Nürnberger Nachrichten, 28. 8. 90

...Als dramatisches Furioso, der Ouvertüre einer Oper vergleichbar, ist der große hohe Lichthof im Zentrum des Hauses an der Stresemannstraße gestaltet, bezeichnet als " Das Jahrhundert Europas" - quasi Wagnersche Einstimmung auf die Leitmotive. Der düstere Abend vor der Schlacht bei Waterloo 1815, Bismarcks Geburtsjahr, im Bild des Salonmalers John-Lewis Brown. Ein Exemplar des Kommunistischen Manifests von 1848 und der Genfer Konvention 1864, die zur Gründung des Roten Kreuzes führte, ursprünglich also einer Kriegsverwundeten Hilfsorganisation, der ziviler Dienst erst später zuwuchs. Bismarck, seinen Pallasch zwischen den Knien haltend, beim Kriegsrat in Versailles, eine nur nachempfundene Darstellung des Hofmalers Anton von Werner, der ja auch die "Kaiserproklamation" im Schloß Ludwig XIV. zu "historischer Schönheit" erhob, umbog, umlog...
Otto von Bismarck als "Schmied des Deutschen Reiches", eine in ihrem Pathos heute komisch anmutende, grünspanbesetzte Bronzeskulptur. Bau einer Panzer-Corvette in der "Vulcan"-Werft vor Stettin, als dramatische Industrie und deutsche Arbeitertüchtigkeitsszene gemalt von einem Anton-von-Werner-Schüler, eines Schiffes, das vielleicht bei dem späten Kolonialgewinn Deutschlands in Afrika dabei war. Prächtig gemalt, um so gräßlicher, zu Gelächter animierend und trotzdem, versucht man sich zurückzuversetzen, Furcht erregend: eine vor Zorn gleißende, Wutblicke in die gesamte feindliche Weltschleudernde "Germania" mit Schild und Schwert und deutscher Kaiserkrone, ein (" Mach"-)- Werk von Kaulbach - 1914.
Durch den Lichthof führen Stufen, schräge Rampen und eine Wendeltreppe hoch hinauf in den Oberstock. Dort ist eine lange Reihe von Gründerzeitarchitekturfotografien zu betrachten - und einmal mehr, spät, zu spät bemerkt man, daß diese Zeit doch ihren " Stil" hatte; stringenter als die Postmoderne, fragt man sich nun auf einmal und entgegen dem, was man architekturhistorisch besser gewußt zu haben wähnte, wider Willen .. .

Jürgen Beckelmann