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Während in den ausgelagerten
Zweigbetrieben der Volkswagenwerk GmbH wegen ausbleibender Zulieferungen,
fehlender Rohstoffe und Werkzeuge, aber auch wegen des Mangels an elektrischer
Energie die Produktion schrittweise zum Erliegen kam, wurde die Montage
von Kübelwagen auf den Bandstraßen in Fallersleben bis zum letzten Moment
fortgesetzt und erst wenige Stunden vor dem Panzeralarm vom 10. April
1945 eingestellt. (1)
Desgleichen war die Nebenproduktion von Tellerminen und Panzerfäusten
weitergeführt worden, bis die SS die dafür eingesetzten ungarischen Jüdinnen
gleichsam über Nacht nach Salzwedel abtransportieren ließ, wo sie alsbald
von den heranrückenden amerikanischen Truppen befreit wurden.
Nach den schweren Luftangriffen vom Sommer 1944 war das Volkswagenwerk,
dessen kriegswichtige Produktionen mit Ausnahme der Kübel- und Schwimmwagenherstellung
in die Untertagebetriebe bei Tiercelet, Dernau und Eschershausen oder
die Zweigbetriebe in Neudek und Schönebeck ausgelagert worden waren, nicht
mehr von größeren Luftangriffen heimgesucht worden. Trotz der Zerstörungen,
die insbesondere die Hallendächer betrafen, war es gelungen, das Montageband
wieder in Betrieb zu nehmen. Indem man es in das Souterraingeschoß verlegte,
war es vor Bombenangriffen einiger maßen geschützt.
Während ein Teil der Großpressen, um sie vor der Zerstörung zu bewahren,
in die Untertagebetriebe gebracht wurden, andere ummauert und auf diese
Weise notdürftig geschützt wurden, brachte die Werkleitung den transportablen
Maschinenpark in eine Vielzahl von kleineren Verlagerungsstätten, die
von stillgelegten Fabrikgebäuden bis zu Scheunen und Lagerhallen reichten.
Die Materialzufuhr für das Hauptwerk wurde in den letzten Monaten des
Krieges durch LKW und, wo diese nicht verfügbar waren oder wegen der Zerstörung
der Straßenverbindungen nicht eingesetzt werden konnten, durch Transportkolonnen
gewährleistet, die mit Rucksäcken und Koffern unterwegs waren.
Eindrücklicher kann der Niedergang der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie,
die gleichsam auf das Niveau vorindustrieller handwerklicher Produktionsweisen
zurückfiel, nicht demonstriert werden. Nach dem "Zusammenbruch" erwies
sich dieses System der Nahverlagerung als ein unschätzbarer Vorzug. Es
war für die britischen Besatzungsoffiziere, welche die Produktion des
Werkes wieder in Gang brachten, ein leichtes, Rohstoffe, Ausrüstungen
und Maschinen in das zu großen Teilen funktionsfähige Werk zurückzuführen
und den früheren Produktionszusammenhang einigermaßen wiederherzustellen.
Die Gefahr, daß das Volkswagenwerk ein Opfer der industriellen Zerstörungsbefehle
wurde, die Hitler im März 1945 ausgab und in den Wochen danach noch einmal
bekräftigte, konnte insbesondere von Fritz Kuntze, dem beherzten Leiter
des Kraftwerkes, abgewendet werden. Von Pionieroffizieren der Wehrmacht
aufgefordert, die Brücke über den Mittellandkanal zu sprengen, die Werk
und Stadt miteinander verband und die lebenswichtige Versorgungsleitungen
enthielt, wies er auf die Widersinnigkeit einer solchen Maßnahme hin und
setzte sich durch. Wenige Tage später forderten ihn amerikanische Soldaten,
die das Werk besichtigten, auf, das Kraftwerk stillzulegen, das auch die
Stadt des KdF-Wagens mit Strom versorgte. Als er sich weigerte, wurde
er verhaftet und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft, obwohl
er einen amerikanischen Paß hatte. Als er im Dezember 1945 entlassen wurde,
verweigerte die neugebildete Werkleitung dem hochverdienten Ingenieur
die Rückkehr in seine angestammte Position.
Als die amerikanische Besatzungsmacht wenige Tage nach dem Durchmarsch
der 9. US-Armee, die auf Tangermünde vorstieß, das Werk ihrer Kontrolle
unterwarf, befand sich die engere Werkleitung nicht mehr in der Stadt
des KdF-Wagens. Ferdinand Porsche, der sich ohnehin nur einen oder zwei
Tage in der Woche in der KdF Stadt aufzuhalten pflegte, hatte sich, offenbar
resignierend, seit Januar 1945 nach Zell am See, dem Stammsitz der Familie,
zurückgezogen. Anton Piech begab sich, obwohl er den lokalen Volkssturm
befehligte, schon vor dem Panzeralarm am 10. April, zusammen mit seinem
Finanzreferenten Assessor Albert Dodt und seiner Sekretärin, Frau Weber,
auf das Schüttgut in Zell am See. Die von ihm vorübergehend erwogene Auslagerung
des Zweigbetriebes nach Österreich mußte wegen des Herannahens der amerikanischen
Truppen aufgegeben werden.
Die Volkswagenwerk GmbH befand sich daher beim "Zusammenbruch" ohne die
angestammte Führung; wenngleich es in den folgenden Wochen Versuche gab,
die Werkleitung von Zell am See aus wahrzunehmen. Es bildete sich daher
- auch auf Betreiben der Gruppe ehemaliger Sozialdemokraten im Werk, die
einen "Demokratischen Ausschuß" ins Leben riefen, um eine demokratische
Stadtverwaltung einzusetzen eine provisorische Werkleitung, die sich im
wesentlichen aus früheren Abteilungsleitern zusammensetzte und an deren
Spitze Rudolf Brörmann trat, der zuvor als Leiter der Inspektion mit Anton
Piech zusammengearbeitet hatte.
Die provisorische Werkleitung mußte zuallererst daran interessiert sein,
eine förmliche militärische Besetzung des Werkes zu erreichen, um zu verhindern,
daß es durch sowjetische Kriegsgefangene und "Ostarbeiter", die, nachdem
der Werkschutz und die SS in alle Winde zerstoben waren, ihren begreiflichen
Unmut an den Einrichtungen des Unternehmens auszulassen drohten und in
einzelnen Fällen zu Plünderungen übergingen, zu zusätzlichen Zerstörungen,
insbesondere zur Lahmlegung des Kraftwerkes kam, das von deutschen Ingenieuren
und französischen Kriegsgefangenen gegen Übergriffe verteidigt wurde.
Das langfristige Interesse der selbsternannten, dann von amerikanischer
Seite vorläufig bestätigten Werkleitung bestand begreiflicherweis darin,
die Produktion wieder in Gang zu bringen, da anders der Lebensunterhalt
der nahezu ausschließlich vom Volkswagenwerk abhängigen Bevölkerung der
Stadt des KdF-Wagens, die im Mai auf Anregung der britischen Militärregierung
den Namen Wolfsburg erhielt, nicht gesichert werde konnte. Zugleich zeigte
sich bei diesen Vertretern des mittleren Managements eine ausgeprägte
Anhänglichkeit an das angestammte Unternehmen. In der Tat gelang es Brörmann,
die amerikanischen Besatzungsoffiziere davon zu überzeugen, daß neben
dem schon zum Zeitpunkt der Besetzung eingerichteten Reparaturbetrieb
die Montage von neuen Fahrzeugen, zunächst auf Grund der noch vorhandenen
Lagerbestände, aufgenommen werden konnte.
Nun bestand auf Seiten der westlichen Alliierten in der Tat größtes Interesse
an der Bereitstellung von Fahrzeugen, nicht zuletzt von Kübelwagen, deren
Verwendungsfähigkeit sich auch bei den angelsächsischen Verbänden herumgesprochen
hatte. Denn deren Fahrzeugpark war im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen,
die die alliierten Verbände von der Normandie bis zu Elbe geführt hatten,
erheblich dezimiert worden, ohne daß sie hoffen konnten, angesichts der
bevorstehenden deutschen Kapitulation, die dann am 8. / 9. Mai
1945 erfolgte, noch Nachschub zu erhalten. So entschied sich die 9. Armee
schon am 6. Mai, noch vor der Übernahme des Werkes durch die britische
Besatzungsmacht am 21. Juni die Produktion wieder aufzunehmen und eine
monatliche Fertigung von 500 Fahrzeugen zu erreichen.
Diese Entscheidung war, wie sich herausstellen sollte, ein einzigartiger
Glücksfall für das Volkswagenwerk, das sonst vermutlich als herrenloses
Gut behandelt und auch von deutscher Seite mehr oder weniger ausgeschlachtet
worden wäre. Im Frühjahr 1945 bestand keinerlei Klarheit, was mit dem
Unternehmen, das alsbald von der britischen Militärregierung nach Gesetz
Nr. 52 des Alliierten Kontrollrates beschlagnahmt und der Property Control
Branch der Britischen Kontrollkommission Minden zur Verwaltung übertragen
wurde, geschehen sollte.
Es galt jedoch als sicher,
daß das Werk entweder für Reparationen herangezogen oder demontiert werden
würde. So erklärte ein Vertreter der britischen Kontrollkommission Anfang
1946, daß das Volkswagenwerk nur vorläufig weitergeführt werde, da dessen
Kapazität über den vorgesehenen Umfang der deutschen Nachkriegsproduktion
hinausgehe. In dem am 26. März 1946 vom Alliierten Kontrollrat verabschiedeten
ersten »Level of Industry«-Plan war die künftige deutsche PKW-Produktion
auf 40000 Einheiten begrenzt. Davon entfielen 20000 auf die britische
Zone und waren für die Fordwerke vorgesehen. Das Damokles-Schwert der
Demontage hing auch weiterhin über dem Unternehmen. Erst der revidierte
»Level of Industry«-Plan, den die Bipartite Control im März 1947 festlegte
und der die zulässige deutsche Produktion auf 160 000 PKW anhob, beendete
diese Phase der Unsicherheit.
Während der Board of Trade, das Ministry of Supply, die Treasury und das
Foreign Office zu sammen mit dem Verband der britischen Automobilhersteller
noch über die Zukunft des Volkswagenwerkes verhandelten, gingen die Ingenieure
der Royal Engineers Mechanical Division daran, das Unternehmen, dem sie
den Namen Wolfsburg Motorworks gaben, wieder funktionsfähig zu machen,
den Schutt zu beseitigen, die nötigsten Gebäudereparaturen durchzuführen
und die in den Nachverlagerungsbetrieben befindliche Ausrüstung zurückzuholen.
Die technische Leitung des Werkes wurde Major van Hirst von der Industrial
Division Hannover als Senior Resident Officer übertragen. Hirst zeichnete
sich durch Energie in der Sache, ein hohes Maß an Improvisationsfähigkeit
und Führungsbegabung aus und war vom ersten Tage an darum bemüht, die
Bedingungen für eine normale Produktion zu verbessern.
Das deutsche Management wurde einer Kontrollkommission unterstellt, in
der die mit dem Werk befaßten Dienststellen der britischen Militärregierung
vertreten waren und die die Tätigkeit Hirsts
und seines Kollegen von der Property Control Branch unterstützte. Die
Anfang 1947 getroffene Entscheidung der Property Control, die Führung
des Betriebes der deutschen Werkleitung selbständig zu übertragen, mußte
wieder zurückgenommen werden, da sich diese als nicht in der Lage erwiesen
hatte, den Betrieb in Gang zu halten. Anstatt die zahlreichen objektiven
Schwierigkeiten anzugehen, hatte sie sich, jedenfalls in den Augen der
Militärregierung, in fragwürdige Schwarzhandelsgeschäfte verwickelt und
Unterschleife im Betrieb zugelassen. Der kurz zuvor zurückgezogene Major
Hirst wurde, nun in der Stellung eines Zivilangestellten der Militärregierung,
unverzüglich zurückgerufen.
An sich befand sich das Volkswagenwerk, verglichen mit der übrigen deutschen
Automobilindustrie, in einer günstigen Lage, da es ihm als Regiebetrieb
der westlichen Alliierten eher gelang, die Versorgung mit Rohstoffen zu
gewährleisten, die den eigentlichen Engpaß für eine Ausdehnung der Produktion
darstellten. Weil das Unternehmen über ein eigenes Kraftwerk verfügte,
war es nicht im gleichen Maße von Unterbrechungen in der Elektrizitätsversorgung
betroffen, was in anderen industriellen Bereichen häufig der Fall war.
Desgleichen wurde es bevorzugt mit Kohle und Stahl beliefert. Schließlich
ging die Britische Kontrollkommission dazu über, mit Belgien und Frankreich
zusätzliche Stahllieferungen gegen die Bereitstellung von Volkswagen,
die allseits äußerst begehrt waren und einen märchenhaften Schwarzhandelspreis
erzielten, zu vereinbaren.
Infolge der Gnadenfrist, die dem Volkswagenwerk von der Britischen Kontrollkommission
zunächst für einen Zeitraum von 14 bis 18 Monaten, dann für vier Jahre
eingeräumt wurde, war das Unternehmen zunächst von Reparationslieferungen
ausgenommen. Auch ausländische Restitutionsforderungen, so von seiten
der CSR, wur den von den Kontrolloffizieren abgewehrt, die nur Materialien
und Ausrüstungen herausgaben, welche nichts mit der Automobilproduktion
zu tun hatten. Im Vergleich dazu büßte die Adam Opel AG nicht nur das
Werk Brandenburg, das von den Sowjets demontiert wurde, sondern auch die
Bandstraße und Produktionseinrichtungen für den Opel Kapitän in Rüsselsheim
ein, mittels derer später bei Moskau der Moskwitsch produziert werden
sollte.
Desgleichen waren die Zerstörungen der Werkanlagen in Wolfsburg eher gering
und standen einer Wiederaufnahme der Produktion schon für Anfang Mai 1945
nicht ernsthaft im Wege. Überdies besaß das Volkswagenwerk den Vorteil,
daß die Produktionsanlagen nicht wie bei Ford und
Opel mit anderweitigen Rüstungsprodukten vollgestopft waren und nicht
erst mühsam wieder auf die Fahrzeugproduktion umgestellt werden mußten.
Tatsächlich nahmen die beiden großen Konkurrenzfirmen, die Ford-Werke
in Köln und die Adam Opel AG in Rüsselsheim, die Erzeugung von PKW nicht
vor Ende 1945 wieder auf, so daß Volkswagen zum Marktführer aufsteigen
konnte.
Dies wurde durch die Britische Kontrollkommission unterstützt, die, um
Reparaturen und Wartungen zu ermöglichen, ein eigenständiges Werkstattnetz
schuf, das für Angehörige der Besatzungsmacht, die einen Volkswagen fuhren,
tätig wurde. Zugleich entschied sich die britische Regierung frühzeitig
dazu, den Volkswagen zu exportieren. Im Zusammenhang damit sorgte Major
Hirst für eine verstärkte Qualitätskontrolle und führte er die Bezeichnung
"Export" für das zur Ausfuhr bestimmte, besser ausgestattete VW-Modell
ein. Nachdem man anfänglich noch die Limousinen-Karosserie auf Kübelwagen-Fahrgestelle
montiert hatte, kehrte man zur zivilen Variante zurück und verbesserte
Schritt für Schritt den Fahrkomfort.
Dem Volkswagenwerk kam zur Hilfe, daß es seit Januar 1945 notgedrungen
dazu übergegangen war, die Karosseriefertigung selbst zu übernehmen, nachdem
die Ambi-Budd Presswerk GmbH, die zuvor die Karosserien für den Kübelwagen
und die Limousine geliefert hatte, durch einen Bombenangriff total zerstört
worden war. Seit den späten vierziger Jahren fertigte das Volkswagenwerk
in größerem Umfang Karosserien für die Ford-Werke in Köln. Es war damit
der ursprünglichen Absicht Porsches, einen vertikal integrierten Konzern
zu schaffen, einen Schritt näher gekommen.
Trotz dieser Vorzüge gingen die Erwartungen der britischen Ingenieure
nicht auf. Sie hofften, die Produktion innerhalb absehbarer Zeit auf 4 000
Fahrzeuge im Monat steigern zu können. Ein bereits im August 1945 erteilter
Produktionsauftrag über 20 000 Limousinen, der bald auf 45 000
Einheiten aufgestockt wurde, erwies sich als unrealistisch, obwohl die
Fabrikanlage 1938 für die Erzeugung von 400 000 PKW ausgelegt worden
war. Statt dessen stagnierte die Produktion nach hoffnungsvollen Anfängen
um die Jahreswende 1945 / 46 bei etwa 1 000 Fahrzeugen
im Monat. Der angestrebte monatliche Ausstoß von 4 000 Fahrzeugen
wurde erst 1949 unter der Ägide von Heinrich Nordhoff erreicht und überschritten.
Selbst nach der Währungsreform gelang es nur schrittweise, die Kapazität
des Hauptwerkes zu erweitern.
Die Gründe für die geringen Produktionserfolge waren vielfältig. Zunächst
kam es aus äußeren Gründen immer wieder zu Engpässen oder Unterbrechungen
der Produktion infolge fehlenden Materials oder unzureichender Qualität
der verfügbaren Rohstoffe.
Aber es gab auch eine Fülle von nicht technisch oder kommerziell bedingten
Ursachen, und sie waren charakteristisch für die frühe Nachkriegszeit,
in der niemand recht wußte, wie es in Deutschland künftig wieder aufwärts
gehen sollte.
Nicht zuletzt fehlte dem deutschen Management die Motivation, die nötig
war, um die sich auftürmenden Produktionshindernisse notfalls mit Improvisation
und Einfallsreichtum zu überwinden. Da die Zukunft des Werkes im Dunkeln
lag, schienen sich größere Anstrengungen bei dessen Ausbau nicht recht
zu lohnen. Es kam hinzu, daß das Unternehmen zunächst ausschließlich für
den alliierten Bedarf, danach auch für den Export arbeitete, während der
deutsche Markt, mit Ausnahme eines begrenzten Deputats für die Deutsche
Reichspost, leer ausging. Später trug auch die ungeklärte Eigentumsfrage
des unter Treuhand stehenden ehemaligen DAF-Betriebes dazu bei, daß sich
ein wirklicher Teamgeist bei der deutschen Werkleitung nicht recht einstellte.
Zugleich war das Management weitgehend daran gehindert, die in der deutschen
Nachkriegswirtschaft üblich gewordenen Tauschgeschäfte zu betreiben und
einen Teil der Produktion dafür zu verwenden. Das Überborden des
"schwarzen Marktes" stieß vielmehr bei den britischen Kontrolloffizieren,
die dem deutschen Management "niedrige ethische Standards" vorwarfen und
den völlig fehlenden Arbeitswillen der Belegschaft beklagten, auf völliges
Unverständnis.
In der Tat fehlte in diesen Jahren vor der Währungsreform jeder materielle
Anreiz, da man mit der Reichsmark nicht viel anfangen konnte. Viele nahmen
eine reguläre Arbeit nur deshalb an, um eine Aufenthaltsgenehmigung, eine
Unterkunft und Lebensmittelkarten zu erhalten. Der Umstand, daß bis zu
25 Prozent der Belegschaftsmitglieder nicht zur Arbeit zu erscheinen pflegten,
war keineswegs ihrer angeblichen "Faulheit" zuzuschreiben, wie die britischen
Kontrolloffiziere mutmaßten, sondern der praktischen Notwendigkeit, durch
Hamsterfahrten und Schwarzhandel das Überleben zu sichern.
Die Arbeitsproduktivität war unter diesen Umständen ungewöhnlich niedrig,
wobei sich das Mißverhältnis zwischen produktiv und unproduktiv Beschäftigten
aus der NS-Zeit fortschleppte und stockende Materiallieferungen zusätzlich
einwirkten. Überdies litt das Werk auch weiterhin an einem chronischen
Facharbeitermangel. Während der NS-Zeit war er durch den Einsatz von Zwangsarbeitern
und Kriegsgefangenen ausgeglichen worden, da sich unter ihnen vielfach
qualifizierte Facharbeiter befanden und viele erfolgreich angelernt werden
konnten. Die Zwangsarbeiter verließen jedoch Wolfsburg unmittelbar nach
dem ,"Zusammenbruch" und kehrten in ihre Herkunftsländer zurück. Nur wenige
von ihnen blieben im Unternehmen.
Zwar bestand im Nachkriegs-Wolfsburg, in das schon vor dem 8. Mai 1945
große Zahlen von Flüchtlingen gelangten, alles andere als ein Arbeitskräftemangel,
aber viele unter ihnen betrachteten Wolfsburg und das Volkswagenwerk nur
als Zwischenstation auf dem Weg nach Westdeutschland oder zu ihrem angestammten
Beruf. Entsprechend hoch lag die Arbeitskräftefluktuation. So schieden
1946 von 8 251 Beschäftigten 4 750 im gleichen Jahr wieder aus,
obwohl die Löhne angemessen waren und das Werk sich nicht ohne Erfolg
darum bemühte, die Lebensmittelversorgung zu verbessern und durch Prämienzahlungen
Leistungsanreize zu schaffen. Die hohen Sozialleistungen, die es in Fortführung
der DAF-Tradition bereitstellte, waren für viele Belegschaftsmitglieder
unentbehrlich, um ihre Existenz zu sichern.
Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt bestand das angestammte Handicap des
Volkswagenwerkes fort, nicht über hinreichenden Wohnraum zu verfügen,
um insbesondere den Zuzug von Ehegatten und Familien zu ermöglichen. Zwar
hatten die Barackenunterkünfte des Werkes, insbesondere im Gemeinschaftslager,
schon vor dem "Zusammenbruch" wegen der Umsetzung der Belegschaft in die
Verlagerungsbetriebe großenteils leergestanden, waren aber noch im April
1945 von der US-Besatzungsmacht beschlagnahmt worden. Eben wegen der verfügbaren
Barackenlager stieg Wolfsburg vorübergehend zum Umschlagzentrum
für die Zurückführung der Displaced persons in ihre Herkunftsländer auf.
Die Rückgabe der werkeigenen Siedlungen zog sich trotz der ständigen Mahnungen
von Hermann Münch, dem Treuhänder des Volkswagenwerkes, bis 1949 hin.
Auf Grund der Wohnungsnot erwog die örtliche Militärregierung, nicht ohne
Hinzutun einzelner Mitglieder der Werkleitung, mittels der sogenannten
"Aktion Wolfgang" 189 Personen und ihre Familien aus Wolfsburg auszuweisen,
die infolge der pauschalen Entnazifizierung vom Werk hatten entlassen
werden müssen. Das Vorhaben rief einen Sturm des Protestes in der Öffentlichkeit
hervor und mußte schon im Vorbereitungsstadium zurückgenommen werden.
Die Episode beleuchtet die desolate Wohnungssituation in Wolfsburg, die
den weiteren Ausbau des Werkes blockierte, was schon Ferdinand Porsche
befürchtet hatte, als im Frühjahr 1941 die lllusion auftauchte, daß das
Ende des Krieges bevorstünde, die Errichtung der Stadt des KdF-Wagens
aber über erste Ansätze nicht hinausgekommen war.
Andere Mißhelligkeiten über die Durchführung der Entnazifizierung, der
schließlich auch der Werkleiter, Rudolf Brörmann, zum Opfer fiel, sorgten
für eine anhaltende Verstimmung bei der Wolfsburger Bevölkerung. Die von
der Besatzungsmacht verfügte Entlassung einer größeren Zahl von mittleren
und leitenden Angestellten, von denen der größere Teil mit Erfolg Revision
einlegte und die Wiedereinstellung erreichte, wurde als unbillig empfunden.
Auch wenn sich im ganzen gesehen im Wolfsburger und Braunschweiger Raum
eine beträchtliche Bevölkerungsumschichtung infolge des Flüchtlingszustroms
vollzog (über den Belegschaftswechsel im Werk liegen keine gesicherten
Angaben vor), ist davon auszugehen, daß im Volkswagenwerk ein stabiler
Kern von mittleren und unteren Angestellten erhalten blieb, die vor 1945
eingetreten waren und deren politische Vorstellungswelt in starkem Maße
von der NS-Zeit und der DAF-Herrschaft im Betrieb geprägt war.
Das schlug sich auch darin nieder, daß die unter Mitwirkung von Ivan Hirst
gebildete Betriebsvertretung in offenen Gegensatz zur Allgemeinen Gewerkschaft
trat, die von einigen Sozialdemokraten bereits 1945 gebildet wurde und
später in der IG Metall aufging. Die Betriebsvertretung, die im Dezember
1946 zum Betriebsrat umgegründet wurde, verfolgte zunächst eine wirtschaftsfriedliche
Linie. Die von ihr mit Generaldirektor Münch noch im Frühjahr 1947 vereinbarte
Betriebsordnung enthielt in dem Passus: "Sämtliche Arbeiter und Angestellten
im Volkswagenwerk bilden eine geschlossene, demokratisch geführte Leistungsgemeinschaft"
deutliche Anklänge an die Betriebsgemeinschaftsideologie der DAF. Zugleich
scheiterten alle Versuche, innerbetriebliche Mitwirkungsrechte zu erlangen,
die über Fragen der betrieblichen Sozialpolitik hinausgingen. Es war charakteristisch,
daß die britischen Besatzungsoffiziere das Mitbestimmungsprinzip und die
Einstellung eines Arbeitsdirektors kategorisch ablehnten, obwohl sie ansonsten
keine ausgeprägt unternehmerfreundliche Politik betrieben.
Die IG Metall vermochte sich erst Anfang der fünfziger Jahre unter der
klugen Führung von Hugo Bork im Betriebsrat durchzusetzen, dessen 2. Vorsitzender
von 1949 bis 1951 ein Vertreter der Sozialistischen Reichspartei (SRP)
war. Daß sich in der Belegschaft ein ausgeprägt rechtsextremes Potential
erhalten hatte, ging aus dem spektakulären Ergebnis der Wolfsburger Kommunalwahlen
von 1948 hervor, in denen die Deutsche Rechtspartei (DReP) eine eindeutige
Mehrheit errang. In den nach der Annullierung der Gemeindewahl neu angesetzten
Wahlen erhielt die Deutsche Partei (DP), die an die Stelle der inzwischen
verbotenen DReP getreten war, immerhin 48 Prozent der Stimmen.
Unabhängig von der spezifischen politischen Konstellation im Nachkriegs-Wolfsburg,
die auch auf den ungewöhnlich hohen Zustrom von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen
zurückzuführen ist, erhielt sich mindestens bei den älteren Belegschaftsmitgliedern
eine elitäre Mentalität, die nicht zuletzt auf die herkömmliche Privilegierung
der Volkswagenarbeiter durch hohe Löhne und großzügige betriebliche Sozialleistungen
zurückging. Sie drückte sich zugleich in einer hohen Identifikation mit
dem Unternehmen aus. Doch traten mit dem Anwachsen der Beschäftigtenzahl,
die diejenige der deutschen Belegschaft der NS Zeit bald weit überstieg,
Einstellungen dieser Art allmählich zurück oder wurden nurmehr indirekt
tradiert. Sie helfen jedoch, die hohe Popularität zu erklären, die der
in Arbeiterfragen eher unzugängliche erste selbständige Generaldirektor,
Heinrich Nordhoff, dessen sozialpaternalistisches Auftreten in mancher
Hinsicht an den Führungsstil Ferdinand Porsches erinnerte, allenthalben
besaß.
Zudem nahm das Volkswagenwerk eine Sonderstellung innerhalb der Fahrzeugindustrie
wie auch der westdeutschen Wirtschaft allgemein ein. So ging Nordhoff
in der Tarif- und Lohnpolitik, schließlich im Zusammengehen mit der IG
Metall, durchweg eigene Wege, die vielfach nicht die Billigung des nach
der Übergabe des Betriebes in deutsche Hand im Aufsichtsrat vertretenen
Bundesfinanzministers Fritz Schäffer und ebensowenig des Bundeswirtschaftsministers
Ludwig Erhard fanden. Die zwischen der Bundesregierung und dem Land Niedersachsen
geteilte Eigentümerschaft verschaffte dem Management, insbesondere Nordhoff
persönlich, einen einzigartigen Handlungsspielraum, der an die Verhältnisse
im Dritten Reich erinnerte. Der US-Historiker Simon Reich sah sich geradezu
veranlaßt, vom Volkswagenwerk als Musterbeispiel des korporativen Kapitalismus
und einer engen Verschränkung von Staat und Industrie zu sprechen, die
am Anfang des deutschen "Wirtschaftswunders" gestanden habe.
Im Hinblick auf die Werksarchitektur, die technische Ausrüstung, die innerbetriebliche
Organisation und die innerbetriebliche Kommunikation stand das 1960 zur
Volkswagen AG umgegründete Automobilunternehmen auf den Schultern des
1938 errichteten DAF Betriebes, der Volkswagenwerk GmbH. Der von Heinrich
Nordhoff praktizierte Führungsstil unterschied sich, was dessen autoritäre
Färbung anging, von demjenigen seiner nationalsozialistischen Vorgänger
nicht sonderlich. Hingegen änderten sich seit 1946, vor allem aber infolge
der Währungsreform, die externen Bedingungen grundlegend. Ohne den Übergang
zum marktwirtschaftlichen System wäre der große Erfolg ausgeblieben, wie
noch die Rückschläge von 1947 erkennen lassen.
Das bestätigte einmal mehr, daß die ursprüngliche Zielsetzung des Volkswagenwerkes
und seiner Gründer, die ausgebliebene deutsche Massenmotorisierung mit
einem gewaltigen Kraftakt nachzuholen, die Hitler faszinierte und zu jeder
nur denkbaren Unterstützung Ferdinand Porsches veranlaßt hatte, unter
den Bedingungen der Diktatur und der nationalsozialistischen Rüstungswirtschaft
von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Der Zweite Weltkrieg und
die Überführung des Volkswagenwerkes in ein Rüstungsunternehmen,
für das die Kfz-Produktion jedenfalls zunächst keine zentrale Rolle spielte,
hat den Sachverhalt verdeckt, daß die Initiative Ferdinand Porsches und
Robert Leys in ein einzigartiges Fiasko einmünden mußte, da die Rahmenbedingungen
einen Erfolg ausschlossen.
Immerhin legten Ferdinand Porsche und Bodo Lafferentz und ihre Mitarbeiter
entscheidende sachliche Voraussetzungen für den späteren Durchbruch zur
modernen Massenproduktion. In dieser Beziehung stellt das Volkswagenwerk
ein bemerkenswertes Beispiel für eine über den Zusammenbruch hinausreichende
institutionelle Kontinuität dar.
Die unmittelbare Nachkriegszeit, in der Preiskalkulationen ebenso wie
in der NS-Zeit zunächst keine größere Rolle spielten und die Nachfrage
nach PKW unerschöpflich war, räumte dem Volkswagenwerk, zunächst unter
britischer Regie, die einzigartige Chance ein, die Produktionsmethoden
so weit zu verbessern, daß es schließlich auch gegen die erfahrenere und
durch eine weit größere Kapitaldecke ausgezeichnete Konkurrenz bestehen
konnte. Eine entscheidende Rolle spielte dabei, daß sowohl Henry Ford,
dem das Volkswagenwerk von britischer Seite wiederholt angeboten worden
war, als auch General Motors, die erst Ende 1945 ihre Beteiligung an der
Adam Opel AG zurückerwarben, bis an die Schwelle der Währungsreform sich
von Investitionen im darniederliegenden und zunehmend gespaltenen Deutschland
keine nennenswerten Profite versprachen. Nicht die technischen Vorzüge
des Volkswagens, sondern die Konstellation, das in der zweiten Hälfte
der vierziger Jahre bestehende Angebotsvakuum auszufüllen, erlaubte es
dem Volkswagenwerk, eine marktbeherrschende Stellung zu erringen und den
zeitgenössischen Kleinwagenmarkt schließlich völlig aufzusaugen. Mit Hilfe
der britischen Besatzungsoffiziere nutzte das Volkswagenwerk die sich
ihm bietende ökonomische Nische, um binnen weniger Jahre zum Inbegriff
des westdeutschen "Wirtschaftswunders" aufzusteigen.
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