Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Bei so viel mißverstandener Rezeption tut es gut, sich an die Anfänge zu erinnern: Nach einer ruhigen Jugend im Ostsächsischen mit anschließender Berufsausbildung studiert Wolfgang Krause, der später den frühen Spitznamen “Zwieback” an seinen Nachnamen heftet, von 1973 bis 1978 an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Die Kunsthochschule wird in dieser Zeit von Bernhard Heisig geführt. Trotz staatsloyaler Indoktrination räumt der seinen Studenten “gewaltige Freiräume ein”, verklärt Zwieback die Person des realsozialistischen Malerfürsten aus der Distanz der Jahre wohl auch ein wenig. Zusammen mit dem Rektorensohn Johannes, der ein Studienjahr über ihm Malerei studiert, formiert der begabte Grafik-Student ein subversives Theaterkollektiv, das zunächst die legendären Faschingsfeste zu dadaistischen Formrevolten nutzt. Parole Spaß: Wer die Fotos sieht, auf denen Zwieback, Heisig junior und der Fotografiestudent Klaus Elle ihre wilden Performances zelebrieren, kann über seine Abwesenheit zu diesen einmaligen Erlebnissen noch im Nachhinein traurig sein. Da werden beispielsweise Ikonen des sozialistischen Realismus als lebende Bilder nachgestellt. Wenn Johannes Heisig mit dem stolz gereckten Brigadier-Daumen im DDR-typischen Handwagen Roll-Fix über die Bühne fährt, weiß jeder, da wird Vater Heisigs Polit-Schinken “Der Brigadier” verulkt. Oder wenn das infernalische Mimen-Trio Werner Tübkes manieristisches Porträt eines sizilianischen Großgrundbesitzers auf die Bühne bringt, ist das mehr als ein Angriff auf das humorlose Establishment der Leipziger Malerschule. “Bei uns ging es nie unter totaler Ekstase”(5), erinnert sich Zwieback an die frühen Jahre – egal, ob Heisig und Zwieback, die “beiden Zugpferde” der bildkünstlerischen Theatercompagnie, im grauen Leipzig Interviews über Vampire führen oder mit ihrem tabulosen Zirkusprogramm “Alle hopp” mehrmals im Jahr die Hochschulsäle füllen. Anstatt einer “schnellen Festigkeit” durch Sprecherziehung und Körpertraining zu erliegen, die Zwieback in der benachbarten Theaterhochschule bedrohlich wahrnimmt, lebt hinter den dicken Mauern der Kunsthochschule zu jener Zeit ein verspielt-sinnlicher Geist, der offen ist für jede genreübergreifende Anregung und Provokation.

Porträtzeichnung und Theaterspiel – das sind die beiden Pole, die für Zwiebacks Leben wichtig werden. Seine Zeichenkünste helfen ihm nach der Hochschulzeit, sich finanziell über Wasser zu halten. Da er bis 1980 vergeblich um eine Einstufung als Theaterkünstler kämpft, zeichnet er für die Bulletins des Leipziger Dokumentarfilmfestivals und die offiziellen Werkstattage des DDR-Theaters. Mit schnellem und genauem Strich gelingen ihm subtile Studien von Heiner Müller, Freya Klier und Volker Braun. Später zeichnet Zwieback auch im Leipziger Gewandhausorchester, wo er den gesamten Klangkörper skizziert. Sein Ehrgeiz, durch Verfremdung und Charakterisierung ein gültiges Porträt zu erzielen, auch wenn nur wenige Minuten zur Verfügung stehen, schafft ihm nicht nur Freunde. Aus dem Gewandhaus wird er wieder entfernt, “weil sich einige nicht seriös dargestellt fanden”, so erklärt Zwieback den Eklat. Daneben illustriert er ein Kinderbuch, fertigt die grafischen Vorlagen für einen Trickfilm im DDR-Fernsehen und dreht 1983 mit dem Dokumentarfilmer Volker Koepp ein poetisches Kostümhappening mit dem Titel “ Tiere sind schön da”. Für Wolfgang Krause bleiben diese Erkundungen allerdings nur Randerscheinungen, welche den schnöden Alltag ein wenig bizarrer machen. Alles in ihm drängt zum Theater, zu seiner speziellen Form, die im Stadttheatersystem der DDR allenfalls auf die Probebühne darf. Das offizielle Theater interessiert ihn nicht sonderlich. Zwar sieht Zwieback die Highlights – von Alexander Lang in Berlin oder von Wolfgang Engel in Dresden. Frank Castorfs Inszenierungen kennt er wegen seinem ausgelasteten Terminkalender nur vom Hörensagen. Irgendetwas hält ihn fern von den Schauspielhauskantinen und den ritualisierten Intendantenvorspielen. Ist es die verbreitete Hybris im administrativen Theatersperrbezirk, die alles Zirzensische und Einfach-drauf-los-Phantasierende schonungslos verlacht? Oder die Scheu, auf Abruf eines zweifelhaften Regisseurs sein Ego übermäßig zu strapazieren? Erst zwei Jahre nach Studienabschluß gelingt es dem in Leipzig lebenden Grafiker, eine “Pappe”, wie die Zulassung im Szene-Jargon heißt, für seine Theaterauftritte von der mißtrauischen Kommission zu bekommen. Hier spürt Zwieback hautnah den Unterschied zwischen den institutionellen Freiräumen an der Kunsthochschule und dem Leben als Einzelkämpfer an der Veranstaltungsfront. Was in der Hochschule möglich ist, kann in Görlitz oder Halle-Neustadt schon ein Staatsverbrechen sein. Der Satz “Das Leben der Möbel nach dem Tod ihrer Besitzer” wird beispielsweise von einer lokalen Kommission als schwerer Verstoß gegen die offizielle DDR-Lesart des Einsatzes der Nato-Neutronenbombe interpretiert, was einem kulturpolitischen Skandal gleichkommt.

Zwieback tingelt anfangs auf unterstem Amateurstufen-Niveau: ganze sieben Mark darf er für einen Abend nehmen. In den ersten Programmen verwendet er noch Fremdtexte, unter anderem von Heinz Ehrhard. Zu Beginn der 80er Jahre findet der skurrile Solist für sein Theater den Begriff “Kabasurdes Abrett”. Im Anklang an die Künstlerkabarett-Tradition der Berliner Vorkriegs-Boheme und an das in der DDR kaum gespielte Absurde Theater. Manche der wohlwollenden Kritiker ziehen auch andere Parallelen. “Wolfgang Krause Zwieback aus Leipzig, ein Urenkel des Dada, das läßt sich ohne weiteres behaupten”, konstatiert etwa Helmut Ullrich, Theaterkritiker der Neuen Zeit. “Wenn man sich an die Zeugnisse der Augenzeugen hält, kann es manchmal kaum anders zugegangen sein, wenn sich die Züricher Dadaistenclique in ihrem Cabaret Voltaire produzierte. Wie er mit der Sprache umgeht, da mag man oft an Hans Arp und manchmal auch an Hugo Balls Lautgedichte denken. Und natürlich auch an Kurt Schwitters. Zuweilen aber auch an Morgenstern und in manchen Momenten sogar an August Stramm und die anderen Sturm-Lyriker.”(6) Seine mobile und modifizierbare Kunstform hat vor allem mit der speziellen Situation im kleinen Lande zu tun: “Eine Mischung aus Notwehr, eigener Abschirmung und der Sucht nach dem größeren Horizont.”(7) Neben zahlreichen Auftritten in Jugend- und Studentenklubs tourt Krause Zwieback auch durch die privaten Subkultur-Salons. Man findet den Einzelkämpfer bei Künstlerfesten, Vernissagen und Privatpartys, obwohl er die Zimmerveranstaltungen wegen der begrenzten Spiel- und Reibungsfläche eigentlich nicht besonders mag.


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