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Tagflucht und Nachtmär

Aus dem Keller in die Villa: Inge Thiess-Böttner und Claudia Reichardt eröffnen mit ihren inoffiziellen Privatgalerien künstlerische Freiräume

Inge Thiess-Böttners Keller in der Borsbergstraße 7 ist der wohl am häufigsten renovierte in der ganzen Stadt. Von 1976 bis 1985 werden seine Wände alle sechs Wochen frisch gestrichen. Keine gelangweilten PGH-Handwerker(1) oder mit Forum-Schecks(2) bezahlte Schwarzarbeiter sieht man mit Pinsel und Leimfarbe in der ehemaligen Souterrainwohnung hantieren, sondern tatkräftige Ästheten, die vor ihrer Ausstellung im Keller des einstmals schmucken Bürgerhauses schnell mal den bröckelnden Putz und die Schwamm-Flecken kaschieren. Dieser nötige Arbeitseinsatz bleibt aber die einzige Bedingung, die die Galeristin an ‘ihre’ Künstler stellt. Überhaupt krempeln Akademie-Absolventen wie ambitionierte Autodidakten gerne die Ärmel hoch, um in der stickigen Luft von Inge Thiess-Böttners privater Kellergalerie ihre Werke zeigen zu können. Allzuviele Möglichkeiten gibt es in jenen Jahren nicht, ohne Verbandsmitgliedschaft und behördlich abgesegnete Jahrespläne unorthodox an eine Ausstellung zu kommen. “Für mich hieß die Kellergalerie eigentlich ‘Galerie Stiefmütterchen’”, erzählt Inge Thiess-Böttner, heute 73 Jahre alt, in ihrer Dresdner Wohnung. “Aus zwei Gründen: Einmal, weil ich mich durchaus als Stiefmutter für die jungen Künstler fühlte. Zum anderen, weil der Keller ein Podium sein sollte für stiefmütterlich behandelte Kunst. Mit dem von mir Namen gewählten Namen konnten die Künstler natürlich nichts anfangen. Sie waren eitel, und ‘Galerie Stiefmütterchen’ sollte nun doch nicht auf den gedruckten Einaldungen stehen. So hat sich dann der Name ‘Kellergalerie’
durchgesetzt.”(3)

Die Idee zu dieser selbständigen und nicht ganz ungefährlichen Erweiterung des Dresdner Kulturangebotes erscheint fast zwangsläufig, wenn man das lebensfrohe Naturell und den bewegten Lebensweg der Künstlerin kennt. Inge Thiess-Böttner, Jahrgang 1924, gerät mit ihrem Studium an der Dresdner Kunstakademie in die letzten Kriegsjahre. Zwangsverpflichtet zur Rüstungsarbeit überlebt sie die Bombardements der Elbestadt in einem Luftschutzkeller im Stadtteil Striesen. Nach Kriegsende wird die innerlich begeisterte und besessene Kunststudentin aus gutbürgerlichem Hause vorerst zur Trümmerfrau. Als Privatschülerin bei Ernst Hassebrauk findet sie in den Wirren der Nachkriegsmonate zur Kunst zurück und studiert schließlich von 1947 bis 1951 bei Wilhem Lachnit an der wiedereröffneten “Akademie der bildenden Künste” – ihr Studienjahr erhält allerdings wegen obskurer Formalismus-Vorwürfe kein Diplom. Schon damals ist Inge Thiess-Böttner für ihre Zivilcourage bekannt: Einmal versperrt ihr ein betrunkener Sowjetarmist mit der Kalaschnikow den Weg zum Akademie-Atelier. Die eher zierliche Grafikerin entwaffnet ihn kurzerhand. Trotz Tobsuchts-Anfällen verläuft die straftatsrelevante Episode im Sand.

Wechselvolle Zeiten für die resolut-optimistische Kunstdame, die in den fünfziger Jahren mit ihren abstrakten, vom Konstruktivismus beeinflußten Linolschnitt-Kompositionen unter das Dekadenz-Verdikt der Funktionäre fällt. Inge Thiess-Böttner wird aus dem Berufsverband ausgeschlossen, noch ehe sich ihr Talent richtig entfalten kann. Sie verliert die Steuernummer, und ohne diese bleibt eine freiberufliche Tätigkeit in dieser Zeit ausgeschlossen. Die Begründung für das Berufsverbot ist vorgeschoben: Wegen Lohnarbeiten für das Trickfilmstudio in Dresden, hier entwickelt die Künstlerin das in der DDR bekannte Fernseh-Puppenpärchen “Flax und Krümel”, verfällt ihr Status als freier Künstler. Ein düsterer Lebensabschnitt, überdies von schweren Wolken verhangen, weil ihr Ehemann frühzeitig an Krebs verstirbt. Sie muß Geld verdienen, also fängt Inge Thiess-Böttner als Gestalterin und Restauratorin in der Abgußwerkstatt der Skulpturensammlung im Albertinum an. Ihr Lebensraum bis zur Wende – zwei ausgebaute Garagen in der Haydnstraße, ohne Keller und Dachgeschoß. Dort sitzt sie nach Dienstschluß und in den Nächten an ihren Schablonendrucken.

Als die Abgußwerkstatt an der Brühlschen Terrasse schließt, wird Thiess-Böttner in die Radebeuler Puppentheatersammlung versetzt, wo sie bis zu ihrem 63. Lebensjahr arbeitet, um wenigstens ein kleines finanzielles Polster für die Rente zu haben. Als Pensionärin kommt plötzlich der künstlerische Erfolg. Ihr Spätwerk trifft nach der Wende für manche unerwartet auf Resonanz. Inge Thiess-Böttner erhält erstmals in ihrem Leben eine staatliche Förderung. Die Künstlerhilfe gibt sie nach einer kleinen Erbschaft jedoch zurück. Mit der Maßgabe, den monatlichen Zuschuß an einen bedürftigen Künstler weiterzureichen. “Trotz aller Schlappen und Kämpfe in meinem Leben”, beschreibt sie die entbehrungsreichen Jahre, “habe ich nie die ‘Balance’ verloren. Ich bin eben eine Seiltänzerin, die es geschafft hat, über das Seil zu gehen.”(4)


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