Hannoversche Allgemeine Zeitung, 5. 9. 90

.. . " Bismarck - Preußen, Deutschland und Europa" heißt die Schau im Martin Gropius Bau. Der Titel signalisiert die Absicht: Nicht um ein Psychogramm Bismarcks geht es, sondern um die Besichtigung eines Jahrhunderts, aufgehängt am Leben eines seiner herausragenden Vertreter. Und das ist gelungen. Freilich macht es das Thema auch leichter als bei vergleichbaren historischen Ausstellungen. Denn was gezeigt wird vom monumentalen Schlachtengemälde bis zu Bismarcks gewaltigen Kürassierstiefeln, von der Zeitungsseite bis zum grafischen Blatt, von der Fahne bis zur Gulaschkanone, das illustriert nicht nur Geschichte, das hat auch Geschichte gemacht, ist Hinterlassenschaft, die der Strom der Zeit in unsere Gegenwart gespült hat...
Im Lichthof des Hauses wird angerissen, was die mehr als 1100 Exponate von 250 öffentlichen und privaten Leihgebern (auch aus Polen und der DDR) vermitteln wollen. Da ist auf engem Raum, den man auf einer Treppe zum ersten Stock hin durchsteigt, zuerst recht verwirrend ausgebreitet, was dann in den umliegenden Räumen der Schau vertieft wird: Bismarcks Geburtsjahr 1815 und das Zeitalter der Restauration, die Einigungskriege und die folgende Industrialisierung Deutschlands, die offizielle heroisierende Kunst des Kaiserreichs, das Aufkommen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft und schließlich die Katastrophe von 1914, die ein ganzes Jahrhundert verschlingen wird . ..
Am Schluß der Ausstellung steht der Bismarck-Kitsch, die Legende, die bei der Tagung so zerpflückt wurde: ein Amboß etwa, auf dem Bismarck das Reich geschmiedet habe, und im Lichthof sieht man ihn auch in Bronze als Schmied stehen. Eine Karte informiert darüber, daß es 1914 im Reich mindestens fünfhundert Bismarck Denkmäler gab, von denen das Hamburger nur das monumentalste ist. Modelle verraten den Heroenkult, der hier getrieben wurde. Eine ganze Reihe von Porträts, die Franz von Lenbach gemalt hat, zeigen, wie der Kanzler allmählich verklärt wurde. Aber da hatten die Deutschen sich von dem wirklichen Otto von Bismarck schon recht weit entfernt. Es ist gut, daß er in Berlin in unsere Gegenwart zurückgeholt wird, denn auch in Zukunft werden wir mit ihm leben müssen.

Ekkehard Böhm