Weltkunst, 15.10.90

...Die behutsame Einbettung des Themas in den europäischen Kontext, die Darstellung weiterer Zusammenhänge - eine Ausstellung sozusagen mit Blick auf 1992 - bewahrt die Schau jetzt vor falschen Deutungen. Hierzu gehört auch die nachdrückliche Relativierung des Motivs "Krieg", die neben den üblichen kolossalen und heroisierenden Darstellungen Leiden und Sterben der Soldaten, Gerätschaften der Ambulanzen und Grabsteine bewegend einbezieht.
Gezeigt werden 1100 Objekte aus 250 Museen und Sammlungen. Dabei kommt den einzelnen Objekten naturgemäß vorrangig eine dokumentarische und erzählende Funktion zu. Dennoch findet der Besucher eine große Zahl interessanter sozialkritischer Motive und Genre- und Historienbilder. Ein Höhepunkt ist die lange Reihe Lenbachscher Bismarck-Bildnisse, die gleichermaßen die unglaubliche Mythifizierung Bismarcks zur nationalen Kultfigur noch zu Lebzeiten begleitet wie qualitativ konterkariert . . .
Zweifellos wird diese Ausstellung Bedeutung haben für die künftige Geschichtsdarstellung des Deutschen Historischen Museums. Die in den letzten Jahren weithin in historischen Ausstellungen kultivierte Berührungsangst vor allem, was mit Didaktik und Lernarbeit zu tun hat, führte zu atmosphärischen Ausstellungen, in denen der Betrachter gleichsam assoziierend den jeweiligen Stoff inhalieren sollte. So gesehen, stößt die Bismarck-Schau an die Grenzen der Vermittlungsfähigkeit des Mediums "Ausstellung". Nur der Besucher, der schon über solide Vorkenntnisse verfügt, wird hier auch sein Wissen letztlich erweitern können. Ohnehin scheint die Mitteilungsfähigkeit des einzelnen Objekts mitunter unterschätzt.
Als mißlungen muß man wohl die Rampenkonstruktion ansehen, die Boris Podrecca im Lichthof aufgetürmt hat. Dies ist der Versuch, die eindrucksvolle Metropolis-Konstruktion von Hans Dieter Schaal zur stadtgeschichtlichen Ausstellung 1987 noch zu übertreffen. Aber was hier als "parcours narratif" und "stählerne Metapher für das Jahrhundert des Aufbruchs in die Moderne" annonciert wird, erweist sich als hohle Geste. Das an dieser Stelle gezeigte Kompendium verschiedener Leitmotive der Ausstellung, mit gelegentlichen Verfremdungen, hätte solcher Aufwendigkeiten nicht bedurft.

Peter Hans Göpfert