Volkszeitung, 14. 9. 90

. . . Die Ausstellungsmacherinnen verfolgen fast durchgängig den Grundsatz, die Widersprüche der Epoche sinnlich faßbar zu machen. Der Blick fällt von der hoch in der Lichthofkuppel thronenden Bismarckbüste auf Pellizzas Gemälde vom Vierten Stand ("Fiumana") und bald danach auf Gilbert Roberts "Gassed" aus dem Ersten Weltkrieg. Dem Bild der deutschen Unternehmer (Aufsichtsrat und Direktorium der Friedrich Krupp AG, gemalt von H Hubert von Herkomer) steht, fast schon schematisch, das (bürgerliche) Bild vom proletarischen Elend gegenüber ("Im Streik" von demselben und "Verlassen" des dänischen Malers Henningsen). Die Darstellung der deutschen Einigung durch "Eisen und Blut" (Raum 6) verschweigt die blutige Unterdrückung des polnischen Aufstands von 1863 so wenig wie die unsinnige Barbarei auf den Düppeler Schanzen.
Keine Jubelgeschichte also. Vielmehr ist die Präsentation sozialer Gegensätze, Novum progressiver Ausstellungsprojekte der 70er und beginnenden 80er Jahre, zur Selbstverständlichkeit in einem derartigen 8-Millionen-Projekt geworden .. .
So haben die AusstellungsmacherInnen die schwierige Aufgabe gelöst, das Individuum in historischen Ereignissen und in der Weltgeschichte auszustellen. Keine platte Verherrlichung mehr, auch nicht der Machermythos, nein, einfach die Person mit ihren verschiedenen und auseinanderfallenden Seiten. Die Ausstellungen lehrt, daß der Unnahbare, der Sockelmensch eben derselbe ist, der Heine im Bücherschrank stehen hatte (Vestibül) und der für die Bombardierung von Paris war und der seiner Frau so tiefe Briefe geschrieben hat. Und wer das alles im Kopf nicht aushält, dem sagt die Ausstellung, daß er es ja auch kaum ausgehalten hat - daher die Sache mit der Bombe, und vielleicht auch die Triefaugen. Die Ausstellung stiftet eine Art von Verständnis, das sich einstellt, wenn alles zusammenkommt, ohne daß man genau weiß, wie es zusammengehört...
Die Räume des historischen Rundgangs bieten im Gegensatz zum inszenierten Lichthof, eine Sammlung, deren Anordnung jedoch keineswegs egal ist. Die unregelmäßigen Formen des Paravents, der häufig als Raumteiler fungiert, in Verbindung mit den Wandfarben der 50er Jahre, die mitunter heftig schräg in den Raum herausragenden Wandelemente - all dies bildet eine Folie der Modernität für die Gesamtheit der Objekte, die davor ebenso museal sind, wie sie in diese Modernität eingemeindet werden. Dazu tragen auch die mehrfach installierten modernen Medien bei, Bildschirme, an denen man sich Überblick verschaffen oder sein historisches Wissen in einem Computerdialog prüfen kann...

Wieland Elfferding