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Frankfurter Allgemeine Zeitung,
29. 8. 90
.. . Daß diese Historisierung gelungen ist, ist die eine große
Leistung der Berliner Ausstellung, eine Leistung, die bei der sachkundigen
wissenschaftlichen Beratung durch den Bismarck-Biographen Lothar Gall
von vornherein zu erhoffen war. Die andere, weit überraschendere
Leistung ist der Nachweis, daß solche Historisierung die Figur und
ihre Zeit nicht ins Unverbindliche abschiebt, sondern human neu zugänglich
macht. Auch Bismarcks Geschichte ist ein Beispiel.
Sie ist exemplarisch, weil sie einen im neunzehnten Jahrhundert welthistorisch
zum ersten Mal auftretenden Typus in denkbar umfassender Weise vorstellt:
den Politiker in der permanenten Krise. " Krise" war seit 1789
nicht mehr wie in vorrevolutionären Zeiten eine einmalige, exponierte
Entscheidungssituation, sondern Dauerzustand der Politik. Keine Ordnung,
keine Autorität, keine Gewißheit war mehr vor dem "Geist
der ewigen Revision" (Burckhardt), vor der beschleunigten Verwandlung
einstmals stabiler Lebensverhältnisse gefeit. Sozialgeschichtliche
Veränderungen nahmen ereignisgeschichtliche Geschwindigkeiten an
und wurden so zum Material für politisches Handeln ...
Bismarck als Vertreter einer weltgeschichtlichen Krisenzeit wurde vermutlich
nie vorher so anschaulich wie in dieser Ausstellung. Das Wissen über
die revolutionären Umbrüche und Schocks des neunzehnten Jahrhunderts
verblaßt vielfach vor den noch extremeren Erfahrungen des zwanzigsten.
Die Bilder und Gegenstände, die die Ausstellung herzeigt, heben diese
Distanz auf, sosehr sie in vielen anderen Hinsichten auch die Abstände
vergrößern...
Die Ausstellung ist dabei von ungebrochener Beschönigung des Nationalen
weit entfernt, sosehr sie es als das Moderne, Zukunftsträchtige in
Bismarcks Zeit herausstellt. Immer werden die beiden Seiten gezeigt: so
beim schleswig-holsteinischen Nationalitätenstreit mit unbekannten
Zeugnissen auch die dänische Seite - wer die rührenden Pulswärmer
der dänischen Soldaten und die Grabplatten dänischer Gefallener
gesehen hat, wird den rüden Dänenhaß der deutschen Demokraten
von 1848 im Gesamtbild dieser vielgepriesenen Revolution nicht ganz gering
gewichten.
In solchen Brechungen und Kontrasten brilliert die Ausstellung. Sie zeigt
das demokratisch-nationale Pathos der freien Völker freier Bürger.
Aber sie zeigt auch die mörderischen Konsequenzen in Bildern erbitterter
Volkskriege, in der kollektiven Aggression der levées en masse.
Darum konnten auch Zeugnisse Platz finden, die die Geschichte der Wundversorgung
hinter den Linien erzählen - wiederum eine doppelsinnige Geschichte,
da sie ebenso die Professionalisierung der Kriegführung wie die humanitär
- demokratische Sorge um den gemeinen Landser spiegelt, den die Feudalzeit
im Felde verrecken ließ...
Was bleibt, ist das Bild eines "Genies des Gegenwärtigen",
zudem sich der junkerliche Reaktionär vor allem in der Krisenzeit
der Jahre zwischen 1862 und 1871 zunehmend entwickelte. Der Satz, daß
das Leben den bestraft, der zu spät kommt, paßt auch als Maxime
für Bismarcks Handeln, und wenn man Analogien zur Gegenwart sucht,
findet man sie wohl weniger in der aktuellen deutschen als in der sowjetischen
Politik. Die Lehre, die das Beispiel Bismarcks erteilt, besteht nicht
in einem durchgehenden Prinzip deutscher oder europäischer Politik,
sondern in der Art, wie dieser Konservative beispiellose Herausforderungen
beantwortete: "Alles, was der Lehrer hoffen konnte, war, dem Geist
das Reagieren beizubringen" (Henry Adams).
Für das Deutsche Historische Museum, für seinen Direktor Christoph
Stölzl und die Ausstellungsleiterin Marie-Louise von Plessen ist
die Bismarck-Schau, ihre entscheidende erste Bewährungsprobe, ein
Triumph. Sie haben ein großes und heikles Thema überzeugend
bewältigt, kritisch, aber ohne besserwisserische Didaktik, einfühlsam,
aber ohne identifikatorische Aufdringlichkeit. Der Katalog hat einen menschenfreundlichen
Umfang wie die Ausstellung selbst, die sich wohltuend abhebt von den Mammutdimensionen,
die sich in den letzten Jahren eingebürgert haben. Vielleicht hat
dieses Gelingen auch mit dem Ort der Ausstellung zu tun. In Berlin sind
die Engstirnigkeiten der Bundesrepublik schon jetzt wie weggeblasen. Hier
wurde ein Maßstab urbaner Gelassenheit gesetzt, an den man sich
halten sollte.
Gustav Seibt
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