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Fallbeil statt BeifallBrachialromantische Revolte gegen das "Sinnregime": "Matthias" BAADER Holst als radikaler Punkdichter und dadaistischer Terrorist wir soffen rauchte und waren unglücklich "Matthias" BAADER Holst Einer, der die Übungshandgranate F 1 unter 32 Meter warf, galt im unverkrampft-militanten Jargon des DDR-Sportunterrichts als "Selbsttöter". Im Ernstfall, so die strenge Zensurenordnung, hätte sich der "Genosse Kämpfer" mit dieser mickrigen Weite selbst in das Jenseits gesprengt. Matthias Holst, der sich ab Mitte der 80er Jahre "Matthias" BAADER Holst schreibt und nennt, hat nicht nur diese Zielmarke sozialistischer Sozialisation konsequent verfehlt. Kurz vor seinem spektakulären Tod am 30. Juni 1990 in der Berliner Charité, wenige Stunden vor dem Beginn der Währungsunion und eine Woche nachdem er auf mysteriöse Weise in eine Ostberliner Straßenbahn lief, läßt sich der Anarcho-Dichter im Naturkundemuseum von einer wackelnden S-VHS-Kamera noch unter einem "Ausgerottet"-Schild filmen - zusammen mit seinem Dichterfreund Peter "S.c. Happy" Wawerzinek. Der große schlaksige Holst, Jahrgang 1962, mit kahlrasiertem Schädel und großen Majakowski-Augen, neben seinem kleinen, bodenständigeren Weggefährten. Don Quichotte und Sancho Pansa als erschöpft-melancholisches Dadaistenpaar - beim gemeinsamen Ausritt aus der poststalinistischen Ebene. Kein possierlicher Künstlerulk, eher sarkastisches Schlußbild einer kraftraubenden Existenzform, der mit dem Fall der Mauer der impulsgebende Aktionsraum entzogen schien. Ein Abschied von einem radikalen Außenseiterleben, wie "Matthias" BAADER Holst oft bei seinen wüsten Leseorgien brachialromantisch rezitiert, zwischen "Beowulf und Brechreiz, Muskelschwund und Marxismus." (1) In der grauen DDR bilden sich um diesen bunten Narziß verständlicherweise bereits vor seinem frühen Ende wirre Legenden. Für die einen ist Holst ein genialischer Stadtstreicher und später Poéte maudit. Ein wild attackierender Derwisch, der nicht nur dem "Sinnregime" (2) DDR, sondern auch der Saturiertheit der selbsternannten Bohème-Größen in den 80er Jahren den Kampf erklärt. Für die anderen ist er ein harlekinesker Bürgerschreck und überschätzter Scharlatan. Seine Performances seien existentialistisches Kabarett und die Texte schlicht "unrelevant" (3), so etwa das vernichtende Urteil der literarischen Prenzlauer-Berg-Connection um Sascha Anderson. Nicht die einzigen Fehlurteile: Für die Stasi avanciert der brillante Vortragskünstler zwischenzeitlich sogar zum intellektuellen Skinhead (4) und das lediglich wegen seiner Glatze, die er seit dem 17. Lebensjahr als hochaufgerecktes Markenzeichen auf dem spindeldürren Leib trägt. Dabei wählt Holst seinen Deck- und Spitznamen BAADER gerade wegen der als leitbildhaft empfundenen Lektüreerfahrung linksradikaler Autoren - vor allem die Aura des Terroristen Andreas Baader und die überlieferten Aktionen des Berliner Ober-Dadaisten Johannes Baader haben ihn nachweislich stark beeinflußt, auch wenn Freunde wie Peter Winzer heute meinen, der Name käme lediglich von einem winterlichen Bad in einer Hallenser Fontäne. Genügend Stoff für Mißverständnisse und investigative Schnellschüsse also: Publizisten wie Carl Corino (5), der nicht nur in diesem Fall mit einer verant-wortungslosen Fehlleistung glänzt, weben zudem aus unautorisierten Szene-Tips und kolportierten Gerüchten ein grelles Leichentuch für den Ausnahme-Poeten: "Holst wurde zum Beispiel nachgesagt", mutmaßt Corino im Feuilleton einer meinungsführenden Tageszeitung, ohne irgendeinen Beleg anzuführen, "er sei kurz vor seiner Enttarnung als Stasi-Offizier gestanden." (6) Als wenn üble Nachrede nicht stets ein Topos in den Positionskämpfen um die Szene-Hackordnungen gewesen wäre. Nichtiges Szene-Latein am Biertisch, wie sich nach Akteneinsicht schnell herausstellt. Überhaupt lernt der 1962 in Halle geborene Holst früh mit Unverständnis und Ignoranz zu leben. Schroffe Ablehnung als prägende Erfahrung, die er später im Umkehrverfahren geradezu provozierend produziert. Aber auch die Fluchtchance in den Exotenstatus erkundet Holst schon in den Jugendjahren - seine facettenreiche Selbstinszenierung, wie der Literaturwissenschaftler Erik Steffen treffend postuliert, als "Asozialer, Terrorist, Punk und plakativer Selbstzerstörer" (7) hat darin ihre frühe Grundlage. Der Jagdschein des Dada-Künstlers Johannes Baader etwa, der durch eine behördlich bescheinigte Geisteskrankheit ein juristisches Alibi für seine spektakulären Happenings findet, erscheint "Matthias" BAADER Holst als ideale Existenzgrundlage im Spätsozialismus. Eine Existenzgrundlage, die er allerdings selbst nicht erreicht, auch wenn er in Gesprächen oft mit einem angeblich vorhandenen Attest eines Psychiaters kokettiert. Fakt ist lediglich, bestätigen seine Eltern, daß er den Antritt des Bausoldaten-Dienstes (8) durch ein ärztliches Gutachten verschieben kann. Als er schließlich doch einberufen werden soll, flüchtet er, ohne eine Adresse zu hinterlassen, in die Großstadt Berlin. Dabei sind seine Lebens-Koordinaten am Anfang keinesfalls ungewöhnlich: Matthias Holst, frühreifer Sohn eines philologisch gebildeten Englisch-Dozenten an der Technischen Hochschule Merseburg, kann bereits vor der Schule passabel lesen. Seine Noten sind überdurchschnittlich gut, die Aufnahme an der Erweiterten Oberschule kein Problem. Dort hapert es dann allerdings bald schon mit den Naturwissenschaften. Die besorgte Mutter, Verwaltungsleiterin am Sport-Institut der Universität, holt ihn nach einem Jahr bereits wieder von der Penne, bevor es zum zehrenden Prüfungseklat kommt. "Der Beginn der Tragödie", wie sie heute meint, "was soll ein Mann mit zwei linken Händen schließlich ohne Abitur ausrichten." (9) Ein Beruf muß her, etwas Solides, der hochgeschossene Junge lernt Baufacharbeiter. Ein Job, für den Matthias Holst keinerlei Berufung fühlt. Sein Brigadier akzeptiert den Sonderling, auch wenn er verwundert zusieht, wie der Lehrling in den Rauchpausen lustvoll in Büchern schmökert. Nach der mißmutig absolvierten Ausbildung schmeißt der überqualifizierte Bauarbeiter vollends die Kelle hin, ohne die Eltern zu informieren. Er zieht in ein besetztes Haus in der Kleinen Ullrichstraße, bekommt Kontakt zu Pfarrer Lothar Rochau in Halle-Neustadt und beteiligt sich an politischen Aktionen der Jungen Gemeinde - etwa an einer Fahraddemo zum Chemie-Komplex Buna, der Halle jahrzehntelang mit Umweltgiften und einem bisweilen penetranten Gestank überzieht. Ein soziales coming out, typisch für die Aussteigerjugend der 80er Jahre, verbunden mit der konsequenten Absage an jeden weiteren Karriereschritt im sozialistischen Kaderstaat. Für die Suche nach der anderen Seite der Gesellschaft gibt es in der Diktatur allerdings keine Ratgeberbroschüre und kein finanzielles Förderprogramm. Die tastende Selbsterkundung der Freiräume ist ein kraftraubender Zickzack-Kurs. Zuerst schlägt sich Matthias Holst als Aushilfspostbote durchs Leben. 1982 versorgt ihm die schutzbesorgte Mutter einen Job im Zeitschriftenlesesaal der Universitätsbücherei. Ein folgerichtiger Schritt, wie sich schnell herausstellt. Der Bibliotheksarbeiter wird sein bester Kunde, vor allem, wenn es darum geht, den "Giftschrank" zu knacken, den in jeder DDR-Bibliothek vorhandenen Aufbewahrungsort indizierter Literatur. Seine Lektüre gerät exzessiv, Holst macht freiwillig Überstunden, wühlt sich wie ein konspirativer Maulwurf durch die verfemte literarische Moderne. Jahre später noch hat er die ungewöhnlichsten Daten parat. Aus dem Stegreif zitiert er ellenlange Passagen aus expressionistischen Manifesten genauso textsicher wie verworrene Heimatlyrik siebenbürgischer Literaten, die wegen des Verdachtes der Propagierung faschistischen Gedankengutes neben den Erstausgaben der Dadaisten ebenfalls im Hallenser Giftschrank stehen. Die erkämpften Lektüreerfahrungen hält er auf einer Unmenge von Zetteln fest, die später zum wichtigen Materialstock für Holsts eigene Textproduktion werden. Schopenhauer-Zitate auf "Karo"-Schachteln, Nietzsche-Sentenzen auf Liebesbriefen, Zeilen des in Paris lebenden Exilrumänen E.M Cioran auf Umschlagseiten "Reaclam"-Autoren. Seine damals schon phantasievolle Alltags-Kostümierung machen ihn bald zur lokalen Berühmtheit, zum "absoluten Unikat" (10), so Dichterfreund Peter Winzer. "Er verkörperte angstfreies geistiges Leben", erinnert sich auch Weggefährte Falko Schilling, "er war exzentrisch, hatte eitle Schübe, teilweise war er auch asozial. Sein Äußeres zielte immer auf Provokation: Einmal kam er in einem Taucheranzug mit angenähten Füßen und Schweißerbrille."(11) Ab 1983 tritt Matthias Holst erstmals mit eigenen Texten bei Privatpartys und Veranstaltungen in kirchlichen Räumen auf. Im Gegensatz zu seiner späteren "von Gewalt und Obszönität strotzenden Bilderwelt"(12), so Erik Steffen, sprechen seine frühen Werke in einer suchenden, eher verhaltenen Sprache. Nihilistische Standortbestimmungen im Kammerton einer verfallenden Zeit: "warum also: leben? weg um weg erreichen? für nichts. das können sie dir nicht nehmen. wo du stirbst. ist dein leben dir nahe. (...) zukunftslos. heldenlos. (...) wer das leben annimmt. wird nie verlieren. wer nicht verliert: siegt. wer siegt zerstört. wer zerstört hat zukunft. wer der zukunft bleibt. weiß nichts von sich. in dieser zeit. `zu beginn der achtziger jahre`. ich habe umsonst gelebt. den schritt gewagt: zu erkennen. so geschehe ich." (13) Nach der Verhaftung von Pfarrer Rochau wird die Christuskirche um Pfarrer Siegfried Neher zu einem Treffpunkt der entwurzelten Stadtjugend. Überregionale Punkmusiktreffen finden statt, die Stasi riegelt mehrfach zu Konzerten vergeblich den ganzen Stadtbezirk ab und zerrt die DDR-weit anreisenden Punks brutal aus den Zügen. Umsonst, viele Wege führen zum Rempel-Pogo unters Kruzifix, die unerwartete Anfahrt im Taxi oder im viel zu kleinen Kofferraum eines Trabis tut es manchmal auch. Unbeirrt von nicht ausbleibenden Kriminalisierungsversuchen setzt Pfarrer Neher überregional wahrnehmbar Zeichen: Der Flügelaltar der Christuskirche wird von einem wegen Fahnenflucht verurteilten Jungmaler mit Spraydosen und Acrlyfarben zeitgemäß aktualisiert - eine rothaarige Madonna mit Walkman ist das Ergebnis, neben Mülltonen und anderen Insignien sozialistischer Trash-Kultur prangt das Anarchisten-A auf dem subversiven Altarbild. Druck und Gegendruck - der richtige Ort für Matthias Holst, der in dieser Zeit ständiger Gast bei den Veranstaltungen ist. "Baader", erzählt Siegfried Neher, "war in Halle fast ein Heiliger." (14) Alles in ihm drängt zur Aktion: Am 1. Mai, dem penibel überwachten Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse, überquert er beispielsweise den überfüllten Klement-Gottwald-Boulevard. Mit aufgesetzter Gasmaske, hinter derem Gummischlund er den Morrison-Song "The End" ins realsozialistische Leben brüllt. Oder er folgt dem werktätigen Volk an die wischfesten Sprelacart-Tische der heimatlichen Erlebnisgastronomie, wo der süßliche Weißwein "Lindenblatt" heißt und die stapelbaren Gläser "superfest" sein müssen. Dort schüttet er seine Wortkaskaden über die verduzten Gäste aus und dreht bizarre Runden auf dem leeren Tanzparkett. Das Leben als konfrontative Performance zwischen Exhibitionismus und Größenwahn, dessen Alltag Peter Wawerzinek wie folgt beschreibt: "Der ist einfach auf Leute zumarschiert, hat an ihnen rumgezerrt, ihnen ins Gesicht geschrieen, sie sogar unzüchtig angefaßt." (15) Ein einzigartiges Talent für pointiertes theatralisches Timing, von dem später auch die legendären Punk-Gruppen "Die letzten Recken" und "Frigitte Hodenhorst Mundschenk" (16) profitieren, für die BAADER zum imagebildenden Frontmann wird. Die Aura eines stadtbekannten Bohemiens mit prophetischen Zügen ist Holst allerdings bald zu wenig. Er glaubt an die Chance einer Dichterkarriere, sein größter Wunsch, erinnert sich Peter Winzer, war, den Eltern und Kritikern "ein eigenes Buch auf den Tisch zu knallen." (17) Nach den ersten erfolgreichen Stegreif-Lesungen und Spontan-Aktionen, die seinen exorbitant zwiespältigen Ruf schnell bis nach Berlin dringen lassen, beschließt er mit Winzer die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift. Ein Schritt ins Seriöse, der wohl auch darin begründet liegt, daß die beiden ambitionierten Literaten allzuoft höflich-verneinende Antwortschreiben auf ihre Manuskriptsendungen von den literarischen Monopol-Gazetten "Temperamente", "ndl" und "Sinn und Form" erhalten. "Ihr müßt den Verlagen die Türen einrennen" (18) - so einfach wie sich Vater Holst die Erstürmung der realsozialistischen Zensurbastion vorstellt, ist die Sache denn doch nicht. Zusammen mit Udo Wilke konzipiert die kleine Redaktion das erste Heft, das im Sommer 1985 in einer 15er Auflage schließlich erscheint. Der Titel ist programmatisch, die Edition heißt "Galeere". "Der Name war kein Zufall", berichtet Winzer, "Galeere, das bedeutete, wir sitzen alle in einem Boot und versuchen gegen den Strom zu schwimmen. Klar, niemand war dabei angekettet wie einst die Verlorenen auf den gleichnamigen Schiffen. Aber wir fühlten uns mit den Gefangenen dieser Schiffe solidarisch." (19) Das Premierenheft enthält insgesamt dreizehn Texte, bis auf ein Prosastück allesamt Kreationen der Herausgeber. Die verlegerische Qualität ist eher mäßig, schlecht lesbare Durchschriften, auf der mechanischen Schreibmaschine erstellt, in einem A4-Umschlag einfach schmucklos zusammengetackert, der Titel ungelenk in Versalien mit Tusche aufs Deckblatt gekrakelt. Anfangsschwierigkeiten, die das Redaktionstrio als Gestattungskosten begreift. Am zweiten Heft, jetzt in einer Auflage von 20 Exemplaren, beteiligen sich bereits acht Autoren. Darunter allerdings auch der IMB "Peter Haller" alias Hans Ullrich Prautzsch, der das Publikationsorgan bei der Stasi zur Anzeige bringt. Die Folge: Gegen alle drei Herausgeber werden Operative Personenkontrollen eingeleitet. Im Maßnahmeplan der OPK "Barkasse" wird die Notwendigkeit einer "Unterbindung der Herausgabe" damit begründet, daß "durch bekannte operativ-relevante Personen Aktivitäten entwickelt werden, "Literatur" zu verbreiten, die nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht." (20) Vor der dritten Nummer, im Februar 1986, entbrennt zudem ein interner Streit um die Weiterführung der Edition. Die angesprochenen Autoren, darunter auch der bereits als Kandidat im Schriftstellerverband aufgenommene Jörg Kowalski und Detlef Opitz, drängen auf Mitspracherechte und eine höhere Auflage. Doch Holst und Winzer sind strikt dagegen, daß die "Galeere" gedruckt oder in höherer Auflage vervielfältigt wird - etwa auf einem kircheneigenen Ormiggerät. "Wir wollten, daß das Heft seinen Untergrund-Charakter nicht verliert", begründet Peter Winzer die quantitative Beschränkung, "hatten wohl aber auch Angst, daß uns das Projekt entgleitet". (21) Deshalb benennen sich Holst und Winzer im dritten Heft als Herausgeber. Für die Kulturverwaltung ergibt sich dadurch die Möglichkeit, das Produkt wegen des Vorwurfs der Herausgabe nicht-lizensierter Druckerzeugnisse zu verbieten. Zur "Klärung eines Sachverhaltes" in die Abteilung Kultur des Rates des Bezirkes befohlen, erfahren die beiden vom Verdikt. Der Behördentermin endet mit einer das Gesicht wahrenden Aktion: "Mir schnürte es vor Wut die Kehle zu", erinnert sich Peter Winzer an das Gespräch, "Baader hob plötzlich, als wollte er ein Gedicht vortragen, seine rechte Hand, zeigte mit wippendem Zeigefinger auf den Genossen und fragte `Sachensema, wolln se uns verscheißern.`" (22) Der Ausflug ins Provo-Sächsisch hilft allerdings nicht viel, die beiden Verleger werden abgemahnt, jeder zu einer satten Ordnungsstrafe von 300 Mark. Das exhibitionistische Masken- und Gebärdenspiel, in das der Lyriker Holst nach dem "Galeere"-Tod forciert emigriert - vom sturen Idioten bis zum lallenden Propheten des Untergangs - verleiht ihm trotz aller Party-Erfolge bei nächtlichen Lyrik-Sessions und Hinterhof-Festivals schnell die Aura eines ausgeflippten Berserkers, der zwar für einen Abend ganz witzig zu konsumieren, aber mit dem Kodex ernsthafter künstlerischer Arbeit nicht vereinbar scheint. Ein vorschnelles Urteil, von dessen anmaßender Attitüde man sich schon damals durch Lektüre seiner veröffentlichten Texte in anderen Untergrund-Zeitschriften korrigieren konnte, wenn man nur wollte. Holsts permanente Selbst-Inszenierung "prägt seine poetische Sprache", formuliert Erik Steffen, "die tabuisiertes sexuelles und politisches Wortmaterial (Nationalsozialismus), Bildungsmüll, Schlagworte des DDR-Systems und des Kommunismus mit Bruchstücken aus der Lebenswelt DDR, Literatur und Subkultur verbindet. Eine absurd-groteske Welt als Zerrspiegel der Wirklichkeit von Gewalt und Obszönität entsteht." (23) Seine Vortrags-Texte, die er alle auswendig kann, sind ätzende Moment-Montagen im Ton eines Geiger-Müller-Zählers, der die fortschreitende Halbwertszeit signalisiert. Radikal gemixt aus Mythen, Mustern und Miniaturen. Bisweilen aber auch melancholische Rückbesinnung auf eine Literatur, in der Sprache noch unverhunzt möglich war. ach schwermut! süßes umverteilen geh mit mir in die düsternis und laß uns in den zweigen scheitern wir hetzen uns in einen mund der hat noch leere die sich einig ist Als Peter Wawerzinek über einen Tip des Leipziger Dada-Freaks Lutz Nitzsche von Holst erfährt, setzt er sich 1988 sofort in den Zug. Auf der Suche nach einem Gegenpol, einem literarischen Blutsbruder, hat er schon künstlerische Partnerschaften mit dem jungen Ostberliner Lyriker Johannes Jansen oder dem formstrengen Leipziger Literaten Thomas Böhme probiert. Für den proletarischen und hemdsärmligen "Nix"-Autor (24), der lange Zeit noch am Fließband eines VEB schuftet und lieber in den Proll-Kneipen als im elitären Zirkel um Anderson den Hofstaat verstärkt, funkt es aber erst mit dem Hallenser Performance-Star. Holst verlegt seinen Wohnsitz in eine leerstehende Wohnung im Prenzlauer Berg, die "Schappy" Wawerzinek ihm besorgt. Die Flucht vor der drohenden Einberufung mag ein wesentlicher Beschleuniger dieser Entscheidung gewesen sein. Denn die austarierte Literatenszene am Prenzlauer Berg ist kaum ein Anziehungspunkt für den Individualanarchisten. Die "Sucht nach Provokation" (25), wie Wawerzinek meint, schmiedet ein literarisches Kampfbündnis, das bis zum Ende der DDR einzigartig bleibt. "Wir kriegen euch alle", mit diesem aus der Hooligan-Szene ausgeborgten Spruch, mischt das Duo zunehmend die blitzartig organisierten Szene-Partys auf. Ihr angestammter Aktionsraum bewegt sich zwischen der "Kirche von unten", dem "Schaufenster"-Club am Brecht-Haus in der Ostberliner Chausseestraße und diversen Ausreise-Feten, die in den letzten beiden Jahren der DDR fast pausenlos das Kulturangebot auffrischen. Aber auch die Runden der sich arrivierenden Dichter des Prenzlauer Berges sind das Ziel des Duos. Bei einer Lyrik-Nacht des Aufbau-Verlages im Kultkino "Babylon" etwa, wo die neu eingeführten Aufbau-Autoren Bert Papenfuß, Rainer Schedlinski und Eberhard Häfner gerade den Schritt ins Offizielle zelebrieren, stürmt das brachialromantische Dadaisten-Paar hasardartig die Bühne. "Was wir gehaßt haben", erinnert sich Wawerzinek, "war dieses Gehüstle, dieses Könnte-das-da-hinten-mal-aufhören, dieses ewige Glas Wasser und die fein säuberlich in der Klemm-Mappe abgehefteten Texte. Deshalb haben wir solche Lesungen immer gestört." (26) Bei der Aufbau-Fete schnappt sich der drogenerfahrene "Baader" eine protestierende Verlagsdame zum angedeuteten Bühnen-Koitus, "Schappy" erklärt dem teils verzückten, teils empörten Publikum, daß nun endlich wirklich aufbauende Sachen kämen und die Experimental-Band "Expander des Fortschritts" (27) legt dazu den passenden Klangteppich aus - solange bis der alarmierte Hausmeister den Strom abdreht. Ein Riesenerfolg für das künstlerische Terroristen-Doppel, dem sogar die offizielle Kulturpolitik künftig Achtung zollt. Aus Angst vor der erneuten Erstürmung der Bühne, planen die Veranstalter bei einer Wiederholung der Lyrikveranstaltung in Leipzig Holst und Wawerzinek regulär mit ein. "Matthias" BAADER Holst revanchiert sich auf seine Weise - er läßt die Texte ins Russische übersetzen, die er unter frenetischem Beifall in den Katakomben des Studentenklubs "Moritzbastei" ins Publikum schreit. Szenen, die unwiederbringbar verloren sind. Nur in 8mm-Aufnahmen des Leipziger Malers Jörg Herold und in einem Videofilm von Erich Maaß und Uwe Warnke (28) ist ein wenig von der subversiven Kraft jenes Literaten zu spüren, der neuerdings als einer der Pfadfinder der Slam-Poetry gilt. In einer Szene steht BAADER grinsend vor einem Denkmal in Bitterfeld. Erbaut von einem übereifrigen Deutsch-Lehrer irgendwann in den 60er Jahren, der seinen Schüler aufgibt, "Briefe an die Jugend des Jahres 2017" zu schreiben, die er dann in einer Kassette in die Betonmauer einläßt. Erst zu öffnen im Jahr 2017, dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution, verheißt eine kupfergetriebene Plakette. Ein riskantes Verfallsdatum, das Holst zu einer Performance inspiriert. In der Messingschale des Denkmals entzündet er ein kleines Feuer. Mit großen Gesten deklamiert der Untergrund-Poet im Flammenschein seine Verse. Entrückt, einsam, einzig. Ein dadaistischer Olympionik, ein hakenschlagendes Opferlamm.
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