Deutsch-Sowjetische Freundschaft in Aktion. Die beiden sowjetischen
Ingenieure Michailowitsch und Schulgin sorgten dafür, daß die
Anlaufschwierigkeiten der Produktion 1954 überwunden wurden. |
Eine systematische Erforschung
der verschiedenen Ostblock-Eliten wird bisher nicht betrieben allenfalls
erste Ansätzen sind erkennbar. (1)
Während zu den meisten Teilgruppen dieser Eliten noch nicht einmal Forschungskonzepte
vorliegen, gibt es aber Überlegungen zum Führungspersonal der DDR-lndustrie:
Zu ausgewählten Betrieben haben erste Untersuchungen begonnen, (2)
in die das Eisenhüttenkombinat 0st bisher jedoch nicht einbezogen ist.
Auch die folgenden Darlegungen sind noch nicht das Resultat langfristiger
Forschung. Deshalb kann hier nur Material ausgebreitet werden, das für
die Beantwortung von drei Fragen Relevanz haben dürfte. Erstens: Wer waren
die Führungskräfte der ersten Generation, also diejenigen, die den Aufbau
des EKO leiteten, und unter welchen politischen Umständen hatten sie zu
arbeiten? Zweitens wird auf der Grundlage von Interviews die Herkunft
einer langjährigen Führungspersönlichkeit der zweiten Generation beschrieben.
Und drittens wird der wahrscheinlich wichtigste - und zugleich einzige
über Eisenhüttenstadt hinaus bekannte - Generaldirektor des EKO, Erich
Markowitsch, in seiner Tätigkeit bis Ende 1955 vorgestellt.
Die Führungskräfte der ersten Generation
Da die Organisation der Wirtschaft in der DDR von Anfang an am Vorbild
der Sowjetunion ausgerichtet wurde, bewegte sich die politische Führung
in demselben Dilemma, vor dem schon die russischen Revolutionäre von 1917
gestanden hatten. Zwar sollte das Privateigentum an Produktionsmitteln
durch Staatseigentum ersetzt werden, doch fehlte es in den eigenen Reihen
an entsprechend qualifiziertem Personal. So kam man weder in der Sowjetunion
noch in der DDR umhin, Fachleute heranzuziehen, die in der kapitalistischen
Marktwirtschaft sozialisiert waren - und denen man deshalb letztlich mißtraute.
Entsprechend Lenins Forderung: "Stellt dem Spezialisten einen Kommissar,
eine Kommission usw. zur Seite" (3),
übernahmen auch in der DDR die eigentliche Verantwortung Politiker und
Funktionäre, die von der Wirtschaft in der Regel wenig verstanden, den
Fachleuten gegenüber jedoch weisungsbefugt waren. Die Reibungsverluste
durch eine solche Konstruktion waren natürlich enorm, der wirtschaftliche
Schaden oft beträchtlich.
Bei der Schaffung neuer industrieller Kapazitäten während des 1. Fünfjahrplanes
(1951 bis 1955) kam der Errichtung des EKO absolute Priorität zu - war
doch der verarbeitenden Industrie, die auf dem Gebiet der DDR traditionell
dominierte, durch den Verlust Oberschlesiens und die Spaltung Deutschlands
die metallurgische Grundlage entzogen. Während die Situation in den meisten
Industriezweigen der DDR ohnehin schon schwierig war, fiel sie in der
Roheisen-Metallurgie noch komplizierter aus. Denn nicht nur die verantwortlichen
Politiker und Funktionäre waren nicht vom Fach, auch die sogenannten Fachkräfte
- selbst die, die aus der Roheisen-Branche kamen - waren keine Spezialisten
für den Hochofenbau. Trotz dieses Dilemmas schlug die DDR-Führung 1950
ein Angebot der Gute-Hoffnung-Hütte in Oberhausen, das Werk zu errichten,
mit der Begründung aus, zwei Jahre Bauzeit seien zu viel. (4)
Die oberste Entscheidungsbefugnis bei der Errichtung des EKO lag in Berlin
beim zuständigen Minister für Schwerindustrie, Fritz Selbmann. Selbmann
(Jahrgang 1899), von Hause aus Bergmann, war in den zwanziger Jahren bis
in die Führungsebene der KPD aufgestiegen und gegen Ende der Weimarer
Republik Bezirksleiter in Sachsen und Reichstagsabgeordneter gewesen.
Während der gesamten Nazi-Zeit wurde er zunächst im Zuchthaus, dann in
verschiedenen Konzentrationslagern eingekerkert. In der Einzelhaft im
Zuchthaus bildete sich der Autodidakt weiter und verfaßte ein philosophisches
Manuskript, dessen erster Teil nicht vernichtet wurde und nach dem Krieg
in einem kleinen sächsischen Privat-Verlag erschien. Es weist Selbmann
als originellen und gebildeten Denker aus. (5)
Durch einen zehnmonatigen Dunkelarrest im KZ Flossenbürg verlor
Selbmann 1944 einen Teil seiner Sehkraft.
Nach 1945 stieg Selbmann dank seiner organisatorischen Fähigkeiten vom
Präsidenten des sächsischen Landesarbeitsamtes, sächsischen Wirtschaftsminister
und DDR-Minister für Industrie (1949 / 1950) sehr schnell zum
erfolgsreichsten Wirtschaftspolitiker der SED auf. Deshalb war es nicht
überraschend, daß er, nachdem die Entscheidung gefallen war, die Roheisenindustrie
auszubauen, damit beauftragt wurde, ein eigenständiges Ministerium für
Schwerindustrie zu bilden. Selbmann war also der eigentliche Bauherr des
EKO.
Für die Planung des EKO-Werkgeländes war der Bauhäusler und Verfolgte
des Naziregimes Waldemar Alder verantwortlich. (6)
Selbmanns "rechte Hand" für das EKO war als Hauptabteilungsleiter für
die Eisenindustrie jedoch jemand anders: ein Mann aus der Eisenbranche,
der in der frühen Wirtschaftsverwaltung der DDR zudem eine Ausnahme darstellte.
Er war Fachmann und galt zugleich als politisch verläßlich. Dr. Ing. Heinrich
Krämer hatte in Aachen studiert und über das Eisenhüttenwesen promoviert,
bis 1945 in seinem Beruf, wenn auch nicht im Hochofenbau, gearbeitet und
in seinem Fach ständig publiziert. Mitglied der KPD war er offiziell erst
1945 geworden, vor 1933 jedoch mehrere Jahre lang im Berliner Büro für
industriellen Fortschritt beim Obersten Volkswirtschaftsrat der UdSSR
tätig gewesen und 1945 von der Besatzungsmacht sofort in die "Deutsche
Zentralverwaltung Industrie" übernommen worden.
Die Unterlagen für den Bau des EKO wurden im Zentralen Konstruktionsbüro
des Selbmann-Ministeriums erarbeitet. Chefkonstrukteur war Rudolf Stoof,
ein erfahrener Walzwerker, der von 1921 bis 1945 im Stahl- und Walzwerk
Hennigsdorf als Ingenieur gearbeitet und 1946 dessen Demontage geleitet
hatte. Auch beim Wiederaufbau dieses Werkes ab Oktober 1947 war er mit
dabei, als technischer Direktor. Bevor er ohne jegliche Erfahrung im Hochofenbau
Chefkonstrukteur im Zentralen Konstruktionsbüro wurde, leitete er noch
für kurze Zeit den Wiederaufbau des Stahlwerks Brandenburg. Nach 1945
trat er in keine Partei ein, zwischen 1933 und 1945 war er Mitglied der
NSDAP gewesen.
Einer seiner führenden Mitarbeiter im Zentralen Konstruktionsbüro war
der Maschinen-lngenieur Ernst Müller. Müller hatte bis 1945 bei verschiedenen
Firmen als Konstrukteur und Montageleiter, erst in Leipzig, zum Schluß
in Bremen bei der Firma Weser / Flug gearbeitet. 1937 war er
der NSDAP beigetreten. Von den Amerikanern entnazifiziert, arbeitete er
seit 1947 als Teilhaber in der Gärtnerei seines Schwiegervaters, gab dies
jedoch schnell wieder auf, ging in die kaufmännische Leitung eines Kraftwerks
und im Juli 1948 in die Maxhütte Unterwellenborn, dem einzigen Roheisenwerk
der SBZ. 1949 trat er in die SED ein. Von der Maxhütte wurde er 1950 ins
Selbmann-Ministerium geholt und in die Aufbauarbeiten des EKO einbezogen.
Selbmanns Mann >vor Ort<, Otto Ringel, war ein Selfmademan, dessen einzige
systematische Ausbildung aus einer Zimmermannslehre bestand. Auch politisch
war er ein völlig unbeschriebenes Blatt. Ehe der ungelernte Hüttenarbeiter
1935 in die Maxhütte eintrat, hatte er zehn Jahre lang als Landwirtschaftsgehilfe
und Hilfsarbeiter gearbeitet. Nach 1945, als das kriegsbeschädigte Hochofenwerk
wieder in Gang gebracht wurde, konnte Ringel erstmals sein Organisationstalent
entfalten und Aufgaben lösen, die selbst Ingenieure nicht bewältigten.
Ringel wurde Mitglied der KPD und gehörte zu den ersten Aktivisten in
der SBZ; für seine Arbeit in der Maxhütte wurde er mit dem Nationalpreis
ausgezeichnet. Im August 1950 erhielt er seine Berufung zum Aufbauleiter
des EKO.
Mit ihm kam Willi Zimmer. Zimmer hatte 1924 als Assistent in der Maxhütte
angefangen und war 1940 zum Chef des gesamten Hochofenbetriebes aufgestiegen.
Er wurde der erste technische Betriebsleiter des EKO.
Da niemand der Beteiligten je einen Hochofen gebaut hatte und auch die,
die in ihrer Arbeit mit Hochöfen zu tun gehabt hatten, nur die kleinen,
völlig veralteten Hochöfen der Maxhütte kannten, wurde die EKO-Projektierung
eine Fahrt ins Ungewisse. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme standen
den Konstrukteuren des EKO keinerlei sowjetische Pläne zur Verfügung.
Das einzige, worauf sie zurückgreifen konnten, waren Pläne, die 1944 in
der Zeitschrift "Stahl und Eisen" für den deutschen "Einheitsofen" veröffentlicht
worden waren. (7)
Der Betrieb lief nach neun Monaten Bauzeit am Ofen I an. Ständig kam es
zu Pannen und Unfällen; nichts funktionierte so wie geplant. Deshalb fuhr
am 13. Januar 1952 Walter Ulbricht nach Fürstenberg. Ausgerechnet an diesem
Tag ereignete sich der nächste Zwischenfall: An den Staubsäcken I und
IIkam es zu Verpuffungen, die später zu Explosionen hochgespielt wurden.
Es war die Zeit, in der Stalin den Ostblock durch Schauprozesse systematisch
gleichschalten ließ. Ulbricht wußte, daß früher oder später auch die DDR
an der Reihe sein würde, zumal der NKWD (Sowjetische Geheimpolizei) seit
Ende 1949 wiederholt Verhaftungen von deutschen Spitzenfunktionären vorgenommen
hatte. Kenner der Szene warteten Monat für Monat auf den "deutschen Prozeß"
- der denen zwischen 1936 und 1938 in Moskau, 1948 in Sofia und Budapest
und seit Ende 1951 in Prag ähneln würde. Die Idee, auf die Ulbricht die
Schwierigkeiten im EKO brachten, lag also in der Luft, ging aber zugleich
über die Verfolgungen in den anderen Ostblock-Staaten hinaus: Er, Ulbricht,
würde nicht nur, wie seine Amtskollegen in Ungarn, der CSR usw., einen
Schauprozeß gegen vermeintliche oder wirkliche Konkurrenten inszenieren.
Er würde beweisen, daß er die Geschichte der Bolschewiki als einziger
vollständig verstanden habe. Neben einem "normalen" Schauprozeß würde
es in der DDR auch einen "Industrie-Prozeß" nach Vorbild des Schachty-Prozesses
von 1929 geben. (8)
Als Angeklagte dieses Prozesses erkor er die Führungskräfte beim EKO-Aufbau.
Bis auf wenige Angaben zu Fritz Selbmann stammen die hier zuvor zitierten
Aussagen über Heinrich Kraemer, Rudolf Stoof, Ernst Müller, Otto Ringel
und Willi Zimmer sämtlich aus Dossiers, die sich Ulbricht nach seinem
EKO-Besuch anfertigen ließ. Sie sind alle datiert mit dem 3. Februar 1952.
(9) Einen
Tag später lieferten der Volkspolizeirat Zänker, der Volkspolizei-Kommandeur
Hüttner und der Volkspolizei-lnspekteur Knoppe mit ihrem "Bericht[.] Betr.:
Verdacht der bewußten Störung bei der Projektierung und Aufbau des Eisenhüttenkombinats
0st in Fürstenberg" das dazugehörige Szenario. Das sechzehnseitige Schriftstück
suggeriert eine großangelegte Verschwörung gegen die DDR und das EKO:
"[...] verstärkt sich durch unsere Darlegung der Verdacht, daß die Saboteure
unter den aufgeführten Funktionären gesucht werden müssen [...].
Hierbei muß besonders das verantwortungslose Verhalten des Ministers
Selbmann hervorgehoben werden." (10)
Der Bericht ist mit Schreibmaschine geschrieben - bis auf die Personennamen.
An ihrer Stelle befinden sich durch Punkte markierte Auslassungen. Wer
die jeweiligen Namen handschriftlich eingefügt hat, ist unklar.
Wenige Wochen später entsandte die sowjetische Vormacht zwei Hütten-Spezialisten,
den Magnitogorsker Chefmetallurgen Michailowitsch und dessen Hauptmechaniker
Shulgin, die das EKO zu inspizieren und anschließend mit Ulbricht zu konferieren
hatten. Im überlieferten Wortprotokoll entfaltete Ulbricht, den Bericht
zur Verschwörungstheorie in der Schublade, seine Schachty-Prozeß-ldee.
Doch dieses Mal hatte Moskau wirklich Fachleute und nicht Ideologen geschickt.
Beide winkten ab, lobten die Grundkonstruktion des Ofens und erklärten
die Probleme aus der völligen Unbedarftheit der zweifellos gutwilligen
deutschen Kollegen. Der deutsche Schachty-Prozeß fiel aus. Ex-KZ-Häftling
Fritz Selbmann und seine Kollegen durften ihr Leben behalten.
Bis zum 16. Juni 1953 war das Ulbricht wahrscheinlich gar nicht einmal
unlieb, hatte er doch "rein persönlich" - nichts gegen den selbstbewußten
Selbmann. Doch an diesem Tag zog dieser sich definitiv Ulbrichts Haß zu.
Denn Selbmann forderte den Generalsekretär der SED, der sich in Görings
ehemaligem Reichsluftfahrtministerium vor den demonstrierenden Bauarbeitern
verbunkert hatte, auf, zu den Demonstranten im Innenhof zu sprechen. (11)
Als Ulbricht sich weigerte, ließ Selbmann in den Hof des Gebäudes einen
Tisch stellen, von dem aus er selbst versuchte, zu den Kumpeln zu sprechen.
(12)
Den Aufstand vom 17. Juni konnte er dadurch freilich nicht abwenden.
Innerhalb und außerhalb der SED errang er aber damit den Ruf, der einzige
in der Führung zu sein, der, wenn es schwierig wird, sich nicht verstecke.
In der ersten Zeit nach dem 17. Juni war Selbmann zunächst für Ulbricht
und die SED-Führung nicht nur unverzichtbar, sondern ob seines Auftretens
auch unangreifbar. Ulbricht wartete vier Jahre lang. Als er seinen eigenen
SteIIvertreter, Karl Schirdewan, auch ein "Sachsenhausener" wie Selbmann,
als angeblichen Feind stigmatisierte und auf diese Weise entmachtete,
(13)verlor
Selbmann die Kontrolle und bezichtigte Ulbricht, die ehemaligen KZ-Häftlinge
systematisch ausgeschaltet zu haben - eine Behauptung, die zweifellos
zutraf, hatte doch Ulbricht zusammen mit anderen Überlebenden der
"Moskauer Emigration" ab 1950 die Kommunisten, die die nationalsozialistischen
Konzentrationslager und Zuchthäuser überlebt hatten, schrittweise verdrängt.
(14)
Zu der Zeit lebte Stalin schon lange nicht mehr. Deshalb verlor
Selbmann nicht sein Leben, nur seine Funktion. Da er aber stets mehr als
ein Funktionär gewesen war, flüchtete er nicht wie die meisten, die dasselbe
Schicksal hatten, ins Schweigen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte
er als produktiver Schriftsteller. (15)
Dr. Karlrolf Arenbeck
Während die Führungskräfte der ersten Generation, wie auch Selbmann, um
die Jahrhundertwende geboren wurden, zählt Dr. Karlrolf Arenbeck (16)
zur HJ- und Kriegsgeneration. Arenbeck wurde 1923 als Sohn eines Architekten
geboren und verbrachte Kindheit und Jugend in den verschiedensten Gegenden
Deutschlands - die Familie zog stets den Arbeitsstellen des Vaters hinterher.
Auch nach 1933, als die soziale Situation der Arenbecks sicherer wurde
- der Vater machte Karriere im Reichsarbeitsdienst -, blieb das >Wanderleben<.
Seine letzten Schuljahre verbrachte Karlrolf Arenbeck auf einer Nationalpolitischen
Erziehungsanstalt (Napola) in Schlesien. Auf diesen Schulen wurden die
künftigen Eliten des Dritten Reiches ausgebildet - während sich die "Adolf-Hitler-Schulen"
mehr um die Ausbildung des künftigen "Mittelbaus" zu kümmern hatten. Nach
dem Abitur ging Arenbeck zur Luftwaffe und war ab 1943 in der Reichsverteidigung
als Jagdflieger eingesetzt. Bis zum Schluß hoffte er auf den "Endsieg".
Bei Kriegsende abgeschossen, geriet er in britische Gefangenschaft, wurde
aber noch im Jahre 1945 entlassen. Bei seinen Eltern, die bei Arenbecks
Großeltern in der Sowjetischen Besatzungszone untergekommen waren,
fand er Unterkunft und eine Anstellung in einer Kfz-Werkstatt.
Doch das war es nicht, was Karlrolf Arenbeck wollte - er wollte studieren.
Der ehemalige Schuldirektor seines Vaters, ein alter Sozialdemokrat, machte
Arenbecks Eltern klar, daß ihr Sohn mit seinem familiären Hintergrund
und der bisherigen eigenen Entwicklung in der SBZ keine Chance auf höhere
Bildung haben würde - es sei denn, er trete einer Partei bei. Im Februar
1946 wurde Arenbeck Mitglied der SPD, im Sommer begann er in Halle das
Studium der Chemie, das er 1950 erfolgreich abschloß.
Sein erster Arbeitsort hieß Calbe; dort wurde das Eisenhüttenkombinat
West errichtet, hier sollte nach dem neuartigen Niederschachtofenverfahren
Eisen gewonnen werden. Auf den jungen Chemiker wurde Karl-Heinz Zieger
von der Maxhütte (17)
schnell aufmerksam und motivierte ihn, in die Maxhütte zu kommen,
wo sich Arenbeck in einem Fernstudium zum Hütteningenieur weiterqualifizierte.
Mit Arenbeck kamen zwei weitere junge Akademiker. Als Zieger 1952 in Fürstenberg
den in die Maxhütte zurückkehrenden Willi Zimmer ablöste, nahm er Arenbeck
mit; die anderen beiden gingen in die Bundesrepublik.
Arenbeck war jung, gut ausgebildet sowie ehrgeizig, er begann im EKO als
Chef eines Hochofens. Chef des Hochofenwerkes war Zieger. Als dieser später
zum Haupttechnologen und noch weiter in der EKO-Hierarchie aufstieg, folgte
ihm Arenbeck Treppenstufe für Treppenstufe. In den Parteigremien war Arenbeck
trotzdem nicht beliebt. Im Dezember 1955 wurde zum Beispiel berichtet:
"Rein äußerlich gibt es deshalb von verschiedenen Wirtschaftsfunktionären
[-] Genossen Zieger und Genossen Arenbeck [-] solche von uns geduldeten
Meinungen, daß sie zu ihrer eigentlichen wirtschaftlichen Aufgabe vor
lauter gesellschaftlichen Aufträgen nicht kommen. Zu den letzten von der
Partei durchgeführten Veranstaltungen erschienen sie nicht. [...] Am deutlichsten
zeigte sich der politische Zustand unserer Intelligenz im EKS [,] als
am Sonnabend [,] dem 10. 12. 1955 [,] drei westdeutsche Konzernangehörige
unseren Betrieb besuchten. Zu dem Abschnitt im 25. Plenum [des ZK der
SED] über die Modernisierung [...] sagte der Genosse Arenbeck, jetzt muß
uns erst das ZK darauf hinweisen, daß wir einen viel größeren Kontakt
mit den Kapitalisten, vor allem mit den westdeutschen haben müssen. [...]
Diese schwache und schwankende Haltung der führenden Wirtschaftskader
zeigt sich deutlich darin, daß die vielen gemachten Vorschläge durch sowjetische
Fachleute mangelhafte Anwendung im Eisenhüttenkombinat fanden. Der Genosse
Arenbeck ließ sich in diesem Zusammenhang zu solchen Äußerungen hinreißen,
bei uns kann der beste Hochofeningenieur aus Westdeutschland kommen, er
wird hier nichts schaffen, weil wir keine Voraussetzungen in den Grundstoffen
für den Betrieb haben. Genosse Arenbeck erklärte, daß er sehr wertvolle
Hinweise von den westdeutschen Konzernleuten erhalten habe". (18)
Arenbeck war trotz aller Anfeindungen Jahrzehnte lang eine der zentralen
Personen, die dafür sorgten, daß das EKO seine wichtigste Aufgabe - Versorgung
der DDR-lndustrie mit Roheisen - erfüllte.
Allerdings hatte er nicht nur Feinde. Zwischen dem ehemaligen KZ-Häftling
Selbmann und dem ehemaligen Schüler einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt
Arenbeck bestand zum Beispiel über lange Jahre ein Vertrauensverhältnis,
das - was in der DDR alles andere als selbstverständlich war - Selbmanns
Sturz überdauerte und zu Freundschaft wurde. Auch später noch trafen sich
die beiden Männer regelmäßig, nicht zuletzt, um einer gemeinsamen Leidenschaft
zu frönen: dem waidmännischen Handwerk.
Erich Markowitsch
1954 geriet die Führungsetage des EKO in Unruhe. Der Werkleiter der Erzgruben
West in Badeleben und externe Absolvent der SED-Parteihochschule, Erich
Markowitsch, wurde als Generaldirektor eingesetzt. Markowitsch war 41
Jahre alt und galt als ein fähiger Organisator. Ebenso wie der 14 Jahre
ältere Selbmann hatte Markowitsch die ersten Jahre nach 1933 im Zuchthaus
verbracht und war danach in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert
gewesen; aus dem KZ Sachsenhausen kannten sie einander persönlich. Von
dort war Markowitsch 1942 nach Buna-Monowitz bei Auschwitz und 1944 nach
Buchenwald verlegt worden, wo er als Mitglied des illegalen Lagerkomitees
die Befreiung erlebte. Nach 1945 arbeitete er, wie viele ehemalige Buchenwalder,
beim Aufbau der Polizei mit, erst in Hamburg, wenig später als Leiter
des Kriminalamtes Thüringen-Ost, dann als Leiter einer Polizeischule.1946
übernahm er in der Maxhütte eine jener Schlüsselpositionen, die nach 1945
die Kommunisten in allen Verwaltungen und Betrieben als erstes unter ihre
Kontrolle zu bringen suchten: die Leitung der Kaderabteilung. Markowitschs
Personalpolitik war erfolgreich, er suchte die richtigen Leute aus, urn
die Maxhütte schnell wieder zum Produzieren zu bringen.
Auf die Entwicklung des EKO hatte der 17. Juni 1953 nachhaltige Auswirkungen
gehabt. Durch die Proteste der Bevölkerung war die SED-Führung gezwungen
worden, der Produktion von Konsumgütern zumindest zeitweise eine höhere
Priorität einzuräumen. Investitionen, die ursprünglich für die Grundstoff-
und Produktionsmittelindustrie vorgesehen waren, wurden deshalb in die
staaliche Konsumgüterindustrie umverteilt. Auch der Druck auf die Reste
der privaten Industrie, die einen nennenswerten Anteil dieser Waren herstellte,
wurde zurückgenommen; zudem erhielten auch die Privaten nun höhere Kontingente
an Rohstoffen und für den Erwerb von Ausrüstungen. (19)
Vor diesem Hintergrund fielen für das EKO Entscheidungen, die anfangs
nur als vorläufig gedacht waren, bald aber den Charakter strategischer
Entscheidungen annahmen. Die Zahl der geplanten Hochöfen wurde von acht
auf jene sechs, die schon errichtet oder im Bau waren, reduziert und die
Arbeiten am Stahlwerk eingestellt. Vom avisierten Eisenhüttenkombinat
blieb somit ein Roheisenwerk übrig.
Doch selbst in diesem Torso, der viel leichter überblickbar und leitbar
war als ein komplettes Kombinat mit Roheisenwerk, Stahlwerk, Warmwalz-
und Kaltwalzwerk, traten immer wieder Störungen auf, die eine kontinuierliche
Produktion verhinderten. Deshalb schickte Selbman mit Erich Markowitsch
jemanden, von dem erhoffte, daß er mit dem >Problemkind< EKO zu rechtkommen
werde. Im EKO hatten sich in der Aufbauzeit die Strukturen schnell verfestigt.
Viele Führungskräfte waren nicht auf Grund ihrer Qualifikation
oder ihrer Arbeitsleistung in Positionen gekommen, sondern weil sie der
SED beigetreten waren und weil bestimmte Positionen einfach besetzt werden
mußten. Die Unbequemen, wie den 1. Kreissekretär der SED, Dahinten, der
sich nach dem 17. Juni nachdrücklich für die Forderungen der Arbeiter
eingesetzt hatte, (20)
schied die neue Elite schnell und effektiv aus. Instrument dieser Politik
war die Kreisparteikontrollkommission der SED, die jeden bespitzelte,
der Unruhe in das Leben der Führungskräfte brachte.
Anfangs wurde Erich Markowitsch ganz offensichtlich als jemand betrachtet,
der leicht integriert werden könnte. Doch Markowitsch war ein Machtmensch.
Er verspürte keinerlei Drang, sich auf die Rolle des Repräsentanten der
etablierten EKO-Führungskräfte zu beschränken, und machte seine eigene
Politik, das heißt: Er wurde unbequem. Er verbreitete vor allem Unruhe,
indem er sich massiv in die Personalpolitik einmischte. Damit war er für
alle Führungskräfte - zumindest potentiell - eine Bedrohung.
Deshalb begann der Chef der Kreisparteikontrollkommission, wenige Monate,
nachdem der neue Direktor eingesetzt worden war, gegen Markowitsch Material
zu sammeln. Die Überlieferung beginnt im März 1955. Den stellvertretenden
Kaderleiter - der nominelle Leiter war schwach und nur dessen Marionette
- hatte er sich schnell zum Feind gemacht. In einem fünfseitigen Papier
vom 25. März 1955 führte dieser Beschwerde, daß Markowitsch nicht gewillt
sei, sich unterzuordnen, und fuhr dann fort: "lm Werk wurden dem Gen.
Markowitsch aufgrund seines Auftretens die bezeichnenden Spitznamen zuteil
wie >Graf Bohnerwachs< (aalglatt) und >Graf Beppo<". Im übrigen habe Markowitsch
schon in der Maxhütte Personen gefördert, die sich später als Agenten
entpuppt hätten bzw. "republikflüchtig" geworden seien. Am Ende des Papiers
wurde das Ziel der Philippika noch einmal zusammengefaßt: "Werkdirektor
sein heißt nicht, alle Kaderfragen selbst zu lösen." (21)
Fortan wurde notiert, was zu gegebener Zeit gegen Markowitsch verwendet
werden konnte. Markowitsch hatte im Konzentrationslager als deutscher
Kommunist zur Lagerelite gehört und an den brutalen Verteilungskämpfen
gegenüber den anderen Häftlingsgruppen teilgenommen. (22)
Dies war ein Kapitel, das später von den Beteiligten normalerweise totgeschwiegen
wurde. Einmal verlor Markowitsch die Kontrolle über sich und brach, wie
ein Spitzel berichtete, das Tabu: "ln einer Pause der Kreisdelegiertenkonferenz
erzählte der Genosse Markowitsch in seiner überschwänglichen Art, weil
er gerade einen Diskussionsbeitrag in der Konferenz gebracht hatte, von
seinem Besuch in Polen. Darunter sagte er unter anderem, als wir nach
Auswitsch kamen mußten wir uns erst mal Luft schaffen. Wir schmissen einfach
die Polen aus den Bracken raus, damit wir reinkamen. In dem Moment erklärte
er, die Nazis hatten ja auch polnischen Bourgeoias nach Auswitsch gebracht,
und diese hatten sich in der Baracke breit gemacht." (23)
In der DDR lag die reale Macht auf allen Ebenen - sowohl auf der Ebene
der Städte und Gemeinden als auch der Kreise, Bezirke bzw. auf der Regierungsebene
- stets bei den entsprechenden SED-Leitungen. Sie anzugreifen, wagte kaum
jemand. Doch allein konnten diese SED-Leitungen wenig ausrichten. Um etwas
zu bewirken, waren sie meistens auf die jeweiligen staatlichen Führungskräfte
angewiesen, genauso, wie jene von ihnen abhängig waren. Längerfristig
kamen deshalb beide Seiten am besten zurecht, wenn es ihnen gelang, eine
gewisse Balance zu pflegen. In diesem wechselseitigen Geben und Nehmen
fungierten die Parteigremien der SED für die staatlichen Führungskräfte
ihrer jeweiligen Ebene oftmals als eine Art Schutzschild vor jeglicher
Kritik "von unten". Im Gegenzug sorgten jene dafür, daß die Aufgaben,
die die übergeordneten Leitungen für wichtig hielten, gelöst wurden und
die jeweiligen SED-Gremien
dort nicht in die Kritik gerieten. Auch in der Stalinstadt der Jahre 1954 / 55
wurde so die Balance gehalten - nicht zuletzt, da der Nachfolger von Dahinten
damit jeden Konflikt mit der neuen Elite vermied.
Doch Markowitsch brach mit diesen Spielregeln, verstand er sich doch nicht
nur als "staatlicher Leiter", wie es im DDR-Deutsch hieß, sondern auch
als "Parteiarbeiter". Deshalb suchte er mit der SED-Kreisleitung die Machtprobe.
Dort war die Verbitterung entsprechend groß. Im Juli 1955 kam die Kreisparteikontrollkommission
nicht umhin festzustellen, "daß Markowitsch gegenüber dem 1. Sekretär
der Kreisleitung seine Macht als Betriebsleiter zum Ausdruck bringt" (24).
Trotzdem gaben der Chef der Kreisparteikontrollkommission und seine Zuträger
nicht sofort auf. Im Dezember 1955 versuchten sie noch einmal, Markowitsch
- dieses Mal aus seinen Kontakten zur westdeutschen Eisenindustrie - einen
Strick zu drehen. (25)
Da sie jedoch zugleich spürten, daß Markowitsch in der Organisation der
Produktion erfolgreich war und in den Auseinandersetzungen die Gewichte
sich zunehmend zu seinen Gunsten verlagerten, war es ihr letzter Angriff.
Um nicht eines Tages selbst von Markowitsch verdrängt zu werden, bereiteten
sie - für alle Fälle - ihr Überlaufen zu ihm vor.
In der Frühzeit des EKO, das heißt in der Zeit vor Markowitsch, war sexuelle
Nötigung von im EKO beschäftigten Frauen und Mädchen durch Führungskräfte
tägliche Praxis, ohne daß sich die entsprechenden Parteigremien dafür
interessiert hätten, handelte es sich doch um die eigene Klientel. Ende
1955, als die Kreisleitung der SED als eine mögliche Variante erwog, sich
Markowitsch doch unterzuordnen, führte die Kreisparteikontrollkommission
plötzlich eine Untersuchung über den Lebenswandel der Führungskräfte durch,
die vor Markowitsch ins Werk gekommen waren ("Die Ansichten der kleinbürgerlichen
Lebensweise und die dadurch entstehenden Zersetzungserscheinungen innerhalb
führender Wirtschaftsfunktionäre"). Als "Bauernopfer" ausgewählt wurden
zwei schon zurückgestufte Führungskräfte, der ehemalige Hauptdispatcher
und der ehemalige Leiter der Erzaufbereitung und der Sinteranlage, sowie
der amtierende Leiter der Sinteranlage, der kommissarische Leiter der
Granulierung und der Leiter des Fernmeldewesens und der Wärmestelle.
Doch der Chef der Kreisparteikontrollkommission stellte damit nicht nur
seine Unakkömmlichkeit und die der bestehenden SED-Kreisleitung unter
Beweis; wider Willen veränderte er das Kräfteverhältnis endgültig zugunsten
von Erich Markowitsch. Das EKO und der Name Markowitsch wurden in den
nächsten Jahren eins. 1959 stieg er in die Regierung auf, in der er verschiedene
Funktionen wahrnahm; unter anderem war er Minister und 1. Stellvertreter
des Vorsitzenden des Volkswirtschaftsrates der DDR. - Als in den sechziger
Jahren neben dem Roheisenwerk ein Kaltwalzwerk errichtet wurde und das
EKO wieder in schweres Wasser geriet, wurde Markowitsch erneut nach Eisenhüttenstadt
geschickt. Von 1967 bis zu seinem Ruhestand 1975 stand er dem Werk vor.
Das hier ausgebreitete Material ist - wie eingangs schon erklärt - nicht
hinreichend, um längerfristig gültige Schlußfolgerungen ziehen zu können.
Erkennbar wird aber, wie heterogen die Lebensläufe der verschiedenen Führungskräfte
waren, die für das Entstehen des EKO Verantwortung trugen. Und erkennbar
wird, daß sie alle, ob sie nun vor 1945 Mitglied der NSDAP und von der
Front befreit oder als Regimegegner im Konzentrationslager eingesperrt
gewesen waren, letztlich zur Zusammenarbeit gezwungen waren - trotz Animositäten,
trotz gegenseitigen Mißtrauens.
Künftige Untersuchungen werden
zu klären haben, welche Elemente in dieser Zusammenarbeit überwogen, sie
bestimmten, beförderten oder auch behinderten. Alle Forschungen werden
dabei letztlich immer wieder auf eine Frage zurückkommen: Wie war es möglich,
fast ohne jegliche Fachkräfte ein Roheisenwerk binnen kurzer Zeit zu errichten
und erfolgreich produzieren zu lassen?
|