Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Übersicht

Sascha Anderson zieht zunächst seine Freunde aus Dresden nach – Ralf Kerbach, Helge Leiberg, Reinhard Sandner und Cornelia Schleime. Angeregt vom virtuosen Organisationstalent entstehen die ersten Künstlerkeramiken. Die Maler übertragen ihr Zeichenvokabular auf die dünnen Gefäßwände, mitunter knetet Anderson auch selbst den Ton für die Teeschalen und Wandteller. Selbst der Beatnik-Poet Allen Ginsberg, der die Runde bei einem seiner Aufenthalte besucht, läßt es sich nicht nehmen, eine Vase zu bemalen. Wilfriede Maaß, siebentes Kind der Ahrenshooper Keramikerfamilie Löber, ist seit 1981 Betreiberin der Meisterwerkstatt und schnell fasziniert von der Ideenvielfalt und der entfalteteten Motorik der anreisenden Künstler. “Das hat mich begeistert”, berichtet sie heute, “mit welcher Frische produziert wurde. Da habe ich manchmal ensetzt die Luft angehalten, habe sie aber meist machen lassen und unterstützt. Eine Zeitlang hatte ich mir angewöhnt noch nachträglich eine transparente Glasur aufzutragen, weil die Maler zu kräftig mit den Farbpigmenten umgegangen sind. Wenn das zu dick ist, da sitzt das so blasig drauf. Das sind einfach technische Sachen, die bei der Keramik anders funktionieren als auf dem Ölbild.”(10)

Über den Spaß an der ungewohnten Keramikproduktion und dem alternativen Nachtleben hinaus funktioniert die Werkstatt von Wilfriede Maaß auch als Wohnquartier und Ort der sozialen Absicherung. So wird Cornelia Schleime vor ihrer Ausreise fast zur Dauercamperin auf derausziehbaren Couch, auf der später auch Wolfram Adalbert Scheffler logiert, als er eine Zeitlang intensiv bei Wilfried Maaß Keramik bemalt. Neben der gewährten Unterkunft und Gastfreundschaft bietet die Werkstatt ihren engsten Gästen noch andere Serviceleistungen an: Zum einen kann Wilfriede Maaß als Eignerin eines Handwerksbetriebes auch verbandsfreie Künstler und Ausreiseantragsteller pro forma in ihrer Werkstatt als Hilfskräfte anstellen, so daß diese juristisch abgesichert und wenigstens krankenversichert sind. Zum anderen sind die Künstlerkeramiken nicht vorrangig für Ausstellungen, sondern zum Verkauf gedacht. Die Teeservice, Teller und Schüsseln werden entweder auf den offiziellen Märkten wie beim Panower Fest an der Panke oder bei den zahlreichen inoffiziellen Weihnachtsmärkten verkauft – beispielsweise im Atelier von Hans Scheib oder in der Werkstatt der Streupresse in Weißensee. Helge Leiberg findet mit leicht pornographisch bemalter Keramik eine echte Marktlücke, die Maaß über den traditionellen Kunstmarkt in der Treptower Sophienstraße vertreibt. Auch wenn bei den Einkommensverhältnissen in der DDR die erzielten Preise sehr niedrig liegen – für eine Malertasse zahlt der Käufer damals nur 18 Mark –, reicht es dank der hohen Nachfrage für die malenden Gäste meist schon zum Lebensunterhalt. “Der Kauf von Künstlerkeramik hatte schon eine Ersatzfunktion”, meint Wilfriede Maaß, “es war aber so, daß diese Malerkeramik meist von Freunden gekauft wurden, auch von Diplomaten der Ständigen Vertretung. Oder man hat es als Geschenk für andere gekauft. Der große Markterfolg war es eigentlich nicht.”(11)

Zwischen Ekkehard Maaß, der seine Lesungen in der ihm verbliebenen Küche fortsetzt, und Sascha Anderson kommt es des öfteren zu harten Auseinandersetzungen, bis die Ehe zwischen Wilfried und Ekkehard Maaß 1983 regulär geschieden wird. Über diese verständlichen Konflikte wäre kein weiteres Wort zu verlieren, hätte sich Anderson dabei nicht in einer Weise hervorgetan, die ein kriminelles Maß tangiert. In seiner Eigenschaft als IMB “David Menzer” berichtet er den Behörden im September 1982 über eine politische Schrift, die sich im Besitz von Ekkehard Maaß befindet. Als Maaß sie ihm trotz der persönlichen Querelen zum Lesen gibt, erstattet Anderson prompt Meldung. So konstruiert die Staatssicherheit einen Straftatbestand, der Maaß um ein Haar ins Gefängnis bringt. “Bei einer Begegnung mit Maaß am 15.9.1982”, schreibt Oberst Böhm, Leiter der Dresdner MfS-Bezirksverwaltung, an die Zentrale, “übergab Maaß dem IM (Sascha Anderson, d.A.) die in der Anlage beigefügte konterrevolutionäre Konzeption. (...) Wie mit Ihnen telefonisch abgesprochen, schlage ich vor – sollten keine Ihrer operativen Konzeption entgegenstehende Erwägungen vorliegen –, den IM zu beauftragen, dieses Machwerk in einer Aktentasche mit der Deutschen Reichsbahn nach Berlin transportieren zu lassen und auf der Fahrt dem IM die Tasche mit Inhalt ‘abhanden kommen zu lassen’, um sowohl Voraussetzungen zur Inhaftierung des Maaß als auch zur Konspirierung der Rolle des IM zu schaffen.”(12) Der Plan aus der Provinzschublade geht nicht auf. Vielleicht ist es für die Staatssicherheit effektiver, das Zentrum “politischer Untergrundtätigkeit” bestehen zu lassen, wenn man mit Anderson schon einen Inoffiziellen Mitarbeiter im inneren Zirkel weiß. So verläuft die Sache im Sand.

Arbeiten in der Keramikwerkstatt Anfang der 80er Jahre vor allem Künstlerinnen und Künstler, die den halbwegs geschützten Raum in der Schönfließer Straße vor allem als Zwischenstation auf dem Weg in den Westen sehen, ändert sich die unbewußte Strategie der Betreiberin. Ab Mitte der 80er Jahre beginnt Wilfriede Maaß vorrangig mit Malern zu arbeiten, die nicht nur ihre Herkunft, sondern auch ihre Zukunft im Osten haben. Mit der Berliner Grafikerin Karla Woisnitza, der Dresdner Malerin Angela Hampel sowie dem Cottbuser Maler, Grafiker und Performance-Künstler Hans Scheuerecker kommen starke, neue Impulse. Der Einfluß Andersons auf die Werkstatt-Dynamik nimmt ab, und es kommt zu Zerwürfnissen, die Wilfriede Maaß bis zu Andersons endgültiger Ausreise 1986 toleriert.

Später rücken Sabine Herrmann, Holger Stark und Klaus Killisch in die Werkstatt nach. Der Generationswechsel führt, wie die Kunsthistorikerin Karla Bilang konstatiert, neben einem anderen Lebenstempo auch zu stilistischen Modifikationen. “Die Reflexionen archaisch-matriarchalischer Kulturen, des Ethnographischen und des Mythologischen, die bei aller individuellen Unterschiedlichkeit für die Dresdnerinnen stilprägend waren, treten deutlich zurück und machen einer Säkularisierung Platz, die das expressionistische Menschenbild an sich in den Mittelpunkt rückt.”(13)

Die Rechnung für die subkulturelle Toleranz präsentiert der Staat in Form der Steuerprüfung. Während vergleichbare Werkstätten alle fünf Jahre kontrolliert werden, rücken die Beamten bei Wilfriede Maaß jeden Frühsommer an. Bis zu 10.000 Mark muß die Keramikerin jährlich an errechneten Steuerschulden abstottern, was sie unter Aufbietung aller Reserven auch jedes Mal irgendwie schafft. Der Beitrag der Künstler an der Zeche für das alternative Gruppenleben bleibt minimal bis gering. Für Wilfriede Maaß kein Problem: “Geld war nicht so wichtig für mich. Mein Bemühen war immer, so unabhängig wie möglich zu sein. Ich habe das Geld, was ich verdienen konnte, nicht in Datschen, in Autos oder schicken Klamotten angelegt, sondern in einen Lebensstil. Und zu diesem Lebensstil gehörte es eben auch, daß man den Wein kaufte für den Abend und die Telefonrechnungen bezahlte. Das hat mich nicht sonderlich interessiert.”(14)


Vorherige Seite           Seitenanfang           Anmerkungen