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Kleine Ökonomie der Boheme.
Freiräume in der Planwirtschaft
Liest man in den biografischen Anmerkungen von DDR-Bohemiens, stellt
man erstaunt fest, wie oft diese über Jahre, manche sogar über
Jahrzehnte als proletarische Hilfskräfte tätig waren und mit
welcher Selbstverständlichkeit sie diese biografische Periode heute
noch der Erwähnung für würdig erachten. Diese Wertschätzung
des Hilfsarbeiter-Status hat einen triftigen Grund: Er bot vielen freizügig
lebenden Bohemiens, vor allem in der nach Wolf Biermanns Ausbürgerung
einsetzenden kulturpolitischen Eiszeit, einen juristischen Schutz vor
der möglichen Kriminalisierung, die mit der in der DDR verankerten
Arbeitspflicht gegeben war. Jemand, der sich ohne staatliche Genehmigung
und vorzeigbaren Hochschulabschluß zum (Lebens-)Künstler stilisierte
und keiner geregelten Arbeit nachging, mußte damit rechnen, als
Asozialer strafrechtlich verfolgt zu werden. Damit verfügte der Staat
über ein immenses Druck- und Einschüchterungsmittel, das man
in den 70er Jahren vor allem mit der DDR-typischen Edelproletarisierung
als Briefträger, Heizer, Kleindarsteller, Postbote oder Pförtner
umging. Diese Flucht aus den Produktionsmechanismen nicht stundenweise,
sondern mit einem regulären Arbeitsvertrag geregelt führte
mitunter zu kuriosen Verhältnissen: So fand man in den technischen
Gewerken der Stadttheater oft kreativere Köpfe als in der dramaturgischen
Abteilung. Heiner Müller entdeckte etwa den später berühmten
Bühnenbildner Hans-Joachim Schlieker in der Technikcrew der Volksbühne,
und der kollektive IQ einer Friedhofsarbeiterbrigade war mitunter höher
als die intellektuelle Leistung einer gesellschaftswissenschaftlichen
Universitätsfachabteilung. Vor allem für Autodidakten war diese
Absicherung ein nötiger Schritt, da sie sich nicht auf eine gesellschaftlich
erwiesene Eignung zum Künstler berufen konnten.
Günstig waren auch Anstellungsverhältnisse bei den wenigen
noch bestehenden Privatbetrieben, denn dort konnten mit ein wenig Glück
freie Tage ausgehandelt werden, die im tendenziellen Zwang zur Vollbeschäftigung
in der DDR sonst nicht zu haben waren. So arbeitete etwa der Dresdner
Bohemien Matthias Griebel zwanzig Jahre als Hilfskoch und Einpacker bei
einem Eisenhandelsgechäft nur drei Tage in der Woche, ehe er mit
der Wende zum Direktor des Stadtmuseums aufstieg. Der Herausgeber der
Ostberliner Untergrundzeitschrift Entwerter/Oder, Uwe Warnke, schaufelte
eine Zeitlang lieber Gräber aus, als seine Tätigkeit als Verlagslektor
in die Spät-DDR zu verlängern, und der Schriftsteller Thomas
Günther brachte gar sechs Jahre auf dem Friedhof der Evangelischen
Georgen-Parochialgemeinde zu biografische Entwicklungen, die nicht
untypisch für die damaligen Verhältnisse waren.
Eine zweite Möglichkeit, aus dem staatlich verordneten, normierten
Arbeitszwang auszubrechen, war die Pro-Forma-Anstellung. Viele Bohemiens
nutzten diese gesetzliche Lücke, indem sie sich zum Schein bei freiberuflichen
Verbandskünstlern anstellen ließen, die über dieses Recht
oft uneigennützig verfügten. So kamen etliche Maler kurz vor
ihrer Ausreise als Keramikhilfskraft in der Werkstatt von Wilfriede Maaß
unter, der autodidaktisch arbeitende Fotograf Sven Marquardt wurde in
den Büchern des bereits renommierten Kollegen Rudolf Schäfer
als Assistent geführt, und Olaf Tost, Sänger der Indie-Band
die anderen, arbeitete zum Schein als Haushaltshilfe bei einem freiberuflichen
Unterhaltungskunstmanager.
Vor allem in der enstehenden Szene professioneller Rock-Bands gab es
etliche Möglichkeiten der sozialen Tarnung ob als angestellter
Rowdie, Manager oder Kraftfahrer. Einige der in den 80er Jahren entstehenden
Verleihfirmen von Band-Equipment tarnten ihre quasi schon marktwirtschaftlich
ausgerichtete Tätigkeit dadurch, daß sie sich pro forma als
Tontechniker bei einer Band beschäftigen ließen. Ein wucherndes
Netzwerk von Fluchträumen entstand, das vom Staat nicht mehr unter
Kontrolle zu halten war. Das unüberschaubare Reglementierungsinstrumentarium
war auf Ideologie und Sicherheit ausgerichtet, erinnert Peter Wicke,
Professor für Theorie und Geschichte der populären Musik am
Institut für Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu
Berlin, an die damalige Situation, für derartige Entwicklungen
fehlten Regelungen und Zuständigkeiten, ökonomischen Zwänge
engten den Handlunsgspielraum zusätzlich ein.(40)
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