk ist also nicht als Akzent der südlichen Front, folgerichtig auch kein Hochhaus als Pendant vorgesehen. Das Bild der Südfront wird noch lockerer dadurch, daß die Speisehäuser gegen die Treppenhausvorsprünge versetzt stehen und nur durch brückenartige Gänge mit der Fassade verbunden werden sollten.

Ein drittes Entwurfskonzept ist wieder durch Plan- und Modellphotographien im VW-Archiv faßbar. Die Beischrift des Planes "Volkswagenwerk GmbH Zweigst. Stuttg." - gegründet erst 1938 - zusammen mit der nachträglichen Datierung "1936 - 37" macht wahrscheinlich, daß der Zeichnung ein Vorentwurf aus dem Umkreis Porsches
zugrundeliegt, für den dann als Urheber sein Bekannter Kohlbecker (in Gaggenau / Baden) übrigbleibt. Nicht sicher ausschließen läßt sich allerdings, daß diese Zeichnung - das heißt die erhaltene unscharfe Photographie - und die Aufnahme eines sehr ähnlichen Modells einen Planungsstand wiedergeben, der erst nach dem Februar 1938 unter der Gesamtleitung Mewes' erreicht wurde.

Maßgebend für den ausgeführten Bau brachte dieser Entwurf die Speisesäle sparsam im Randbau unter, so daß Vorsprünge der südlichen Gebäudefront stattdessen Treppenhäuser aufnehmen konnten. Eine zweite Baustufe - nördlich davon - sollte diese Anordnung wiederholen. Das Kraftwerk - rechts, neben dem Hafenbecken - erhält nach diesem Entwurf am anderen, linken Ende der Fassade ein Pendant in einem ungefähr flächengleichen Vierflügel- und Turmhausbau. Weiter links (westlich) sind unter anderem ein "Stadion" und - in axialem Bezug - eine "Versammlungshalle" eingezeichnet. Nördlich von alledem erstrecken sich Bahnanlagen und die Autoeinfahrbahn mit zwei kreisrunden Kehren.

Die innere Aufteilung des ausgeführten Baus ist auf einer kolorierten Pause im Historischen Archiv der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG (Stuttgart) zu erkennen. Sie zeigt den ersten Bauabschnitt für 9000 "Mann" je Schicht - ohne die Verwaltungskräfte. Die Speisesäle - grün umrandet - bleiben in den Randbau verlegt. Zwischen den Sälen weist der Plan quadratische Bereiche aus, in denen niedrige Vestibüle zu den Treppenhäusern vermitteln und zugleich zu zwei Gängen, die sich zwischen den Randbau und den Produktionsbereich legen. Der obere war und blieb "Besucher- gang", gewährt nach Norden den Blick in die Werkhallen. Säle und Hallen ruhen auf einem vier Meter hohen Sockelgeschoß, das wie ein Keller genutzt und oft auch benannt wird. Das oberste Geschoß enthält Büros, ebenso ein Zwischengeschoß über den Vestibülen. Für die Treppenhäuser ergeben sich vier Ebenen.

Die Geschoßordnung zeichnet sich außen auch der Funktion nach summarisch ab: Einfahrtstore zwischen den vier Produktionsbereichen unterbrechen das Sockelgeschoß und lassen zum Teil Bahngeleise ein, steil hochrechteckige Fenster mit Balkons kennzeichnen das Saalgeschoß darüber, Rundfenster machen die Zwischengeschosse erkennbar; die Treppenhäuser haben wiederum Fensternischen, die durch Zwischendecken unterteilt sind.

Die Südfassaden der Treppenhäuser setzen eine sehr niedrige Erdgeschoß- gegen eine Oberzone ab. Den Eingang flankieren Wandpfeiler, die außen durch scharrierte Lisenen mit nochmals vorspringenden Quadern verstärkt werden (all dies aus "heimischem Muschelkalk"; das struktive Gerüst besteht aus armiertem Beton). Die Pfeiler setzen sich oberhalb des Vordachs fort und rahmen die Treppenhausfenster. Aber entgegen einem Standardmotiv monumentaler NS-Architektur schließt sich dieser Rahmen oben an der Dachkante kaum; nur ein schmaler Werkstein-Sturz erinnert an die hart umgrenzende Rahmung von Fenstern wie an den Sälen daneben oder zum Beispiel am Flughafen Berlin-Tempelhof (Ernst Sagebiel ab 1937), wo auch die Traufkante der Fassade durchläuft. Die Wandpfeiler der Wolfsburger Treppenhäuser springen weit vor, ihr Vertikalzug durchbricht die Silhouette des Baus, endet oben offen, wie es schärfer zum Beispiel an Paul Bonatz' Düsseldorfer Stumm-Haus (1922-1925) vorgeführt worden war. Am Volkswagenwerk bilden Klinker-Rippen neben den Wandpfeilern geriefelte Lisenen und vermitteln so zu der glatten Wand. Vertikalstäbe mit quadratischem Querschnitt kehren in Wandvertäfelungen und Pilasterverkleidungen der Säle wieder.

Klinkerfassaden umfassen die Produktionsbereiche auch im Norden, im Westen und im Osten mit kleineren Treppenhäusern, deren Formen von denen der Hauptseite abgeleitet sind. Shed-Profile waren an den West- und Ostseiten, auch entlang den drei ursprünglich nicht überdachten Durchfahrten zwischen den Produktionsbereichen zu sehen. Vermieden wurde aber jeder Versuch, aus der Form der Oberlichter neuartige Fassadenbilder abzuleiten wie gleichzeitig bei Kahn in Dearborn / Detroit.

Motive der NS-Monumentalarchitektur, des neusachlichen Bauens und expressionistischer
Klinkerarchitektur treffen auch am Kraftwerk, einem Stahlskelettbau, aufeinander - wenig vermittelt am Eingangsbau der Südostecke, der klotzigen Werkstein gegen abgefaste Klinker-Rippen setzt. Die abschließende Pfeilerstellung erinnert an die Bekrönung des Hochhauses beim Kraftwerk Klingenberg in Berlin (1925 -1927 von Walter Klingenberg und Werner Issel), aber zugleich an NS-Monumentalbauten wie Albert Speers Pfeilerkolonnade des Nürnberger Zeppelinfeldes, die damals ständig - auch in der Werkszeitschrift des Volkswagenwerks - abgebildet wurde. Planungsvarianten zum Hochhaus am anderen Ende der Kanalfront zeigen eine korrespondierende Pfeilerstellung auf einem Haus, das einen "Raum des Führers" enthalten sollte.

Das Ganze der Schaufront gleicht Hauptwerken der NS-Architektur vor allem durch obstinate Formwiederholung, Gleichförmigkeit als Prinzip, beabsichtigte Monotonie. Einhämmernde Wiederholung war von Hitler und Goebbels als Überredungsmittel angewandt und ausdrücklich gepriesen worden. Hier scheint sie ins Visuelle übersetzt.

Die Reihung der ursprünglich neunzehn Zugänge bewirkt, daß der Weg zum jeweiligen Arbeitsplatz innerhalb des Gebäudes optimal kurz ist. Die Länge der Front - mehr als 1 300 Meter - verhindert aber, daß die Fassade als Ganzes überschaut wird. Die Architektur läßt großenteils nicht ermessen, welches Treppenhaus dem aufzusuchenden Arbeitsplatz entspricht. Diesem Orientierungsdefizit nicht nur durch Anbringen von Nummern abzuhelfen, ist eine Funktion unterscheidenden plastischen Schmucks. Vergleichbar - und wiederum nicht ohne ältere Vorbilder - wurden 1938 bis 1940 viele Hauseingänge an der 1 300 Meter langen Wohnsiedlung Grazer Damm in Berlin durch reliefierte Schlußsteine unterscheidbar gemacht. Plastischer Schmuck konnte in Wolfsburg den Eingängen auch eine jeweils eigene Note geben. "Eine heimatliche Note" klingt überzogen und trifft doch das Programm. Ähnlich gefühlig hatte 1938 Gerdy Troost von dem "Streben" geschrieben, "schöne, hohe Werktore zu schaffen - Pforten zur Arbeitsheimat!"

Das Programm der 32 Relief-Quader folgt der Einteilung des Deutschen Reiches in Gaue. Ein gutes Drittel der 1940 bestehenden ist mit verschiedensten Mitteln zitiert. Die beiden Blöcke für "Sachsen" stellen - wie es damals auch in vielen Reden geschah - "Arbeit" (in Werk oder Haus) neben "Feier" (einen Blick auf die Altstadt Dresdens, von Halbfiguren mit Fackel und Lorbeerkranz flankiert). Auf heraldische Angaben beschränkt sich eins der Reliefs für Halle-Merse
burg. Poetische Umschreibungen wie "Land der braunen Erde" (daneben) oder mundartliche Devisen wie "hie gut Württemberg allwege" ergänzen einen Teil der Bilder. Nur wenige - zum Beispiel das 1940 von Fried Heuler signierte Block-Paar verwenden humanistisches Bildungsgut und er neuern den aus dem neunzehnten Jahrhundert bekannten Widerspruch zu Motiven moderner Technik: der Flußgott Moenus weist auf eine stilisierte deutsche Eiche, die ein Kugellager trägt, Frankonia daneben betrachtet zwei Elektronenröhren. Außer industriellen finden sich agrarische, jeweils landestypische Arbeiten und Produkte, auch Paradieren in Brandenburg, Kriegsschiffe in Kiel. Diese beiden kriegerischsten Darstellungen folgen am einfältigsten dem Vorbild von Zinnfiguren und Abzeichen.

Das Anspruchsniveau der Reliefserie belegt, daß die geschmückte Schaufront nicht den Berliner, Münchner und Nürnberger Monumentalbauten gleichgeschätzt wurde, für die bevorzugte und heute wohlbekannte Bildbauer arbeiteten. Die Signaturen am Volkswagenwerk - "Fried Heuler 1940", "Hosaeus", "E. Kunst 1941", "Ed. Moeller" und "Fried W. Posoreck" verweisen auf Künstler aus den jeweils symbolisierten Gauen.

Unpubliziert wie fast alle Relief-Blöcke und mit zwei Ausnahmen ("H. Röhricht", sicherlich Wolf - damals "Wolff" - Röhricht und "Karl Gries / Nürnberg / 41") ohne überlieferte Künstlernamen sind Gemälde, die die nördlichen Wände der Säle im Randbau schmückten. Nur eine Alt-Nürnberger Szenerie konnte 1994 noch gezeigt werden. Photographien im VW-Archiv lassen weitere zyklische Darstellungen ländlichen und städtischen Arbeits- und Kampfeslebens erkennen.

Neben und nach Architektur, Reliefplastik und Wandmalerei führten die Speisesäle auch Kunsthandwerk und Gebrauchsgerät vor. Die Säle sind durch Fenster vom Besuchergang aus einzusehen. Die Türen vom Besuchergang zu den Treppenhäusern dazwischen haben geschmiedete Gitterbeschläge. Und wie eine weitere Schwesterkunst wird in zeitgenössischen Photographien die Formung des Gebrauchsgeräts nach Entwürfen des Amtes "Schönheit der Arbeit" verdeutlicht.

Gegenüber diesem kunstgeschmückten Erholungsbereich hatte das Modell vom Februar 1938 noch eine Steigerung versprochen. Westlich des Verwaltungsbaus sollte ein "Feierplatz" einem "Gefolgschaftshaus" vorgelagert werden, östlich daneben ein großes Sportgelände entstehen. Mewes hatte diesen Partien des Modells seine Zeichnung vom Dezember 1937 zugrundegelegt. Zwei Tage vor der Grundsteinlegung und noch im August 1938 sieht man stattdessen Schupp & Kremmer mit dem Modifizieren und Neuplanen dieses Bereichs beschäftigt (das heißt vermutlich: abgefunden). "Ehrenhof" und "Versammlungshalle für 10 000 Besucher und Turnhalle" vom 24. Mai 1938 zeigen die Achsenbetonung, die Symmetrisierung aller sichtbaren Teile, die pathetischen Stützenreihen von Durchgangs-, Seiten- und Vorhallen wie an bekannten NS-Monumentalbauten. Aufrißvarianten wie die vom 1. August 1938 lassen sich trotzdem nicht hinreichend als Derivate eines Neoklassizismus bestimmen, setzen zum Beispiel den Stichbogen als ein Motiv ein, das stattdessen mit "landschaftsgebundener" Backsteinarchitektur und mit Fabrikbau konnotiert ist. Stichbogen waren schon für eime offene Pfeiler
stellung auf dem Verwaltungshochhaus erwogen worden.

Daß sich Teile der monumentalen NS-Architektur dem Stilprädikat "Neoklassizismus" entziehen, hat bereits Wolfgang Schäche (1979) betont.
Die gebaute und die geplante Architektur in Wolfsburg legen die These nahe, daß Stil-Trends nicht einfach "je nach Bauaufgabe" verordnet waren, sondern vor allem auf verschiedene Organisationen als Urheber zurückverweisen. Die Deutsche Arbeitsfront unterhielt eine eigene Bauabteilung, seit 1934 unter Julius Schulte-Frohlinde, der auf die Volkswagenwerk-Planung freilich keinen erkennbaren Einfluß hatte. Bauten unter der Ägide der DAF fallen öfter durch Rückbezüge zur Architektur der 1920er Jahre auf. Herbert Richters Berliner Bürogebäude für den DAF-Versicherungsring von 1936 - 38 knüpft an Erich Mendelsohns Haus des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (1929 / 30) an. Das Kraft durch Freude-"Seebad der 20 000" auf Rügen enthält "moderne" Elemente, die heute als Argumente gegen den drohenden Abriß angeführt werden.

Auch die repräsentativen Teile des geplanten Volkswagenwerks lassen vermuten, daß die DAF sich damit zurückhielt, ihrer Zielgruppe neoklassizistisches Architekturgehabe zuzumuten. Noch wahrscheinlicher ist, daß sie sich im Gebrauch der architektonischen Hoheitszeichen von Staat und Partei zurückzuhalten hatte. Indiz dafür, daß der DAF ein mittleres Anspruchsniveau zugewiesen war, ist auch das Vorwiegen von Klinker in den Fassadenflächen.

Die Zwischenstellung des Baues zwischen moderner Industriearchitektur und traditionalistischer Monumentalarchitektur unterstützt eine These zu der immer noch umstrittenen Frage nach der Form-Spezifik von NS-Architektur: Es gibt NS-Bauten unverwechselbarer Form, aber ein gleitender Übergang verbindet sie mit solchen, die nur an ihrer Umgebung und (ursprünglichen) Nutzung erkannt werden können. An Verwaltungsbauten der Industrie - auch der privaten - hat dies schon Werner Kleinerüschkamp 1990 bemerkt.

Verbreitet ist eine Scheu davor, in dieser Frage die Möglichkeiten detaillierter Formbeobachtung zu nutzen. Die kunstwissenschaftliche Formanalyse hatte gerade zur Entstehungszeit der Bauten einen hohen Stand erreicht. Wenn sich Autorlnnen heute damit brüsten, sie könnten NS-Architektur nicht von anderer unterscheiden, so nehmen sie eine Position der Unterlegenheit ein. Der bequeme Verzicht darauf, eine eigentümliche Formstruktur der NS-Architektur zu ermitteln, schneidet auch die Möglichkeit ab, kunstwissenschaftliche Strukturanalyse in eine solche des NS-Systems, zum Beispiel zur Polykratie-Frage, einzubringen. Wo Formen der NS-Architektur nur noch mit Allerweltsprädikaten wie "Neoklassizismus" oder "monumentale Ordnung" bedacht werden, ist oft das Ziel deutlich, sie frei von einem spezifischen NS-Kontext zu kommentieren und zu beliebiger Nutzung zu empfehlen. Aber nicht nur der politische Zusammenhang wird dabei ignoriert, sondern schon der Konnex zu den Teilen der NS-Architektur, die sich einer Neutralisierung nicht fügen, namentlich den Lagerbauten. Darauf wird zurückzukommen sein.

Die Werkhallen des Volkswagenwerks, teilweise auch ihre Außenwände, wären für sich betrachtet nicht als NS-Architektur zu erkennen. Das Ganze der geplanten Anlage verrät aber modellhaft das Bestreben, die technisch bestimmten Bauteile so zu ummanteln und zu umstellen, daß sie in eine sichtlich regimegeprägte Architektur integriert werden. Das alte Problem einer Verschmelzung von Ingenieurbau und künstlerischer Architektur war hier nochmals in Arbeit, Schupp & Kremmer brachten es noch 1942 durch einen Aufsatz in Erinnerung.

Aber schon bevor der Bau des Volkswagenwerks begann, zeigte sich eine gegenläufige Tendenz, die die geplante Synthese aller Modi der NS-Architektur verhinderte. Die Produktionsstätten erhielten den Vorrang gegenüber den "Sozialanlagen", und das Hochhaus samt dreier der Flügel, die es mit dem Bau verbinden sollten, blieb ungebaut. Spätestens der Ausführungsplan im Porsche-Archiv gab dies schon vor der Grundsteinlegung zu: Er enthält für die technischen Bauten genaue Daten unter anderem zur Tragfähigkeit der Böden, für das Hochhaus nichts dergleichen. Die Priorität des Kriegswichtigen
kündigt sich an. Die dann - seit Anfang 1939 beschleunigt - realisierte Baustufe kommt schon den Bauten nahe, die heute als modern und "eigengesetzlich" gefallen. Aber gerade sie verdanken ihr Gesicht dem Krieg und damit erst recht der Zielbestimmung der faschistischen Politik. Hierauf haben in letzter Zeit besonders Ulrich Heiß und Wolfgang Voigt hingewiesen, aber üblich ist es noch, solche Bauten aus ihrem Kontext gelöst zu preisen und abzubilden. Vielleicht fördert es die historisch begründeten Gedankenverbindungen, daß die Planungsgeschichte des Volkswagenwerks die auf Krieg orientierte Verselbständigung des Modernen gegenüber dem repräsentativ Stilisierten im Entstehen zeigt.

Was die Funktionen betrifft, so durchkreuzten sich Integration und Verselbständigung aufgrund derselben Kausalitäten.

Auf dem Werksgelände konnten Schupp & Kremmer außer der Zentralküche nur eine Turnhalle und eine Kampfbahn realisieren. Das Gemeinschaftshaus für Versammlungen, Aufführungen und Feierabendbeschäftigung blieb ungebaut, das Werk verlor die entsprechenden Funktionen auf Dauer an die Stadt jenseits des Kanals.

"Verlor" ließe sich nicht sagen, wenn Werk und Stadt städtebaulich verknüpft wären. Schupp & Kremmer hatten den Industriebau immer wieder als eine städtebauliche Aufgabe bezeichnet: "[...] auch das Gemeinschaftshaus eines Industriewerkes ist [...] als Baukörper zunächst einmal eine städtebauliche Forderung. Dieser Baukörper bestimmt den Eingang zum Werk und bildet [...] eine Art Vorhof zum Werk außerhalb des Tores." Wichtig war es ihnen dabei, den Arbeitern in den Pausen den Aufenthalt "außerhalb des Tores" anzubieten, statt das Werk abzusperren. Ihre städtebauliche Sichtweise des projektierten Volkswagenwerks wird durch eine Zeichnung vom 24. Mai 1938 akzentuiert. Die Kanal-Brücke am Westrand des Werkskomplexes als Vordergrundmotiv betont die Verbindung zur Stadt. Offenheit ist auch mit der Einfahrt in einen Bootshafen angedeutet. Die Zeichnung selbst läßt aber erkennen, daß solche Mittel und Mittelchen nicht die Kluft überbrücken konnten, die mit dem Kanal vorgegeben war; sie wird durch den Gleiskörper auf der Stadtseite noch verschärft, auch durch den unbebauten Streifen vor der Werksfront, dessen Breite durch einkurvende Bahngleise bestimmt war.

Anscheinend hat sich nur Roswitha Mattausch (1979, 1981) etwas näher damit auseinandergesetzt, daß Werk und Stadt voneinander isoliert auftreten, allenfalls "negativ aufeinander bezogen" sind. Auf die hölzernen Fußgängersteige über den Kanal anspielend, verglich sie das Volkswagenwerk mit "einer Festung, getrennt durch einen Wassergraben[,] über den zwei schmale Brücken führen". Festungs-Assoziationen weckte die Schaufront, wo ihr bisher überhaupt einige Zeilen galten, stets wegen der "bastionsartig" gereihten Vorsprünge. Diese "Kammstruktur" war längst an Produktionsanlagen wie beim Kraftwerk Klingenberg und Geschäftshäusern zum Beispiel der l.G. Farben in Frankfurt am Main (1928 - 31 von Hans Poelzig) bekannt, aber in der NS-Architektur wurde das Motiv geradezu eigensinnig repetiert und gesteigert, unter anderem mit Rudolf Lodders' Entwurf für die Hauptverwaltung des "Reichsnährstandes" in Goslar 1936. Beim Volkswagenwerk erinnern die Vorsprünge noch deutlicher an die nach außen gewandten Bastionen einer Stadtmauer. Der ursprüngliche Festungs
charakter des Motivs wird auch mit den anfänglich sechs Kesselhaus-Vorsprüngen am Ost-Ende des Volkswagenwerks in Erinnerung gebracht.

Diesem Automobilwerk der DAF einen festungsartigen Aspekt zu verleihen, ging mit Intentionen des Regimes überein. Der riesige, straff geordnete Bau war im übertragenen Sinne ein Bollwerk gegen die angeblich häßlichen Industriebau-Konglomerate aus dem stets höhnisch zitierten "liberalistischen Zeitalter" mit seinem "freien Spiel der Kräfte". "Einheit" und "Geschlossenheit" als Prädikate des Gebäudes argumentierten gegen die - in Wirklichkeit hingenommene - Zersplitterung der Industrie in konkurrierende Firmen. Der Volkswagen selbst bedeutete ja eine Demonstration gegen die im Krieg unzweckmäßige Typenvielfalt der Kfz-Produktion.

Mit einem Bau, der wie das Volkswagenwerk "Front machte", konnte wohl keine denkbare Wohnstadt eine "Einheit" bilden, besonders dann nicht, wenn - ebenfalls im Sinne von Leitvorstellungen des Regimes - gegen die gesundheitsschädliche Vermischung von Fabrikations- und Wohnanlagen, gegen das abschreckende Beispiel des Ruhrgebiets gearbeitet werden sollte. Wie der Stadtentwerfer Peter Koller dies versuchte, wie er zwischen einem landschaftlich bestimmten kurvigen Duktus und Werkfront ähnlich rektangulären und monotonen Partien schwankte, läßt sich nicht in Kürze analysieren. Wo bisher darüber geschrieben wurde, galten die Ausführungen der teilweise realisierten Stadtplanung, nicht aber der Stadt, wie sie wirklich gleichzeitig und notwendig mit dem Werk entstand. Sie wurde erst durch eine stadtgeschichtliche Ausstellung 1988 von neuem bekannt.

Der Blick vom Kraftwerksdach auf die Wohnstadt zeigte eine ausgedehnte, von Februar bis Mai 1938 errichtete Barackensiedlung, das "Gemeinschaftslager". Sein öffentlich zugänglicher Teil umfaßte provisorisch untergebrachte Ämter und Banken. Als Dominante ist die Tullio-Cianetti-Halle zu erkennen. Im Gemeinschaftslager wohnten zum Aufbau und Betrieb des Werks angeworbene Arbeiter, großenteils Italiener. Das nach dem Führer der Organisation "dopo lavoro" benannte Giebeldachhaus glich weitgehend den "Kraft durch Freude"-Hallen, die 1936 zu den Olympischen Spielen in Berlin aufgebaut, dann auf das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg verbracht worden waren. Langgestreckte Gauben finden sich auch an einer alten Scheuer nahe dem Schloß Wolfsburg. Den Giebel schmückten drei flache Holzskulpturen, die wegen ihrer Ähn
lichkeit mit der etwas später herausgegebenen Winterhilfswerk-Abzeichen-Serie "Schaffende Arbeit" als Arbeiter mit Schaufel, Bauleiter, mit Plan und Zimmermannsgeselle bestimmt werden können - eine damals ohnehin allgegenwärtige Ikonographie. Die Arbeit am Bau, nicht auch die in der Fabrik also war hier symbolisiert. Innen herrschten ebenso leicht verständliche folkloristische Motive, auch in zwei Reihen von "Feierabendräumen" mit geschnitzten Türschildern und Wandmalerei auf Holzverkleidungen. Ein Holzbildhauer, so hatte die Aller-Zeitung am 11. Juli 1938 angekündigt, würde dort "in aller Oeffentlichkeit" arbeiten und auch Zuschauer in "diese[r] schöne[n] Kunst" unterrichten.

Ein ähnliches Vermittlungsbemühen ist vielleicht für die (noch nicht vollständig mit Reliefs versehenen) Quader am Werk anzunehmen, die jedenfalls zum Greifen nah und niedrig angebracht sind. Wie dort scheint an und in der Cianetti-Halle das Begriffspaar "Arbeit" / "Heimat" bestimmend gewesen zu sein, aber auch der berechnende Umgang mit einer Emotion, die ein zentrales Thema sogenannter Trivialkunst ist: dem Heimweh. Es mußte aus dem massenhaften Rekrutieren und Verschieben von Arbeitskräften entstehen und gefährdete die sogenannte Arbeitsmoral. Das probate Gegenmittel, ein Wechsel von harter Arbeit und Geselligkeit mit Landsleuten, war auch in der Stadt des KdF-Wagens programmiert. Soweit bekannt, wiesen allerdings die "Feierabendräume" nur Bilder deutscher Trachten und Bräuche auf, die zugleich der Volksgemeinschafts-Propaganda dienen konnten.

Ein Versuch, das ephemere Ensemble des Gemeinschaftslagers aus dem Begriffsfeld "Architektur" auszugrenzen, wäre schon wegen seines Zusammenhanges mit der Werksarchitektur verfehlt. Es läßt sich als eine ungewollte, entlarvende Parodie auf "Feierplatz" und "Gefolgschaftshaus" lesen, die man für den westlichen Bereich des Werks angekündigt hatte und denen dieselben Aufgaben zugedacht gewesen waren. Die dreiflügelige Hofanlage korrespondierte aber auch mit einem - selbstverständlich traditionsgebundenen - Leitmotiv, das an mehreren Stellen der geplanten steinernen Wohnstadt realisiert wurde und das im ganzen Reich Anlagen verschiedener Funktion zum Antreten geeignet zu machen hatte: unter den Bezeichnungen "Ehrenhof", "Feierplatz", "Aufmarschplatz", "Stellplatz" und - mehrmals schon auf Betriebsgelände - "Appellplatz".

In dem signifikanten Motiv des ausgeführten Volkswagenwerks, der Südfassade, ist ein Konnex zum Lagerbau besonders deutlich. "Kamm-Stellung" ist auch ein Fachausdruck für die Reibung paralleler Baracken, die ein Höchstmaß an Platzausnutzung und Übersichtlichkeit schaffen soll. Das gleiche Extrem zweckbestimmter Grundrißmonotonie prägt die Werksfassade, wurde allerdings durch die Gedankenverbindung zum Festungsbau überhöht. So verweist die Reihung des Bastions-Motivs erst recht auf das mit Türmen umstellte Lager als ein Instrument und Merkzeichen des NS-Herrschaftssystems. Speers (seit dem 11. Dezember 1937 gebautes) Nürnberger Märzfeld erinnerte schon durch seinen Namen an ein fränkisches Heerlager; weitere Lagerkomplexe schlossen sich ihm nördlich an.

Auf dem Boden des heutigen Wolfsburg waren mehrere Abstufungen des Lagersystems sichtbar. Dem "Gemeinschaftslager" wurde 1943 ein "Ostlager" angefügt, dessen Baracken im Blick von Norden links erscheinen. Hier wurden vor allem zwangsverpflichtete und deportierte Arbeiter hinter Stacheldraht verwahrt. Die Normbaracken waren so gereiht, daß sich zwischen ihnen keine Höfe, Treffpunkte oder andere Nebenzentren abzeichneten. Am Westrand der geplanten Stadt errichtete das Volkswagenwerk im April 1944 ein weiteres Barackenlager: als Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme.

Klaus-Jörg Siegfrieds topographische Rekonstruktion dieser und weiterer Lager, von denen keine Photographien gefunden wurden, zeigt, daß die Lager nicht nur in das Straßennetz der unfertigen Wohnstadt eingepaßt waren, sondern auch das Betriebsgelände durchsetzten. Das Sockelgeschoß des ursprünglichen Werkzeugbau-Bereichs nahm 1944 ein Frauenkommando des KZ Neuengamme auf. Im Keller der Gießerei, die Kohlbecker nordöstlich des Hafens erbaute, bestand 1942 ein selbständiges KZ mit Häftlingen aus Neuengamme und Sachsenhausen, deren fürch
terliche Behandlung sich durch diese Verlegung nicht verbesserte. Die Unterkunft im Bunker erhielt den Namen "Arbeitsdorf". Werk und Lager, angebliche Arbeitsheimat und sogenanntes "Arbeitsdorf" waren unter einem Dach vereint.

Die Definitionsfrage, ob auch einem Werk angeschlossene Wohnanlagen "lndustriearchitektur" genannt werden sollten und ob Baracken und Kellerräume überhaupt "Architektur" seien, wird hier vollends zur Frage des Begreifens von Zusammenhängen. Im Funktionszusammenhang zwischen Industriebau und Konzentrationslager wird der Zusammenhang von Kriegswirtschaft und KZ-System sichtbar. Er ist gründlich belegt, wird aber trotzdem häufig als sekundär oder nebensächlich bezeichnet. Daß die Praxis der Konzentrationslager im Kriege nicht nur bürokratischer, sondern auch ökonomischer Rationalität folgte, belastet noch. Denn das Prinzip ökonomischer Rationalität gilt weiter, kann noch menschenfeindliche Konsequenzen hervorbringen.

Diese Sorge versuchte Leon Krier 1985 gegen die Industriemoderne zu mobilisieren. Die von ihm gezeichnete "Parallele d'ensembles artistiques et industriels" bringt das Volkswagenwerk mit Auschwitz-Birkenau und I.G. Farben Auschwitz zusammen. Die Krupp-Werke und Dresdens Altstadt werden als vorindustrielle Grundrißmuster dagegengesetzt. Kriers Parallelisierung ist formal nicht schlüssig, zumal er das
Volkswagenwerk im Umriß von etwa 1955 ohne Lager zeigt. Seine Andeutung, daß industriell rationalisiertes Arbeiten und Bauen menschenfeindliche Konsequenzen haben müsse, läßt sich durch Formvergleiche anschaulich zur Diskussion stellen, aber nur durch historische Recherche weiterbearbeiten.

An historischen Bezügen fehlt es indessen nicht, auch nicht an solchen zum Thema des 23. Deutschen Kunsthistorikertages "Deutschland und seine östlichen Nachbarn".

Schon 1940 waren polnische Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk tätig. Im Herbst 1941 wählten Beauftragte Porsches in Durchgangslagern sowjetische Kriegsgefangene aus und gaben das Signal für eine neue Phase der Arbeitskräftebeschaffung. Die 1944 ins westlichste Sockelgeschoß eingesperrten ungarischen Jüdinnen waren höchstwahrscheinlich aus Auschwitz gekommen. Dorthin war ein Werksingenieur zwecks Auswahl geeigneter Arbeitskräfte entsendet worden.

Schupp & Kremmer errichteten ein Zweigbüro in Gleiwitz und bauten in Oberschlesien unter anderem von 1939 bis 1944 das Hydrierwerk Blechhammer / Blachownia. Busch (1980) nannte auch diese Arbeit "ordnende Gestaltung im gesamten verfahrensmäßigen Anlagenbereich und architektonische Bearbeitung der Werksbauten". In Blechhammer bestand ein Außenkommando des Konzentrationslagers Auschwitz. Das Werk wurde nach Kriegsende demontiert.

Auch an vielen anderen Orten ist heute nicht mehr zu sehen, wie Fabriken und Lager miteinander verknüpft waren. Wo die KZs zu Gedenkstätten ausgebaut wurden, stand bei der Erhaltung der Gebäude und in der Gestik künstlerischer Mahnmäler verständlicherweise die Erinnerung an Leiden und Vernichtung im Vordergrund und ließ die kriegswirtschaftliche Ausbeutung der Insassen zurücktreten. Mit dem Bewahren oder Rekonstruieren von Wohnbaracken und Wohngebäuden, dem Verfallenlassen der Werksanlagen begann schon an Ort und Stelle eine Tätigkeit, die das Leiden von einem Teil seiner Ursachen trennt.

An Werken wie dem in Wolfsburg sind - umgekehrt - die sichtbaren Spuren der KZ-Kommandos verschwunden, die Plätze der Lager verbaut, die Baracken restlos abgerissen, die Bunker-Unterkünfte unter Verschluß. Daß die Erinnerung dort aufrechterhalten bleibt, ist von der Image-Pflege der Firmen und Gemeinden kaum zu erwarten.

Aber - das sei zum Schluß gesagt - regionale Geschichtswerkstätten und Denkmalschutzämter haben bereits in einigen Fällen durchgesetzt, daß der Konnex von Lager und Werk an den Stellen der damaligen KZs und der fortbestehenden Industriewerke anschaulich bleibt. Auf dem Fabrikgelände in Salzgitter-Drütte war unter einer 1940 / 41 erbauten Hochstraße im Herbst 1942 ein Außenkommando des KZ Neuengamme untergebracht worden. Bis April 1945 wurden etwa dreitausend Häftlinge von hundert SS-Leuten terrorisiert und zur Arbeit gezwungen. Nach etwa zehnjährigen Bemühungen konnte ein "Arbeitskreis Stadtgeschichte" dort 1993 einen Abschnitt der vergitterten Räume wiederherstellen. Auf dem Lagergelände in Neuengamme wurde 1964 / 65 ein Hinweis auf die Außenkommandos beim Volkswagenwerk ("Fallersleben") auch in Stein gemeißelt. Das von Häftlingen 1939 / 40 gebaute Klinkerwerk ist 1985 unter Denkmalschutz gestellt, pragmatischer Nutzung entzogen und aufwendig restauriert worden. Manfred F. Fischer und Volker Konerding haben in ihre publizierte Begründung dafür eine architekturwissenschaftliche Erläuterung des Bauwerks einbezogen.

Eines der vielen Hindernisse bei solcher Arbeit besteht in dem Einwand, daß die Denkformen und Fachausdrücke unserer Wissenschaft vor einem derart schlimmen Thema haltmachen sollten. Der Einwand ist vor allem deshalb nicht stichhaltig, weil kunstwissenschaftliche Begriffe auch kritisch gebraucht werden können - und weil eine historische Analyse ohne wissenschaftlich reflektiertes Sehen einen Teil des Geschobenen verfehlen würde.

  Vortrag bei dem 23. Deutschen Kunsthistorikertag "Deutschland und seine östlichen Nachbarn", Sektion "Städtebau und Architektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland« (September 1994). Publiziert in: Dolff-Bonekämper, Gabi / Kier, Hiltrud (Hg.): Städtebau und Staatsbau im 20. Jahrhundert, München / Berlin 1996, S. 77 112 (dort mit Anmerkungsteil).
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