|
Wolfsburg und Stalinstadt
und mehr noch der Aufbau der jeweiligen Werke haben im Film bis in die
Mitte der fünfziger Jahre große Aufmerksamkeit gefunden. Die Wochenschau
und auch die ersten Dokumentarfilme pflegten dabei weniger einen auf das
Faktische als einen auf das Symbolische orientierten Blick: Wolfsburg
und das Volkswagenwerk, Stalinstadt und das Eisenhüttenkombinat (EKO)
werden zu Zeichen für den gelingenden Wiederaufbau und repräsentieren
ihn in der jeweiligen Wirtschaftsordnung exemplarisch. Folglich stehen
"offizielle Ereignisse" im Vordergrund, wenn sie auch deutlich
verschiedenen Charakter besitzen. Im Falle beider Städte führt das zu
einer auffälligen Standardisierung der Berichte. Diese - und der Kontext,
in den die Berichte in der Wochenschau gestellt werden - ist daher die
eigentliche Botschaft.
Der Friedenskampf
Der erste Wochenschaubeitrag über den Aufbau des EKO erschien im "Augenzeugen"
34/1950, unmittelbar nach Beginn der Baumaßnahmen. Einen Schwenk
über die bewaldete Landschaft kontrastiert der Kommentar mit dem, was
bald zu entdecken sein wird: "In wenigen Wochen wird dieses Gebiet
an der Einmündung des Oder Spree-Kanals in die Oder ein großer Bauplatz
sein." Dem Aufbaupathos entsprechen noch keine Bilder; die Rodungsarbeiten
stehen erst am Anfang. Die Annoncierung der kommenden Ereignisse greift
daher auf Motive zurück, die für die offizielle Verkündung großer Bauvorhaben
etc. einschlägig sind: Industrieminister Selbmann steht vor einer in der
freien Landschaft aufgestellten Planzeichnung des späteren Kombinates
und deutet mit ausgreifender Geste dessen Umfang an. Dem folgen ein Schwenk
über den Grundriß und eine Detailaufnahme des dort eingezeichneten Hochofenwerkes.
Die unmittelbar hinter diese Einstellung geschnittenen applaudierenden
Arbeiter, die vermutlich der Rede Selbmanns Beifall spenden, scheinen
so dem Plan selbst zustimmen.
Die Wochenschau begleitet kontinuierlich der Fortgang der Arbeiten und
betont immer wieder, das Kombinat diene dem Frieden. Im Beitrag 40/1951
heißt es entsprechend: "Für das einheitliche, friedliebende Deutschland
haben die Werktätigen des Hüttenkombinates 0st in den letzten Monaten
große Taten vollbracht: Ihr erster Hochofen ist fertig." Die Rhetorik
streift in ihren um Deutlichkeit bemühten, auf Wiederholung angelegten
Formeln dabei mitunter die Grenzen zur Parodie. Doch sind es weniger die
Einzelberichte über den Aufbau des Werkes und die in ihnen variierten
Formeln, die besonders auffallen: Weit davon entfernt, eine Nachkriegs-"Scherbenwelt"
(1) zu präsentieren,
bilden die "Augenzeugen" dieser Jahre eine festgefügte und strikt
komponierte Einheit. Berichte aus den Bereichen Sport und Kultur sind
auf ein Mindestmaß reduziert, und auch sie stehen meist in direktem Zusammenhang
mit der politischen Botschaft der übrigen Sujets. Friedensrhetorik und
die Abgrenzung zum "westlichen Lager" durchziehen fast jeden
Beitrag.
... und der Zukunft zugewandt
Als exemplarisch kann die Wochenschau 12/1951 gelten. Sie beginnt mit
der Gedenkveranstaltung zum sechsten Jahrestag der Bombardierung Dessaus
durch "amerikanische Terrorflieger". Der Kommentar lautet "der
7. März 1945 mahnt zum Frieden". Dem Rüchblick auf die Vergangenheit
folgt der Bericht über die Grundsteinlegung für neue Arbeiterwohnungen -
die Zukunft wird dem Überwundenen entgegengestellt. Ein "anderes
Beispiel für den Friedenskampf" vervollständigt die Aufbauleistung;
das ausgewählte Exempel sind Lehrlinge und Arbeiter, die im Neuen Deutschland
ein Interview mit Stalin studieren. Mit dem Bezug auf Stalin öffnet diese
Wochenschau die Perspektive auf die Sowjetunion und den Bau des Don-Wolgakanals.
Riesige Bagger werden zum Sinnbild des in der Sowjetunion stattfindenden
Aufbaus: "Auf allen Großbaustellen der Sowjetunlon arbeiten
solche Maschinen." Der Verweis auf weitere kommunistische Großbauten
bindet die Größe eines Vorhabens an die vorbildliche Gesellschaftsordnung,
in der allein sie realisierbar scheinen.
Erst auf dieses Beispiel, das ganz in der Konsequenz der berühmten Losung
"Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen" steht, folgt
der Bericht vom Aufbau des Eisenhüttenkombinates 0st.
Auffällig ist die Diskrepanz zwischen den Hilfsmitteln, die für den Don-Wolga-Kanal
zur Verfügung stehen, und jenen, die beim EKO ins Bild gesetzt werden:
Gegenüber den Riesenmaschinen aus der Sowjetunion wirken sie winzig. Wie
schon zu Beginn der Wochenschau perspektivierend Kriegszerstörungen mit
dem neuen Wohnungsbau verbunden wurden, so liefert in der Abfolge der
Großbaustellen das Beispiel Sowjetunion ein Bild der Zukunft.
Vom Preis des Aufbaus ist in der Wochenschau nicht die Rede, wohl aber
von seinem Sinn: "So entsteht ein neues Werk des Volkes, ein neuer Schlag
gegen die Kriegshetzer." Die durchgängige Botschaft lautet: DDR und Sowjetunion
stehen im "Friedenslager" gegen die imperialistischen Mächte. Die propagandistische
Geschlossenheit dieses "Augenzeugen", der jedes Sujet auf die politische
Aussage bezieht, ist keine Ausnahme; die von dezidierten politischen Vorgaben
freie Phase der Berichterstattung war längst beendet. (2)
Eisen für den Aufbau - und die "aktive Verteidigung"
Neben der Friedens-Parole gab es auch schon andere Botschaften. Der
"Augenzeuge" 40/1951 beginnt mit dem Bericht über anglo-amerikanische
Manöver in "Westdeutschland". Der Ton ist merklich schärfer geworden,
Panzer neben Fachwerkhäusern werden mit dem Kommentar "diese Bilder kennen
wir nur zu gut und auch, was später kommt" versehen. Ähnlich wie die Nummer
12/1951 der Aufbauprogrammatik dient, ist dieser Beitrag geschlossen auf
die Deutschlandpolitik der DDR ausgerichtet. In diesem Sinne wird auch
über die Inbetriebnahme des ersten Hochofens im Hüttenkombinat berichtet:
">Kanonen sind tot<, rief der Ministerpräsident aus, >wer aber seine Hochöfen
baut, um Pflüge zu machen, der will das Leben<. Das Werk fortsetzen und
[...] den friedlichen Weg der Verständigung für ganz Deutschland erkämpfen,
das ist unsere Aufgabe. - In der Volkskammer wurde die Fackel des Kampfes
für die nationale Selbständigkeit erhoben. Hier wurde die Fackel zum Symbol
unseres wirtschaftlichen Aufstiegs. Der erste Hochofen arbeitet. Aus sowjetischem
Erz und polnischer Kohle wird deutscher Friedensstahl. Jeder wußte: Hier
tat unser Volk einen großen Schritt in ein neues, friedliches Leben."
Die ersten Bilder konzentrieren sich auf Grotewohl und Selbmann, deren
Reden der Kommentar referiert. (3)
Danach wird die Anfachung des Hochofens gezeigt - ein Junger Pionier vollzieht
das Ritual. Die Behandlung des Ereignisses folgt der offiziellen Linie,
die Bedeutung der Funktionäre wird unterstrichen, die Arbeiter erscheinen
als applaudierende Masse, nicht als wesentlich Beteiligte am Aufbau selbst.
Die Deutschlandpolitik der Partei ist die Klammer für alle Berichte. Die
Manöver in Westdeutschland stehen für die Gefahren der Westintegration
der Bundesrepublik; Martin Niemöller, der Pfarrer der Berliner Golgatha-Gemeinde
und der Dekan der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität äußern
sich in unterschiedlich moderater Form über eine "eigenständige Deutschlandpolitik";
der Bericht über das Hüttenwerk zeigt die schwerindustrielle Basis der
DDR; freiwillige Übererfüllungen des Plans im Walzwerk Heppstadt
suggerieren den Aufschwung, und der anschließende Bericht über Verhandlungen
zum innerdeutschen Warenhandel läßt das Thema explizit werden: "Dieses
Abkommen ist der Beweis dafür, daß die Probleme gelöst werden können,
wenn sich Deutsche mit Deutschen an einen Tisch setzen." Noch der Sportbericht
umspielt das Thema mit der Meldung, daß ein für westdeutsche Athleten
von ihrer Regierung verhängtes Startverbot verhindere, daß Deutsche mit
Deutschen im gleichen Rund sich messen. Auch der Bericht über die Eröffnung
des Weimarer Nationaltheaters mit Schillers "Die Räuber" fügt sich dem
Zusammenhang bruchlos ein und endet mit dem hier zu erwartenden Vers:
"Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern."
Das Reversbild der "Deutschland-Propaganda" ist die Militarisierung. Der
Friedensstahl wird waffenfähig; neben das Schlagwort "Frieden" tritt nun
die "Verteidigung". Von ihr spricht Ulbricht vor den Arbeitern des Hüttenwerkes
(19/1952); laut Wochenschau 34/1952 wird im Betriebskollektivvertrag unter
anderem dies geregelt:
"Die Hochöfner haben sich verpflichtet, unserer Republik das Eisen zu
geben, das sie braucht für ihren friedlichen Aufbau und für ihre aktive
Verteidigung."
Die erste sozialistische Stadt
Mit dem Anfachen des ersten Hochofens ist die heroische Phase des Aufbaus
für die Wochenschau beendet. Fortan werden Staatsbesuche im Werk und der
funktionierende Arbeitsablauf ihr Thema. Die Silhouette der Hochöfen ist
Bestandteil fast jeden Berichtes zwischen 1952 und 1955, meist prominent
am Anfang oder Ende plaziert: Der Aufbau hat sein symbolisches Bild gefunden.
Verblüffend ist allerdings, daß in den folgenden Jahren, in denen die
Berichte aus Stalinstadt ohnehin spärlicher werden, das Bild der Hochöfen
fast vollständig fehlt. Vermutlich war es so fest an den ersten Fünfjahrplan
mit dem Aufbau der schwerindustrialisierten Basis gebunden, daß es in
der folgenden Phase, die eine stärkere Entwicklung des Konsumgüterindustrie
vorsah, als kontraproduktiv galt.
Das Sinnbild des industriellen Aufbaus wird von einem anderen, wiederum
mit einer Zukunftsperspektive versehenen Bild zunächst komplettiert und
später ersetzt: dem Aufbau der Stadt, erstmals im "Augenzeugen" 32/1952
erwähnt. Auch hier steht am Anfang der Geschichte sozusagen das Nichts.
Was die Kiefernwälder am Fuß der Seelower Höhen für das Hüttenwerk waren
- die Folie, vor der sich die Leistung erst ermessen läßt -, sind der
Stadt die ruinierten Altbauten des kleinen Fürstenberg. Zukünftig soll
jeder Stadtteil ein Kulturhaus und ein zentrales Waschhaus erhalten, sonnig
und luftig werden die Wohnungen sein. Am Beispiel "des Arbeiters Fritz
Bülow", der - noch - in der Kellerwohnung eines im Kriege beschädigten
Altbaus wohnt, entwickelt der Film die Zukunftsperspektive: Der Weg vom
Alten zum Neuen erscheint als Chance, zu "erleben, was Sozialismus ist".
"Hilde Hennlein", Protagonistin des Beitrags 23/1953, wird "in einem der
hellen und freundlichen Wohnhäuser von Stalinstadt" gezeigt, bevor der
Zuschauer sie an ihrem Arbeitsplatz im Hüttenwerk erlebt. Das Wohnzimmer
und die Familie am gedeckten Kaffeetisch bieten das Bild von Normalität
und eines gewissen Wohlstands, das für die Berichte über die Stadt typisch
wird. Sie sind der Lohn für die Mühen des Aufbaus, die in den Nachrichten
über Normenerhöhungen und Selbstverpflichtungen immer noch durchscheinen.
Die Synthese von Stadt und Werk, im "Augenzeugen" 88/1958 beschworen,
wird nicht allein durch die Konsolidierung der Produktion ermöglicht,
sondern vor allem durch den erreichten Lebensstandard. "Es lebt sich gut
in Stalinstadt. An den Fernsehapparaten in vielen Wohnungen oder in den
Gaststätten wird der Feierabend zum unterhaltsamen Erlebnis. Durch die
Nacht strahlen die Lichter und Feuer des Werkes und künden vom
Sieg des Sozialismus." Das zehnte Jubiläum wird, im "Augenzeugen" 67/1960,
vollends zur Erfolgsgeschichte. "Plan und Wirklichkeit trennt nur ein
Jahrzehnt. Es war erfüllt von den Leistungen befreiter Menschen, die mit
ihrem Werk und ihrer Stadt einen Ausblick in die Zukunft gaben." Ausführlich
belegen die Bilder städtebauliche Erfolge, die Stadt dominiert diesen
Bericht, in dem das Werk nur anfangs kurz vorkommt. Die Zukunftsvision
scheint Wirklichkeit geworden zu sein in dieser Stadt. Der Hochofen als
Symbol ist von den breiten Straßen und den umsäumenden Neubauten ersetzt
worden. Die Stadt, die dem Werk ihre Existenz verdankt, hat sich als Bild
von ihm losgelöst.
Vom laufenden Band
Was für das EKO in der filmischen Darstellung die Größe des Projektes
ist, das ist für das VW-Werk die schiere Menge der Produkte. Der "Mythos
Volkswagen" geht von der "Stunde Null" aus. So beginnt Welt im Film 43/1946
einen Bericht mit diesen Sätzen: "Im früheren Volkswagenwerk zu Fallersleben
werden wieder Wagen am laufenden Band hergestellt. Die Fabrikhallen, die
während des Krieges schwere Schäden erlitten, sind ausgebessert." Von
optimistisch-dynamischer Musik untermalt, zeigt die Montage einzelne Fertigungsgänge,
an deren Ende ein VW vom Band rollt: "Aufträge und Rohstoffe sind für
lange Zeit gesichert."
Im Kontext bildet der Bericht den optimistischen Ausblick in die Zukunft.
Diese frühe Wochenschau aus der englischen Besatzungszone erfüllt vor
allem einen pädagogischen Zweck. Der beendete Krieg und die Bewältigung
seiner Folgen sind hier zentrales Thema, auf das sich sechs von neun Sujets
beziehen. Schon die nächsten Wochenschauen, in denen VW behandelt wird,
lassen eine solch deutliche Integration der Einzelsujets nicht mehr erkennen;
sie enthalten eine Mischung von Sport, Unterhaltung, Kultur und Politik.
Die Welt teilt sich in Sparten, die nur noch ausnahmsweise aufeinander
bezogen sind. Im Gegensatz zur Integration, die der "Augenzeuge" in den
frühen fünfziger Jahren anstrebt, bestehen die zunächst westdeutschen,
dann bundesrepublikanischen Wochenschauen aus einer Folge gegeneinander
gleichgültiger Berichte. Folglich lassen sich auch die VW-Sujets in der
Regel nicht als Baustein einer von der jeweiligen Wochenschau verbreiteten
Botschaft verstehen. Wie alle anderen Teilstücke sind auch sie im "bunten
Durcheinander" aufgehoben. Die Welt, die der "Augenzeuge" für seine Zuschauer
ordnet und zurichtet, wird hier zum Sammelsurium des Disparaten. Darin
erzählt jedes Teil seine eigene Geschichte, die sich als Variation weniger
Muster herausstellt. Daß sich keine spezifische "Aussage" ausmachen läßt,
bedeutet nicht, daß keine politische Bedeutung vermittelt würde: Der Volkswagen
ist gleichsam die Verkörperung des "Wirtschaftswunders". So stellt Welt
im Film 89/1947 die zerstörte Stadt Emden und ihren unbeschädigten Hafen
vor. Der sich entwickelnde Güterumschlag und vor allem die Perspektive
des Neuaufbaus der Stadt erlauben die optimistische Schlußwendung: "Emdens
800jährige Tradition wird fortgeführt." In diesem Bericht wird der VW
zum Sinnbild. Nach einem Schwenk über die Ruinen der Stadt findet die
Kamerabewegung einen Mann, der inmitten der Trümmerlandschaft einen Handwagen
hinter sich herzieht. Gegen die Bewegungsrichtung von Kamera und Mann
kommt von rechts ein VW ins Bild, der ganz im Vordergrund den Bildraum
durchfährt. Sobald der Wagen aus dem Bild verschwunden ist, erfolgt der
Schnitt. Diese Einstellung bringt geschickt den Kontrast zwischen dem,
was (noch) Realität ist, und dem, was die Zukunft verheißt, ins Bild:
Auf den Handwagen wird der VW für alle folgen.
Auf dem Weg zur ersten Million
Schon 1948 beginnt die lange Reihe der Jubiläen, die sich vom 20 000.
VW (Welt im Film 140/1948) bis zum 5 000 000. aufschwingen (Neue
Deutsche Wochenschau 619/1961) und schließlich die Rekordmarke, die Henry
Fords "Model T" gesetzt hatte, mit dem 15 007 034. "Käfer" überbieten
(Ufa-Wochenschau 813/1972). Schnell folgen die Jubiläen einem festumrissenen
Zeremoniell: Der Jubiläums-VW verläßt das Fließband blumengeschmückt,
es findet eine Verlosung des Wagens unter der Belegschaft statt, der Generaldirektor
hält eine Ansprache.
Der erste Jubiläums-VW - "Der 20 000. Volkswagen seit Kriegsende" - läuft
noch fast wie nebenher vom Band; jedenfalls gilt das für den Bericht über
das Ereignis. Denn nicht dieser eine Wagen steht im Mittelpunkt, sondern
die Herstellung vieler Wagen überhaupt ist das Bemerkenswerte. Daher gilt
die Aufmerksamkeit eher der Arbeit, der Produktion mehr als dem Produkt,
das 1948 noch keineswegs zum allgemeinen Konsumgut geworden war. "Ein
Drittel der Produktion ist für die Besatzungsmacht bestimmt, ein Drittel
dient dem Inlandsbedarf, ein Drittel wird exportiert."
Beim 50 000. VW steht dagegen bereits die Feier selbst im Mittelpunkt
(Welt im Film 208/1949). Mit dem Blick auf die Werkhallen beginnt der
Beitrag, um dann den blumengeschmückten VW vom Band rollend zu zeigen.
Die Montage suggeriert den Blick der Arbeiter auf die Lostrommel, die
Verlosung bildet den Kern des Berichtes: "Dieser Jubiläumswagen wurde
unter den 9 000 Werksangehörigen verlost. Außerdem waren noch 500
Fahrräder zu gewinnen. Und Fortuna meinte es gut. Der glückliche Gewinner
des Wagens war ein 17jähriger Lehrling, ein Flüchtling aus Schlesien."
Die Produktion von immer größeren Stückzahlen ist fast schon zur Routine
geworden, die Perspektive richtet sich auf die weitere Erhöhung der Produktivität,
"in Wolfsburg sollen dieses Jahr 40 000 Volkswagen, 1950 mindestens
60 000 gebaut werden". Knapp zehn Monate später sind die Zahlen schon
überholt, anläßlich der Produktion des 100 000. Volkswagens berichtet
die Neue Deutsche Wochenschau 6/1950, die Jahresleistung für 1950 solle
zwischen 70 000 und 80 000 PKW liegen. Der zur Verlosung kommende
Wagen fällt auch diesmal wieder an einen "Flüchtling aus Schlesien". Die
Bildsprache dieser Wochenschau betont besonders eindringlich die Menge
der PKW, schon die eröffnende Totale auf die Fabrikhalle zeigt eine lange
Reihe von Karosserien. Dann tritt der Wagen in Kolonnen auf; endlos scheinende
Reihen neuer VW stehen auf dem Betriebsgelände.
Die Verlosung ist zentral auch beim 250 000. VW (Blick in dieWelt 42/1951)
und beim 500 000. (Neue Deutsche Wochenschau 180/1953), beim millionsten
aber wird sie zum Spektakel vor 150 000 Zuschauern (Neue Deutsche Wochenschau
289/1955). Im Stadion bestreiten Kapellen und Tanzgruppen "aus den VW-Exportländern"
das Unterhaltungsprogramm - "der Beifall kannte keine Grenzen, bis das
große Finale mit Pauken und Trompeten um den ganzen Erdball griff". Die
Million ist geschafft, die ganze Erde zum Exportgebiet geworden.
Intermezzo
Während die Jubiläumsberichte - ebenso wie die Vorstellung neuer Typen
(4) - als
Werbefilme zu verstehen sind, ist die Einbeziehung in einen direkten politischen
Zusammenhang selten. Adenauers Besuch im Werk im Jahr 1955 ist ein solches
Beispiel; der Bundeskanzler wird von einem VW-Arbeiter gefragt: "Wann,
glauben Sie, besteht die Möglichkeit, daß wir unseren Brüdern und Schwestern
drüben in der Ostzone unsere Waren verkaufen beziehungsweise liefern können?"
Adenauers Antwort beweist Geistesgegenwart: "Ja, ich will noch weiter
gehen und Ihre Frage so auffassen, wann wird Berlin und die Ostzone wieder
ganz zu uns gehören? Ich glaube, daß die Politik, die wir verfolgen, uns
wirklich der Wiedervereinigung näher bringt." Am Ende besteigt der Bundeskanzler
einen VW und fährt probeweise mit ihm durch die Halle und aus dem Werk,
beobachtet von Photographen und Kamerateams. Der Kanzlerbesuch entspricht
dem "Ereignistyp", den die Wochenschau bevorzugt, wenn nicht sogar kreiert:
Nicht der Alltag und das Normale interessieren, berichtenswert ist das
Besondere und Auffallende. In der Regel ist dies Besondere im Falle
des VW-Werkes das sich aus dem Alltag heraushebende Jubiläum der runden
Zahl. In der raschen Folge der Produktionsziffern wird der Wiederaufbau
sozusagen faßlich, der im Produkt deswegen seinen geeigneten Gegenstand
hat, weil der Traum vom "Käfer" sich in ihm mit der neuen Freiheit und
Mobilität zusammenschließt.
Resümee im Dokumentarfilm
Die Vorzeigeprojekte EKO und VW waren schon in den fünfziger Jahren Gegenstand
von Dokumentarfilmen, in denen der Zusammenhang, den die Wochenschauen
oft nur andeuten konnten, ausführlicher dargelegt wurde. Die beiden frühen
Filme "Nach 900 Tagen" (Regie Joop Huisken, DDR 1953) und "Aus eigener
Kraft" (Regie Franz Schroedter, BRD 1955) resümieren die mit beiden Werken
verbundenen Gründungsmythen und eröffnen zugleich eine Perspektive in
die Zukunft, die in beiden Fällen von dem Prinzip, das die jeweilige Aufbauleistung
ermöglichte, getragen ist. Die "Bestandsaufnahme" ist schon im Titel "Nach
900 Tagem" programmatisch und wird vom Kommentar betont: "Grenzen haben
getrennt, Friedensgrenzen verbinden. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte
von den 900 Tagen. Sie begann im August 1950 in den Waldgebieten bei Fürstenberg
an der Oder - an der Friedensgrenze." Die idyllischen Bilder bereiten
den Vergleich vor, mit dem die Leistung hervorgehoben werden kann, alte
Wochenschaubilder zeigen den Beginn der Bauarbeiten, deren Resultat -
"Damals nur Wald und Heide und heute..." - filmisch mit einem Schwenk
über die Landschaft in das Bild gesetzt wird. Er endet mit dem malerisch
durch Zweige aufgenommenen Blick auf das EKO. Das "Heute" erscheint in
diesem Film nicht nur als Größe, vor allem wird die erreichte Automatisierung
betont. Thema des Films sind die "Errungenschaften": "die besteingerichtete
Poliklinik unserer Republik" ebenso wie die neue Wohnstadt, deren Vollendung
von einem anderen Großprojekt profitiert. "Noch schneller geht es, seit
die Maurer der Stalinallee ihre reichen Erfahrungen und ihre neuen Arbeitsmethoden
gebracht haben."
Neben der Arbeitstechnik ist es die Freiwilligkeit, die den Aufbau in
diesem Tempo erst möglich macht, wofür die in der Freizeit hergerichtete
Freilichtbühne einsteht. Kulminationspunkt des Films, und von ihm als
Höhepunkt der Entwicklung von Werk und Stadt inszeniert, ist die Benennung
beider nach Stalin am 7. Mai 1953: "Stalinstadt und Stalinkombinat, das
bedeutet Zuversicht und Sieg." Eine Etappe ist erreicht, nicht das Ziel.
Die Bedeutung des Kombinates, mit dem die DDR ihre Unabhängigkeit in der
Stahlproduktion erreichen wollte, wird dabei nicht explizit erwähnt, wie
überhaupt die Beziehung auf den Westen im Film kaum eine Rolle spielt.
Der Befund, nach 900 Tagen getroffen, fällt so positiv aus, daß die Fortsetzung
absehbar erscheint. Wie es der Schlußtitel ausdrückt: "Noch einmal 900
Tage, und das Stalinkombinat und Stalinstadt werden vollendet sein - ein
festes Fundament für den Aufbau des Sozialismus."
Nicht um Fundamente geht es in dem zwei Jahre später entstandenen Film
"Aus eigener Kraft", denn die sind, wie dieser Rückblick zeigt, fest genug
gegründet, um (mit dem VW) die Welt zu erobern. Zu einer Tricksequenz,
die in einer Folge von Überblendungen schneebedeckte Gipfel, die
Pyramiden mit Sphinx und Palmen, den Urwald, schließlich Hochhäuser zeigt,
berichtet der Kommentar von den Erfolgen des Produktes: "Ein Wagen, für
die ganze Welt bestimmt. Er läuft über die Hochpässe der Anden, unter
der Sonne Ägyptens, zu den Urwäldern Javas, zwischen den Hochhäusern der
Neuen Welt, an den Gestaden des Stillen Ozeans. So sind Werk und Wagen
in die Welt hinausgewachsen. [...] Im westlichen Europa fehlt kein Land,
dessen Straßen von diesem Wagen nicht gewonnen wären." Wie ein Puzzle
setzt sich dazu die Weltkarte zusammen, und außer dem Osten fehlt kaum
ein Stück in dieser Welt. Noch ist der Traum von der Belieferung der "Brüder
und Schwestern" nicht wahr geworden, sonst aber gilt, was gegen Ende des
Films, als ein VW das Band verläßt, bemerkt wird: "Hier endlich darf er
die Erde berühren. Die Erde hat ihn, und er hat die Erde, die ganze weite
Erde für sich."
Der Aufbau des Sozialismus gibt die Perspektive für den Film von Huisken,
die Eroberung des Weltmarktes diejenige für Schroedters Film, dessen Höhepunkt
die Feier zum Millionen-Jubiläum
ist. Bevor das Fest zum Schluß des Filmes gezeigt wird, läßt er
Direktor Nordhoff mit seiner Ansprache vor den Arbeitern zu Wort kommen.
Nordhoff erinnert kurz an die Anfänge im Nachkriegs-Deutschland, das Bild
wechselt bei dieser Passage vom Redner zu einem Schwarzweiß-Photo von
der zerstörten Fabrikhalle. Die Ansprache läuft kontinuierlich weiter
und wird in der Folge mit Bildern illustriert, die das zeitgenössische
Werk, seine Hallen, seine Architektur vorstellen. Die Rede argumentiert
aus dem Gefühl des Erreichten, aber auch mit dem Willen zu weiterer Leistung:
"Diese Fabrik ist der überzeugende Beweis, daß Einigkeit stark macht,
aber auch dafür, daß Zehntausende wie eine einzige Mannschaft ein Ganzes
bilden können, ohne daß die Persönlichkeit und die Menschenwürde des einzelnen
dafür geopfert werden müßten." Das (implizit) gegen die nationalsozialistische
Vergangenheit wie gegen die "kommunistische Alternative" gesetzte Selbstbewußtsein
enthält wesentliche Momente der Aufschwungsideologie: die Bedeutung des
Unternehmers, die erreichte Weltgeltung, das spezifische Verhältnis von
Belegschaft und Leitung. "Man kennt uns heute in der Welt, man spricht
von uns, man weiß, daß im Volkswagenwerk gearbeitet wird. Und man meint
damit jene Art von Arbeit, die gern getan wird und nicht ohne leisen Neid
bei aller Bewunderung, das, was diesem Volkswagenwerk den besonderen Stil
und die unvergleichliche Atmosphäre gibt: frohe Menschen, die selbstsicher
und guten Mutes sind, die Aktivität und den Elan, mit dem hier alles angepackt
wird, den Stolz jedes Arbeiters auf sein Werk, das Glück der Arbeit, die
Freude am Schaffen, die wunderbare Befriedigung des großen Erfolges, der
hier so offenbar ist. So wurden diese Fabrik und dieser Wagen Repräsentanten
deutschen Fleißes und deutschen Könnens in aller Welt."
Auf dieser Basis läßt sich feiern. Der Film, der weitgehend auf den Kommentar
verzichtet (ihn aber dann pointiert einsetzt) und mit seinen Bildern sowohl
die Produktionsabläufe im Werk wie die Lebensbedingungen in der Stadt
illustriert, sucht immer wieder eine Verbindung herzustellen zwischen
der Qualität des Produktes VW und derjenigen des "Projektes Wolfsburg".
Die Neubauten, die er zeigt, die Stadt mitsamt der Kirche und dem neuen
Schwimmbad, rechnet er, darin durchaus realistisch, dem Werk als Verdienst
zu: "Selten wurde irgendwo so stürmisch gebaut wie hier. Das große Werk
baut seinen Arbeitern, das erfolgreiche Auto seinen Erbauern: Wohnungen.
Häuser in langen Reihen und in lockerer Würfelung." Wie ein Geschenk erscheinen
dabei nicht nur das Schwimmbad, sondern der ganze Reichtum, letztlich
das gesamte Gemeinwesen. Und im Gegensatz zu Stalinstadt stellt es sich
als zwar wachsendes, in sich aber schon vollendetes Gemeinwesen dar. Damit
ist die Nachkriegszeit symbolisch beendet: Die Welt besucht Wolfsburg,
und Wolfsburg beliefert die Welt. (4)
|