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Frankfurter Rundschau, 31.8.90
... Bismarck also als Zentrum einer Ausstellung, die fast ein Jahrhundert
umgreift: von 1815 bis 1890. Die Ausstellungsmacher sind natürlich
viel zu gebildet und viel zu listig, um in herumliegende Fallen zu tappen.
Sie entfalten ein geschichtliches Panorama nach der chronologischen Schnur,
mit einzelnen thematischen Räumen dazwischen und ausschließlich
mit historischem Material. Und wo es gar zu martialisch wird, da haben
sie in der Präsentation jenes Gran Ironie bereit, das die albernen
Büsten, Ölgemälde, Stiche flugs zu dem macht, was sie immer
schon waren: nationaler Kitsch ...
Die Ausstellung ist insofern jeder Kritik voraus, als sie Vorhandenes
zeigt und Einwänden mit dem Hinweis auf das eine oder andere Ausstellungsstück
begegnen kann. Irgendwo ist ja alles da: Arbeiterelend und Gründerzeitprotz,
Sozialgesetze und Kirchenkampf, demokratische Opposition und preußischer
Obrigkeitswahn. Alles ist so gewitzt, intelligent und ausgewogen, wie
sich Historiker das nur wünschen können, sie bekommen allenfalls
Gelegenheit, über Gewichtungen zu streiten.
Daß Otto von Bismarck selbst eine durchaus gespaltene, womöglich
hoch neurotische Person war, das zeigt sich in einigen seiner persönlichen
Hinterlassenschaften: Uniformen, Möbeln aus seinen Wohnungen, den
riesigen Schaftstiefeln. Er lebte auf großem Fuß. Und es zeigt
sich in einem Höhlengang unter einer großmächtigen Fortifikation
im Lichthof, wo man - kostbar arrangiert - seine steile, energische Schrift
bewundern kann, Autographen von suggestiver Kraft, die den Knalleffekt
nicht gebraucht hätten, die schwer lesbaren Texte auf den aufgestellten
Klappen in Kupfer zu gravieren.
Das, wie überhaupt der als "Erlebnisraum" (so nennt man
das unter Ausstellungsarchitekten) konzipierte Innenhof, der als Einstimmung
"Das Jahrhundert Europas" verspricht, geht auf das Konto des
Architekten Boris Podrecca. Er hat einzelne besonders sperrige Exponate
dort arrangiert und seine mächtige Rampenkonstruktion bis ins erste
Stockwerk hochgeführt. Die Wände dieses Laufgangs bestehen aus
Eisenplatten, auf denen das eine oder andere Stichwort geschrieben steht.
Podrecca hat sich gleichzeitig bei Richard Serra und der Werbebranche
bedienen wollen, und auch wenn er dafür beredte Argumente findet
- diese Installation ist fatal. Sie verlängert den durch die anderen
Objekte so schön destruierten Größenwahn ins Moderne,
ohne dem Bild Bismarcks und des 19. Jahrhunderts mehr hinzuzufügen
als ein müßiges (und vermutlich teures) Apercu.
Wird "Onkel Otto", wie ihn ein aufgeklärter Nachfahr despektierlich
zu nennen pflegt, nun in neuem Licht gezeigt? Wohl kaum. Doch seine Rücknahme
in den historischen Kontext ist gleichwohl ein Akt der Entmythologisierung.
Daß seinem "Werk" das Ende schon eingeschrieben war, als
es noch für eine deutsche Ewigkeit gebaut schien, das immerhin kann
der aufmerksame Beobachter begreifen. Zudem werden sich mit diesem Problem
zahlreiche Sonderveranstaltungen beschäftigen: Symposien, Vorträge,
Lesungen, Filmvorführungen, die an beinah jedem Tag bis Ende November
alles untersuchen können (und wohl sollen), was sich der Visualisierung
entzieht.
Das Team des "Deutschen Historischen Museums" hat den ersten
Test mit Anstand (und zuweilen sogar mit Grazie und einiger witzig versteckter
Polemik in der Zuordnung verschiedener Materialien) bestanden. Es vermittelt
historische Bildung, das ist nichtwenig in diesen Zeiten, wo man so leicht
von historischen Augenblicken redet, wenn es darum geht, für Europa
und die Welt einen neuen Ausgleich der Interessen zu versuchen. Davon,
daß für Völker Interessen mehr zählen als Freundschaften
und (Erb-)Feindschaften, hat Otto von Bismarck in seiner Zeit vermutlich
mehr gewußt als seine Kontrahenten und Partner.
Roland H. Wiegenstein
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