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Rheinischer Merkur, 31. 8. 90
. .. Die Ausstellung ist sehenswert. Es beginnt schon mit dem Äußeren:
Vom Österreicher Podrecca ein wenig als "große Oper"
arrangiert, empfängt den Besucher ein Stahlgerüst vor dem Gebäude,
eine Bismarck-Büste als überlebensgroßer Torso darauf;
ein Riesenauge des Reichskanzlers, gerastert im Schwarz und Weiß
Preußens, blickt auf die heutigen Deutschen. Eisen und Blut, Stahlgewitter,
der große Bruder?
Ein klein wenig verlegen waren sie doch, die Verantwortlichen, als sie
gestanden, "eigentlich" hätte das Projekt ja auf "Europa
1992" zielen sollen, auf die Einigung EG-Europas. Ein bißchen
sind sie "vom Volk erwischt" worden, die Europa Musterknaben
sind von der "List der Geschichte" eingeholt worden in Gestalt
der ewigen nationalen Frage, der Idee der Nation, "diesem Gedanken
Gottes" (Herder).
Im Lichthof des Gropius Baus werden die großen Themen leitmotivisch
anschaulich: In der Riesenkuppelhalle, säulenumstanden, erfaßt
uns zunächst monumentale Ratlosigkeit. Hoch ragt ein Turm auf, eine
Wendeltreppe führt uns - an Bismarck- und Kaiser-Wilhelm-Büsten
vorbei - ins Offene, Ungestalte, in Zukunft hinein. Unter uns die Kolossalformate
der Historienmalerei: Herkomers Ölgemälde "Aufsichtsrat
der Firma Krupp" - und daneben Franz von Matschs "Huldigung
der Deutschen Bundesfürsten zu Kaiser Franz Josephs 60. Regierungsjubiläum"
in Schönbrunn: die Wirtschaftskapitäne und die beiden Kaiserin
historischen Uniformen. Die "Wiener Bundesakte" ist da und die
"vierpfündige Gußstahlkanone", Henningsens Bild "Verlassen",
das das Entsetzen vor dem Elend des Großstadtproletariats einfängt,
und das fast mannshohe Denkmal des französischen Krupp, des Waffenfabrikanten
Joseph-Eugène Schneider. Abseits davon, am Aufgang zu den Heroen,
ein früher Druck des "Kommunistischen Manifests". An brutal
hingerammten Stahlplatten, die den Weg verstellen und führen, hängen
die Quellen und Überreste der Problemmasse dieses Jahrhunderts: der
Auseinandersetzung von Monarchie und Volkssouveränität, von
ständischer, bürgerlicher und proletarischer Welt, von Staat
und Nation, von Bauerntum und Industrie. Und daneben die ersten Zeugnisse
des preußischen Landedelmanns Bismarck, der seinen Uradel bis ins
13. Jahrhundert zurückverfolgen konnte: höchst lyrische Briefe
an seine Braut. Das war er ja auch: der zart Liebende, der hysterisch
Weinende, der schmeichelnd Werbende, der Gourmand - und der flehend Betende.
Dann folgt die Ausstellung dem Ariadne Faden des Lebens Bismarcks, immer
begleitet durch Zeugnisse seiner Zeit und Welt; und manchmal haben die
Stücke auf diesem parcours narratif nur wenig mit dem Protagonisten
zu tun . ..
Zu all dem erleben wir die schönsten Stücke aus deutschen und
europäischen Museen, so noch niemals beisammen, die verblüffendsten
Kombinationen gebend. Üppig ist das, aber nie überladen; es
gibt auch die heilige Stille des erschütternden Einzelstücks.
Von der Gedenkmünze mit zwei Zentimetern Durchmesser bis zum Monumentalschlachtenbild
aus dem Heeresgeschichtlichen Museum der Donaustadt (acht mal sechs Meter,
eine Szene bei Königgrätz), von der fünf Meter hohen Germania
bis zum schwarz-rot-goldenen Brustband des 1848er Reichsverwesers Erzherzog
Johann der Steiermark, vom - aufgeschnittenen - Zündnadelgewehr bis
zur weißen Haarlocke Bismarcks spannt sich der Bogen . . .
Nirgendwo will das Projekt aktuell sein, schwarz-rot-goldene Bordüre
für Gegenwärtiges. Und doch ist das ja ganz unvermeidbar. In
Berlin, in Deutschland heute. Wo es um deutsche Einheit geht, kann man
doch an Bismarck nicht vorbei und umgekehrt. Die Ausstellung tut so, als
vergäße sie für die Jetzt-Zeit, was ja wirklich anderswo
bewußt verdrängt wird: daß die Bundesrepublik Deutschland
laut - Bundesverfassungs-gericht - "identisch ist mit dem Staat Deutsches
Reich, in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings nur teilidentisch".
Was heute - kleinstdeutsch - wieder zusammenwächst, hat - gerade
auch völkerrechtlich - im Norddeutschen Bund von 1867 und dann im
zweiten Deutschen Reich von 1871 sein tragendes Fundament. Millionen Deutsche
östlich von Oder und Neiße werden ausgeschlossen aus diesem
neuen/alten Staat, so wie acht Millionen Deutsche in Österreich 1866
ausgegrenzt wurden. Empfinden wir noch etwas, wenn wir Kaiser Franz Josephs
Aufruf "An meine Völker! " im Ausstellungsraum "Der
deutsche Weg zum Nationalstaat" lesen: "So ist der unheilvollste,
der Krieg Deutscher gegen Deutsche unvermeidlich geworden."...
Peter Meier-Bergfeld
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