Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Das nötige Kleingeld verdient man mit endlosem T-Shirt-Nähen. Die fertigen Nickies, so der offizielle Sprachgebrauch für die trendige Oberbekleidung, bringt man problemlos an FKK-Stränden oder auf dem Oranienburger Flohmarkt unter die begierig kaufenden Leute. Später werden Kleider geschneidert und Jacken aus mehreren Lagen Windelstoff genäht – ein schnelles Geld, denn die Nachfrage übersteigt bei weitem die Lust an der Produktion, zumal die Shirts und Kleider noch in die DDR-Modefarben rosa, lila und flieder eingefärbt werden müssen. Aber auf diese Weise verdienen die Hobbyschneider an einem Wochenende den Monatslohn eines Universitätsdozenten. Sekt, Benzin und gute Laune wollen schließlich bezahlt werden können. Bei der kleinen Manufakturproduktion gehen ganze Hochzeitsausstattungen drauf. “Wir haben alles vernäht, was wir finden konnten”, sagt Sabine von Oettingen rückblickend. “Meine Mutter hatte bald kein einziges Bettlaken mehr. Wir haben selbst Kabelbaumsäcke aus dem UTP-Unterricht vernäht. Vor uns war zu dieser Zeit kein Bettlaken sicher.”(6)

Als ein Teil des “Mobs”, so die interne Bezeichnung des Freundeskreises, am 12.8.1981 im neu erbauten Sport- und Erholungszentrum in Friedrichshain arglos kegeln geht, beschließen Esther Friedemann und Robert Paris eine folgenreiche Privataktion. In der Nacht sprühen sie ihre Sicht zum Mauer-Jubiläum auf eine Ziegelwand an der Greifenhagener Brücke. “Wir werden langsam sauer, 20 Jahre Mauer”, so heißt ihr Slogan, den sie fast fertig haben, als sie verhaftet werden. Die ersten 30 Stunden verbringen sie in Dunkelhaft. Auch die anderen Freunde werden vorläufig festgenommen. Einer gelingt es noch vor der Verhaftung, das Wort “Hilfe” in die Butter zu ritzen, um auf diesem Wege Freunde und Bekannte zu informieren. Der Prozeß wird Esther Friedemann und Robert Paris am 18.11.1981 gemacht. An diesem Tag wird Esther gerade 18 Jahre alt und ist nach DDR-Recht nun volljährig. Die Strafe für die Sprayaktion ist hart: Esther bekommt acht Monate, Robert wird zu sechs Monaten Haft verurteilt. Inzwischen haben die Eltern und Diplomatenfreunde ihre inoffiziellen Kontakte bemüht: Eine Woche nach der Urteilsverkündung werden beide Jugendlichen entlassen. “Wir bekamen die Auflage”, so Esther Friedemann, “uns von dieser Gruppierung mit anarchistischen Tendenzen fernzuhalten.”(7)

Für ein paar Tage scheint das möglich, auf lange Sicht jedoch kaum. Bald sitzt der “Mob” nach dieser Schockerfahrung wieder zusammen. Esther Friedemann arbeitet inzwischen als Schneiderin bei ihrer Tante Josephine Edle von Kreppl, die in der Boxhagener Straße die erste private Modeboutique der DDR betreibt. Auch Frieda Bergemann, die bald eigene Strickmoden entwirft und anfertigt, arbeitet nach ihrer Schriftsetzerlehre dort als Verkäuferin. Katharina Reinwald lernt bei Jutta Brabandt, der ersten freiberuflichen Modegestalterin der DDR, außerdem modelt sie bereits für den VEB Exquisit. So bündeln sich Interessen, für die der Freundeskreis unbewußt nach einem gemeinsamen Ausdruck sucht.

Bei der Idee steht der befreundete Fotograf Jürgen Hohmuth Pate: Katharina Reinwald näht für die Mannequins in seinen Fotoinszenierungen aufwendige Kostüme. Als die Fotos vorliegen, ist allen klar, daß die Modelle auf die Bühne gehören. Bei einem Fest in der Wohnung der Fotografin Helga Paris wagt die Gruppe den ersten Schritt ins unabhängige Modeleben. Die Bildhauer Hans Scheib und Anatol Erdmann haben dazu quer durch die große Wohnung einen Bühnensteg gebaut. Aus der begeistert aufgenommenen Aktion mit den selbstgeschneiderten Seidenkostümen und Spaßklamotten entsteht in ironischer Anspielung auf die Kriterien der DDR-Modeproduktion schließlich die Gruppe chic, charmant & dauerhaft(ccd) – den Name steuert Frieda Bergemann bei.

Am 3.6.1983 findet anläßlich einer Ausstellung von Jürgen Hohmuth im damals wichtigen Jugendklub Schaufenster in der Chausseestraße am Brecht-Haus die erste öffentliche ccd-Show statt. Das erste Bild beginnt mit heftigem Türenschlagen. Aus dem vorgefahrenen schwarzen Tatra steigen die stolzen Schönen, beklatschte Grazien eines neuen Lebensgefühls. “Möglichst extrem war, nicht im Strickpullover mit Märtyrerblick neben einer Platte von Wolle B. zu sitzen, auch nicht mehr die Trauer um Nina zu pflegen und rotzig-punkig zu sein, sondern einfach zu leben. Schön zu sein und vor allem sorglos. Nicht mit 30 Pfennig in der Tasche zu überlegen, wie der Tank zu füllen ist,” beschreibt Antje Schlag das damalige hedonistische Credo der Gruppe.(8)

Die stolze Pose und der überlegene Blick aus einem gestylten Outfit ist so ziemlich die härteste Symbol-Attacke im Arbeiter- und Bauern-Staat. Das bloße Erscheinen der nonkonformen Modemacher läßt altgediente Funktionäre zum Telefon greifen, zumal die “dekadenten Jungerwachsenen”, wie die Staatssicherheit jenen elitären Zeitgeist umschreibt, auch ökonomisch längst auf solideren Beinen stehen als die langgedienten SED-Kader. Aber man läßt die Gruppe gewähren, nach deren Vorbild wenig später ein regelrechter Modezirkus die Laufstege betritt.(9) Die Sucht nach neuen Reizen im kulturell ausgelaugten Staat ist für die ccd-Mitglieder eine Geldquelle ohnegleichen. Ihren Lebensstil finanzieren sie aus der dem Schneidern von gefragter Kleidung, nicht durch ihrer mickrigen Honorare, welche sie für die Shows im Foyer des Berliner Hauses der jungen Talente (dem heutigen Podewil) oder in Provinzkulturhäusern in Saalfeld, Gera und Neuruppin kassieren. Die Gage reicht gerade für den Sekt zum Entree. Mehr als 370 Mark können die Veranstalter nicht abrechnen, und für einen Auftritt vor der Zulassungskomission fühlen sich die ccd-Schönen zu schadet. Wie sollen sie sich auch vor schlecht gekleideten Kulturfunktionären mit Bauchproblemen ins Zeug werfen und wie am Ende jeder Show mit Sekt und Duschspray ins Publikum spritzen? So tritt der “Mob” ohne Auftrittsgenehmigung auf. Sabine von Oettingen und Katharina Rheinwald fertigen einen Großteil der Kostüme, Frieda Bergemann steuert ihre Strickmodelle bei und Dominique Hollenstein die bizarren Accessoires. Der Spaß überwiegt, auch wenn die Auftritt mehr Kosten als Mühe machen. So gerät die geringe Gage, welche man aus snobistischer Attitüde nicht teilen mag, mitunter einfach in die Bratpfanne. “Was sollten wir mit dieser Summe anfangen”, erzählt Sabine von Oettingen, “so haben wir einmal die Scheine in eine Pfanne getan und das Honorar regelrecht auf dem Gasherd verbraten.”(10)


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