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Remscheider General Anzeiger, 19.
9. 90
Eine geistesgeschichtliche Expedition ins deutsche Wesen. Auf den ersten
Blick eine rein ästhetische Wahrnehmung, doch bei genauerem Hinsehen
viel mehr als das. Gebaut fast nach Wagners kühner Forderung vom
Gesamtkunstwerk, stellt sich dieses Foyer-Arrangement gleichsam als Ouvertüre
wie als Zusammenfassung aller angestimmten Motive vor. Brüche, Irritationen,
Spannungen, Ambivalenzen, im nicht nur von Thomas Mann als groß
apostrophierten 19. Jahrhundert. In ihm entfaltet sich das Abendland,
richtiger, das Heilige Römische Reich deutscher Nationen, als Zeit-Raum
Europas, und gleichzeitig bereitet sein Ende sich vor. Belle Epoque im
Zeichen der Agonie und als apokalyptische Vision, etwa mit der Ikone vom
Tod als Ritter: waffenstarrend zwar, aber skeletthaft.
Der Weg Deutschlands führt hier hoch hinaus: schwindelerregend, absturzgefährdet.
Eine Metallschräge, die Assoziationen an Schiffbau, Krupps Industrie-Schmieden
und die Stahlgewitter der Kriege freisetzt, formt sich zu einer hochdramatischen
Rampe. Sie ist als "Machtachse" proletarische Schiene mit dem
"Kommunistischen Manifest" an ihrem Endpunkt, ist Schädelstätte,
Ruhmeshalle und Walhall preußischer Köpfe in einem. Das schon
von Bertolucci für seinen Jahrhundertfilm "1900" verwendete
Gemälde "Fiumana" (Strom) figuriert als zentraler Blickfang:
der 4. Stand steigt unaufhörlich an wie ein Fluß zur Regenzeit
anschwillt. Dies die eine, die optimistische, vorwärtsgerichtete
Seite. Und die andere? Streikposten und eine "Verlassene" Frau
mit ihrem Kind: hohlgesichtig und anklagend; Opfer der permanenten Revolution.
Freischwebend windet sich eine Metalltreppe empor; deutscher Balanceakt
über den Völkern Europas; an ihrer Mündung wacht Bismarck,
wie in unzähligen Denkmälern in deutschen Landen.
Um diese martialisch anmutende Installation, die das Kultische feiert,
um es kritisch zu verhandeln, gruppieren sich in einem Umgang sowie in
Nischen, Passagen und Winkeln deutsche Entwicklungen, deutsche Konstanten.
Der Besucher schreitet auf Marmor, unter Stuck und Gold durch Sagen ,
Märchen und Mythenstätten, durch Wotan Land, Luther Land und
Rhein Land, Barbarossa im Kyffhäuser, Armin der Cherusker, Walküren,
Landgewinnung im Osten, schon seit Zeiten des Deutschritterordens, Blut
und Boden, Gotik, Konfession, Bekehrung, Rassendünkel, Herrenvolk.
Und ragend aus diesem Seelenbräu - Bismarck, der Schmied Deutschlands:
nibelungentreu - bis zum Verrat?
Andreas Wilink
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