Main Echo, 15. 9. 90

...Was immer man von dem Versuch hält, die Geschichte in Vitrinen, an Stellwänden und durch innenarchitektonische Arrangements anschaulich und begreifbar zu machen, dieser Ausstellung kann der Mut zu neuen Formen musealer Geschichtsdarstellung nicht abgesprochen werden. Dabei ist besonders zweierlei hervorzuheben. Erstens hat man - sehr im Unterschied zu vielen großen Ausstellungen vergangener Jahre - auf das inszenatorische Nachäffen vergangener Wirklichkeit weitgehendverzichtet. Das Publikum wird nicht mit dem falschen Glanz des sogenannten Authentischen geblendet, es wurden keine Interieurs eingerichtet, die dazu verführen, sich im Geschichtlichen gemütlich niederzulassen und auszuruhen von den Strapazen unserer eigenen Gegenwart.
Diese Ausstellung funktioniert nicht als Zeitmaschine, mit der Geschichtstouristen an fremd gewordene Gestade der Historie reisen könnten. Es ist vielmehr gelungen, die Vergangenheit als vergangen zu zeigen und gleichzeitig darauf aufmerksam zu machen, daß diese Vergangenheit dennoch mit unserer Gegenwart noch eine ganze Menge zu tun hat. Insofern ist die Ausstellung ein gelungener Beitrag zum Begreifen der Gegenwart auf dem Wege der Auseinandersetzung mit Geschichte.
Zweitens gehört der Ausstellungsarchitekt Boris Podrecca zu den wenigen, die es bisher gewagt haben, dem repräsentativen Lichthof des Gropius Baus die Aura des Erhabenen und Erhebenden wegzunehmen. Die Gläser der Decke, durch die sonst das Licht des Himmels ins Gebäude fällt, wurden mit Tüchern verhängt und der Innenraum mit über mannshohen Schächten, an deren Außenseiten großformatige Gemälde hängen und in deren Unterbau Filme über Bismarck-Karikaturen laufen, in ein symbolisches Labyrinth verwandelt. Dieses Arrangement, mit dem man gleich beim Betreten der Ausstellung konfrontiert wird, hat allerdings auch den selbstironischen Effekt, daß man auf seinem büstengeschmückten Weg sofort wieder aus der Ausstellung herausgeführt wird, die man doch gerade erst betreten hat. Folgt man der Verführung des aufsteigenden Weges, findet man sich auf seiner Plattform wieder, von der aus eine eiserne Bogentreppe zur Empore führt, in deren Rund die Berlinische Galerie als ihren Bismarck-Beitrag 60 Architektur-photographien zeigt, die in den ersten Jahren nach der Reichsgründung 1871 entstanden sind. Die eigentliche Ausstellung ist - wie immer im Gropius-Bau in den Räumen rund um den Lichthof untergebracht...

Bruno Preisendörfer