|
Mit Hundestaffeln muß der umtriebige Orgelbauer und Festorganisator Kristian Wegscheider in den 80er Jahren nicht mehr rechnen. Wegscheider, ein Überlebender des Barock, wie ihn der Performance-Künstler Micha Brendel nennt(4), wird vor allem wegen seiner drei perfekt inszenierten Dampferfahrten in Dresden berühmt. Gelingt es ihm 1986 noch ohne schwerwiegende Probleme, ein Schiff zu chartern, so muß er 1987 und 1988 den Vorwand eines überregionalen Treffens der Arbeitsgruppen der Orgelbauer- bzw. der Musikinstrumentenrestauratoren ins Feld führen, um schließlich einen Salondampfer der Weißen Flotte mieten zu können. Angeregen läßt er sich von dem in der DDR nie gezeigten Fellini-Film Schiff der Träume sowie von den erwähnten Faschings-Festen der Kunstakademie, die unter dem liberaleren Rektor Gerhard Kettner ab Ende der 70er Jahre wieder zu Ereignissen werden. Bei der ersten Fahrt am 27.4.1987 mit dem Dampfer Weltfrieden nehmen mehr als 200 Gäste teil darunter Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der BRD in Ostberlin, zu denen Wegscheider enge Verbindungen hält. Die Elbfahrt gerät zu einem temporären Gesamtkunstwerk. Der Maler Eberhard Göschel gestaltet mit Kollegen Dampferkunst, die später versteigert wird. Die Musik ist auf die voerbeiziehende Landschaft abgestimmt. Als wir in Heidenau vorbeifuhren, dort, wo der Dreck in die Elbe fließt, erzählt Wegscheide, sang Anette Jahns aus Händels Neun Deutsche Arien gerade die Zeile an den hellen Flüssen(5) Und als die Weltfrieden zum üppigen Picknick anlegt, betritt ein als sächsischer König verkleideter Schauspieler die Gangway, was das euphorisierte Dampfervolk zu Es lebe der König-Rufen animiert. Der Erfolg spricht sich landesweit herum: Bei der dritten Fahrt am 12.6.1988, die Wegscheider Lila der letzte Versuch nennt, sind schon 500 Gäste dabei. Das Picknick finanziert Winfried Sühlo von der Ständigen Vertretung. Höhepunkt wird ein Landgang, bei dem die Gäste in einen 200 Meter langen Stoffwurm kriechen. Hergestellt aus rarer Leinenwäsche und Bettlaken, eigenhändig vom Organisator in großen Kesseln lila gefärbt, bewegen sich die Gäste als riesiger Lindwurm über die Elbwiesen. Für Kristian Wegscheider ist die dritte Dampferfahrt zugleich die Abschiedstour. Die Farbe Lila griff meine persönliche Endzeitstimmung auf, erzählt er heute. Meine Ehe war kaputt und die DDR auch. Ich hatte hier nichts mehr zu verlieren. Es war mein Abschied von Dresden.(6) Wir brauchten diese Lichter im Alltag. Bei unseren Festen kamen die Verbündeten aus der ganzen DDR. Und umgekehrt packten wir unsere Bündel und fuhren zu den Festen nach Halle oder Berlin. Wir haben uns auf diese Weise vernetzt. Dadurch sind Dinge entstanden, die natürlich überhaupt nicht staatsoffiziell waren. Die Feste wurden kritisch beobachtet, mitunter sogar polizeilich aufgelöst und waren mit Spionen durchsetzt. In den 80er Jahren trat mit der Vielzahl von Ausreisen ein Exodus ein, der unserer Gemeinschaft schon Abbruch getan hat. Man hätte nicht gewußt, wie es weitergehen soll. Gottlob war die DDR dann am Ende, und wir feieren unterdessen wieder. Die Kinderfeste waren so die größten Feste, die in Dresden übers Jahr stattfanden. Bis das letzte Kinderfest 1978 verboten wurde. Wir haben es dann dennoch durchgeführt als Wanderung in die Moritzburger Höhle und zurück. Die Wartburgs von der Staatssicherheit standen im Wald. Da merkte man, daß die Sache ins Kippen kam. Schulterschluß und unterhaken, das war unsere Intention damals. Es war nur das los, was man selbst los machte. Eine fröhliche Notgemeinschaft, wenn man so will. Als ich in den Westen ging, kam ich mir vor wie Tim Taler, der sein Lachen verkauft hat. Diese Anziehungskraft der Feste kam nicht nur aus der Abschottung gegenüber dem Offiziellen. Sondern es war in erster Linie das tiefste Bedürfnis, etwas zu tun. Eine Lebensäußerung in dieser grauen Zeit. Um zu sagen: hier sind wir, hier sind Künstler, die auch froh sein können. Es war traumhaft schön. Das wird sich nie wiederholen. Das war eine Lebenslust, die da ausstrahlte von diesem Fest! Das war so gewaltig, das da wohl kein Eingreifen von der anderen Seite möglich gewesen wäre. Das war wie eine Woge, die die Leute umspülte. Ich hatte immer so das Gefühl, wir können uns eigentlich gut leiden. Wir müssen in einer gewissen Form der Destruktion durch das Offizielle immer mehr den Weg zueinander finden. Das war mein Grundgedanke dabei. Es begann eine Art Veranstaltung mit Volksfestcharakter. Die Personen waren mit wenigen Ausnahmen lustig bis exzentrisch gekleidet, ca. fünf Personen waren im Indianerkostüm. Sie unterhielten die Menge, indem sie den Lokführer gefangen nahmen, dieser wurde dann ausgelöst. Unter anderem turnten sie in und auf dem Zug herum, eine Verfolgungsjagd imitierend. Im Zug (Packwagen) befand sich ein Klavier. Eine Gruppe als Cowboys verkleidete Personen machten dann auch Country-Musik (mit englischen Texten). Während der Veranstaltung wurden mehrere Blitz-Knaller gezündet.
|
|||||||||||||||||||