|
Der Tagesspiegel, 26. 8. 90
.. . Das Deutsche Historische Museum, das mit dieser Ausstellung zum ersten
Mal mit vollem Anspruch an die Öffentlichkeit tritt, rückt mitten
in die Fragen der Gegenwart, die es weder beantworten kann noch will.
Die Ausstellung, die so unvermittelt wie ein Reflex auf die Aktualität
von 1990 wirkt, ist seit drei Jahren vorbereitet worden; vom runden Jubiläum
der Bismarck-Entlassung als Epocheneinschnitt abgesehen, zielte sie voraus
auf die europäische Einigung des Gemeinsamen Marktes von 1992, die
im Moment jedenfalls ganz in den Schatten der deutschen Einigung geraten
ist .
. .. In Dokumenten, Objekten, vor allem aber den Gemälden dieses
geschichtsversessenen Jahrhunderts werden die Themen anschaulich. Mehr
aber auch nicht; denn der fast vollständige Verzicht auf didaktisches
Material, auf Schautafeln, Karten, erklärende Hinweise, den diese
Ausstellung im Vertrauen auf die Aussagekraft der Gegenstände wagt,
überläßt den Betrachter ganz ihrem überwältigenden
Panorama von Bildern und Assoziationen.
Das ist auf seine Weise ein Extrem historischer Ausstellungen. Auf die
Zeigefingerdidaktik der siebziger folgten die Inszenierungen der achtziger
Jahre; diesmal sollen allein die Gegenstände sprechen. "Wo die
ausgestellten Objekte aussagefähig sind, müssen ihre Botschaft,
ihre Wirkung im Raum nicht durch das Mittel der Inszenierung aufbereitet
werden", erläutert der Ausstellungsgestalter Boris Podrecca
- und widerlegt sich im Lichthof auf das nachdrücklichste. Eine begehbare
Rampe aus gigantischen Stahlplatten hat er dort hineingekantet, auf denen
schlagwortartig die Forderungen der "vox populi" eingebrannt
sind Gegengewicht zur Verherrlichung von Macht und Reichtum, wovon die
offiziellen Bilder künden? Dessen hätte es nicht bedurft, denn
das Ausstellungsteam unter Leitung von Marie-Louise von Plessen hat genügend
Belege für die andere Seite der Offizialgeschichte herangezogen,
darunter das visuell sicher bezwingendste Werk der ganzen Ausstellung,
das "Flut" bezeichnete Gemälde des Italieners Giuseppe
Pellizza von 1896, die formatgleiche Vorstudie zu seinem berühmten
"Vierten Stand". Das sind die "aufsteigenden Volks-massen",
von denen Weber sprach . . .
Hunderte von Objekten zeigt die Ausstellung und verführt, wie es
die Aura des geschichtlichen Zeugnisses mit sich bringt, zu Entdeckungsreisen
vielfältigster Art. Der konsequente Rückbezug auf den Lebensweg
des preußischen Junkers wirkt durchaus nicht als Verengung des Horizonts,
sondern als notwendige Leitplanke gegen das schiere Ausufern. Die Wertung
der Geschichte allerdings, die Lehren gar, die aus ihr zu ziehen wären,
das muß der Besucher für sich herauszufinden suchen...
Bernhard Schulz
|
|