Jörg Roesler | "Eisen
für den Frieden". |
Das EKO - Ausdruck des wirtschaftichen Aufbaus der DDR Die Hochöfen des EKO, 1953 |
Entstanden auf der "grünen Wiese". Chronologie des Aufbaus des EKO bis 1960 Am 18. August 1950 gab der Ministerfür Industrie der DDR, Fritz Selbmann, mit den ersten Axthieben zum Fällen einer kleinen Kiefer auf einem Stück Heideland in Sichtweite des brandenburgischen Oderstädtchens Fürstenberg den Startschuß für den Bau des Eisenhüttenkombinats 0st (EKO). Am 24. Juli 1950 hatte der lll. Parteitag der SED den Aufbau des metallurgischen Werkes "auf der grünen Wiese" beschlossen und sich unter sechs vorgeschlagenen Standorten für das neue Hüttenwerk "am Ufer der Oder" entschieden. (1) Das EKO war mit einer geplanten Finanzierung von 347 Millionen Mark eines der wichtigsten Investitionsobjekte des ersten Fünfjahrplanes (1951-1955). Der Grundstein für den ersten Hochofen wurde pünktlich zu Planbeginn, am 1. Januar 1951 morgens um 8.00 Uhr, gelegt. Zehn Monate später, am 13. Oktober 1951, wurde der erste Hochofen angeblasen, und im Jahr darauf folgten die Hochöfen II bis IV. Der fünfte Ofen nahm im November 1953 seine Produktion auf, der sechste war im August 1954 fertiggestellt. Da die ursprünglich geplanten Öfen Vll und Vlll nicht gebaut wurden - sie fielen den Einsparungen in der Grundstoffindustrie nach dem 17. Juni 1953 zum Opfer -, war damit der Grundaufbau des EKO abgeschlossen. Erstmals bedeutungsvoll für die DDR-Volkswirtschaft war die Produktion an der Oder schon im Jahre 1952 mit 264 000 Tonnen; 1954 erreichte sie 730 000 Tonnen. Bis zum Jahre 1960 konnte die Roheisenproduktion durch effektivere Nutzung bis auf 1,2 Millionen Tonnen gesteigert werden. (2) Unter den drei Eisenproduktionsstätten der DDR - bei den anderen handelte es sich um die noch aus der Vorkriegszeit stammende Maxhütte im thüringischen Unterwellenborn und das in Sachsen-Anhalt gelegene Niederschachtofenwerk in Calbe - war das EKO mit einem Anteil von 50 Prozent an der gesamten Roheisenproduktion der DDR 1953 und mit 60 Prozent im Jahre 1960 die wichtigste. Eisen für den Frieden: Die Popularisierung des EKO-Aufbaus in der DDR "Im diametralen Gegensatz zur Politik der Kriegsvorbereitung in Westdeutschland", erklärte der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission der DDR, Heinrich Rau, 1951, "steht unsere Politik des unbedingten Festhaltens an der Verteidigung und Festigung des Friedens". (3) Die extensive Friedenspropaganda bildete einen wesentlichen Bestandteil der Legitimationsbemühungen des 1949 gegründeten ostdeutschen Staates. Auf einer Broschüre mit dem "Gesetz über den Fünfjahrplan", die das Amt für Information der DDR an jeden Haushalt versandte, war auf dem Cover eine junge Familie abgebildet, die dem Betrachter zuwinkt. Darüber, in den blauen Himmel geschrieben, stand: "Unser Fünfjahrplan des friedlichen Aufbaus". (4) Eine wichtige Rolle wurde in dieser Propaganda dem EKO zugewiesen; kaum ein Investitionsvorhaben des ersten Fünfjahrplanes ist für die Friedenspropaganda mehr in Anspruch genommen worden. Als Minister Selbmann am 1. Januar 1951 den Grundstein für den ersten Hochofen legte, vermauerte er darin eine Abschrift der Ratifizierungsurkunde über die "Oder-Neiße-Friedensgrenze" mit Polen, in deren unmittelbarer Nähe das Werk entstehen sollte. Auch die knapp zwei Wochen zuvor fertiggestellte Zufahrtsstraße für den Bauplatz warb für den Frieden. Sie wurde "Straße des Friedens" getauft. Und: Die Betriebszeitung des im Entstehen begriffenen Werkes, deren erste Nummer im März 1951 erschien, trug den Titel "Unser Friedenswerk". Ein dem Volkswirtschaftsplan 1951 gewidmetes Plakat zeigte Arbeiter vor einem mit Gerüsten umgebenden Hochofen und trug die Überschrift: "Packt an! Wir schaffen für den Frieden!" Tatsächlich bot sich das Investitionsvorhaben an der Oder - eher als andere "Großbauten des Fünfjahrplanes" - als Objekt der Friedensagitation der DDR an. In allen Schriften, die über das EKO verfaßt wurden, betonten die Autoren, daß dieses Werk ein Beweis der Friedensliebe des Sozialismus sei, denn nur im Frieden mache dieses Werk Sinn: Unmittelbar an der östlichen Grenze der DDR gelegen, könne es nur auf der Basis von polnischem Hüttenkoks und sowjetischem Erz produzieren. (5) Es gab auch lokale Argumente, die den friedlichen Charakter des neuen Werkes gegenüber der kriegsbelasteten Vergangenheit des Standortes unterstrichen: Ehe mit dem Bau des EKO begonnen werden konnte, mußte das örtliche Erbe des letzten verheerenden Krieges beseitigt werden: Ein Minensuchtrupp hatte die 90 Hektar des zukünftigen Werkgeländes, das Anfang 1945 für einige Monate zur Oderfrontlinie gehört hatte, von Munition, Minen und Sprengkörpern zu reinigen, damit dort später ungestört "Eisen und Stahl für Turbinen, für Förderbrücken im Bergbau, für landwirtschaftliche Maschinen", kurz "Stahl für den Frieden" (6) geschmolzen werden konnte. Welch ein symbolträchtiger Wandel! Eisen im Kalten Krieg. Das Hüttenwerk und die Existenzsicherung der DDR Mit dem gleichen Recht, mit dem das Investitionsobjekt bei Fürstenberg an der Oder als Symbol für den friedlichen Charakter des Wiederaufbaus in der DDR gefeiert wurde, hätte man es auch als Zeuge des Kalten Krieges reklamieren können. Nur mit dem Kalten Krieg, genauer seiner ökonomischen Variante, dem Handelskrieg, läßt sich überhaupt erklären, warum für die Belieferung der Maschinenbauindustrie der DDR unbedingt ein Eisenhüttenkombinat gebraucht wurde. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die metallverarbeitende Industrie im Gebiet zwischen Elbe-Saale und Oder ihr Defizit an Roheisen und Rohstahl aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet gedeckt. Monatsdurchschnittlich handelte es sich um 167 000 Tonnen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der Interzonenhandel wieder anlief, erhielt der Osten noch 30 000 Tonnen. Bis zum Mai 1948 verringerten sich die Lieferungen auf 8 500 Tonnen. Auf dem ersten Höhepunkt des Kalten Krieges, der "Berlin-Krise" zwischen Sommer 1948 und Frühjahr 1949, kam der Interzonenhandel durch Blockade und Gegenblockade gänzlich zum Erliegen. (7) Das im Oktober 1949 abgeschlossene "Frankfurter Abkommen" sollte zwar die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen wieder normalisieren. Jedoch wurde die Interzonenvereinbarung durch die für den Außenhandel mit dem östlichen Teil Deutschlands damals noch zuständigen Hohen Kommissare der Westalliierten aus militärstrategischen Erwägungen mehrmals zeit- oder teilweise außer Kraft gesetzt und der DDR der Import von Eisenerzen, Roheisen, Ferrolegierungen und Halbzeugen aus der Bundesrepublik erschwert. (8) Besonders schwer wog der zwischen Februar und August 1950 verhängte Stopp von Eisen- und Stahllieferungen. Seit Ende 1949 wurde in der DDR intensiv der Fünfjahrplan vorbereitet. Das in diesem Zusammenhang von Hüttenfachleuten und Planern entworfene "zweite schwarzmetallurgische Programm" offerierte drei Varianten. Variante I und II sahen vor, die für den Auf- und Ausbau der Schwermaschinenbaubetriebe vorgesehenen zusätzlichen Mengen an Eisen und Stahl hauptsächlich über Import zu beschaffen. (9) Doch eine Erhöhung der Einfuhrmengen aus der Sowjetunion und anderen Staaten des Ostblocks war dabei kaum eine Option. Zwar hatten im Jahre 1949 die östlichen Nachbarn der SBZ / DDR ihr als Hilfeleistung zur Überwindung der Gegenblockade des Westens 74 Prozent der Roheisenimporte und 70 Prozent der Walzmetallimporte ermöglicht. Aber eine weitere Ausdehnung dieser Lieferungen war wenig wahrscheinlich. (10) Die Importvariante rechnete also vor allem mit Lieferungen aus Westdeutschland. Die Zahl der Anhänger dieser Variante unter den Fachleuten war groß, orientierte sie sich doch beim Bezug von Eisen und Stahl auf jene Produktionskapazitäten, die nach einer Wiedervereinigung Deutschlands dem Osten sowieso wieder zur Verfügung stehen würden. (11) Der von den Westmächten der bundesrepublikanischen Firmen verordnete Lieferstopp von Eisen und Stahl in den Monaten Februar bis August 1950 stärkte aber die Position derjenigen in der DDR-Wirtschaftsverwaltung, die forderten, sich gegenüber Lieferungen aus Westdeutschland autark zu machen. Ein hauptsächlich von metallurgischen Produkten aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet abhängiger Auf- und Ausbau des Schwermaschinenbaus der DDR, so ihr Argument, mache dieses "Herzstück des ersten Fünfjahrplanes" allzu verwundbar. (12) Diejenigen, die sich vom Westimport abwandten, zogen in ihrer Mehrzahl Importe aus der Sowjetunion dem aufwendigen Aufbau einer eigenen metallurgischen Basis in der DDR vor. Jedoch machten der Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 und die drohende militärische Konfrontation von USA und UdSSR die Aussicht, daß die Sowjetunion militärstrategisch so wichtige Güter wie Eisen und Stahl über den bisherigen Umfang hinaus an die DDR liefern würde, ziemlich illusorisch. (13) So wurde die Variante lll, der Aufbau des EKO, ungeachtet der dafür notwendigen enormen wirtschaftlichen Aufwendungen von seiten der durch Kriegszerstörungen und Reparationen belasteten ostdeutschen Volkswirtschaft und ungeachtet der berechtigten Sorge darüber, was mit den zusätzlich geschaffenen metallurgischen Kapazitäten im Falle der Wiedervereinigung geschehen würde, fast zwangsläufig diejenige Variante, welche im August 1950 in die Direktive und später in das Gesetz über den ersten Fünfjahrplan Eingang fand. Die Bundesregierung entschied übrigens, als sie Anfang der fünfziger Jahre vor die Frage gestellt wurde, ob sie den Aufbau von Ersatzkapazitäten für die sächsische Strumpf- und Thüringer Glasindustrie beziehungsweise die Zeissprodukte aus Jena im Westen Deutschlands unterstützen oder ob sie auf die Förderung von - im Falle der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands Überkapazitäten lieber verzichten sollte, nicht anders als die DDR-Regierung auf der anderen Seite der Front des Kalten Krieges: Sie gewährte den sogenannten Flüchtlingsbetrieben, das heißt Unternehmen, deren Produktionsstätten in der SBZ / DDR enteignet worden waren, beträchtliche Fördermittel zum Aufbau neuer Kapazitäten im Westen und schützte den westdeutschen Markt vor Einfuhren aus der DDR. Unter dem Gesichtswinkel des Kalten Krieges konnte die "Anti-lmportproduktion" von Eisen und Stahl im EKO durchaus als Erfolg gewertet werden. Zwischen 1950 und 1955 sank der Importanteil der DDR bei Roheisen von 42 auf 15 Prozent. Eine im Jahre 1960 von Bundesministerium für Wirtschaft auf Initiative des Auswärtigen Amtes angefertigte Analyse ergab, daß Ostdeutschland - trotz eines gegenüber der Vorkriegszeit von 2,7 Millionen Tonnen auf 3,25 Millionen Tonnen angestiegenen Verbrauchs an Stahl und Walzwerkserzeugnissen - die Bezüge aus Westdeutschland von 1,5 Millionen Tonnen auf 0,15 Millionen Tonnen verringern konnte. Einen wesentlichen Anteil daran hatte der Anstieg der Eigenproduktion an Stahl- und Walzwerkserzeugnissen in der DDR von 0,9 Millionen Tonnen auf 2,1 Millionen Tonnen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür war das Roheisen aus dem EKO. Bei der Wahl des Standorts für das neue Hüttenkombinat wurden nicht nur geographische, sondern auch politische Überlegungen einbezogen. Noch Anfang August 1950 hatten die Planungsbehörden einen Standort an der Ostsee, Ueckermünde am Oderhaff, favorisiert. Für den Erztransport aus dem ukrainischen Kriwoi Rog wäre der Weg über sowjetische Schwarzmeerhäfen zum Oderhaff mit 20 DM je Tonne vergleichsweise billig gewesen. Der polnische Hüttenkoks aus Oberschlesien hätte über die Oder gleichfalls direkt per Schiff bis zum Verarbeitungsstandort Ueckermünde gebracht werden können. Außerdem verfügte der Standort noch über einen weiteren Vorteil: "Bei der hohen Fracht des sowjetischen Erzes ist damit zu rechnen", heißt es in einem Vermerk des Planungsministeriums, "daß eines Tages Erz aus Schweden verwendet wird, das zweckmäßiger Weise direkt durch Seeschiffe ohne Umschlag an das Hüttenwerk zu transportieren wäre. Auf einer ähnlich günstigen Verkehrslage beruht auch die Witschaftlichkeit der Hüttenwerke Lübeck (...)". (14) Doch unter den Bedingungen des Kalten Krieges waren letztlich politische Bedenken stärker als Wirtschaftlichkeitskriterien. Die sowjetischen Erzschiffe hätten den Bosporus, die Straße von Gibraltar und den Nordostseekanal beziehungsweise das Kattegat zu passieren gehabt, also Meerengen beziehungsweise Wasserstraßen, die die NATO-Mächte kontrollierten. Die Sowjets wie auch Industrieminister Selbmann meinten, daß die für die Ankurbelung der ostdeutschen Wirtschaft lebenswichtigen Zulieferungen allzu rasch zum Opfer der Ost-West-Konfrontation werden könnten. Beide befürworteten deshalb den Antransport des Erzes über einen kombinierten See-, Fluß- und Bahnweg: über das Schwarze Meer, die Donau und die Eisenbahnstrecke von Bratislava über Kosel an die Oder. Fürstenberg war der erste auf dem Boden der DDR in Frage kommende Standort an diesem Transportweg und zugleich 250 km von der Grenze zur Bundesrepublik entfernt. Man entschied sich daher für ihn, auch wenn der Antransport mehr als doppelt so teuer war wie von Ueckermünde. (15) Aufbau aus eigener Kraft. Die Bedeutung des EKO für die Wirtschaftsideologie der Pionierjahre der DDR Sollte das EKO gegenüber der DDR-Bevölkerung in erster Linie den Nachweis eines friedlichen Aufbaus im Osten erbringen, so symbolisierte es für die sich herausbildende ostdeutsche Wirtschaftselite mehr noch den "Aufbau aus eigener Kraft". An den "Großbauten des ersten Fünfjahrplanes" erprobte diese Elite ihr Selbstbewußtsein. Das EKO war das wirkungsvollste Demonstrationsobjekt, schon wegen seiner Größe, aber auch weil es - im Unterschied zu den rekonstruierten oder umgerüsteten 24 Schwermaschinenbaubetrieben - neu entstand. Dabei war es keinesfalls so, daß beim Aufbau des EKO weniger Probleme als bei anderen Großprojekten aufgetreten wären, oder daß man die Startschwierigkeiten schneller überwunden hätte als anderswo. Vom wirtschaftshistorischen Standpunkt aus betrachtet, verliefen der Aufbau der Niederschachtöfen in Calbe an der Saale oder die Errichtung von Kapazitäten für die Herstellung von Braunkohlen-Hochtemperatur-Koks im brandenburgischen Lauchhammer - die beiden bedeutendsten schwerindustriellen Projekte des ersten Fünfjahrplans nach dem EKO - rascher und erfolgreicher. Verfahren beziehungsweise Produkte waren immerhin Neuheiten, während es sich beim EKO um ein - vom technologischen Standpunkt betrachtet - "herkömmliches Ofenwerk" handelte. Eher als die Größe der Aufgabe waren es wahrscheinlich gerade die stärkeren Anfangsschwierigkeiten im EKO, die dazu führten, daß das dann schließlich doch zustande gekommene zufriedenstellende Ergebnis so hoch bewertet wurde. Die technologischen und qualifikatorischen Ausgangsbedingungen für das EKO waren allerdings abenteuerlich, wenn man die Situation mit den 24 Schwermaschinenbaubetrieben vergleicht, von denen etwa die Niles-Werke in Berlin-Weißensee (nun Werkzeugmaschinenfabrik "7. Oktober") oder Chemnitz (nun die Werkzeugmaschinenfabrik "8. Mai") oder die Schwarzkopff-Werke in Wildau bei Berlin (nun VEB Schwermaschinenbau "Heinrich Rau" Wildau) über eine jahrzehntelange Tradition deutscher Qualitätsarbeit verfügten. "Die größte Schwierigkeit bestand darin," schrieb Fritz Selbmann, Anfang der fünfziger Jahre als Minister für Industrie beziehungsweise für Schwerindustrie für den Aufbau des EKO verantwortlich, "daß die Republik über nur ganz wenige Leute verfügte, die etwas vom Bau von Hochöfen verstanden. So wurde ein Teil der Gesamtkonzeption des Werkes sowie auch die wichtigsten Konstruktionselemente von Leuten entworfen, die zwar am Bau von Stahlwerken beteiligt gewesen waren, die aber gewisse Spezialkenntnisse des Hochofenbaus sich aus Lehrbüchern während ihrer Konstruktionsarbeit zusammensuchen mußten. Schließlich wurden aber diese Schwierigkeiten überwunden, und so konnte der Bau durchgeführt werden mit der fast ausschließlichen Zulieferung der einzelnen Bauelemente und Konstruktionsteile aus der Industrie der DDR." (16) Nachdem die Hochofenproduktion letztlich zufriedenstellend angelaufen war, verwies man innerhalb der DDR-Wirtschaftselite besonders gern darauf, daß man die Hüttenproduktion aus eigener Kraft aufgezogen hatte, ohne die Hilfe der Spezialisten von Rhein und Ruhr in Anspruch zu nehmen. Das dabei gewonnene Selbstbewußtsein spiegelt sich in einem anderen Abschnitt von Selbmanns 1974 verfaßtem Bericht über den Aufbau des EKO wider: "Der Bau des Hüttenkombinats war von Beginn an von düsteren Prognosen interessierter Skeptiker begleitet, wozu vor allem die Zeitungen des Westens gehörten. Meistens wurde überhaupt bezweifelt, daß wir in der Lage seien, Hochöfen zu bauen, und es fanden sich westdeutsche Firmen, die sich erboten, die Öfen für uns zu errichten. Da sie aber Bauzeiten von mindestens zwei Jahren beanspruchten, mußten wir ihre Angebote ablehnen, da wir nicht so lange Zeit hatten. Das Land brauchte Eisen, mit diesem Gedanken schlief ich abends ein und wachte ich morgens auf, und so wurde der zuerst abenteuerlich anmutende Plan beschlossen, den ersten Hochofen anfahrbereit bis 1. Oktober 1951 fertigzustellen." (17) Dieser Termin wurde beinahe eingehalten, aber um welch einen Preis! Dem ersten Abstich wohnten Minister Selbmann und Professor Diepschlag bei, Direktor des Instituts für Eisenhüttenkunde an der Bergakademie Freiberg in Sachsen. Ihnen wurde eine Probe gereicht. "Professor, was meinen Sie?" - "Ja, Herr Minister, es kommt zwar aus dem Hochofen und sieht wie Eisen aus. Ich möchte aber lieber keine Analyse machen." (18) Diese Geschichte schrieb Jochen Czerny auf, derjenige unter den DDR-Historikern, der sich wohl am intensivsten mit dem EKO befaßt hat. Zur Charakterisierung des 1. Oktober 1951 fügte er hinzu: "Der Schrägaufzug funktionierte noch nicht. Die Hochöfner hievten Erz, Koks und Zuschläge kübelweise mit einem Notaufzug zur Gichtbühne. Mal kippte oben einer um, weil Gas austrat. Mal riß das Aufzugsseil, und der Kübel krachte 20 Meter runter. Von vorschriftsmäßiger Beschickung konnte also keine Rede sein." Von vorschriftsmäßigem Roheisen erst recht nicht. Das ließ sich nicht lange verheimlichen. Im Januar 1952 schickte das Politbüro der SED eine Untersuchungskommission ins EKO. Die Leitung hatte Walter Ulbricht. Das Politbüro verlangte eine durchgreifende Veränderung der Leitung des Aufbaus und der Produktion des Werkes. An das Zentralkomitee der KPdSU erging die Bitte, Metallurgie-Spezialisten als Konsultanten ins EK0 zu schicken. "Nach Meinung der sowjetischen Spezialisten waren die Öfen krank und mußten zunächst wie Kranke behandelt werden", schreibt Selbmann in seinen Erinnerungen. (19) In der nüchternen Sprache der Produktionsstatistik schlugen sich die "Kinderkrankteiten" der Hochofenproduktion im EKO wie folgt nieder: Produktionsplanerfüllung 1951: 58,9 Prozent, Planerfüllung 1952: 58 Prozent. Erst im Jahre 1953 konnte das im Plan gesetzte Produktionslimit zu 100 Prozent erreicht (und überboten) werden. Fast zwei Jahre hatten die außerordentlichen Anlaufschwierigkeiten gedauert. Mit zwei Jahren Aufbauzeit für die ersten Hochöfen hatten auch die Fachleute im Westen gerechnet. Als aber dann in den folgenden Jahren die Planziele am Hochofen erfüllt wurden (zwischen 1955 und 1980 kam es nur während zweier Jahre, 1956 und 1965, zu einer vergleichsweise geringfügigen Unterschreitung der von 0,9 Millionen Tonnen im Jahre 1955 auf 1,9 Millionen Tonnen im Jahre 1980 steigenden Jahresproduktion), begannen sich bei den Hochöfnern, in der Werkleitung und bei den Werkschronisten die bangen Tage I und Monate nach dem Erstabstich zu verklären. Was in Erinnerung blieb, waren die Geschichten "vom schweren Anfang", die außergewöhnlichen Anforderungen und Leistungen beim "Aufbau aus eigener Kraft", Pioniertaten, auf die man durchaus stolz sein konnte. Der unterbrochene metallurgische Zyklus. Die Entwicklung des EKO von 1953 bis 1989 Spürbare Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des EKO hatte der 17. Juni 1953. Der zur materiellen Zufriedenstellung der Bevölkerung von der SED-Führung verkündete "Neue Kurs" sah die Herstellung von mehr Konsumgütern vor. Dafür wurden Investitionsmittel aus dem Schwermaschinenbau und der Schwerindustrie abgezogen. (20) Vorübergehend galt deshalb nicht mehr die Losung, die den Wiederaufbau der Eisen- und Stahlindustrie in Ostdeutschland bislang begleitet hatte, das auf eine bessere Zukunft verweisende Wort "Aus Stahl wird Brot", sondern das eine sofortige Verbesserung der Versorgung verheißende "Brot statt Stahl". Der wirtschaftspolitische Wechsel blieb für das größte schwerindustrielle Investitionsobjekt nicht ohne Konsequenzen. Hatte es 1951 als beschlossene Sache gegolten, daß der Hochofenbetrieb noch bis 1955 durch ein Siemens-Martin-Stahlwerk und ein Walzwerk für Grob- und Feinbleche ergänzt werden müsse, so war seit dem "Neuen Kurs" davon keine Rede mehr. Dieser "Neue Kurs" der SED-Führung zur Beschwichtigung der Arbeiter nach dem 17. Juni 1953 dauerte allerdings kaum anderthalb Jahre. Zu einer Verwirklichung der ursprünglichen Ausbaupläne für das EKO kam es in den fünfziger Jahren jedoch nicht. Die anvisierte energiesparende Kombination von Eisenhütte, Stahl und Walzwerk, die vorsah, aus dem Roheisen Stahl zu schmelzen und den Stahl dann heiß über eine Stranggußanlage und die Warmbandstraße zum Ausgangsmaterial für die kalte Verarbeitung zu walzen, blieb auf dem Papier. Der metallurgische Zyklus war unterbrochen, das heiße Roheisen mußte in Masseln gegossen und abgekühlt zu den Stahlwerken transportiert werden. Viel Energie wurde dabei verbraucht. Die Produktionskosten für Walzgut lagen unter anderem deshalb in der DDR beträchtlich höher als in Produktionsstätten der Bundesrepublik mit vollständigem metallurgischen Zyklus. (21) Seit 1963 wurde auf dem EKO-Gelände ein Kaltwalzwerk errichtet, das 1968 die Fertigung von Blechen und Bändern aufnahm. Das Kaltwalzwerk machte das EKO zum Bandstahlkombinat und damit zu einem der drei großen metallurgischen Kombinate der DDR. Eine weitere Lücke im metallurgischen Zyklus wurde in den Jahren 1981 bis 1984 durch den Aufbau eines Konverterstahlwerkes geschlossen. Aber auch jetzt noch mußte der produzierte Stahl in Form von Brammen erkalten, um anschließend in einer Größenordnung von 700 000 bis 800 000 Tonnen zum Warmwalzen in die Bundesrepublik verschickt, zurückgeführt und im EKO-Kaltwalzwerk weiter verarbeitet zu werden. Die Arbeiter im EKO nannten diese kostenintensive Praxis "Stahltourismus". Die Schließung der letzten Lücke im metallurgischen Zyklus machte die Errichtung einer Warmbandstraße immer notwendiger. Pläne dafür gab es seit 1983 / 84. Der Bau des Warmwalzwerkes wurde 1986 begonnen, aber Ende 1987 aufgrund zentraler Entscheidungen wieder gestoppt. (22) Die technologische Lücke, die der Ende 1989 52 000 Einwohner zählende größte Metallurgiestandort der DDR aufwies, konnte aufgrund chronischer Knappheit an Investmitteln nicht mehr geschlossen werden. Das war ein Grund, warum das EKO, das einst als DDR-Gegenstück zur traditionellen Metallurgiebasis an Rhein und Ruhr geschaffen worden war, die Produktivität und Effektivität der dortigen eisenschaffenden Industrie nie erreichen konnte. Technologischer Rückstand und westliches Know-how. Das EKO in der Niedergangsphase der DDR Eines läßt sich an den nur zögerlichen Bemühungen um die Schließung des metallurgischen Zyklus mit Sicherheit ableiten: Das EKO war in den sechziger bis achtziger Jahren kein "Schwerpunktobjekt" mehr, das DDR- Prominenz und hohe ausländische Gäste mit häufigen Besuchen beehrten. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Wirtschaftsführung gelangten in den sechziger Jahren die Erdölverarbeitung und in den siebziger / achtziger Jahren die Mikroelektronik. Die technologische Entwicklung hatte die Stahlindustrie ihrer Vorreiterrolle auch in der DDR beraubt. Um die wirtschaftliche Existenz der DDR zu sichern, wurde mehr benötigt als Eisen und Stahl. In den achtziger Jahren waren die Hochöfen des EKO nicht einmal mehr voll ausgelastet. (23) Das generell zu verzeichnende Zurückbleiben der DDR und ihrer östlichen Verbündeten auf technologischem Gebiet während der siebziger und achtzigerJahre läßt sich auch am Beispiel der weiteren Entwicklung des EKO demonstrieren: Hatte man Anfang der fünfziger Jahre noch weit gehend "aus eigener Kraft" eine "herkömmliche", das heißt, eine dem üblichen Niveau in Deutschland entsprechende Anlage geschaffen und konnte man beim Aufhau des Kaltwalzwerks in den sechziger Jahren noch auf sowjetisches Know-how zurückgreifen, so wurde beim Bau des Sauerstoff-Konverterstahlwerks und der Stranggußanlage Anfang der achtziger Jahre die technologische Führerschaft bereits einem westlichen Unternehmen, der österreichischen VOEST Alpine, übertragen. (24) Erst aufgrund dieser EKO-lnvestition konnte damit begonnen werden, in den anderen Stahlwerken die international längst veraltete Siemens-Martin-Schmelztechnik abzubauen, die in der DDR 1983 noch eindeutig dominierte, während in der Bundesrepublik Anfang der achtziger Jahre die letzten Kapazitäten stillgelegt worden waren. Für das in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre geplante Warmwalzwerk wurde schließlich mit japanischen Firmen verhandelt. Die in den fünfziger Jahren gebauten Hochöfen des EKO waren zwar teilweise modernisiert, aber nur ein einziger war durch einen Neubau ersetzt worden. Eine grundsätzliche Modernisierung hätte jedoch auch den Abriß der anderen Hochöfen und den Neubau in ganz anderer Größenordnung verlangt. Der leistungsfähigste Hochofen der Bundesrepublik erzeugte Mitte der achtziger Jahre mehr Roheisen als alle sechs Hochöfen des EKO zusammen. Der spezifische Verbrauch von Steinkohlenkoks im Hochofenprozeß lag im Jahre 1982 in Eisenhüttenstadt um 30 Prozent über dem Niveau der Thyssen-Hochöfen im Ruhrgebiet. Bezogen auf die gesamte Roheisen-, Rohstahl und Walzproduktion betrug die Pro-Kopf-Leistung in der DDR Mitte der achtziger Jahre 62 Prozent des bundesrepublikanischen Niveaus, ein - wie es von westdeutscher Seite eingeschätzt wurde - "im Vergleich zu anderen Grundstoffindustrien noch relativ gutes Ergebnis" (25). Nach schwierigen Privatisierungsverhandlungen konnte die Treuhandanstalt in der letzten Ausgabe ihrer "Informationen" im Dezember 1994 auf der ersten Seite melden: "Die belgische Cockerill Sambre hat die EKO Stahl AG übernommen". Eisenhüttenstadt blieb damit als Industriestandort im östlichen Brandenburg erhalten. Seine in der DDR entstandene Hüttentradition hat im wiedervereinigten Deutschland einen Platz bekommen. Einer der ersten Schritte auf dem Wege in die gesamtdeutsche Metallurgie war die Schließung der technologischen Lücke im metallurgischen Prozeß durch ein Dünnbrammenwalzwerk, das durch die Zusammenführung von Gieß- und Walzprozeß die Zwischenarbeitsgänge des Abkühlens und des erneuten Aufwärmens vermeidet, wodurch die Produktion am Standort kostengünstiger und die nunmehrige EKO Stahl GmbH wettbewerbsfähig wird. |