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Die Zeit, 24. 8. 90
...Der Lichthof ist immer eine Herausforderung für Museums Gestalter.
Boris Podrecca war die Aufgabe gestellt, den Zuschauer sofort den Unvereinbarkeiten
und Umbrüchen des 19. Jahrhunderts auszusetzen. Seine Lösung
ist auf den ersten Blick befremdlich, ja verletzend: Große, kalte,
brutale Stahlplatten durchschneiden diagonal den hohen Raum wie die Messer
einer Häckselmaschine oder wie die Silhouetten versinkender Ozeanriesen
- sie kontrastieren zur Ornamentik der Säulen und zum Granulatton
der Stellwände.
Dieses Element soll den Aufbruch in die Moderne und den Einbruch der Maschinen
in die Arbeitswelt symbolisieren. Der Stahl ummantelt eine Rampe, die
den Besucher über zwei Ebenen und eine Wendeltreppe zu einem Podest
führt. Flanierend besichtigt er ein Zeitalter, das zufällig
das Zeitalter Otto von Bismarcks war, der 1815, ein paar Wochen vor der
Schlacht von Waterloo, geboren wurde und zwei Jahre vor Ende des Jahrhunderts
starb - als sich der von ihm gegründete kleindeutsche Nationalstaat
gerade anschickte, sich einen Platz an der Sonne, das hieß die Weltmacht,
zu erobern.
Wie in einem ständig wechselnden Kaleidoskop bieten sich dem Betrachter
überraschende Einblicke und Ansichten. Der Wandelgang schafft Abstand
zu den kolossalen Wandgemälden von Kriegen, Revolutionen und den
neuen großbürgerlichen Eliten. Der Bogen reicht von den Zeugnissen
des Wiener Kongresses und der Gründung des Deutschen Bundes bis zur
Apokalypse des Ersten Weltkrieges. In einer Ecke stehen die Rüstungskonkurrenten
Schneider und Krupp samt Kanone. Rundum hängen historisierende Bilder
von der Suche nach der deutschen Seele.
Dies alles steht neben- und gegeneinander wie - im Dialog, stets in der
Spannung schriller Dissonanzen. Hoch darüber, wie abgehoben, die
preußischen Herrschaften . . .
Unbedingt wollten die Planer den Eindruck vermeiden, hier werde ein neuer
Bismarck Kult beschworen oder die preußisch-deutsche Großmacht
gefeiert. An Bismarck schieden sich hierzulande schon immer die Geister,
und jenseits der Grenzen wurde er von den Zeitgenossen und wird er auch
heute noch viel kritischer gesehen. Wollte man eine wirklich reichhaltige
und sehenswerte Ausstellung auf die Beine bringen, dann mußte man
nicht zuletzt auch den großen europäischen Museen, deren Leihgaben
man brauchte, ein überzeugendes, europäisch und demokratisch
eingebettetes Konzept vorlegen.
Die Ausstellungsleiterin, Marie-Louise Gräfin Plessen, deren schöne
"Berlin, Berlin" Ausstellung von 1987 noch unvergessen ist,
hat sich bei ihren Reisen zu den einstigen "Feinden" Preußens
das nötige Vertrauen erworben - mit ihrer unprätentiösen
Art, mit Takt und Einfühlung und ihrer fachlichen Kompetenz, der
sich ein ausgeprägter historischer Sinn zugesellt. In Paris, so erzählt
sie, ging sie zuerst ins Pariser Musée de l'Armée. "Da
Frankreich 1871 den Krieg verloren hatte, erwartete ich dort den größten
Widerstand. " Aber sie zog reich beschenkt davon. Am Ende der Unterhaltung
nahm der Direktor, wohl noch ein wenig skeptisch, eine Mini-Kanone in
die Hand: Wenn sie die Versprechungen nicht einhielte, würde er mit
der Kanone nach Berlin kommen _ _ _
Er darf getrost unbewaffnet kommen. Und auch der wissenschaftliche Leiter,
Bismarck-Biograph Lothar Gall, braucht sich nicht zu sorgen. Er fürchtete
noch bis zuletzt, die Ausstellung könnte, so kurz vor der Wiedervereinigung,
in ein nationalistisches Fahrwasser geraten oder preußische Traditionen
wiederaufleben lassen. Wie würden Franzosen, Österreicher, Polen
und Dänen, die Hauptleidtragenden
Bismarckscher Machtpolitik, reagieren, zumal sie die neue Einheit Deutschlands
nicht eben bejubelt hatten?
Doch dies ist keine nationale, sondern eine europäische Ausstellung
geworden, ein Stück kontinentaler Kulturgeschichte. Museen in Frankreich,
der Schweiz und Italien, in Österreich, Polen und Dänemark und
anderen Ländern haben sich großzügig von einigen ihrer
besten Stücke getrennt, die man hier zum ersten und einzigen Male
unter einem Dach vereint sehen und als zusammengehörig erkennen kann
...
Der chronologische Ablauf in den Themenräumen ist übersichtlich
gegliedert. Fast die Hälfte dieser Räume haben keinerlei unmittelbare
Verbindung mit der Person Bismarcks, denn im Vormärz, während
der 48er Revolution und deren Nachwehen und beim Wiederaufleben der deutschen
Nationalbewegung ist er nur eine Randfigur.
Das Reizvolle an dieser Ausstellung ist das gewollt Undidaktische und
Unpathetische. Trotz der mehr als 1100 Exponate von 280 Leihgebern wirkt
sie doch nie überladen. Man läßt die vielen zwei- oder
drei-dimensionalen Objekte, darunter bedeutende Kunstwerke, durch sich
wirken, ohne sie erst aufwendig in Szene zu setzen. Der Betrachter kann
verweilen, wo er Lust hat, und sich an der historisch wie dramaturgisch
gut komponierten Vielfalt erfreuen.
Die Anordnung der Paravents läßt Ecken frei, wo man in Muße
Archivalien studieren kann. In einem der gelungensten Räume, dem
zum Thema deutsche Einheitskriege, werden wir dauernd eingeladen, uns
aus der überlieferten borussischen Sicht hinter die feindlichen Linien
in Düppel, Königgrätz und Gravelotte zu begeben. Wir empfinden
die Schmach und den Schmerz der Besiegten. Einige Räume sind durch
die aktuelle Politik nachträglich aufgewertet worden: so die Dokumentation
zum Wiener Kongreß und zum Deutschen Bund und erst recht zum Norddeutschen
Bund als Vorläufer des Reiches - da kann auch der letzte erfassen,
angesichts von Verfassungstexten, Maß , Gewichts und Gewerbeordnung,
Strafgesetzbuch und Zollgesetz, welch mühsames Werk die nächste
Ländervereinigung sein wird.
An unerwarteten Stellen tauchen die Polen auf - als Freunde der deutschen
Demokraten, beim Hambacher Fest und bei der 48er Revolution in Berlin,
oder als Opfer preußischer Schikanen beim Kulturkampf und bei der
Ausweisung über die russische Grenze. Gelungen auch die dialogische
Anordnung im Vormärz: die Vitrine mit den Büchern der in die
Schweiz geflohenen sozialrevolutionären Schriftsteller, die Farben
der Burschenschaften, hoch an der Wand Bismarcks Fechtutensilien, und
im Winkel thront Metternich.
Und was soll man von der Voraussicht halten, uns gerade in diesen Wochen,
da sich die Mächte im Nahen Osten auf einen Gaskrieg vorbereiten,
das Bild vom toten Sanitäter mit Gasmaske zu präsentieren?...
Liebe zum Detail verraten gerade die kleinen, zuweilen skurrilen Beigaben:
Mikrofilmdepeschen für Brieftauben und Knopflochkameras für
Polizeispitzel, die erste Arbeitsschutzbrille und ein Hörrohr (für
die vom Industrielärm geschädigten Arbeiter). An die noch weitverbreitete
Kinderarbeit im Kaiserreich erinnert das Bild vom Schornsteinfegerjungen,
der durch die Kamine kriechen mußte. Der Reichskanzler übrigens
hatte seine Bedenken, als der Reichstag Kinderarbeit unter zwölf
Jahren verbieten wollte: "auch nicht Eicheln sammeln?" schrieb
der Landwirt Bismarck an den Rand . . .
Diese Ausstellung in Berlin gibt Bismarck ohne Wenn und Aber den Rang
einer Jahrhundertfigur, die in sich alle Widersprüche ihrer Zeit
ausgetragen hat.
Karl-Heinz Janßen
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