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Die Welt, 27.8.90
. . .Der deutsche Nationalstaat, um dessen verkleinerte Neugründung
es in diesen Tagen geht, ist ohne Bismarck nicht denkbar, gleich, ob man
dieses Gebilde nun mag oder nicht. Die Ausstellung "Bismarck-Preußen,
Deutschland und Europa", die jetzt im Berliner Martin-Gropius Bau
eröffnet wurde, ist so wider Willen eine symbolträchtige Mammutschau
preußisch deutscher Geschichte.
Genau das war eigentlich nicht geplant. Als opulentes Entree in den Kreis
europäischer Nationalmuseen hatte sich das Deutsche Historische Museum
ein Thema gesucht, das Ausblick auf das europäische Einigungsjahr
1992 ermöglichen sollte...
Unter der wissenschaftlichen Leitung Lothar Galls ist ein übezeugendes
Bismarck-Bild entstanden. Die Deutung seiner großen Biographie von
1980, die sich jeder emotionalisierten Behandlung des Stoffes enthält,
trägt auch die Optik der Berliner Ausstellung.
So bietet diese denn weder Hagiographie noch präsentiert sie Bismarck
als Diaboliker, der als Exponent junkerlicher Interessen Minderheiten
wie Sozialdemokraten oder Katholiken als "Reichsfeinde" abstempelte,
um gegen sie innenpolitische Mehrheiten zu gewinnen. Vielmehr wird der
Reichskanzler als eine "Jahrhundertfigur" in ihrer preußischen
Bedingtheit in den europäischen Rahmen gestellt. Kontraste und Dissonanzen
sollen von verschiedenen Ebenen aus und mit ständig wechselnder Perspektive
kaleidoskopartig Europa im 19. Jahrhundert verständlich machen.
In keinem Raum ist Boris Podrecca, dem Architekten der Ausstellung, dieses
Ziel eindrucksvoller gelungen als im Lichthof des Gropius-Baus, der Ouvertüre
der Ausstellung. Vor sich türmenden Platten aus Stahl und Eisen,
einer "Metapher für das Jahrhundert des Aufbruchs in die Moderne",
empfängt den Besucher eine monumentale Studie von Giuseppe Pellizza
da Volpedo zu seinem "Der Vierte Stand". So wird deutlich: Von
den beiden Revolutionen, die das 19. Jahrhundert prägten und in säkularen
Gewalten, die sie hervor-brachten, wählten die Ausstellungsmacher
die Industrielle Revolution als Grundthema. Die Entwicklung der Technik,
Massengesellschaften, Klassengegensätze werden als prägende
Kräfte des Zeitalters eingeführt, die sich, wie Carl Strathmanns
"Sturmangriff" schräg daneben am Fuße des Stahlberges
zeigt, in "Eisen und Blut" entladen werden.
...Krupp und der französische Waffenbauer Joseph Eugene Schneider
. . . sind die Sieger der neuen Zeit. Steigt man zwischen ihren Slogans
"Wählt Bebel", "Liberà o Morte", "Constitution"
an Bismarck und Kaiserbüsten vorbei hinauf auf den Turm, überschaut
man, ja enthüllen sich die Kräfte einer Welt, in der Bismarck
Politik als die Kunst des Möglichen zu gestalten versuchte .
.. .Des Reichsgründers Leben wird zum Ariadne-Faden durch ein europäisches
Jahrhundert, vom "Vormärz" und die "Revolution von
1848" über den "Diplomaten" und "Vom Europa der
Staaten zum Europa der Nationen" bis zu den " Weichenstellungen
in die Moderne", "Reichsgründung" und "Bismarck
als nationale Kultfigur". Marie-Louise von Plessen, die schon für
die Preußen-Ausstellung und "Berlin-Berlin" Exquisites
zusammentrug, konnte in mühevoller Kleinarbeit auch viele Museen
aus Polen, Ungarn, Frankreich, Dänemark, Italien (nach dem 9. November
1989 auch in der DDR) überzeugen, daß hier nicht am Mythos
des Eisernen Kanzlers weitergewebt werden sollte. Rund 250 Leihgeber machen
diese (rund 8 Millionen Mark teure) Bismarck-Ausstellung auch zu einem
Stück Ausstellungsgeschichte. . .
Berthold Seewald
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