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Pathos der LandnahmeBoheme mit Bodenhaftung: Dresdens Subkultur zwischen lähmendem Traditionsdruck, inspirierenden Autoritäten, frankophiler Sehnsucht und gelebter StaatsferneIch glaube, unser Identifikationsmodell war am Anfang die französische Boheme. Der Künstler, der erst im Dunkeln sitzt und dann mit Mäzenen rauskommt. Erfolg haben war damals nichts für mich. Erfolg hatten ja andere. Wir wollten Individualität leben, radikal sein, zweck- und ideologiefrei arbeiten. Ein Bild schaffen, was zeitlos ist. Das waren unsere Kriterien. Paris war unsere Metapher für Freisein. Es war das Aufbauen einer Welt als Vorstellung, was natürlich auch illusionäre Seiten hatte. Aber wir waren damals regelrecht krank vor Sehnsucht. Unsere gemeinsamen Feste zeigten den Traum, ein mediterranes Leben zu führen. Wie ich auch meine ersten Stadtlandschaften in Dresden gemalt habe, in der Sehnsucht nach Paris. An bestimmten Dresdner Ecken dachte ich, so könnte es in Paris aussehen. Die Sehnsucht nach Paris, nach Frankreich und der Welt." In Karl-Marx-Stadt gab es zehn, in Dresden 400 Maler, berichtet Eberhard Göschel, hier war es gar nicht möglich, die Machtverhältnisse im Verband umzudrehen.(1) Was der Maler und Mitbegründer der Obergrabenpresse lapidar benennt, ist eine der prägenden Besonderheiten für die intellektuelle Subkultur in der Elbestadt. Anders als in Leipzig und Karl-Marx-Stadt, wo im Aufbegehren der 70er Jahre Gruppen junger Maler mit einigem Erfolg in die Strukturen des Verbandes Bildender Künstler drängen, ist bei ihren Kollegen in der 520.000-Einwohner-Stadt die Abwehrhaltung gegenüber den staatlichen Mächten ein verinnerlichtes Programm. Die exemplarisch gelebte Staatsferne gründet sich nicht nur in der Aussichtslosigkeit von Reformversuchen in den Verbandsgremien, sondern eher schon auf die Tatsache, daß in Dresden Autoritäten anwesend sind, deren Werk in der DDR im kulturpolitischen Abseits steht. Im Gegensatz zu anderen Städten, in denen sich jene in den 70er Jahren entstehende andere Kultur aus dem rigorosen Bruch mit allen vorgefundenen Wertregulativen definiert, knüpfen sich in Dresden enge Kontakte zwischen den Generationen. Die im Künstlerhaus Loschwitz lebenden Altmeister und Modernisten, etwa der Konstruktivist und Patriarch der Moderne Herrmann Glöckner, werden in ihrer politischen Abstinenz und radikalen Werktreue zu stil- und haltungsprägenen Vorbildern. Aber auch bildungsbürgerlich geprägte Hauskreise wie der von Christine und Steffen Heitmann in Blasewitz tragen zu diesem Brückenschlag bei. Die Unmittelbarkeit individueller Kommunikation, beschreibt Lothar Lang die Dresdner Situation, das Aufeinanderwirken der Künstler prägte im Konnex mit der fortwirkenden Tradition lokale Besonderheiten aus, die von einer älteren Generation exemplarisch vorgezeigt wurde.(2) Im konservativen Klima der einstigen Kunstmetropole finden sichwenn auch nur temporär, institutionelle Freiräume allen voran die in exponierter Lage befindliche Kunsthochschule. Aber auch das Dresdner Staatsschauspiel, insbesondere in der Zeit des stilprägenden Regisseurs Wolfgang Engel, setzt Akzente. Zudem haben sich bereits in den 50er Jahren neben den offiziellen Kultur-Institutionen respektable Freiräume für unangepaßte Milieus bilden können. Man denke nur an den stabilen Künstlerkreis um Ralf Winkler, Peter Herrmann, Peter Graf, Peter Makolies, der, inspiriert von einem Volkshochschulkurs des Lachnit-Schülers Jürgen Böttcher (Strawalde)(3), von 1953 bis 1965 besteht. Seit dieser Zeit kann man in Dresden zahlreiche illegale Privatgalerien und Atelierausstellungen finden. Einer der ersten Galeristen ist der Grafiker Hans Körnig, der in den Jahren 1954 und 1955 eine Dachboden-Galerie in seinem Atelier im Wallgäßchen führt. Wenig später, von 1959 bis 1963, folgen Expositionen im Salon Ursula Baring. In den 70er Jahren knüpft die von Inge Thiess-Böttner(4) gegründete Kellergalerie in der Borsbergstraße 7 an die Vorläufer an, während in den 80er Jahren der Privatgaleristin Claudia Reichard(5) die Besetzung der Villa Marie gelingt. Dies alles sind impulsgebende Aktivitäten, durch die sich in Dresden, früher als in anderen DDR-Städten, eine nonkonforme Kultur und eine antiakademische Malertradition etablieren kann. Ein wichtiger Treffpunkt, bereits seit den 60er Jahren, sind auch der Dresdner Rockn-Roll-Club und die Jazz-Bar Roter Kakadu im legendären Parkhotel, das sich im Villenbezirk Weißer Hirsch steht.
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