Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Fetten Ecken im dunklen Raum

Assoziation der Aktionisten: Inoffizielle Privatgalerien und Atelierausstellungen am Prenzlauer Berg

Der Tagesbefehl liegt hart an der Grenze des Zumutbaren, selbst für einen dienstbeflissenen Tschekisten auf der unteren Sprosse der Karriereleiter. Aber Genosse Hasse, so der überlieferte Name des hauptamtlichen Mitarbeiters der Staatssicherheit, macht seine Zweifel an diesem nicht näher zu bestimmenden Tag im Biermann-Jahr 1976 wohl lieber mit sich selbst aus. Ordnungsgemäß schreitet er laut Aktenlage zur angeordneten Tat, die in diesem Fall eher eine Verrichtung ist. Zuvor aber versorgt sich Hasse mit den nötigen Utensilien, die im Punkt 1.3 des detaillierten Operativplanes vorgesehen sind. Danach soll er im zweiten Quergebäude des Mietshauses Dunckerstraße 17 eine im wahrsten Wortsinne dreckige Arbeit tun. Seine Vorgesetzten haben zunächst an die Verunreinigung des Hausflurs gedacht – mit “Gummischutz, Dreck, Kot usw.”(1) Anschließend muß sich der zivile Geheimdienstler noch als pornografischer Schmutzfink betätigen und obszöne Fotos, wohl eingeschmuggelt aus Westberliner Beate-Uhse-Filialen, an die bröckelnden Hausflurwände kleben. Trotz erwiesener Einsatzbereitschaft geht der Plan nicht auf. Zwar verteilt Hasse wie vorgesehen von 20 bis 20.20 Uhr seine mitgebrachten Kondome vor Mietertüren und auf Treppenabsätzen. Auch beschmiert er die Wände mit Zeichenkohle. Doch am eigentlichen Ort seiner obskuren Begierde kommt er nicht zum Zuge. “Auf Grund des Publikumsverkehrs”, heißt es in dem peniblen Bericht, “waren Aktivitäten im Erdgeschoß und 1. Stockwerk nicht möglich.”(2)

So bleiben die Vernissagen-Gäste der EP Galerie an diesem Abend zumindest von den übelriechenden Methoden der Staatsicherheit verschont. Die Aktion ist gegen Jürgen Schweinebraden gerichtet. Er betreibt in einem Raum seiner Wohnung im ersten Stock eine illegale Privatgalerie. Von der Verschmutzung des Treppenhauses verspricht sich die Staatssicherheit endlich die Gelegenheit, einen Zuträger im Haus anzuwerben, der die bereits bestehende Observationsdichte mit Infrarotkameras, Videotechnik und Abhörwanzen im Ausstellungsraum noch erhöht. Nach der naiv-monströsen Kausalkette im MfS-Maßnahmeplan will man einen über die Verschmutzung erzürnten Hausbewohner ausgerechnet unter der Legende gewinnen, “daß man diese Schmutzfinken bekämpfen muß.”(3) Nicht nur wegen der moralischen Resistenz der Mitbewohner gegenüber dem bunten Künstlervolk, das mitunter in Hunderter-Stärke zu den gefragten Ausstellungseröffnungen und Veranstaltungen im Haus erscheint, zeigt die Aktion keinen Erfolg, sondern wohl eher, weil anonym hinterlassener Dreck zum Alltag im verfallenden Hinterhaus gehören und die soziale Mieterstruktur für das Vorhaben nicht gerade vorteilhaft ist. “Allein in unserem Haus”, beschreibt Jürgen Schweinebraden sein damaliges Lebensumfeld im Prenzlauer Berg, “gab es außer einigen Rentnern neben zwei ehemaligen Knackis einen Juristen, eine Informationstheoretikerin, zwei Maler, einen Filmemacher (Peter Sylvester), einen Theaterfreak (Einar Schleef), eine Psychologiestudentin, eine Sängerin, einen Exhibitionisten, mindestens einen Helfer der VP und gleichzeitig Informant der Stasi, mindestens vier anerkannte Säufer und einen spastischen Epileptiker, von dem man nicht wußte, ob er manchmal nachts vor Schmerz und Verzweiflung über seine Krankheit aufheulte oder aus Lust, weil er wieder so schön besoffen war, sowie einen von schwerer Arthritis heimgesuchten Friseur, der einmal bessere Köpfe gesehen und bearbeitet hatte.”(4)

Jürgen Schweinebraden, Jahrgang 1938, kennt die Abgründe ostdeutscher Seelenlandschaften aus nächster Nähe. Als studierter Psychologe und langjähriger Leiter einer Ehe-, Familien- und Sexualberatungsstelle hat er ein ziemlich dickes Fell für die Praktiken der Staatssicherheit, von denen die eingangs geschilderte nur eine Kostprobe aus den 18 Aktenordnern in der Gauck-Behörde ist, die das MfS über ihn angelegt hat. Zu seiner Galerie, die er unbescheiden, wenn auch nicht ganz zutreffend, Einzige Privatgalerie Jürgen Schweinebraden(5) nennt, kommt der Ausstellungsmacher mit Schippe und Hacke. Aus der zugewiesenen 34 qm-Erdgeschoßwohnung mit Außentoilette macht er mit Wand-Durchbrüchen zu zwei freistehenden Nachbarwohnungen erst einmal ein passables Domizil. Drei cbm Schutt fallen an, ohne daß jemand stutzig wird. Er muß nur trickreich irgendwoher einen Container besorgen. So entsteht genügend Lebensraum, auch für seine Lebensgefährtin Jeanine von Wichmann-Eichhorn. In einem Raum, den die Gitarristin später auch zum Unterricht nutzt, entsteht schließlich die EP Galerie, die von 1974 bis 1980 besteht. Eventuellen Verboten wegen akuter Brandgefahr oder unzureichender Deckenbelastbarkeit baut Jürgen Schweinebraden sicherheitshalber mit dem in der DDR äußerst schwierigen Erwerb eines privaten Handfeuerlöschers sowie einem positiv ausfallenden Gutachten eines befreundeten Statikers vor. Gewitzt geschaffene Grundlagen für ein außergewöhnliches Galerieprojekt, das in der facettenreichen Subkultur des Prenzlauer Berges in den 70er Jahren zum Mythos wird. “Die ‘EP Galerie’ gilt auch heute noch als etwas Besonderes”, schreibt der Literaturwissenschaftler und Kieztopograph Klaus Michael, “da sich Schweinebraden nicht nur für Künstler einsetzte, die wie Ralf Winkler – der sich später A.R. Penck nannte – in der DDR nur sehr beschränkte oder gar keine Ausstellungsmöglichkeiten hatten, sondern weil er mit den Ausstellungen ein weit gefächertes Konzept moderner europäischer Kunst verfolgte.”(6)


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