Deutschland Journal, 18. 9. 90

... Die Zeitgeistinhaber und ihre Sprachrohre in den Medien aller Couleur verbreiten seit einer Reihe von Jahren die Auffassung, daß man sich von fast allem, besonders wenn es vergangene deutsche Politik im nationalstaatlichen Rahmen ist, distanzieren müsse, daß man diesen vergangenen Ereignissen wertneutral gegenüberstehen müsse.
Das mag für ein paar tausend Jahre zurückliegende Ereignisse ein bißchen zutreffen, auch wenn es dort ohne Wertung nicht geht, wie sich zum Beispiel an Golo Manns Verdikt über die nobelpreisgekrönte römische Geschichte von Theodor Mommsen erweist, die, so Mann, "stellenweise von fast ungezogener Parteilichkeit ist." Daß aber in Fragen von so brennender Aktualität wie die der deutschen National-staatlichkeit, bei der die jüngsten Entwicklungen doch vor allem die historische Kraft und Lebendigkeit und damit auch die Notwendigkeit der Bismarckschen Reichsgründung eindrucksvoll bestätigt haben, Indifferenz in der Bewertung herrscht, liegt eben auf der obengenannten Linie...

Joachim Weber